Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot für afghanisches Ehepaar mit vier minderjährigen Kindern

Aktenzeichen  M 26 K 16.34491

Datum:
4.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Bezüglich der Zentralregion Afghanistans, der auch die Provinz Kapisa zuzurechnen ist, ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (wie BayVGH BeckRS 2015, 49742). (Rn. 19 – 20) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine unmenschliche Behandlung iSv Art. 3 EMRK kann auch allein auf der humanitären Lage und den allgemeinen Lebensbedingungen beruhen (vgl. BayVGH BeckRS 2015, 54522). Sie setzt gleichwohl ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus.(Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung iSv Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt zu sein, liegt bei einer afghanischen Familie mit vier Kindern – teilweise im Kleinkindalter – vor. Insoweit kann nicht lediglich auf eine mögliche künftige Erwerbstätigkeit des Familienvaters abgestellt werden, da nicht sichergestellt ist, dass er als Bauhandwerker ohne eigene Firma und ohne konkrete Aussicht auf eine feste Anstellung bei einer Rückkehr nach Afghanistan den Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau und vier minderjährige Kinder wird erwirtschaften können, wenn zugleich seine Frau über ihre Tätigkeit als Hausfrau hinaus nicht zum Unterhalt der Familie beitragen kann. (Rn. 24 – 26) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Die Beklagte wird unter entsprechend teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 8. November 2016 verpflichtet festzustellen, dass für die Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Kläger zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der La-dung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist form- und frist-gerecht geladen worden und hat unabhängig davon gemäß allgemeiner Prozesserklärung von 25. Februar 2016 auf Einhaltung der Ladungsfrist sowie Ladung gegen Empfangsbekenntnis verzichtet.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die Klage ist, soweit sie aufrechterhalten wurde, zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bzw. mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Jedoch haben sie Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aus diesem Grund ist auch die Abschiebungsandrohung rechtswidrig. Insoweit war der streitgegenständliche Bescheid aufzuheben.
1. Die Kläger bedürfen keines subsidiären Schutzes.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Bei der Prüfung, ob dem Ausländer ein ernsthafter Schaden droht, ist, wie auch bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft, der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 ff.). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung bzw. Schädigung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Im Falle einer Vorverfolgung privilegiert Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU („Qualifikationsrichtlinie“, Neufassung) den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch die (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 a.a.O. – noch zum insoweit wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83/EG).
Das Gericht muss dabei allerdings sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit – insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit – abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Furcht vor Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 – juris).
Die Kläger erfüllen die in diesen Grundsätzen normierten Voraussetzungen nicht. Zur Begründung wird zunächst auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
1.1. Das Gericht konnte aufgrund des Vortrags der Kläger im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose eines drohenden Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG gewinnen. Der Vortrag ist teilweise widersprüchlich und nicht schlüssig und daher insgesamt nicht glaubhaft. Zunächst fiel auf, dass dem Kläger in der mündlichen Verhandlung die zeitliche Einordnung des in Rede stehenden Vorfalls zunächst schwer fiel, bevor er nach mehrfacher Nennung abweichender Jahreszahlen dann plötzlich doch das genaue Datum nennen konnte, das er beim Bundesamt angegeben hatte. Sodann hält es das Gericht bereits für nicht unbedingt schlüssig bzw. wahrscheinlich, dass die Familie des Mordopfers, obwohl diese den Angaben der Kläger zufolge sicher weiß, dass der Freund des Klägers der Mörder ist, auch den Kläger des Mordes verdächtigt und diesen deshalb aus Blutrachemotiven töten will, nur weil beide einige Stunden vor der Tat zusammen gesehen wurden. Bei verständiger Würdigung erschiene es vielmehr wahrscheinlicher, dass die Familie des Opfers hoffte, vom Kläger den Aufenthaltsort des Täters erfahren zu können, um sodann ggf. bei diesem „Blutrache“ zu nehmen. Daher erscheint bereits aus diesem Grund die Prognose eines drohenden ernsthaften Schadens fragwürdig.
Darüber hinaus gaben die Kläger auf die Frage, wie sie von den gegen den Kläger gerichteten Verdächtigungen erfahren hätten, in der mündlichen Verhandlung an, ihr Nachbar, zu dem kein verwandtschaftliches Verhältnis bestehe, habe angerufen und dem Kläger gesagt, dass die Familie des Mordopfers bei seinem Haus sei. Dieser Nachbar als Überbringer dieser Botschaft hatte in der Anhörung beim Bundesamt keinerlei Erwähnung gefunden; vielmehr hatten die Kläger dort angegeben, ein Cousin des Klägers sei bei dessen Haus gewesen und hätte die Familie des Mordopfers dort gesehen. Die Einlassung auf entsprechenden Vorhalt des Gerichts, dass sowohl der Cousin als auch der Nachbar angerufen hätten, vermögen das völlige Unerwähntlassen der jeweils anderen Auskunftsperson nicht zu erklären. Vielmehr deutet der jeweils übereinstimmende Vortrag in der jeweiligen Anhörungssituation stark darauf hin, dass sich die Kläger diesbezüglich untereinander abgesprochen haben, dabei jedoch ihre angaben bei der vorangegangenen Befragung nicht mehr so genau im Gedächtnis hatten.
Das Gericht hält es darüber hinaus für wenig nachvollziehbar, dass der Kläger sowohl seine Tazkira als auch seine Heiratsurkunde mit auf die Flucht nach Europa nahm, obwohl die Kläger nach eigenen Angaben nach dem Vorfall aus Angst vor der Familie des Mordopfers überhaupt nicht mehr bei ihrem Haus gewesen sein wollen (die Heiratsurkunde hat der Kläger dann auf der Flucht verloren). Dass der Kläger beim Besuch des Basars und seiner Schwiegereltern sowohl die Tazkira als auch die Heiratsurkunde bei sich hatte, erscheint gerade bezogen auf die Verhältnisse in Afghanistan, wo es keine Verpflichtung gibt, Personalpapiere bei sich zu führen, wenig lebensnah. Des Weiteren hatte der Kläger bei der Anhörung beim Bundesamt angegeben, sein Haus stehe nach Auskunft seines Cousins leer. Zudem erwähnte er in der mündlichen Verhandlung, dass sein früherer Freund, als der Kläger schon in Deutschland war, einen zweiten Mord begangen haben soll. Andererseits gab er in der mündlichen Verhandlung an, er habe keinerlei Kontakt zu seiner Familie und seinem Nachbarn und könne daher nicht sagen, ob der Täter inzwischen gefunden worden sei bzw. ob die Familie des Opfers noch nach dem Kläger frage.
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände und des Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, ist der Vortrag insgesamt als nicht glaubhaft zu bewerten.
1.2. Den Klägern droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in ihrer Herkunftsregion, der Provinz Kapisa, oder der Hauptstadt Kabul, wohin ggf. eine Rückführung zunächst erfolgen würde. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist bezüglich der Zentralregion, welcher auch die Heimatprovinz der Kläger Kapisa zuzurechnen ist, derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 13a ZB 15.30031 – juris; B.v. 16.4.2014 – 13a ZB 14.30069).
In der Zentralregion Afghanistans, zu der auch die Provinz Kapisa gehört und in der insgesamt ca. 6,5 Millionen Einwohner leben, wurden bei einem Anstieg von 34% im Vergleich zum Jahr 2015 im Zeitraum Januar bis Dezember 2016 2.348 Zivilpersonen verletzt oder getötet (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, Februar 2017, S. 4). Damit ergibt sich ein Risiko von 1:2768, verletzt oder getötet zu werden. Mithin liegt das Risiko bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 13a ZB 14.30172 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens – wie hier – weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nach alledem ist es angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden (vgl. auch BayVGH, B.v. 17.08.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris). Soweit Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl sowie Presseberichte auf die Zunahme von Anschlägen – vor allem in Kabul – verweisen, folgen sie eigenen Maßstäben, aber nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – Rn. 10 m.w.N.). Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung an.
Individuelle gefahrenerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
2. Die Kläger haben jedoch einen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hinsichtlich Afghanistan. Insoweit war der Bescheid des Bundesamtes vom 8. November 2016 in Nrn. 4, 5 und 6 aufzuheben (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Die Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Eine unmenschliche Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK, die allein auf der humanitären Lage und den allgemeinen Lebensbedingungen beruht, ist möglich (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5 m.w.N. der Rspr. des BVerwG und des EuGH). Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ seien. Dieses Kriterium sei angemessen, wenn die schlechten Bedingungen überwiegend auf Armut zurückzuführen seien oder auf die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen. Zum anderen könne – wenn Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führten – eine Verletzung darin zu sehen seien, dass es dem Betroffenen nicht mehr gelinge, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen. Im Anschluss hieran stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen sei, verletze die Abschiebung des Ausländers Art. 3 EMRK. Der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog kann von der Gesetzessystematik her allerdings nicht herangezogen werden (BayVGH, B.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt gleichwohl ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung angenommen werden könne, weist das ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (BayVGH, B.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19).
Ein entsprechend hohes Gefährdungsniveau liegt bei den Klägern unter Berücksichtigung der nachstehenden Ausführungen vor, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müssten. Es ist davon auszugehen, dass die Kläger, die vier minderjährige Kinder teilweise im Kleinkindalter zu versorgen haben, als Rückkehrer tatsächlich Gefahr laufen, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
Insoweit kann nicht lediglich auf eine mögliche künftige Erwerbstätigkeit des Klägers abgestellt werden. Es ist nicht sichergestellt, dass der Kläger als Bauhandwerker ohne eigene Firma und ohne konkrete Aussicht auf eine feste Anstellung bei einer Rückkehr nach Afghanistan den Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau und vier minderjährige Kinder wird erwirtschaften können. Die Klägerin hat nie eine Schule besucht und ist angesichts dessen sowie der Betreuungsbedürftigkeit der vier kleinen Kinder darauf verwiesen, Hausfrau zu sein. Sie wird daher zum Lebensunterhalt der Familie in Afghanistan kaum etwas beitragen können.
Im Rahmen einer Gesamtschau steht damit zu befürchten, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten, die ihnen nicht zugemutet werden kann. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG liegt daher vor.
Aufgrund dessen waren auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 und das auf 30 Monate festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG (Nr. 6) aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO, § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben