Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot für Afghanistan wegen psychischer Erkrankung und subsidiärer Schutz

Aktenzeichen  13a ZB 15.30248

Datum:
30.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45092
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich nicht ableiten, dass die Anforderungen an den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung auf andere psychische Krankheiten zu übertragen sind. Da das Verwaltungsgericht hiervon ausgeht, war die Berufung wegen Divergenz insoweit (§ 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG) zuzulassen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ob eine psychische Erkrankung ein gefahrenerhöhender Umstand bei der Prüfung subsidiären Schutzes wegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG) sein kann, ist nicht klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht bereits ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Bevölkerung in dem fraglichen Gebiet (Provinz Badakhshan in Afghanistan) verneint. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 14.30589 2015-06-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Berufung wird hinsichtlich des Begehrens nach Feststellung eines national begründeten Abschiebungsverbots zugelassen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des zugelassenen Teils bleibt der Entscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten. Im Übrigen hat der Kläger die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. Juni 2015 ist nach Maßgabe der Nr. I der Beschlussformel teilweise zuzulassen. Da Zulassungsgründe nur hinsichtlich eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, war der Antrag im Übrigen abzulehnen.
Hinsichtlich des krankheitsbedingten individuellen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist der Antrag auf Zulassung der Berufung begründet. Insoweit weicht das Urteil von den Beschlüssen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Mai 2014 (13a ZB 13.30310 – juris) und vom 26. August 2014 (13a ZB 14.30219 – juris) ab. Eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B. v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328).
Der Kläger rügt, dass er seit dem Jahr 2013 pharmakologisch behandelt werde; attestiert seien eine schwere depressive Episode sowie dissoziative Störungen und eine rezidivierende depressive Störung. Das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Substantiierung für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) hierauf übertragen, obwohl der depressiven Störung ein eigenständiges Gewicht zukomme.
Das Verwaltungsgericht ist von einer Erkrankung an Depression ausgegangen. Weil diese vergleichbare Unschärfen des Krankheitsbilds wie bei PTBS aufweise, mit denen die Schwierigkeit einhergehe, eine eindeutige Diagnose zu stellen, seien aus Sicht des Gerichts die Anforderungen an die Substantiierung auf das Vorliegen einer Depression übertragbar (UA S. 37).
Demgegenüber ist in den vom Kläger genannten Beschlüssen ausgeführt, dass sich die Annahme, die Anforderungen an ein PTBS-Attest seien auf andere Fälle psychischer Erkrankungen zu übertragen, aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ableiten lasse. Soweit dieses in dem Urteil vom 11. September 2007 (BVerwG 10 C 17.07 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 31 Rn. 16) darauf abgestellt habe, dass die Diagnose „depressive Symptomatik im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung“ ohne Nennung aufschlussreicher Anhaltspunkte für diesen Befund nicht nachvollziehbar begründet sei, beziehe sich das primär auf eine PTBS.
Damit stellt das Verwaltungsgericht einen Obersatz auf, welcher der vom Kläger zitierten Rechtsprechung widerspricht. Insoweit ist allerdings nur das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG betroffen.
Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 64 und vom 27.4.2010 – 10 C 4. 09 – BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56) zum subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wie vom Kläger geltend gemacht, liegt hingegen nicht vor. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Entscheidungen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus, eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt könne in Betracht kommen, wenn ein bewaffneter Konflikt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Soweit gefahrerhöhende persönliche Umstände vorlägen, genüge auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehörten in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z. B. als Arzt oder Journalist – gezwungen sei, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Das Verwaltungsgericht legt diese Rechtsprechung ebenfalls zugrunde (UA S. 25), gelangt dann aber zu der Einschätzung, dass keine besonderen, in der Person des Klägers liegenden individuellen Umstände ersichtlich seien, die auf eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen ließen (UA S. 29). Damit wird kein widersprechender Rechtssatz aufgestellt, sondern die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umgesetzt. In Wahrheit rügt der Kläger, dass das Verwaltungsgericht einen höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatz unrichtig angewandt habe, weil sich für ihn wegen seiner Erkrankung eine erhöhte Gefährdung ergebe. Das begründet keine Abweichung (BVerwG, B. v. 10.7.1995 – 9 B 18.95 – NVwZ-RR 1997, 191).
Den vom Kläger in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen, ob „auch individuelle Erkrankungen bzw. die Gefahr einer Verschlimmerung vorhandener Erkrankungen – insbesondere psychischer – gefahrerhöhende Umstände im Sinn von § 4 AsylG … darstellen“ und ob „attestierte psychische Erkrankungen, die nicht so schwerwiegend sind, dass sie zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen, gleichwohl in die Prüfung des Vorliegens von § 4 AsylG einzubeziehen sind“ kommt keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu. Sie sind im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht klärungsbedürftig. Danach müsste auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden (BVerwG, U. v. 31.3.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 Rn. 33). Diese kumulativen Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor. Gemäß den vom Kläger zulassungsrechtlich nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts für das Jahr 2014 betrug das Risiko für Zivilpersonen in der Provinz Badakhshan, durch militante Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, lediglich 0,01% pro Person und Jahr (UA S. 29). Ein Risiko in dieser Größenordnung ist weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und einer hohen Gefahrendichte entfernt.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des abgelehnten Teils des Antrags beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Belehrung
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die einschlägigen, jeweils geltenden Vorschriften Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.


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