Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot in Zielstaat Aserbaidschan aufgrund Erkrankung

Aktenzeichen  6 K 17.32760

Datum:
23.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25645
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 15 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG  § 3, § 4, § 76 Abs. 1, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Aufhebung von Ziffern 4 bis 6 ihres Bescheids vom 25. November 2016 wird die Beklagte verpflichtet, für den Kläger zu 1 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1 zu einem Drittel zu tragen. Die Kläger tragen im Übrigen ihre außergerichtlichen Kosten und die restlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässigen Klagen haben nur im tenorierten Umfang teilweise Erfolg. Der mit den Klagen angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist nur im tenorierten Umfang rechtswidrig und daher aufzuheben, im Übrigen aber rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
I.
Die Klagen sind zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden.
Die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG ist zwar nicht gewahrt, denn am 12. Dezember 2018 ließen die Kläger vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben, die erst mit dessen Beschluss vom 5. Mai 2017 an das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen wurde, wo sie am 16. Mai 2017 und damit nach rechnerischem Ablauf der Klagefrist einging. Jedoch gilt vorliegend nach § 58 Abs. 2 VwGO nicht die zweiwöchige sondern die einjährige Klagefrist, denn die Rechtsbehelfsbelehrung:des streitgegenständlichen Bescheids vom 25. November 2016 war unzutreffend, da hierin das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach als zuständiges Gericht bezeichnet wurde. Am 24. November 2016 und damit vor Erlass des Bescheids waren die Kläger indes in den Landkreis * umverteilt worden, was der Beklagten offenbar noch nicht mitgeteilt worden war. Gleichwohl war im Zeitpunkt der Klageerhebung nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO bereits das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg örtlich zuständig. Damit lief die Jahresfrist, die eingehalten ist, ohne dass es darauf ankommt, ob bereits die Rechtshängigkeit beim örtlich unzuständigen Verwaltungsgericht die Klagefrist gewahrt hat.
II.
Die Klagen sind aber nur für den Kläger zu 1 im tenorierten Umfang teilweise begründet, im Übrigen sind sie für ihn wie auch vollumfänglich für die Kläger zu 2 bis 5 unbegründet. Es wird insoweit Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassen-den Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 17, 34). Die vorgenannte Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377/382 Rn. 18) droht.
Soweit keine Beweiserleichterung wie bei Vorverfolgung oder in Widerrufsfällen nach Art. 4 Abs. 4 bzw. Art. 14 Abs. 2 RL 2011/95/EU greift, bleibt es im Umkehrschluss beim allgemeinen Günstigkeitsprinzip, wonach die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter für sich günstige Rechtsfolgen herleitet, zu seinen Lasten geht, also der Schutzsuchende (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 26 ff.).
Das Tatsachengericht hat sich im Rahmen der o.g. tatrichterlichen Würdigung volle Überzeugung zur Gefahrenprognose zu bilden, also ob bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in den behaupteten Verfolgerstaat diesem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Für die Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedarf es weder einer eindeutigen Faktenlage noch einer mindestens 50%-igen Wahrscheinlichkeit. Vielmehr genügt – wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt -, wenn bei zusammenfassender Würdigung die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 22). Lückenhafte Erkenntnisse, eine unübersichtliche Tatsachenlage oder nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet stehen ebenso wenig wie gewisse Prognoseunsicherheiten einer Überzeugungsbildung nicht grundsätzlich entgegen, wenn eine weitere Sachaufklärung keinen Erfolg verspricht. Die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit darf aber nicht unter Verzicht auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 22). Kann das Tatsachengericht dennoch keine Überzeugung gewinnen und bestehen keine Anhaltspunkte für eine weitere Sachverhaltsaufklärung, hat es die Nichterweislichkeit des behaupteten Verfolgungsschicksals festzustellen und nach o.g. Maßstäben eine Beweislastentscheidung zu treffen.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Für den Kläger zu 1 fehlt es an einer ausreiserelevanten Verfolgung.
Eine Verfolgung wegen der „Religion“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU umfasst als Schutzgut der Religion theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit Anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Damit enthält die Norm einen weiteren Religionsbegriff, der alle Komponenten dieses Begriffs, ob öffentlich oder privat, kollektiv oder individuell, einbezieht. Er umfasst sowohl „traditionelle“ Religionen als auch andere Glaubensüberzeugungen (EuGH, U.v. 4.10.2018 – C-56/17 – NVwZ 2019, 634/637 Rn. 63 ff.).
Soweit der Kläger zu 1 sich auf eine Verfolgung wegen seines Glaubens und seiner Missionstätigkeit im Jahr 2002 und danach beruft, war diese für die Ausreise im Jahr 2014 nicht mehr fluchtauslösend. Laut Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Lagebericht Aserbaidschan vom 18.6.2018, S. 4) garantiert der säkulare Staat die Religionsausübung der registrierten (traditionellen) Religionsgemeinschaften und sichert das friedliche Zusammenleben von Sunniten, Schiiten, Juden und Christen. Nichttraditionelle Religionsgemeinschaften haben Schwierigkeiten bei der Registrierung. Anhänger unabhängiger, nicht selten fundamentalistischer-islamischer Strömungen unterliegen staatlicher Beobachtung und, vor allem wenn sie als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden, auch Verfolgung (Lagebericht ebenda S. 4). Dass der Kläger Anhänger einer heute noch seitens des aserbaidschanischen Staats als Sicherheitsrisiko wahrgenommenen Religionsgemeinschaft wäre, ist nicht ersichtlich. Die behaupteten Übergriffe gegen seine Gruppe („50er“) hätten im Sommer 2002 stattgefunden. Dass diese Gruppe heute, 18 Jahre später, noch im Blickfeld des aserbaidschanischen Staats stünde, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
Auch in der mündlichen Verhandlung hat sich nicht ergeben, dass diese Gruppe heute noch existiert; die Kläger haben den Kontakt zu ihr abgebrochen (Protokoll vom 23.6.2020 S. 5), auch wenn sich der Kläger zu 1 ihr noch zugehörig fühle (Protokoll vom 23.6.2020 S. 5). Weder ist ersichtlich, dass die spezifische Form der Glaubenspraxis dieser Gruppe für den Kläger zu 1 identitätsstiftend wäre – in Deutschland sind die Kläger weder Mitglied einer hier existierenden Kirche oder der früheren vergleichbaren Glaubensgemeinschaft, noch können sie erklären, in welchem Kirchengebäude sie gelegentlich beten oder Kerzen anzünden, noch haben sie ihren Kindern überhaupt den christlichen Glauben und eine Zugehörigkeit zu einer Gemeinde vermittelt (Protokoll vom 23.6.2020 S. 5) -, noch ist erkennbar, dass der am Glaubensleben schon ausgesundheitlichen Gründen nicht mehr aktiv teilnehmende Kläger zu 1 (Protokoll vom 23.6.2020 S. 5) bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan wieder dasselbe Glaubensleben wie im Jahr 2002 und bis zu seiner Ausreise praktizieren und sich so staatlichen Maßnahmen aussetzen würde.
Soweit eine offene Missionstätigkeit nicht geduldet wird (Lagebericht ebenda S. 10), betrifft dies alle Religionsgemeinschaften. Ebenso muss sich jede Religionsgemeinschaft beim Staatskomitee registrieren lassen, das auch die Einfuhr, den Druck und die Verbreitung religiöser Literatur kontrolliert (Lagebericht ebenda S. 10). Dies sind zwar Beschränkungen der Religionsfreiheit im Außenbereich der Religionsbetätigung. Weiter gilt in Aserbaidschan die Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft ohne Registrierung als illegal; sind aktuell 739 islamische, 17 christliche, 8 jüdische, 2 Baha’i und 1 krischnaitische Gemeinden registriert (Lagebericht ebenda S. 10).
Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Gruppierung des Klägers eine Registrierung wenigstens versucht und einen legalen Status angestrebt hat (Protokoll vom 23.6.2020 S. 4), ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Kläger heute noch Anhänger dieser Gruppierung ist und im Fall einer Rückkehr für sie erneut aktiv und offen missionieren würde unter Verstoß gegen staatliche Regeln, welche (nur) die offene, nicht die verdeckte Missionierung untersagen.
Hinzu kommt, dass Ausreiseanlass des Klägers letztlich die diagnostizierte Schizophrenie war, die in Aserbaidschan seinen Angaben zu Folge offenbar gut behandelt worden ist (BAMF-Akte Bl. 134), die aber zusammen mit seiner Arbeitslosigkeit zu einer Verelendung der Familie geführt habe, da er die Behandlung nicht mehr hätte bezahlen können (VG-Akte Bl. 99).
b) Für die Klägerin zu 2 fehlt es an einer landesweiten ausreiserelevanten Verfolgung.
Die geltend gemachten Übergriffe von Nachbarn u.a. sind Übergriffe privater Dritter, die nicht landesweit vorkamen, wie sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin ergibt, zumal sie Bedrohungen und Übergriffen durch Umzug ausgewichen sind. Diese Privaten sind mangels Territorialgewalt keine Verfolger i.S.v. § 3c AsylG, Dass diese Übergriffe dem aserbaidschanischen Staat zurechenbar sind, ist nicht ersichtlich, denn die Privaten handelten eigenständig. Von einem aktiven staatlichen Verfolgungsprogramm mit den Privaten als bloßen Handlangern kann daher nicht die Rede sein.
Auch eine staatliche Verfolgung durch landesweites Unterlassen angemessenen Schutzes ist nicht ersichtlich; die Klägerin zu 2 hat hierzu vor dem Bundesamt nichts vorgetragen. Dass der Staat landesweit schutzunwillig wäre, ist auch nicht ersichtlich, denn die Klägerin zu 2 hat zwar angegeben, sie seien bei der Polizei nur weggeschickt und beleidigt worden, Näheres dazu konnte sie aber nicht mehr erinnern und Schutzersuchen an andere oder übergeordnete staatliche Stellen wie die Ombudsfrau sind nicht erfolgt (Protokoll vom 23.6.2020 S. 7).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 2 Teil einer Gruppe i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist, da sie erstens zwar nach ihren Angaben armenischer Abstammung ist, dies aber ihr äußerlich und sprachlich offenbar nicht anzumerken ist, sondern sich allein aus der Geburtsurkunde ergibt, in welcher ihre armenische Großmutter verzeichnet sei. Da sie aber verheiratet ist, wäre ihr auch ein Namenswechsel mit Umzug in die weitere Umgebung im Land möglich, den ihr Ehemann als ausreichende Schutzalternative bezeichnet hat (BAMF-Akte Bl. 133), zumal sie ihren Namen dem seinen angeglichen hat (BAMF-Akte Bl. 7, 192), den sie aber wegen der Kinder nicht in Erwägung gezogen haben wollen (Protokoll vom 23.6.2020 S. 5 f.). Zweitens teilt sie offenbar keine (äußerliche oder sonst erkennbare) abgegrenzte Identität mit anderen armenischen Volkszugehörigen, da sie sich – wie schon ihr Vater (Protokoll vom 23.6.2020 S. 6) – assimiliert hat und assimilieren will und eine armenische Volkszugehörigkeit väterlicherseits nicht einmal aus ihrem Reisepass, sondern nur aus ihrer Geburtsurkunde ersichtlich sein soll (Protokoll vom 23.6.2020 S. 6).
Das Bundesamt hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Klägerin, selbst wenn der aserbaidschanische Staat gegenüber armenischen Volkszugehörigen nicht landesweit schutzwillig wäre, ein interner Schutz in anderen Landesteilen, wo man die Kläger nicht kennt, möglich und zumutbar wäre (Bescheid S. 5); erst recht verbunden mit o.g. Namenswechsel. Dieser Einschätzung schließt sich der Einzelrichter an.
Diese interne Fluchtalternative ist ihnen auch wirtschaftlich zumutbar. Soweit die Klägerin zu 2 und die Kläger zu 3 bis 5 gemeinsam nach Aserbaidschan zurückkehren würden und nicht erwerbstätig wären, wären sie auf die Existenzsicherung durch dortige Sozialleistungen zu verweisen (Lagebericht ebenda S. 16); zudem sind die Kinder heute zwischen 17 und 10 Jahre alt und nicht mehr auf eine vollzeitige Betreuung und Beaufsichtigung angewiesen, vielmehr teilweise selbst in Ausbildung und damit erwerbstätig und erwerbsfähig, so dass die Klägerin zu 2 auch eine mindestens Teilzeit-Erwerbstätigkeit aufnahmen kann, um zum Familienunterhalt beizutragen, selbst wenn der Kläger zu 1 wohl nicht mehr erwerbsfähig ist.
c) Die Kläger zu 3 bis 5 konnten ebenfalls nicht glaubhaft machen, dass ihnen in Aserbaidschan eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Sie waren – soweit vorgetragen – bisher nicht Ziel von staatlichen oder quasistaatlichen Maßnahmen und sind im Übrigen auf die soeben geschilderte innerstaatliche Zuflucht zu verweisen.
2. Der Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Sie haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
Insoweit wird ebenfalls auf die Bescheidsbegründung verwiesen und ergänzt, dass o.g. innerstaatliche Zuflucht besteht (§ 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
3. Den Klägern steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu, da diese Norm im Fall – wie hier für den Kläger zu 1 – geltend gemachter wirtschaftlich existenzbedrohender krankheitsbedingter Gefahren durch § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG gesperrt ist und die Sicherung des Existenzminimums dieser Kläger im vorliegenden Einzelfall dort indirekt berücksichtigt wird (vgl. oben zu § 3e AsylG und unten).
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
a) Die Vorschrift des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK findet nach deutscher Rechtslage nicht auf die besonderen Ausnahmefälle krankheitsbedingter Gefahren (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 175 f.) Anwendung, da der Bundesgesetzgeber solche Fälle in § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG als lex specialis geregelt hat. Dies ist konventions-, unions- und bundesrechtlich nicht zu beanstanden, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 ff. Rn. 16 f.), dessen Feststellung zu einer identischen Schutzberechtigung für den Betroffenen führt (vgl. § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dabei liegt die Ausgestaltung eines nationalen Abschiebungsverbots allein in der Gestaltungshoheit des nationalen Gesetzgebers, solange er auf der Rechtsfolgenseite keinen mit dem subsidiären Schutz konkurrierenden Schutzstatus einführt (EuGH, U.v. 18.12.2014 – C-542/13 – juris Rn. 42 f.). Dies ist für den Kläger zu 1 der Fall.
b) Die Sicherung des Existenzminimums der Kläger zu 2 bis 5 wird durch Sozialhilfeleistungen nach dem landesüblichen Standard in Aserbaidschan sowie eigene Erwerbstätigkeit gesichert werden können (vgl. oben zur innerstaatlichen Zuflucht).
4. Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall des Klägers zu 1 vor, im Fall der übrigen Kläger aber nicht.
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 15). Die Gesundheitsgefahr muss erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17. März 2016 geänderten Fassung nachgezeichnet (vgl. NdsOVG, B.v. 19.8.2016 – 8 ME 87.16 – juris Rn. 4). Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Erforderlich für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – juris Rn. 9).
b) Diese Anforderungen sind auch mit Art. 3 EMRK vereinbar: Krankheitsbedingte Gefahren können ausnahmsweise die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllen. Solche Ausnahmefälle können vorliegen, wenn eine schwerkranke Person durch die Aufenthaltsbeendigung auch ohne eine unmittelbare Gefahr für ihr Leben schon wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang hat, tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wird, dass sich ihr Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 183). Solche Gesundheitsgefahren muss der Ausländer allerdings mit ernst zu nehmenden Gründen geltend machen und daraufhin der Konventionsstaat sie in einem angemessenen Verfahren sorgfältig prüfen, wobei die Behörden und Gerichte des Konventionsstaats die vorhersehbaren Folgen für den Betroffenen im Zielstaat, die dortige allgemeine Situation und seine besondere Lage berücksichtigen müssen, ggf. unter Heranziehung allgemeiner Quellen wie von Berichten der Weltgesundheitsorganisation oder angesehener Nichtregierungsorganisationen sowie ärztlicher Bescheinigungen über den Ausländer (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 186 f. m.w.N.). Dies mündet in eine Vergleichsbetrachtung der Folgen einer Abschiebung für den Betroffenen durch einen Vergleich seines Gesundheitszustands vor der Abschiebung mit dem, den er nach Abschiebung in das Bestimmungsland haben würde. Maßgeblich ist eine nur ausreichende Behandlung, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verhindern, nicht, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat der medizinischen Versorgung im Konventionsstaat mindestens gleichwertig ist, denn Art. 3 EMRK garantiert kein Recht, im Zielstaat eine besondere Behandlung zu erhalten, welche der Bevölkerung nicht zur Verfügung steht (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 188f . m.w.N.). Die erforderliche Prüfung umfasst auch, inwieweit der Ausländer tatsächlich Zugang zu der Behandlung und den Gesundheitseinrichtungen im Zielstaat hat, wobei die Kosten für Medikamente und Behandlung berücksichtigt werden müssen, ob ein soziales und familiäres Netz besteht und wie weit der Weg zur erforderlichen Behandlung ist (ebenda Rn. 190 m.w.N.). Wenn nach dieser Prüfung ernsthafte Zweifel bleiben, ist Voraussetzung für die Abschiebung, dass der abschiebende Staat individuelle und ausreichende Zusicherungen des Aufnahmestaats erhält, dass eine angemessene Behandlung verfügbar und für den Betroffenen zugänglich sein wird, so dass er nicht in eine Art. 3 EMRK widersprechende Lage gerät (ebenda Rn. 191).
Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch aussagekräftige, nachvollziehbare Atteste, die klare Diagnosen stellen und Aufschluss über die konkrete Therapie und mögliche Folgen einer unzureichenden Behandlung geben, glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris Rn. 4; nunmehr § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c und Abs. 2d AufenthG). Aus dem vorgelegten Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen ärztlichen Befunde bestätigt werden. Zudem sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.
c) Ein solches Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall des Klägers zu 1 vor.
aa) Die o.g. Maßstäbe vorausgesetzt, ist bei dem Kläger zu 1 nach derzeitigem Verfahrensstand unter Berücksichtigung der vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bei Abbruch der laufenden Behandlung auszugehen.
Gemäß dem letzten fachärztlichen Attest (Dr.med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Attest vom 9.1.2020, VG-Akte Bl. 101) besteht beim Kläger eine behandlungsbedürftige Erkrankung an paranoider Schizophrenie (ICD-10 F 10.0) mit Panikstörung (ICD-10 F 41.0). Der Kläger befinde sich seit Februar 2015 in ambulanter psychiatrischer Behandlung. Der Kläger […] sei auf eine kontinuierliche psychiatrische Behandlung einschließlich medikamentöser Therapie angewiesen, könne sich aufgrund des Krankheitszustandes nicht selbst versorgen und benötige eine kontinuierliche Betreuung im häuslichen Bereich. Die Medikation bestehe derzeit aus Risperidon 4 mg (0-0-1-0), Aripiprazol 15 mg (0-0-0-1), Milnaneurax 50 mg (1-1-0-0). Bereits zuvor war fachärztlich attestiert worden (Dr.med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Attest vom 2.8.2018), ein möglicher Abbruch der Medikation führe mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb weniger Wochen zu einer Exazerbation der paranoiden Schizophrenie; im Vorfeld habe dies zu akustischen Halluzinationen mit imperativen Stimmen („Erhäng dich“) und einer notfallmäßigen Einweisung geführt. Der Kläger sei nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
bb) Unter Würdigung der Auskunftslage ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger zu 1 die – tatsächlich verfügbare – Behandlung seiner Schizophrenie im Heimatland Aserbaidschan aus finanziellen Gründen noch so zugänglich wäre, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nicht in einer Weise verschlimmerte, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führte.
Gemäß der Auskunftslage ist eine Behandlung psychischer Erkrankungen in Aserbaidschan grundsätzlich möglich (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Aserbaidschan vom 26.3.2015; ecoi.net; Deutsche Botschaft Baku, Auskunft vom 18.4.2013, Az. RK-12-516.80). In akuten Fällen erfolgt die stationäre Behandlung in Nervenkrankenhäusern, die es sowohl in Baku wie auch in den Regionen des Landes gibt. Die ambulante Behandlung von Patienten wird in der Poliklinik des jeweiligen Wohnorts der Patienten durchgeführt (Deutsche Botschaft Baku, Auskunft vom 18.4.2013).
Allerdings ist unter Berücksichtigung der eingeholten Auskunft (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.11.2019, VG-Akte Bl. 150 f.) nicht davon auszugehen, dass dem Kläger in seiner konkreten Situation eine adäquate Behandlung selbst nach aserbaidschanischen Verhältnissen dort finanziell zugänglich ist. Sein aktueller Finanzierungsbedarf an Medikamenten in Aserbaidschan ergibt sich wie folgt aus dem aktuellen fachärztlichen Attest und der aktuellen Auskunft:
Medikamentenpreise (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.11.2019, VG-Akte Bl. 75 f.):
Risperidon (Rispaxol) 2 mg 20 Tab. = 9,91 AZN (= ca. 5 EUR)
Olanzapin (Zylanka) 5 mg 28 Tab. = 17,10 AZN (= ca. 9 EUR)
Zolaxa 5 mg 30 Tab. = 38,00 AZN (= ca. 19 EUR)
Zarifar 10 mg 28 Tab. = 34,32 AZN (= ca. 17 EUR)
Levomeprazin ist nicht verfügbar, aber ein Präparat mit gleichem Wirkstoff unter dem Handelsnamen Tisercin erhältlich.
Medikamentenbedarf (Dr.med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Attest vom 9.1.2020, VG-Akte Bl. 101; Preise ermittelt nach o.g. Auskunft sowie dem amtlichen Tariff (price) Council of Azerbaijan Republic als Preisliste für 9850 medizinische Produkte, www.tariffcouncil.gov.az/?/en/news/view/81/):
Medikamenten-bedarf
Tagesbedarf pro Monat (zu 30 Tage)
Faktor zu Packungsgröße
Einzelkosten in AZN
in AZN
Aripiprazol 15 mg (Nr. 960)
30
30/30
28,38
28,38
Milnaneurax 50 mg
nicht ermittelbar
0,00
0,00
Risperidon 4 mg
60
60/20
9,91
29.73
Summe
58,11
Bereits die verfügbaren und bepreisten Medikamente, welche dem Kläger derzeit verabreicht werden, würden in der aktuellen Dosierung 58,11 AZN kosten. Hinzu kämen die Kosten möglicherweise für Ersatzmedikamente für nicht unter diesem Namen auffindbares erhältliches Milnaneurax sowie die Kosten für ambulante Sprechstunden und Zuzahlungen selbst bei stationärer Behandlung.
Dabei ist dem Kläger zu 1 die notwendige Behandlung der paranoiden Schizophrenie aus finanziellen Gründen nicht zugänglich. Der Auskunft der Deutschen Botschaft vom 18. April 2013 ist zu entnehmen, dass die ärztliche Behandlung und Medikation bei schizophrenen Psychosen und damit auch bei einer paranoiden Schizophrenie kostenlos sei. In derselben Auskunft wird indes zum staatlichen Gesundheitssystem angeführt, dass direkte Zahlungen an Ärzte üblich seien und Behandlungskosten etwa im Bereich zwischen 100 und 1.000 AZN/Euro liegen würden. Nach dem aktuellen Lagebericht (Auswärtiges Amt, Lagebericht Aserbaidschan vom 22.2.2019, S. 17) besteht in der Republik Aserbaidschan kein staatliches Krankenversicherungssystem; theoretisch gibt es eine alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt (was den Krankentransport und die Aufnahme in ein staatliches Krankenhaus einschließt); mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Ein privater medizinischer Sektor floriert, erfordert aber eine Bezahlung aus eigenen Mitteln. Der hier eingeholten Auskunft (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.11.2019, VG-Akte Bl. 150 f.) ist ebenfalls zu entnehmen, dass eine kostenfreie Behandlung nur de jure vorhanden ist. Bei stationärer Behandlung werden die Medikamente von der Klinik zur Verfügung gestellt. De facto ist es jedoch so, dass nicht alle Medikamente in den Kliniken verfügbar sind und die vorhandenen Präparate oft veraltet sind und eine niedrige Effektivität haben. Deshalb kaufen die Patienten regelmäßig modernere Präparate auf eigene Kosten. Mithin müsste der Kläger bei ambulanter Versorgung ihre Medikamente zu den o.g. Preisen selbst erwerben bzw. erwerben lassen, wie dies vor ihrer Ausreise noch durch seine Mutter erfolgt sei (Protokoll vom 23.6.2020 S. 3), als er selbst aber noch durch Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu sichern vermochte (Protokoll vom 23.6.2020 S. 2 f.).
Da es nur grundsätzlich möglich ist, staatliche Hilfe in Form von Sozialhilfe oder ähnlichem zu beantragen, aber über die konkreten Erfolgsaussichten keine Aussage getroffen werden kann, ist auch auf diesem Weg keine Finanzierung für den mittlerweile nicht mehr erwerbstätigen und wohl auch nicht mehr erwerbsfähigen (vgl. Dr.med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Attest vom 2.8.2018) Kläger gesichert.
Der Kläger ist aber zur Überzeugung des Einzelrichters auch unter Berücksichtigung etwaiger familiärer Verdienstmöglichkeiten nicht zur eigenen Finanzierung in der Lage: Er ist Teil einer fünfköpfigen Familie und krankheitsbedingt nicht erwerbsfähig (Dr.med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Attest vom 2.8.2018). Daher müsste der Lebensunterhalt für die Familie durch die übrigen Familienmitglieder anderweitig aufgebracht werden.
Dabei wären auch die dem Kläger zu 1 voraussichtlich zustehenden Sozialleistungen nicht ausreichend. Nach dem aktuellen Lagebericht (Auswärtiges Amt, Lagebericht Aserbaidschan vom 22.2.2019, S. 17) liege das offizielle Existenzminimum nach offiziellen Berechnungen derzeit bei 173 AZN (ca. 90 EUR) pro Kopf und Monat. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei gewährleistet. Einkommensschwache Familien erhielten Sozialleistungen; im Jahr 2017 insgesamt 326.631 Personen Leistungen von durchschnittlich 36,39 AZN (ca. 18 EUR) pro Person pro Monat. Dieser Betrag würde im Fall des Klägers nicht einmal die Medikamentenkosten von ca. 58,11 AZN, geschweige denn zusätzlich seinen Lebensunterhalt decken. Dass die Klägerin zu 2 und die Klägerin zu 3 durch ihre Erwerbstätigkeit in Aserbaidschan aber die fünfköpfige Familie einschließlich des für den Kläger zu 1 krankheitsbedingt anfallenden Sonderbedarfs unterhalten könnten, mithin also seinen Lebensunterhalt so sichern könnten, dass ihm auch die erforderliche Behandlung seiner Schizophrenie in Aserbaidschan auch finanziell so zugänglich wäre, dass sich die vorhandene Erkrankung nicht in einer § 60 Abs. 7 AufenthG widersprechenden Weise verschlimmerte, ist daher nicht ersichtlich.
Daher ist im vorliegenden Fall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch die Beklagte zu Gunsten des Klägers zu 1 festzustellen.
d) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Klägerin zu 2 (und der übrigen Kläger zu 3 bis 5) nicht vor.
aa) Die o.g. Maßstäbe vorausgesetzt, ist bei der Klägerin zu 2 nach derzeitigem Verfahrensstand unter Berücksichtigung der vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste nicht von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bei Abbruch der laufenden Behandlung auszugehen.
Gemäß dem letzten fachärztlichen Attest (Dr., *zentrum, Attest vom 20.2.2019, VG-Akte Bl. 148 f.) leidet die Klägerin zu 2 zwar unter einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (G 47.31 G) und Adipositas II (E 66.01 G), benutze das Gerät mit Maske einer APAP-Therapie aber nicht und sehe auch keinen Sinn darin, warum sie die Therapie durchführen solle, reiße sich die Maske in der Nacht weg und lehne auch eine Gewichtsreduktion sowie eine andere Schlafhaltung ab. Dass hierin erstens eine lebensbedrohliche Erkrankung diagnostiziert wäre, die zweitens laufender Behandlung bedürfe und bei deren Abbruch in Folge einer Abschiebung drittens von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung auszugehen wäre, ist nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich.
Die Klägerin zu 2 lehnt die in Deutschland angebotene Therapie, insbesondere eine eigene Mitwirkung durch Benutzung der APAP-Maske und eine Disziplin erfordernde Gewichtsabnahme mit günstigen Auswirkungen auch u.a. auf die arterielle Hypertonie (I 110.99 G), rezidivierende Abdominalbeschwerden und ihre Wirbelsäulenprobleme sowie ihre Adipositas I (E 66.9 G) – ungeachtet der Frage, ob dies konkret lebensbedrohliche oder vergleichbar schwere Erkrankungen sind – derzeit ab (zu den Diagnosen vgl., Facharzt für Allgemeinmedizin, Attest vom 9.1.2020, VG-Akte Bl. 104; auch Protokoll vom 23.6.2020 S. 7), da ihr das Beatmungsgerät Beschwerden verursache; ein erhebliches Übergewicht der Klägerin als weiterer Belastungsfaktor ist auch nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung weiter vorhanden, so dass nicht von einer Verschlechterung der im Bundesgebiet nicht effektiv therapierten und ohne ihre Mitwirkung auch nicht effektiv therapierbaren Erkrankungen auszugehen ist. Auf einen Abbruch dieser Behandlung durch eine Abschiebung kommt es daher rechtlich nicht an.
4. Die Gewährung von Abschiebungsschutz für den Kläger zu 1 hat zur Folge, dass der streitgegenständliche Bescheid im tenorierten Umfang aufzuheben und von der Beklagten ein Abschiebungsverbot auszusprechen ist. Die weiteren negativen Entscheidungen wie die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG sind daher nur für den Kläger zu 1 ebenfalls aufzuheben. Im Übrigen sind die Klagen abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO und bestimmt sich, da die Klagen der Kläger unterschiedlichen Erfolg haben, nach der sog. Baumbach‘schen Formel (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 155 VwGO Rn. 2; Hartung in BeckOK, VwGO, 46. Edition, § 159 Rn. 6). Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben