Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot, Vorläufiger Rechtsschutz, Aussetzung der Abschiebung, Abschiebungsandrohung, Bestandskräftiger Bescheid, Einstweilige Anordnung, Antragstellers, Asylfolgeantrag, Effektiver Rechtsschutz, Zuständige Ausländerbehörde, Gerichtskostenfreiheit, Ärztlicher Befundbericht, Anordnungsanspruch, Asylfolgeverfahren, Antragsgegner, Flüchtlingseigenschaft, mündlich Verhandlung, Volkszugehörigkeit, Wiederaufgreifensantrag, Ärztliches Attest

Aktenzeichen  Au 9 E 21.30039

Datum:
25.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1960
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
AsylG § 71
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtschutzes gegen eine bestandskräftige Abschiebungsandrohung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
Der (fiktiv) am … 1993 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Edo und christlichem Glauben.
Seinen Angaben zufolge reiste der Antragsteller im Juli 2017 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 25. April 2018 Asylerstantrag stellte.
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 22. Oktober 2019 (Gz.: …) wurden die Anträge des Antragstellers auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt (Nrn. 1. und 2. des Bescheids). Nr. 3. des Bescheids bestimmt, dass dem Antragsteller auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4.). In Nr. 5. wird der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6. des Bescheids ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Auf die Gründe des vorbezeichneten Bescheids wird Bezug genommen.
Die hiergegen vom Antragsteller zunächst erhobene Klage (Az.: Au 7 K 19.31557) wurde vom Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 2020 zurückgenommen und das Klageverfahren eingestellt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 2020 wird ergänzend verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2021 hat der Antragsteller beantragt, das Verfahren wieder aufzugreifen und festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG besteht. Über diesen Antrag ist, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 18. Januar 2021 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtschutzes beantragt,
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 Asylgesetz (AsylG) aus dem Bescheid vom 20. Oktober 2019, Az.:, einstweilen zurückzunehmen und der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass ein Asylfolgeverfahren durchgeführt wird, hilfsweise, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG geprüft wird.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Antragsteller am 17. Januar 2021 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens – isolierter Wiederaufgreifensantrag zur Feststellung von Abschiebungsverboten – beantragt habe. Der Eilantrag sei begründet. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG lägen aufgrund der schweren Erkrankung des Antragstellers vor. Der Antragsteller sei aufgrund seiner Erkrankungen nicht in der Lage, das Existenzminimum in Nigeria zu erwirtschaften. Darüber hinaus verfüge er auch nicht über die finanziellen Mittel, die notwendige medizinische Behandlung zu bezahlen sowie die notwendigen Medikamente zu erwerben.
Auf den weiteren Vortrag im Antragsschriftsatz vom 18. Januar 2021 wird ergänzend verwiesen. Dem Antrag beigefügt ist ein fachärztliches Attest der Praxis Dr.,, vom 24. Juni 2020, auf dessen Inhalt verwiesen wird. Weiter vorgelegt wurde ein Arztbrief (Kurzinformation) der Bezirkskliniken … – Bezirkskrankenhaus … -, wonach sich der Antragsteller vom 13. Oktober 2020 bis zum 23. Oktober 2020 in stationärer Behandlung im Bezirkskrankenhaus befunden habe. Auf die Kurzinformation wird ebenfalls ergänzend verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte Bezuge genommen.
II.
Der nach § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auszulegende Antrag, ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, gerichtet auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf die begehrte Handlung zusteht (Anordnungsanspruch) und die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund), vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO -.
1. Es ist vorliegend bereits fraglich, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Zwar ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig aus dem bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 22. Oktober 2019 (Gz.: *). Es ist jedoch bereits nicht ersichtlich, dass die zuständige Ausländerbehörde derzeit die Abschiebung des Antragstellers betreibt. Letztlich bedarf dies aber auch keiner abfließenden Klärung im gerichtlichen Eilrechtschutzverfahren, da zugunsten des Antragstellers kein Anordnungsanspruch vorliegt.
2. Droht einem Ausländer, der keinen Asylfolgeantrag im Sinne des § 71 AsylG, sondern lediglich ein – wie hier – noch nicht beschiedenes Folgeschutzgesuch (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 21.6.2000 – 2 BvR 1989/97 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 9 C 41.99 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 7.9.1999 – 1 C 6.99 – juris Rn. 14 ff.) angebracht hat, eine Abschiebung, so kann er zur Erlangung effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) vorläufigen Rechtschutz gegenüber dem für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zuständigen Bundesamt beantragen, der im Ergebnis darauf gerichtet ist, sicher zu stellen, dass die zuständige Ausländerbehörde vorläufig von einer Abschiebung absieht (vgl. OVG NW, B.v. 11.9.2017 – 18 B 1033/17 – juris Rn. 6 ff.; B.v. 25.8.2017 – 18 B 794/17 – juris).
Der Beantragung vorläufigen Rechtschutzes bedarf es in der geschriebenen Konstellation, da die Ausländerbehörde nicht schon aufgrund des Folgeschutzgesuchs des Ausländers an einer Abschiebung gehindert ist. Nach der gemäß Art. 20 Abs. 3 GG von der Rechtsprechung zu beachtenden bewussten Entscheidung des Gesetzgebers findet § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG ausschließlich auf Asylfolgeanträge und nicht auch auf Folgeschutzgesuche Anwendung. Der Gesetzgeber hat hier eine gewollte Beschränkung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vorgenommen (so auch VG Würzburg, B.v. 20.9.2019 – W 6 E 19.1143 – juris Rn. 32).
Dies zugrunde gelegt kann ein Anordnungsanspruch des Antragsstellers vorliegend lediglich aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen. In der hier gegebenen Fallkonstellation gebietet es aber das Gebot effektiven Rechtschutzes nicht, mit einer Abschiebung zuzuwarten, bis über die Frage, ob die (zielstaatsbezogenen) Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG beim Antragsteller vorliegen und eine gerichtlich angreifbare Entscheidung über den Antrag des Antragstellers vom 18. Januar 2021 getroffen ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2005 – 24 CE 05.3107 – juris Rn. 13 ff.; VG Hamburg, B.v. 13.11.2012 – 5 AE 953/12 – juris Rn. 3).
3. Aufgrund der im vorläufigen Rechtschutzverfahren vorgelegten Beweismittel gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass zugunsten des Antragstellers ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage der §§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt.
Das vom Antragsteller vorgelegte ärztliche Attest vom 24. Juni 2020 des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr.,, ist ungeeignet, ein abweichendes Ergebnis in Bezug auf die Feststellung im bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 22. Oktober 2019, das Abschiebungsverbote zugunsten des Antragstellers nicht vorliegen, zu begründen. Das vorgelegte Attest war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (Az.: Au 7 K 19.31557) vom 1. Juli 2020. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat die Bevollmächtigte des Antragstellers auch im damaligen Verhandlungstermin bereits auf dieses fachärztliche Attest vom 24. Juni 2020 verwiesen. Die vom Antragsteller ausgesprochene Klagerücknahme und die damit einhergehende Bestandskraft des angegriffenen Bescheids vom 22. Oktober 2019 bezog sich deshalb auch bereits auf den vorgelegten ärztlichen Befundbericht. Im Übrigen weist dieser auch nicht die von der Rechtsprechung geforderte Aktualität auf.
Ebenfalls nicht geeignet ein abweichendes Ergebnis zugunsten des Antragstellers zu begründen ist der vorgelegte Kurzinformationsbericht der Bezirkskliniken … – Bezirkskrankenhaus … – wohl vom 23. Oktober 2020 datierend. Darin ist lediglich ausgeführt, dass sich der Antragsteller im Zeitraum vom 13. Oktober 2020 bis zum 23. Oktober 2020 in stationärer Behandlung im Bezirkskrankenhaus … befunden hat. Abschließend wurde in Bezug auf diese Behandlung festgestellt, dass nach Krisenintervention der Patient (Antragsteller) am 23. Oktober 2020 aus dem stationären Rahmen entlassen werden konnte. Bei Entlassung des Antragstellers habe es keine akuten Gefährdungsmomente gegeben. Damit ist aber auch dieser Befundbericht nicht geeignet, vorläufig von einer möglichen Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria abzusehen.
Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankommt weist das Gericht ergänzend noch darauf hin, dass die vorgelegten ärztlichen Atteste keinen Aufschluss darüber geben, warum sich der Antragsteller erstmalig am 16. Dezember 2019 in fachärztliche psychiatrische Behandlung begeben hat. Weiter wird darauf hingewiesen, dass auch die Feststellung und Diagnose, dass beim Antragsteller eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt, insoweit rechtlichen Bedenken unterliegt, als der gesamte flüchtlingsrelevante Vortrag des Antragstellers – wie er sich ausweislich der persönlichen Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt darstellt – in wesentlichen Punkten unglaubwürdig ist. Das Gericht gewinnt vielmehr den Eindruck, dass sich der Antragsteller erstmalig nach Erhalt des seinen Asylantrag ablehnenden und seine Abschiebung nach Nigeria androhenden Bescheid des Bundesamtes vom 22. Oktober 2019 in ärztliche Behandlung begeben hat. Dies legt für das Gericht aber die Vermutung nahe, dass die psychischen Probleme des Antragstellers, wie sie im ärztlichen Befundbericht vom 24. Juni 2020 geschildert werden, Folge der dem Antragsteller angedrohten Abschiebung nach Nigeria ist, sodass es auch insoweit am erforderlichen Zielstaatsbezug fehlt.
4. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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