Verwaltungsrecht

Abwälzung einer Gemeinde ihrer Räum- und Streupflicht auf Anlieger

Aktenzeichen  8 ZB 19.2200

Datum:
17.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2749
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, § 124a Abs. 5 S. 4
BayStrWG Art. 2 Abs. 1 lit. b, Art. 51 Abs. 1, Abs. 5 S. 1, Art. 53 Nr. 2, Art. 66 Nr. 5
LStVG Art. 37

 

Leitsatz

Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG ermächtigt die Gemeinden zur Abwälzung ihrer Räum- und Streupflicht auf Anlieger nur für unselbständige, nicht aber für selbständige Gehwege. (Rn. 12 – 15)
1. Mit einer öffentlichen Straße ohne Gehweg im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BayStrWG ist der Fall gemeint, in dem neben der Fahrbahn kein gesonderter Seitenstreifen verläuft, der als Gehweg ausgebaut ist und in dem die Fußgänger deshalb am Rande der Fahrbahn gehen müssen. Aus diesem Grund besteht das Bedürfnis, die öffentliche Straße – und zwar die Fahrbahn – “in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite” in sicherem Zustand zu halten (Fortführung BayVGH NVwZ-RR 2008, 62). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die selbständigen Gehwege stellen einen vergleichsweise geringen Teil der innerörtlichen öffentlichen Straßenflächen dar, so dass die Abwälzung der Sicherungspflicht für diese mit Blick auf den Normzweck der winterlichen Gehwegsicherung nicht unabdingbar ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 2 K 17.5482 2019-09-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Räum- und Streupflicht der Klägerin hinsichtlich eines an ihr Wohngrundstück grenzenden öffentlichen Fußwegs.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Wohngrundstücks FlNr. …/3 Gemarkung …, das zwischen dem P…weg und der W…straße liegt. Als Verbindung dieser beiden Straßen verläuft entlang der südwestlichen Grenze dieses Grundstücks der „Weg an der …“ (FlNr. …/4 und …/7), der im Bestandsverzeichnis für beschränkt öffentliche Wege mit der Widmungsbeschränkung „gesperrt für Kraftfahrzeuge aller Art“ bzw. „nur für Fußgänger“ eingetragen ist.
Bis Februar 2017 hatte die Beklagte an dem Fußweg Schilder aufgestellt, dass im Winter weder geräumt noch gestreut wird. Mit Schreiben vom 2. Februar 2017 teilte sie der Klägerin mit, die Schilder aufgrund der Ausweisung als Schulweg entfernen zu müssen. Die Klägerin habe nach § 9 ihrer Reinigungs- und Sicherungsverordnung (RSV) die Abschnitte der Gehbahnen der an ihr Grundstück angrenzenden oder dieses mittelbar erschließenden öffentlichen Straßen in sicherem Zustand zu halten.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Sicherungspflicht für den gegenständlichen Fußweg ab.
Das Verwaltungsgericht München hat mit Urteil vom 24. September 2019 festgestellt, dass für die Klägerin hinsichtlich des beschränkt öffentlichen „Wegs an der …“ keine Sicherungspflicht nach § 9 RSV der Beklagten besteht. Die Ermächtigungsgrundlage in Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG sehe keine Abwälzbarkeit der Räum- und Streupflicht an selbständigen Gehwegen vor.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 19). Sie sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – IÖD 2017, 52 = juris Rn. 19).
Nach diesem Maßstab zeigt der Zulassungsantrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass Gemeinden die Eigentümer angrenzender Grundstücke aufgrund von Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG nicht zur Räumung und Streuung eines selbständigen Gehwegs bei Schnee oder Glatteis verpflichten können.
1.1 Das Bayerische Straßen- und Wegegesetz unterscheidet zwischen unselbständigen und selbständigen Gehwegen. Unselbständige Gehwege sind Bestandteile anderer Straßen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b BayStrWG). Um unselbständige Gehwege handelt es sich also, wenn die Fußgänger bei Fehlen dieser Straßenteile eine gleichlaufende Fahrbahn benutzen müssten und wenn ein verkehrstechnischer Zusammenhang besteht (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 41; Edhofer/Willmitzer, BayStrWG, 14. Aufl. 2013, Art. 2 Anm. 2). Selbständige Gehwege, die beschränkt-öffentliche Wege sind (Art. 53 Nr. 2 BayStrWG), dürfen dagegen von vorneherein nur von Fußgängern genutzt werden; sie haben eine selbständige Verkehrsfunktion zu erfüllen (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 2 Rn. 42).
1.2 Die Ermächtigungsgrundlage in Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BayStrWG („die Gehwege sowie die gemeinsamen Geh- und Radwege der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück erschließenden öffentlichen Straßen“) bezieht sich ausschließlich auf unselbständige (Art. 2 Nr. 1 Buchst. b BayStrWG), nicht jedoch auf selbständige Gehwege (Art. 53 Nr. 2 BayStrWG). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, was auch der Zulassungsantrag nicht infrage stellt. Aus der Formulierung „Gehwege … der … öffentlichen Straßen“ folgt zwingend, dass hier nur die unselbständigen Gehwege nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b BayStrWG gemeint sind (vgl. Schmid in Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 104).
1.3 Die zweite Alternative des Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG („wenn kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg besteht, diese öffentlichen Straßen in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite“) ermächtigt die Gemeinden nicht zur Abwälzung ihrer Räum- und Streupflicht für selbständige Gehwege (im Sinne des Art. 53 Nr. 2 BayStrWG). Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift anhand der anerkannten Auslegungsmethoden. Die im Zulassungsantrag aufgezeigte gegenteilige Rechtsauffassung, die auch die Landesanwaltschaft Bayern vertritt (Verfahren Az. 8 B 16.1048), überzeugt den Senat nicht.
Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerwG, U.v. 25.1.2017 – 9 C 30.15 – BVerwGE 157, 203 = juris Rn. 14). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen. Sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig (BVerfG, B.v. 2.5.2016 – 2 BvR 1137/14 – NVwZ 2016, 1313 = juris Rn. 30; BayVerfGH, E.v. 17.7.2017 – Vf. 9-VII-15 – BayVBl 2018, 407 = juris Rn. 56). Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift (BVerwG, U.v. 28.6.2018 – 2 C 14.17 – NVwZ 2018, 1570 = juris Rn. 21). Nach dem Rechtsstaatsprinzip müssen die Bürger in zumutbarer Weise selbst feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen; die Gerichte müssen in der Lage sein, die normative Entscheidung zu konkretisieren (BayVerfGH, E.v. 29.4.1983 – Vf. 16-VII-80 – VerfGHE 36, 56/68). Sieht eine Rechtsverordnung – wie hier die Verordnung der Beklagten über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter (Reinigungs- und Sicherungsverordnung, vgl. Art. 66 Nr. 5 BayStrWG i.V.m. § 13 Nr. 3 RSV) – die Möglichkeit der Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit vor, muss nicht nur die Bußgeldvorschrift selbst (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG), sondern auch deren gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hinreichend bestimmt sein (BayVGH, U.v. 19.6.2018 – 11 N 17.1693 – BayVBl 2019, 845 = juris Rn. 27). Der grammatikalischen Auslegung bzw. der Wortlautgrenze kommt in einem solchen Fall eine herausgehobene Bedeutung zu (vgl. BVerfG, B.v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08 – NJW 2010, 754 = juris Rn. 15; BVerwG, U.v. 29.2.2012 – 9 C 8.11 – BVerwGE 142, 84 = juris Rn. 12).
Unter Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze erlaubt es Art. 51 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 BayStrWG den Gemeinden nur, die Eigentümer angrenzender Grundstücke zur Räumung und Streuung eines unselbständigen, nicht aber eines selbständigen Gehwegs zu verpflichten.
1.3.1 Der Senat geht mit dem Zulassungsantrag davon aus, dass der erste Satzteil („wenn kein Gehweg … besteht“) systematisch – wie die erste Alternative der Vorschrift – allein auf unselbständige Gehwege zu beziehen ist. Eine andere Auslegung würde zu einer uneinheitlichen Verwendung ein und desselben Begriffs in zwei Halbsätzen einer Norm führen, die sinnwidrig erschiene. Für den gesetzgeberischen Willen einer Rückanknüpfung der Alternative 2 an die unselbständigen Gehwege in Alternative 1 spricht auch der bis 31. Dezember 2007 gültige Gesetzeswortlaut, der den Zusatz „solcher“ enthielt („wenn kein solcher Gehweg besteht“). Dass der Gesetzgeber diesen „Gleichklang“ durch Streichung des Wortes „solcher“ mit dem Gesetz zur Änderung des Bayerischen Abgrabungsgesetzes und anderer Rechtsvorschriften vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 958) aufgeben wollte, ist aus den Gesetzesmaterialien nicht erkennbar (vgl. LT-Drs. 15/8992 und 15/9430). Anlass der Gesetzesänderung war hiernach nur, die gemeinsamen Geh- und Radwege – im Hinblick auf das Senatsurteil vom 4. April 2007 (Az. 8 B 05.3195 – BayVBl 2007, 558) – in den Tatbestand des Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG aufzunehmen. Ob die einschränkende Auslegung des Satzteils „wenn kein Gehweg … besteht“ anhand der Gesetzessystematik auch nach Streichung des Wortes „solcher“ noch vom Gesetzeswortlaut gedeckt ist, was das Verwaltungsgericht verneint hat (vgl. UA Rn. 28), kann letztlich dahinstehen, weil ein selbständiger Gehweg jedenfalls keine „öffentliche Straße“ im Sinne des Art. 51 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 BayStrWG ist (vgl. unten 1.3.2).
1.3.2 Ein selbständiger Gehweg ist von dem Wortlaut „diese öffentlichen Straßen“ in Art. 51 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 BayStrWG (zweiter Satzteil) nicht umfasst. Selbst wenn man mit dem Zulassungsantrag annähme, dass ein solcher Gehweg unter Rückgriff auf Art. 1 BayStrWG als „öffentliche Straße“ im Sinne des Art. 51 Abs. 5 BayStrWG einzuordnen ist (wogegen die klare systematische Aufteilung in Art. 46 ff. [Gemeindestraßen] und Art. 53 ff. [sonstige öffentliche Straßen] BayStrWG spricht), fehlt es an dem durch das Wort „diese“ vermittelten Bezug zur ersten Alternative der Norm. Der Zusatz „diese“ stellt grammatikalisch klar, dass es sich bei den „öffentlichen Straßen“ – wie in Alternative 1 – um solche handeln muss, die nicht nur der Nutzung durch Fußgänger dienen, sondern eine Fahrbahn haben (vgl. auch oben Rn. 11). Der Zulassungsantrag, der das Wort „diese“ sinnverkehrend durch die Wörter „alle anderen“ ersetzt (vgl. Schriftsatz vom 14.11.2019 S. 3), blendet dies aus.
Diese grammatikalische Auslegung wird auch durch den weiteren Wortlaut „in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite“ gestützt. Dient ein Weg allein dem Fußgängerverkehr, greift der Zusatz ins Leere, weil dieser keine andere Verkehrsbedeutung hat. Mit einer öffentlichen Straße ohne Gehweg im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BayStrWG ist dagegen der Fall gemeint, in dem neben der Fahrbahn kein gesonderter Seitenstreifen verläuft, der als Gehweg ausgebaut ist und in dem die Fußgänger deshalb am Rande der Fahrbahn gehen müssen. Aus diesem Grund besteht dann auch das Bedürfnis, die öffentliche Straße – und zwar die Fahrbahn – „in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite“ in sicherem Zustand zu halten (BayVGH, U.v. 4.4.2007 – 8 B 05.3195 – BayVBl 2007, 558 = juris Rn. 84).
Die nur rudimentär begründete Gegenauffassung, wonach sich die Sicherungspflicht auf andere Straßenteile, insbesondere auf selbständige Geh- und Radwege nach Art. 53 Nr. 2 BayStrWG beziehen soll (VG Würzburg, U.v. 24.6.2014 – W 4 K 13.1184 – juris Rn. 19; Schmid in Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 104; Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Stand November 2019, Nr. 1.9 Anm. 5), überzeugt nicht. Der Senat kann hieraus keine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Wortlaut bzw. der Wortlautgrenze der Ermächtigungsnorm entnehmen.
1.4 Das anhand von Wortlaut und Systematik der Vorschrift gewonnene Auslegungsergebnis wird durch weitere Auslegungsmethoden nicht infrage gestellt.
1.4.1 Das Zulassungsvorbringen, das Ersturteil sei bereits deshalb fehlerhaft, weil es sich nicht mit anderen Auslegungsmethoden als derjenigen anhand des Wortlauts befasst, verfängt nicht. Die Maßstäbe für die Auslegung einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm (vgl. oben Rn. 14) unterscheiden sich grundlegend von derjenigen eines Vertrags, bei dem der wirkliche Wille der Vertragsparteien entscheidend ist und ein klarer und eindeutiger Wortlaut keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bildet (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 8 ZB 18.2125 – juris Rn. 10).
1.4.2 Mit dem Sinn und Zweck der Verordnungsermächtigung in Art. 51 Abs. 5 Bay-StrWG kann der Wortlaut der Vorschrift nicht zugunsten einer Abwälzbarkeit der Sicherungspflicht für einen selbständigen Gehweg erweitert werden. Verordnungen auf Grund dieser Vorschrift haben den Zweck, Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum und Besitz zu verhüten und damit die Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs im Winter zu gewährleisten (BayVGH, U.v. 4.4.2007 – 8 B 05.3195 – BayVBl 2007, 558 = juris Rn. 90; Schmid in Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 100). Bei der teleologischen Betrachtung darf aber nicht unterstellt werden, dass eine Räumung und Streuung des selbständigen Gehwegs unterbleibt, wenn eine Abwälzung nach Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG ausscheidet; vielmehr bleibt dann die Gemeinde nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG räum- und streupflichtig.
Der Senat verkennt nicht, dass die winterlichen Gehwegsicherung aufgrund der praktischen Probleme (Räumung zur gleichen Zeit und ggf. mehrmals am Tag) am besten von einer großen Zahl Pflichtiger, in erster Linie die Eigentümer angrenzender Grundstücke, bewältigt werden kann (BayVGH, U.v. 12.10.2000 – 8 B 00.1025 – NJW 2001, 2192 = juris Rn. 15). Die selbständigen Gehwege stellen aber nur einen vergleichsweise geringen Teil der innerörtlichen öffentlichen Straßenflächen dar; weshalb sie nicht maschinell zu räumen oder zu streuen wären, erschließt sich dem Senat nicht. Die Abwälzung der Sicherungspflicht für diese ist deshalb auch mit Blick auf den Normzweck nicht unabdingbar. Dies gilt umso mehr, als nach den zivilrechtlichen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht nicht alle innerörtlichen Gehwege geräumt und gestreut werden müssen; ausgenommen sind tatsächlich entbehrliche Wege, für die ein echtes, jederzeit zu befriedigendes Verkehrsbedürfnis nicht besteht (vgl. ThürOLG, U.v. 9.3.2005 – 4 U 646/04 – NVwZ-RR 2006, 60 = juris Rn. 21; Bachmeier/Müller/Rebler, Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht für Kommunen, 2017, Nr. 17.2.5.4.1; Rebler, MDR 2013, 70/71). Bei dem streitgegenständlichen Fußweg hat die Beklagte vor dessen Nutzung als Schulweg offenbar ein solches Verkehrsbedürfnis verneint und die Grundstückseigentümer faktisch von ihrer Räum- und Streupflicht befreit, indem sie Schilder aufgestellt hat, wonach der Weg nicht geräumt und gestreut wird und die Benutzung auf eigene Gefahr erfolgt.
1.4.3 Aus den Gesetzgebungsmaterialien entnimmt der Zulassungsantrag keine Anhaltspunkte dafür, dass selbständige Gehwege von der Verpflichtungsermächtigung in Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG erfasst wären. Dies trifft zu. Die geltende Fassung des Art. 51 Abs. 5 BayStrWG geht im Wesentlichen auf das Zweite Gesetz zur Änderung des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes vom 24. April 1968 (GVBl S. 57) zurück, mit dem die früher in Art. 37 LStVG enthaltene Regelung zur winterlichen Sicherungspflicht „aus Gründen des Sachzusammenhangs“ und „ohne wesentliche Änderungen“ in das BayStrWG übernommen wurde (vgl. Bayerischer Landtag, 6. Legislaturperiode, Beilage 447, Begründung zu § 1 Nr. 37 [Art. 51] S. 17 f.). Dass mit der Neufassung der weitergehende Regelungsgehalt des früheren Art. 37 LStVG („die an ihre Grundstücke angrenzenden Gehbahnen“) vollumfänglich übernommen werden sollte, ergibt sich aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens nicht (vgl. in diese Richtung auch Zimniok, BayStrWG, 5. Aufl. 1970, Art. 51 Anm. 8).
2. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die Beklagte erachtet die Auslegung des Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG als besonders komplex, wie die konträre Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Würzburg im Urteil vom 24. Juni 2014 (Az. W 4 K 13.1184 – juris Rn. 19) belege. Die damit verbundenen Auslegungsfragen sind indes weder besonders komplex noch fehleranfällig (vgl. zu diesem Maßstab BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 = juris Rn. 28); sie können – wie oben ausgeführt – anhand der gängigen Auslegungsmethoden, insbesondere des Wortlauts der Norm, ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens im Zulassungsverfahren geklärt werden.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die von der Beklagten als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Rechtsfrage, „ob sich aus Art. 51 Abs. 5 BayStrWG die Möglichkeit ergibt, die Räum- und Streupflicht für selbständige Gehwege auf den Anlieger abzuwälzen“, ist nicht klärungsbedürftig, da sie – wie oben ausgeführt – ohne weiteres an Hand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2016 – 5 ZB 15.1418 – juris Rn. 18; B.v. 22.3.2010 – 14 ZB 08.1969 – juris Rn. 10). Mit diesen Methoden der Gesetzesauslegung setzt sich die vom Zulassungsantrag angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (U.v. 24.6.2014 – W 4 K 13.1184 – juris) nicht auseinander, sodass die abweichende erstinstanzliche Rechtsprechung keine Berufungszulassung rechtfertigt (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2019 – 1 B 43.19 – juris Rn. 19 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dass die aufgeworfene Rechtsfrage im Hinblick auf die Musterverordnung des Bayerischen Gemeindetags (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Nr. 1.9) über den vorliegenden Einzelfall hinaus von Bedeutung sein mag, stellt für sich alleine keinen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dar.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 43.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; sie folgt der Festsetzung des Erstgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben