Verwaltungsrecht

Äthiopische Staatsangehörige, Behauptete Staatsangehörigkeit: somalisch, Volljährig, Volkszugehörigkeit: Absame;, Herkunftsregion: Somali / Jigjiga;, Vorfluchttatbestand;, 2015;, Akteur: Äthiopische Sicherheitskräfte;, Vorwurf: ONL-Unterstützung;, Inhaftierung;, Vergewaltigung;, Freilassung auf Zeit mit Rückkehrpflicht;, Entzug durch Ausreise;, Zeit verstrichen; geänderte Verhältnisse;, Posttraumatische Belastungsstörung – nicht qualifiziert nachgewiesen;, Feststellung Abschiebungsverbote hinsichtlich vom Bundesamt nicht geprüfter Zielstaaten.

Aktenzeichen  M 13 K 17.43468

Datum:
28.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13698
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
§ 60a Abs. 2c AufenthG.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2022 über die Verwaltungsstreitsache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung auf diese Folge ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
II.
Die Klage ist bereits insoweit unzulässig, soweit die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, auch bezüglich dem Zielstaat Somalia das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Insoweit fehlt es der Klägerin am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
Die Feststellung des Bundesamts zum Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote enthält grundsätzlich nur eine Regelung über die in dem Bescheid geprüften jeweiligen Zielstaaten, wobei die Feststellung bezüglich jedes einzelnen Zielstaates eine selbstständige Teilregelung darstellt (BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – juris, Rn. 19).
Zwar kann das Bundesamt auch in Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen (etwa mangels nachgewiesener Staatsangehörigkeit oder sonstigem Aufenthaltsrecht des Ausländers für diesen Zielstaat und infolge dessen fehlender Einreisebefugnis) wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbar Zeit in einen bestimmten Zielstaat abschieben zu können, ermächtigt und regelmäßig gehalten sein, eine „Vorratsentscheidung“ zum Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten in Bezug auf bestimmte Zielstaaten treffen (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – BeckRS 2012, 58586, Rn. 4) und hierdurch dem Asylsuchenden wiederum die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung zu eröffnen, welcher insoweit eine frühzeitige Klärung herbeiführen kann (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – BeckRS 2012, 58586, Rn. 4).
Umgekehrt hingegen kann der Asylsuchende vom Bundesamt nicht beliebig die Prüfung und Feststellung weiterer, vom Bundesamtes bisher nicht geprüfter Zielstaaten verlangen.
Ziel des Abschiebungsverbotes und der diesbezüglichen formalen Feststellung des Bundesamtes ist es, eine rechtlich unzulässige Abschiebung in solche Zielstaaten, in denen dem Asylsuchenden Gefahren nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen, zu verhindern.
Jedoch darf eine Abschiebung in einen bestimmten Zielstaat – jenseits der sachlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes – grundsätzlich bereits rein formal jedenfalls erst dann erfolgen, wenn zuvor bezüglich dieses Staates eine entsprechend bestimmte Abschiebungsandrohung verfügt worden ist (siehe § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 AufenthG). Solange dies nicht der Fall ist, ist eine Abschiebung in diesen Zielstaat bereits formal unzulässig.
Dies bedeutet, dass der Asylsuchende in der Regel erst dann bezüglich eines bestimmten Zielstaats die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote verlangen kann, wenn ihm gegenüber bezüglich dieses Zielstaates die Abschiebung konkret angedroht wurde. Andernfalls fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
Vorliegend hat das Bundesamt lediglich die Abschiebung nach Äthiopien, nicht hingegen nach Somali angedroht (und im Hinblick hierauf bezüglich Äthiopien die Feststellung getroffen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen). Somit fehlt es der Klägerin vorliegend am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
Die Frage, ob die Klägerin überhaupt somalische Staatsangehörige ist, ist hierfür unerheblich. Über die (bedingten) Beweisanträge war daher insoweit nicht zu entscheiden.
III.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 ist in vollem Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin hat zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) – hierzu sogleich unter den Ziffer 1 und 2.
Darüber hinaus hat das Bundesamt zu Recht festgestellt, dass keine zielstaatsbezogenen nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zu Gunsten des Klägers (bezüglich Äthiopien) bestehen – hierzu sogleich unter Ziffer 3.
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig – hierzu sogleich unter Ziffer 5.
1.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Klägerin – wie im Verlauf des Gerichtsverfahrens geltend gemacht – die somalische Staatsangehörigkeit oder die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt, da der Klägerin nach Überzeugung des Gerichts weder in Äthiopien (sogleich unter Ziffer a.) noch in Somalia (sogleich unter Ziffer b.) eine Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff AsylG droht.
Eine Entscheidung über die in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellten Beweisanträge der Klagepartei zu 1 und zu 2 war daher nicht erforderlich.
a.
Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aufgrund des von der Klägerin in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich Äthiopien vorgetragenen Vorfluchttatbestand aus dem Jahr 2015 (Verhaftung und Inhaftierung durch äthiopische Sicherheitskräfte wegen vermeintlicher OLF-Unterstützung, Misshandlung und Vergewaltigung während der Haft, dreitätige Haftunterbrechung gegen Kaution, Entzug Fortsetzung der Haft durch Ausreise).
(1) So ist der von der Klägerin dargelegte Sachverhalt nach Überzeugung des Gerichts – auch unter Berücksichtigung der seitens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ergänzungen – bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht glaubhaft.
Insbesondere hat die Klägerin trotz mehrfacher Nachfragen seitens des Gerichts nicht plausibel und im Detail darlegen können, weshalb sie davon ausging, mehr Zeit für ihre Flucht während ihrer „Haftunterbrechung“ zu haben und welche Maßnahmen sie genau ergriffen hat, um – zumindest innerhalb einer Woche – das Land mit ihren beiden Töchtern verlassen zu können.
Zudem konnte die Klägerin nicht plausibel darlegen, weshalb sie für sich mittels Kaution die Haftunterbrechung bewirken konnte, nicht aber für ihren ebenfalls inhaftierten zweiten Ehemann.
Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass die Klägerin Äthiopien nicht vorverfolgt verlassen hat.
(3) Unabhängig davon haben sich zudem ganz allgemein gesehen die Verhältnisse im Bundesstaat Somali – was die Art der von der Klägerin geltend gemachten Verfolgung betrifft – grundlegend verändert.
(a) Von 1994 bis August 2018 herrschte im Regionalstaat Somali eine von der Zentralregierung nur unzureichend kontrollierte Regional-Diktatur unter Regionalpräsident Abdi Mohammed Omar, auch bekannt als Abdi Iley (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 4).
Die unmittelbar der Regionalregierung unterstehende (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020), paramilitärisch aufgebaute (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 8) L.-Police entstand zwischen 2007 und 2009 (Landinfo, Oslo, Ethiopia: Spesialpolitiet (Liyiu Police) i Somaliregionen, 3.6.2016, S. 2). Der Bestand der regulären Polizei hingegen wurde seit Gründung der L.-Police auf nahezu null reduziert (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 8).
Hauptzweck der L.-Police war die Bekämpfung der Ogaden National Liberation Front (ONLF) (Landinfo, Oslo, Ethiopia: Spesialpolitiet (Liyiu Police) i Somaliregionen, 3.6.2016, S. 2), einer 1984 gegründeten Organisation mit dem Ziel der Selbstbestimmung für die Volksgruppe der Ogadeni, eines somalischen Clans, in dem von ihm bewohnten bzw. beanspruchten Gebiet Ogaden, welches größtenteils auf dem Gebiet des Regionalstaates Somali liegt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 10). Die ONLF hatte zunächst nach dem Sturz der Regierung Mengistu durch die EPRDF zwischen 1992 und 1994 mit dem Placet der EPRDF das Gebiet des heutigen Regionalstaates Somali verwaltet. Als die ONLF 1994 eine Volksabstimmung über die Selbstbestimmung von Ogaden forcierte und ihr daraufhin die Regierungsverantwortung wieder entzogen wurde, ging sie als Rebellenarmee in den Untergrund (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 10) und wurde daraufhin von der Regierung als als terroristische Vereinigung eingestuft (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 4).
Die L.-Police wird für einen Großteil der in dieser Zeit (2007 bis Mitte 2018) im Regionalstaat Somali begangenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7).
So ging die L.-Police – sowie zu deren Unterstützung eingesetzte lokale Milizen (AA, Lagebricht v. 4.3.2015, S. 6) – in ihrem Kampf gegen die ONLF nicht nur hart, oftmals auch mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen tatsächliche oder auch nur vermutliche Unterstützer und Angehörige der ONLF, vor (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 5) – so existieren zahlreiche Berichte von Folter und Misshandlung, insbesondere während der Untersuchungshaft und von Häftlingen, die unter Verdacht stehen, mit Terrororganisationen in Verbindung zu stehen (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 5).
Auch politisch völlig unauffällige Zivilsten wurden oftmals Opfer willkürlicher Übergriffe und Verhaftungen durch L.-Polizisten (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7).
Die äthiopische Zentralregierung konnte im Laufe der Jahre immer weniger direkten Einfluss auf die L.-Police und auf deren Befehlshaber, Regionalpräsident Abdi Iley ausüben (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020).
Der 2018 erfolgte Machtwechsel auf Ebene der Bundesregierung brachte jedoch mit zeitlicher Verzögerung auch für die Somali-Region einen tiefen Einschnitt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 4).
Die amtierende Regionaldiktatur von Abdi Iley wurde entmachtet, Abdi Iley und weitere Mitglieder der alten Regierung verhaftet und wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 3-4). Im August 2018 wurde mit Mustafa Omer ein vormaliger Menschenrechtsaktivist an die Spitze der Regionalregierung Somalis gestellt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 3).
Die ONLF ist seit dem 5. Juli 2018 nicht mehr als terroristische Organisation eingestuft (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 5), Ende 2018 kehrten die Parteiführer der ONLF und eine große Zahl Parteimitglieder und ehemaliger Kämpfer aus dem Exil zurück bzw. wurden aus dem im September 2018 geschlossenen Regionalgefängnis Jail Ogaden freigelassen (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 3 und 5).
Auch auf Ebene der regionalen Sicherheitskräfte, insbesondere der L.-Police, führte der Machtwechsel zu tiefgreifenden Veränderungen:
Während des gewaltsamen Machtwechsels 2018 hatte die Bundesarmee ihren Vormachtsanspruch durchgesetzt und einen Großteil der L.-Police entwaffnet (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 8).
Die führenden Kommandanten der L.-Police mussten sich einem zweimonatigen Beurteilungsverfahren in der Regionalhauptstadt Jigjiga unterziehen. Einige wurden daraufhin entlassen, andere erhielten eine Unterweisung über Menschenrechte und über die Verfassung und blieben im Amt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7).
Zwar blieben die unteren Ränge der L.-Police vom Führungswechsel weitgehend unangetastet, ehemalige Täter damit teils auch weiter im Dienst (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7). Jedoch ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass ca. 70 Prozent der L.-Polizisten ursprünglich ONLF-Mitglieder waren, welche entweder durch Zwang oder wirtschaftliche Anreize der L.-Police beitraten, die Zugehörigkeit zu dieser Einheit somit oftmals mehr äußeren Umständen geschuldet den Ausdruck des eigenen ideologischen Standpunktes war (SEM, Lageentwicklung im Regionstaat Somali, 28.2.2020, S. 8).
Seither hat sich das Auftreten der L.-Police grundlegen verändert (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020).
Berichte von willkürlichen Übergriffen und Verhaftungen durch L.-Polizisten, auch gegenüber politisch unauffälligen Zivilsten, gibt es seitdem kaum noch (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7). Die Polizisten sind in der Regel nicht mehr mit Feuerwaffen bewaffnet (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7) und verhalten sich in der Regel diszipliniert und höflich (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7). Auch das Ende der Behördenwillkür hat positiven Einfluss auf die Sicherheitslage im Regionalstaat Somali (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 9).
ONLF-Mitglieder sind keinen systematischen staatlichen Repressalien wegen ihrer politischen Ausrichtung mehr ausgesetzt, weder im Regionalstaat Somali, noch in Addis Abeba (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 5 / 6).
Auch den aktuellen Erkenntnismitteln über den Staat Äthiopien aus den Jahren 2020, 2021 und 2022 (siehe etwa AA, Lagebericht v. 18.1.2022; USDOS, Human Rights Report v. 30.3.2021; AI, Amnesty Report Äthiopien v. 7.4.2021; HRW, Lagebericht v. 1.1.2021) ist nicht zu entnehmen, dass sich – bezogen auf den Regionalstaat Somali bzw. die ONLF – diesbezüglich zwischenzeitlich die Lage wieder grundlegend zum Schlechteren verändert hat, auch nicht infolge des seit Ende 2020 bestehenden bewaffneten Konflikts zwischen Bundesregierung und TPLF im Norden des Landes und den damit auf Seiten der Zentralregierung und der Sicherheitskräfte einhergehenden repressiven Tendenzen.
Vielmehr ist die derzeitige Sicherheitslage im Bundesstaat Somali relativ stabil – verglichen mit nördlicher gelegenen Landesteilen, wie etwa den Bundesstaaten Tigray, Afar und Amhara, aber auch Teilen Oromias (etwa Wolega Region), in denen es im Zuge der Kämpfe zwischen TPLF und verbündeten Milizen / Widerstandsgruppen einerseits und den äthiopischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten andererseits immer wieder (von beiden Seiten) auch zu willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und Menschenrechtsverletzungen kommt – (siehe ACCORD, Armed Conflict Location & Event Data Project – 3. Quartal 2021).
Insbesondere gibt es derzeit keine Berichte, dass die ONLF ihren bewaffneten Kampf gegen den äthiopischen Staat und dessen Sicherheitskräfte wiederaufgenommen hat (siehe AA, Lagebericht v. 18.1.2022). Auch wurde die ONLF, anders als etwa die gegen die Zentralregierung kämpfende (oromische) OLF, nicht wieder als Terrororganisation eingestuft.
Auch gibt es keine aktuellen Berichte über willkürliche Verhaftungen / Tötungen im Bundesstaat Somali (vgl. USDOS, Human Rights Report v. 30.3.2021; AI, Amnesty Report Äthiopien v. 7.4.2021; HRW, Lagebericht v. 1.1.2021).
(b) Vor diesem Hintergrund (Machtwechsel / Umbau der Sicherheitskräfte / Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage) und angesichts der Tatsache, dass seit den von der Klägerin geltend gemachten Ereignissen (Ausreise erfolgte im Juli 2015) über sechseinhalb Jahre verstrichen sind, ist es bereits ganz allgemein nicht hinreichend wahrscheinlich, dass Betroffenen, die 2015 – unter dem (oftmals auch nur pauschalen) Vorwurf (vermeintlicher) ONLF-Unterstützung – sich staatlicher Verfolgung ausgesetzt sahen, im Falle einer Rückkehr im Jahr 2022 immer noch bzw. erneut Verfolgung seitens der äthiopischen Sicherheitsbehörden droht.
(3) Unabhängig davon bestand bezüglich dem von der Klägerin geltend gemachten Vorfluchttatbestand bereits 2015 die Möglichkeit internen Schutzes durch Verlagerung des Wohnsitzes in einen anderen Landesteil, welche sich durch die oben beschriebenen geänderten Machtverhältnisse und der damit einhergehenden Umstrukturierung der Sicherheitskräfte nochmals deutlich vereinfacht hat.
(a) Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 27).
(b) Bei der von der Klägerin geltend gemachte Verfolgung durch staatliche Sicherheitskräfte des Regionalstaates Somali handelte es sich bereits vor ihrer Ausreise 2015 um eine lediglich regionale, räumlich auf den Bundesstaat Somali und die Gebiete mit erhöhter ONLF-Aktivität begrenzte Bedrohung.
Wie bereits oben ausgeführt, unterstanden die Sicherheitskräfte im vorliegend relevanten Zeitraum (2015) allein der damaligen, diktatorisch regierenden Regionalregierung des Bundesstaates Somali deren Machterhalt diese zugleich schützten. Wie ebenfalls oben ausgeführt, hatte die Zentralregierung kaum bis keinen Einfluss auf die Geschehnisse in Somali.
Vor diesem Hintergrund war es Betroffenen, insbesondere unpolitischen Zivilisten oder einfachen Unterstützern jenseits der zentralen Führungsriege der ONLF bereits zu diesem Zeitpunkt möglich, einer Verfolgung durch die Regionalregierung bzw. lokale Sicherheitskräfte aufgrund (vermeintlicher) Unterstützung der ONLF durch Verlagerung ihres Wohnsitzes in einen anderen Bundesstaat (und damit außerhalb des Herrschaftsbereiches der Regionalregierung) in Gebiete, in denen die ONLF nicht aktiv ist und damit kein Bedarf einer pauschalen und rigorosen Bekämpfung seitens staatlicher Akteur besteht, zu entgehen (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 15).
Durch den Machtwechsel und die in diesem Zusammenhang erfolgte Umstrukturierung und Neuausrichtung der Sicherheitskräfte, insbesondere der L.-Police (s.o.) ist ein Ausweichen sogar noch einfacher möglich. Denn selbst wenn die konkreten Täter aus der Vergangenheit – wie oben angeführt – weiterhin Teil der (lokalen) Sicherheitskräfte sein sollten und entgegen der neuen Vorgaben ihrer Vorgesetzten und der grundsätzlich gewandelten „Kultur“ in ihrer Einheit lokal eine Verfolgung einzelner Betroffener / Opfer von damals wieder aufnehmen sollten, besteht vorliegend nun auch die Möglichkeit, innerhalb des Bundesstaates Somali und damit innerhalb des bekannten sprachlichen und kulturellen Rahmens sich der Bedrohung durch Verlagerung des Wohnsitzes in einen anderen Teil des Bundesstaates zu entziehen.
Auch der Umstand, dass die Klägerin sich angeblich der Fortsetzung ihrer Haft (illegal) durch die Ausreise entzog, stand und steht dem nicht entgegen, da Äthiopien bis heute über kein zentrales Straf- und Fahndungsregister verfügt (siehe hierzu AA, Lagebericht v. 18.1.2022, S. 25), auf Grundlage dessen die Gefahr bestand und noch besteht, dass Behörden anderer Bundesstaaten eine etwaige Flucht der Klägerin aus einer im Bundesstaat Somali verordneten Haft verfolgen oder die Klägerin an die Regionalbehörden Somalis übergeben würden.
(c) Unter Berücksichtigung der aus den vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien hervorgehenden allgemeine Lage sowie der individuellen Situation der Klägerin ist davon auszugehen, dass es der Klägerin auch in einem anderen Landesteil, insbesondere innerhalb des Bundesstaates Somali, insbesondere in größeren Städten, in denen ein Neuanfang wirtschaftlich leichter zu bewerkstelligen ist (siehe hierzu AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 3 – S. 15), für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen – siehe hierzu die Ausführungen im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter Ziffer 4. a. (1).
b. Hinsichtlich des Staates Somalia hat die Klägerin weder vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren von den §§ 3 ff AsylG erfasste, sprich akteursbezogene Bedrohungen vorgetragen noch sind solche anderweitig ersichtlich, so dass sich auch nicht in Bezug auf eine drohende Verfolgung in Somalia ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt.
3. Die Klägerin hat über dies auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
a. Davon, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien infolge des geltend gemachten Vorfluchttatbestandes ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr.2 AsylG (Todesstrafe / Folter / unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) droht, hat die Klägerin das Gericht, wie bereits soeben im Rahmen der §§ 3 ff AsylG dargelegt, nicht überzeugen können.
Auch finden die Regelungen über den internen Schutz nach § 3e AsylG über § 4 Abs. 3 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG Anwendung, so dass auch insoweit auf die zur Flüchtlingseigenschaft gemachten Ausführungen verwiesen werden kann.
b. Auch mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und den Konflikt zwischen TPLF und Bundesregierung im Norden Äthiopiens, in den Bundesstaaten Tigray sowie in Teilen der Bundesstaaten Afar und Amhara ist keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin im Falle seiner Rückkehr beachtlich wahrscheinlich. Bei einer Einreise der Klägerin über den Internationalen Flughafen von Addis Abeba und einer Weiterreise von dort in den Bundesstaat Somali wird der Klägerin mit dem Kampfgebiet nicht in räumlichen Kontakt kommen.
4. Des Weiteren bestehen zu Gunsten der Klägerin auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Äthiopien.
Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Da das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid allein eine Abschiebung nach Äthiopien angedroht hat, kommt es für die Feststellung von Abschiebungsverboten ausschließlich auf die Situation in Bezug auf Äthiopien an (siehe hierzu sowie insbesondere hinsichtlich der ebenfalls beantragten Feststellung von Abschiebungsverboten bezüglich Somalia die obigen Ausführungen unter Ziffer II.).
Insbesondere besteht vorliegend nicht die Gefahr, dass die Klägerin nicht in der Lage sein wird, nach ihrer Rückkehr nach Äthiopien ihr Existenzminimum zu decken – sogleich unter a. sowie b. jeweils unter (1).
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.
(1) Eine Verletzung von Art. 3 EMRK (sowie von Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht, vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (siehe § 3c AsylG), fehlt, wenn die humanitären Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Hygiene und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12 m.v.N.). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41 738/10, Paposhvili/Belgien – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/1, C. I. u.a. – NVwZ, 691, Rn. 68). Dieses Mindestmaß kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer drohenden menschenunwürdigen Verelendung setzt dabei keine „Extremgefahr“ voraus, die für die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG notwendig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018, 1 B 25.18 – juris Rn. 13). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner Rechtsprechung (EuGH, Urteile v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim – JZ 2019, 999, Rn. 89 ff., und C-163/17, Jawo, InfAuslR 201 9, 236, Rn. 90 ff.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 21.1 .2 0 1 1, 30696/09, M.S.S. / Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 252 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12; OVG Hamburg, U.v. 18.12.2019 – 1 Bf 132/17.A – juris, Rn. 39).
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben der Klägerin in der Anhörung vor dem Bundesamt nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht die Gefahr, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in der Lage sein wird, ihr Existenzminimum zu decken.
(a) Das Gericht folgt insoweit zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht hinsichtlich der bereits dort berücksichtigten Punkte von einer weiteren Darstellung der Gründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
(b) Auch bei Berücksichtigung von Umständen, die erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids eingetreten sind, wie etwa die sich durch Heuschreckenplage, Dürrekatastrophe, Tigray-Konflikt und COVID-19-Pandemie / in diesem Zusammenhang national wie international ergriffener Maßnahmen ergebenden Auswirkungen auf die allgemeine Versorgungslage, Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Äthiopien geht das Gericht davon aus, dass es der Klägerin weiterhin möglich sein wird, ihr Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls mit zusätzlicher Unterstützung durch Familie und Freunde decken zu können. Hierzu ist ergänzend zur Begründung des Bescheids folgendes anzuführen:
Die Klägerin kann lesen und schreiben, hat zudem Berufserfahrung als Verkäuferin und infolge ihrer Arbeit in der Bäckerei in der Bundesrepublik.
Darüber hinaus spricht sie infolge ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik, Deutsch, was sie im Falle einer Rückkehr gewinnbringend auf dem Arbeitsmarkt einsetzen kann, etwa in der Tourismusindustrie oder als Dolmetscher / Mitarbeiter für westliche Hilfsorganisationen oder die deutsche Auslandsvertretung.
Zudem ist die Klägerin nach Überzeugung des Gerichts in ihrer Arbeitsfähigkeit nicht infolge physischer oder psychischer Beschwerden / Beeinträchtigungen erheblich eingeschränkt.
Zwar hat die Klägerseite geltend gemacht, die Klägerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Schlafstörung, einer Depression und chronischem Schmerzsyndrom, befinde sich in psychotherapeutischer Behandlung und werde medikamentiert und in diesem Zusammenhang ein psychotherapeutisches Attest vom 25. Februar 2022 sowie ein hausärztliches Attest vom 28. Februar 2022 vorgelegt.
Abgesehen davon, dass es sich hierbei um keine fachärztlichen Atteste handelt und zudem die Atteste keinerlei Aussage darüber treffen, dass die Klägerin derzeit arbeitsunfähig oder erheblich bzw. überhaupt in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Klägerin laut eigenen Angaben seit 2019 in einer Bäckerei arbeitet, dass die Klägerin nicht nennenswert in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist.
Zudem ist die äthiopische Wirtschaft bzw. der dortige Arbeitsmarkt derzeit nicht infolge weitreichender Pandemieschutzmaßnahmen (allgemeiner oder zumindest Teil-Lockdown / Geschäftsschließungen o.Ä.) in vielen Teilen lahmgelegt, Hotels, Gaststätten, Kinos und Clubs etc. geöffnet (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504; abgerufen am 14. März 2022).
Des Weiteren verfügt die Klägerin in Äthiopien durchaus noch in Gestalt des in Jigjiga lebenden Cousins der Mutter, der ihr bereits in der Vergangenheit geholfen hat sowie die ebenfalls in Jigjiga wohnende Freundin und ehemalige Nachbarin, die sich seit Ausreise der Klägerin bis heute um die Adoptivtochter der Klägerin kümmert, über ein Unterstützernetzwerk.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Falle einer freiwilligen Rückkehr zudem auf umfangreiche Leistungen diverser Rückkehrerprogramme zurückgreifen kann (https://www.returningformgermany.de/de/programmes; abgerufen am 14.2.2022):
Neben einer einmaligen finanziellen Starthilfe von 1.000 EUR pro Person sowie der Übernahme der Reisekosten im Rahmen des Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany (REAG) sowie des Government Assisted Repatriation Programme (GARP) sind dies u.a.:
Im Vorfeld, noch vor seiner Rückkehr nach Äthiopien: Rückkehrvorbereitende Maßnahmen (RkVM) wie etwa Coachings und Workshops in entsprechender Sprache zur Existenzgründung im Zielstaat.
Nach Ankunft in Äthiopien: Reintegrationsunterstützungen, zum einen in Form von nicht-monetären Unterstützungsleistungen wie etwa (neben der In-Empfangnahme am Flughafen u.a. auch) die Unterstützung beim Aufbau eines kleinen Unternehmens oder bei der Jobsuche sowie die Unterstützung bei der Suche nach Kontaktpersonen im Rahmen der Nolawi Services Äthiopien, sowie ggf. auch weitere finanzielle Unterstützung wie etwa die sog. 2. Starthilfe nach sechs bis acht Monaten im Rahmen des sog. StarthilfePlus-Programms.
Zudem werden im Rahmen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) für vulnerable Personen individuelle Unterstützungsleistungen durch ein Netzwerk lokaler Service Provider und Partner sowie im Rahmen der Nolawi Services Äthiopien Hilfeleistungen für Menschen in Not, wie etwa Frauen und Kinder, zur Verfügung gestellt.
Zwar ist dem Gericht bewusst, dass die Klägerin neben ihrem eigenen Unterhalt auch für ihre Adoptivtochter sorgen und gegebenenfalls auch ihre leibliche Tochter in Kenia unterstützen muss und sich darüber hinaus auch gewissen finanziellen Belastungen für den Kauf von Medikamenten ausgesetzt sieht.
Aufgrund der vorgenannten Faktoren (Erwerbschancen und -fähigkeiten, Unterstützer-Netzwerk, Rückkehrerhilfen) ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass die Klägerin ihr Existenzminimum wird sichern können, zumal die Klägerseite selbst lediglich hinsichtlich Somalia, nicht aber hinsichtlich Äthiopien vorgebracht hat, dass die Klägerin dort ihr Existenzminimum nicht wird sichern können.
b. Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
(1) Liegen – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus (vgl. VGH Bad.-Württ., U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris Rn. 282).
(2) Auch in Äthiopien derzeit bestehende allgemeine Gesundheitsgefahren begründen vorliegend kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten der Klägerin.
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer Ansteckung mit dem auch in Äthiopien grassierenden Sars-Cov-2-Virus und einer anschließenden COVID-19-Erkrankung.
(a) Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine (hier: Gesundheits) Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wie etwa die sämtliche Menschen in Äthiopien treffende Gefahr einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus und einer daran anschließenden COVID-19-Erkrankung, wird Abschiebungsschutz grundsätzlich ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1AufenthG gewährt.
Allerdings kann ein Ausländer in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch bei Fehlen einer solchen generellen Regelung ausnahmsweise dann individuellen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund der im Zielstaat herrschenden allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn in diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
(b) Zwar besteht auch für die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien, wie für jeden anderen Menschen in Äthiopien auch, die Gefahr, sich dort mit SARS-CoV-2 anzustecken und infolge dessen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden. Jedoch ist die Gefahr hinsichtlich der Klägerin nicht derart extrem, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien „sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgesetzt würde (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 -, juris Rn. 16) und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entfällt.
So kann eine COVID-19-Erkrankung zwar bei schwerem Verlauf zum Tod führen oder zumindest schwere, dauerhafte bzw. lange andauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch hängt der Grad der Gefahr, im Falle eines schweren Verlaufes zu sterben, neben individuellen Faktoren wie etwa der gesundheitlichen Disposition des Erkrankten sowie der bei Ansteckung ausgesetzten Virusmenge u.a. auch von allgemeinen Umständen wie Qualität und Kapazitäten der vor Ort vorhandenen medizinischen Behandlung (Personal / Intensivbetten / Sauerstoff etc.) sowie den vor Ort ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Jedoch ist die Klägerin jung, physisch gesund und ohne Vorerkrankungen und weist auch im Übrigen keinen Risikofaktor für einen schweren Verlauf im Falle einer Infektion auf.
(3) Aktuelle individuelle gesundheitliche Gründe in der Person der Klägerin, die einer Abschiebung nach Äthiopien entgegenstehen könnten, sind nicht vorgetragen bzw. durch ein aktuelles, den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechendes qualifiziertes fachärztliches Attest nachgewiesen worden.
Bei dem vorgelegten psychotherapeutischen Attest vom 25. Februar 2022 handelt es sich nicht um ein fachärztliches Attest. Selbiges gilt für das vorgelegte hausärztliche Attest vom 28. Februar 2022.
Darüber hinaus enthält das psychotherapeutische Attest zwar die Aussage, dass sich die Klägerin wegen posttraumatischer Belastungsstörung in psychotherapeutischer Behandlung befindet und dass eine Rückkehr nach Äthiopien zu einer schweren Retraumatisierung führen könnte. Jedoch ergibt sich daraus insbesondere nicht, dass dies seitens der Klägerin zu einer Suizidgefahr oder sonstigen zeitlich unmittelbar folgenden lebensbedrohlichen Konsequenzen führen kann.
Auch treffen die Atteste keinerlei Aussage darüber, welche Konsequenzen eine fehlende Medikamentierung für die Klägerin hätte.
4. Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbotes begegnen keinerlei rechtlichen Bedenken.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben