Verwaltungsrecht

Afghanistan, In Pakistan aufgewachsen, Alleinstehender arbeitsfähiger Mann, Nicht aktuelles Attest mit Verdacht auf PTBS, Abschiebungsverbot wegen COVID-19-Pandemie (verneint)

Aktenzeichen  M 6 K 17.49377

Datum:
21.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46275
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2020 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der form- und fristgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter, Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz – AsylG) gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid nach Afghanistan sowie das festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot erweisen sich insoweit als rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung nimmt das Gericht zunächst auf die Ausführungen im Bescheid vom 26. Oktober 2017 Bezug, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt im Hinblick auf das klägerische Vorbringen und die aktuelle Auskunftsklage ergänzend aus:
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Dabei kann sich eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 1 C 15.12 – BVerwGE 146,12). Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt also vom Einzelfall ab und muss jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, wobei von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist (vgl. etwa BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004, juris Rn. 22).
Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60 AufenthG Rn. 35 f.). Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr (real risk) einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.
Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Abzustellen ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (auch hier vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004, juris Rn. 22).
Auch wenn Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12, juris Rn. 24) auch dann in Frage kommt, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind, liegen dessen Voraussetzung hier nicht vor.
Die Situation in Afghanistan rechtfertigt nicht die Annahme, dass eine extreme Gefahrensituation vorliegt, die zwangsläufig bei einer Rückführung junger alleinstehender Männer eine Verletzung des Art. 3 EMRK zur Folge hat (vgl. BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817, juris Rn. 47ff.; BayVGH, B.v. 29.6.2020 – 13a ZB 19.33342 – Rn. 7f.; EGMR, U.v. 12.1.2016 – 13442/08 – A.G.R./Niederlande; BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 26).
1.1. Individuelle Umstände aus der Fluchtgeschichte des Klägers, die nahelegen, dass dieser bei seiner Rückkehr nach Afghanistan einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung unterworfen wäre, sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist nach eigenen Angaben in Pakistan geboren und aufgewachsen.
1.2. Auch im Übrigen liegen keine solchen vor. Eine unmenschliche Behandlung droht dem Kläger auch nicht aufgrund der schwierigen allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817, juris Rn. 47). Das Gericht geht auch unter Berücksichtigung der aktuellsten Erkenntnismittel insoweit davon aus, dass ein alleinstehender und arbeitsfähiger Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Es bestehen grundsätzlich trotz großer Schwierigkeiten auch für Rückkehrer Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, wobei die Rückkehrer aus dem Westen auf dem Arbeitsmarkt schon aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position sind. Ausreichend ist die Möglichkeit einer hinreichenden Verständigung in einer der afghanischen Landessprachen, ein stützendes Netzwerk in Afghanistan ist hilfreich aber nicht erforderlich.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismitteln mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan. Zwar ist dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu entnehmen, dass die Taliban und andere bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen mit größerer Bewegungsfreiheit agieren (Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan, Stand Juni 2020, S.19). Auch hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan weiter verschlechtert und auch Kabul sei laut dem UNHCR inzwischen hoch gefährlich (UNHCR vom 11.6.2019, UNHCR warnt vor umfassenden Abschiebung nach Afghanistan). Dennoch ist die für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderliche Gefahrendichte in Afghanistan grundsätzlich weiterhin nicht gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107- juris Rn. 15; U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris). Die Zahl der zivilen Opfer ist (für ganz Afghanistan) mit insgesamt 5.939 Getöteten und Verletzten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 30 v. H. zurückgegangen und hat den niedrigsten Stand für die ersten drei Quartale seit 2012 erreicht (UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 September 2020).
Bei einer Gesamtzahl konfliktbedingter ziviler Opfer im Jahr 2019 von 10.392 (3.403 Todesopfer; 6.989 Verletzte) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Juni 2020, S. 17, auch mit dem Hinweis, dass andere Schätzungen von 32 Millionen Einwohnern ausgehen) ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2.598. Auch wenn man die Provinz Kabul, in der eine Abschiebung voraussichtlich enden würde, zugrunde legt, für die UNAMA im Jahr 2019 die höchste absolute Zahl an zivilen Opfern registriert hat (1.563 zivile Opfer; UNAMA, S. 94), ergibt sich bei einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 5.029.850 Menschen (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung v. 13.11.2019, S. 36) ein Schädigungsrisiko von 1:3.218. Beide Werte sind jedoch derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch bei wertender Gesamtbetrachtung nicht von einer in Afghanistan oder Teilen hiervon aufgrund der Sicherheitslage jeder Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit tatsächlich drohenden, Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f. zu einem Schädigungsrisiko von 1:800). Ein sich in diesem Bereich bewegender Gefahrengrad vermag auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt zu begründen (vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 52).
Auch unter Berücksichtigung der jüngsten Anschläge (z.B. Raketenangriff im Zentrum Kabuls am 21. November 2020, Explosion einer Sprengfalle am 13. Dezember 2020 in Kabul) ändert sich die Risikosituation nicht wesentlich.
Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die eine Gefährdung im obigen Sinne dennoch begründen könnten, liegen beim Kläger nicht in einem rechtlich relevanten Maß vor. Ein individueller gefahrerhöhender Umstand ergibt sich insbesondere auch nicht aus der bloßen Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara (Vgl. dazu ausführlich BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087, juris Rn. 50). Ebenso wenig ergibt sich bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und der Schwere der Schädigungen – Todesfälle und Verletzungen – bei der Zivilbevölkerung ein anderes Ergebnis. Angesichts des bei quantitativer Betrachtung niedrigen Risikos kann die gebotene qualitative Betrachtung hier auch im Übrigen nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Gewährung subsidiären Schutzes führen.
1.3. Ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch nicht aus der aktuellen humanitären bzw. wirtschaftlichen Lage in Afghanistan, da kein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem die Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen und daher die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind, gegeben ist.
Zwar ist die Versorgungslage nach Auswertung der herangezogenen Erkenntnismittel in Afghanistan weiterhin schlecht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Juni 2020, S. 22 ff.). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden. Es liegen jedoch keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zulassen, dass jeder alleinstehende, arbeitsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind damit weiterhin nicht erfüllt. Zudem liegen trotz hoher Rückkehrzahlen keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918, juris Rn. 32 und BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817, juris Rn. 63).
Auch wenn die wirtschaftliche Lage in Afghanistan weiterhin angespannt ist und sich in Folge der Covid-19-Pandemie weiter verschärft hat, kann der erwerbsfähige volljährige Kläger bei seiner Rückkehr auch ohne Unterstützung seiner Familie den Lebensunterhalt sichern. Der 21-jährige Kläger spricht eine der Landessprachen (Dari) und ist auch offensichtlich arbeitsfähig. Der Kläger ist in Pakistan sechs Jahre zur Schule gegangen und hat drei Jahre in einer Schneiderei ausgeholfen. Danach hat er im Iran als Maurer gearbeitet. In Deutschland ist er zwei Jahre zur Schule gegangen und hat sechs Monate einen Sprachkurs gemacht. Zudem hat er einige Monate in einem Restaurant in der Küche gearbeitet. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch weiterhin in der Lage sein wird, zu arbeiten.
1.4. Auch der Gesundheitszustand des Klägers steht seiner Erwerbstätigkeit und insoweit einer Rückkehr nach Afghanistan nicht entgegen. Die zielstaatbezogene wirksame gesetzliche Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wurde nicht widerlegt. Auch wenn § 60 Abs. 5 AufenthG keine ausdrückliche Verweisung auf § 60a Abs. 2c AufenthG enthält (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), ist dessen Wertung hier ebenfalls zu berücksichtigen (BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris).
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung durch aktuelle qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG nachweisen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD-10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Das vorgelegte Attest von Dr. A* … genügt nicht den vorgenannten Anforderungen. Dieses ist bereits über drei Jahre alt und nicht geeignet, den aktuellen gesundheitlichen Zustand des Klägers wiederzugeben. Nach eigenen Angaben hat der Kläger seitdem keinen Arzt mehr aufgesucht. Relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit des Klägers bestehen offensichtlich nicht (mehr).
Das Attest enthält zudem keine Angaben welche Folgen sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation heraus ergeben. Hinsichtlich einer Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung wurde außerdem lediglich festgestellt, dass dafür Hinweise vorliegen, diese jedoch nicht diagnostiziert. Der Annahme einer hinreichenden Arbeitsfähigkeit des Klägers steht das Attest nicht entgegen. Weitere Gründe wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
1.5. Auch die Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung durch die Corona-Pandemie führt zu keinem anderen Ergebnis.
Nach den am 10. Dezember 2020 vorgelegten Zahlen des Afghanischen Ministry of Public Health waren zu diesem Zeitpunkt 48.753 Personen mit dem Coronavirus infiziert, 38.221 galten als genesen und 1.939 Personen waren am Coronavirus verstorben. Getestet wurden 165.463 Personen (OCHA: Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 87, 10.12.2020, S. 1).
Nachdem für verschiedene Städte und Regionen Ausgangsbeschränkungen bis 24. Mai 2020 bestanden, wurden diese zwischenzeitlich bis heute verlängert, werden aber jedenfalls im Wesentlichen nicht mehr durchgesetzt (OCHA: Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 71, 27.8.2020, S. 3; BAMF, Briefing Notes – Gruppe 62 v. 7.9.2020, S. 2). Auch die Verhaltensempfehlungen werden nicht überall beachtet. Zwischenzeitlich können beispielsweise die Bewohner von Kabul wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen (OCHA, Afghanistan – Brief No. 48 COVID-19, 28.5.2020, S. 3; OCHA, Afghanistan – Brief No. 55 COVID-19, 21.6.2020, S. 3f; BAMF, Briefing Notes Gruppe 62, 15.6.2020, S. 1; EASO Special Report: Asylum Trends and Covid-19, June 2020, S. 11). Der Verdienst von ungelernten Kräften liegt derzeit bei 300 – 400 AFG pro Tag. Die Anzahl der Tage pro Woche, an denen Arbeit zur Verfügung steht, liegt zwischen zwei (Kabul) und sechs (Bamyan) (BAMF, Briefing Notes – Gruppe 62 v. 14.9.2020, S. 1). In den meisten Städten haben Geschäfte und Restaurants geöffnet (OCHA, Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 65, 26.7.2020, S. 2).
Die in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen können weiterhin ihrer Tätigkeit nachgehen, wobei die bestehenden Beschränkungen die Tätigkeit zunehmend weniger behindern (z.B. OCHA: Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 71, 27.8.2020, S. 2). Neben Hilfe bei der Bewältigung der Corona-Pandemie leisten sie auch humanitäre Hilfe für Rückkehrer (OCHA: Afghanistan – Brief No. 55 COVID-19, 21.6.2020, S. 2). Daneben ist eine Kultur der Großzügigkeit, des Freiwilligendienstes und der Fürsorge innerhalb der Gemeinschaft wieder zum Vorschein gekommen. Landesweit verzichten viele Vermieter auf die Miete, Schneider verteilen tausend selbstgemachte Gesichtsmasken, Sportler liefern Lebensmittel an Krankenhäuser und Familien in Not (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation – COVID 19 Afghanistan; Stand: 2.4.2020, S. 1f).
Eine durch die Corona-Pandemie drastische Verschärfung der Versorgungslage mit Nahrungsmitteln ist derzeit nicht feststellbar. Zwar sind die Preise für Lebensmittel durchschnittlich 10% – 20% gestiegen, während das Einkommen der Haushalte Corona bedingt wegen eingeschränkter Erwerbsmöglichkeiten gesunken ist, wobei Einwohner ländlicher Gebiete nicht so stark betroffen sind, da sie die Möglichkeit der Selbstversorgung haben, im Gegensatz zur städtischen Bevölkerung (IPC, Afghanistan – Acute Food Insecurity Analysis April 2020 – November 2020, May 2020, S. 3; ACCORD, Afhganistan – COVID 19, 5.6.2020, S. 4). Auch konnte erreicht werden, dass die Grenzübergänge in den Iran, nach Pakistan, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan für den Güterverkehr weiterhin geöffnet sind (OCHA, Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 77, 17.9.2020, S. 2). Kasachstan, der Hauptlieferant Afghanistans mit Weizen, hat seine Exportbeschränkungen inzwischen aufgehoben (IPC, Afghanistan – Acute Food Insecurity Analysis April 2020- November 2020, May 2020, S. 2). Lokale Führer profilieren sich zudem, in dem sie u.a. gegen Preistreiberei vorgehen. Auch hat eine Reihe von Religionsgelehrten und afghanische Bürger/innen die Geschäftswelt und die Händler aufgefordert, von Preistreiberei und Hamstern Abstand zu nehmen (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation – COVID-19 Afghanistan; Stand: 2.4.2020, S. 2). Nach der Ernte wird mit einer Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung gerechnet (IPC, Afghanistan – Acute Food Insecurity Analysis April 2020- November 2020, May 2020, S. 3).
Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nicht jedwede Möglichkeit genommen ist, seine Existenz zu sichern.
Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei den Ausgangsbeschränkungen und wirtschaftlichen Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie um ein temporäres Phänomen handelt. Auch kann der Kläger als Rückkehrer von verschiedenen Rückkehrhilfen profitieren (z.B. REAG/GARP- und des ERRIN-Programm). Für einen alleinstehenden Mann umfasst das „REAG/GARP-Programm 2020“ neben der Übernahme der Reisekosten, eine Reisebeihilfe in Höhe von 200 EUR, medizinische Unterstützung bis zu 2.000 EUR für drei Monate sowie eine Starthilfe in Höhe von 1.000 EUR (vgl. REAG/GARP-Programm 2020, https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/reag-garp). Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Leistungen nach dem Europäischen Rückkehr- und Reintegrationsprogramm „ERRIN“ (vormals „ERIN“). Diese beinhalten z.B. Services bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Hilfestellungen bei der Existenzgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation in Form von Sachleistungen gewährt und kann bei einer freiwilligen Rückkehr Leistungen im Wert von bis zu 2.000 EUR, bei rückgeführten Personen bis zu 1.500 EUR umfassen (vgl. Informationsangebote des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Internet, Stand: Februar 2020).
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Ein Abschiebungsverbot wegen allgemeiner Gefahren – wie die Corona-Pandemie eine darstellt – kommt schon allein auf Grund der Sperrwirkung des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht in Betracht. Sind zudem die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht erfüllt, so scheidet auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus, da die hierfür extreme Gefahrenlage nicht vorliegt (vgl. BayVGH U.v. 21.11.18 – 13a B 30632 – juris unter Bezugnahme auf VGH BW U.v. 12.10.18 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453). Individuelle Umstände in der Person des Klägers, insbesondere gesundheitlicher Art, die eine andere Beurteilung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich (s.o.).
Auch die mögliche Gefahr des Klägers am Coronavirus schwer zu erkranken oder daran zu versterben, rechtfertigt kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen. Der Kläger ist jung und körperlich gesund, so dass weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist, dass ihn ein besonderes Risiko trifft, bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus schwer zu erkranken oder gar zu versterben (vgl. zu den Risikogruppen: Steckbrief des Robert-Koch-Institut, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, abgerufen am 30.10.2020). Es ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich erkranken würde.
Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3. Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Das gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten begegnet keinen Bedenken.
Nach alledem war die Klage, soweit sie nicht zurückgenommen wurde, abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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