Verwaltungsrecht

Albanien als sonstiger sicherer Drittstaat

Aktenzeichen  Au 6 K 19.30404

Datum:
9.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16279
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 27 Abs. 1, Abs. 3, § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Albanien ist als sonstiger sicherer Drittstaat iSd § 27 AsylG zu betrachten. (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Albanien drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weder  Auslieferungen noch Entführungen von Anhängern der Gülen-Bewegung an die Türkei. (Rn. 24 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn der Kläger eine Abschiebung in den vom Bundesamt nicht geprüften Staat nicht ernsthaft zu befürchten hat und ein Abschiebungsverbot in Bezug auf den anderen Herkunftsstaat verneint wurde, fehlt ein Rechtsschutzinteresse für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es wird Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
I.
Die Anträge der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf Zuerkennung internationalen Schutzes sind nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 unzulässig. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist daher rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 AsylG betrachtet wird.
1. Albanien ist als sonstiger Drittstaat i.S.d. § 27 AufenthG zu betrachten, da die Klägerin bereits in Albanien vor Verfolgung und Gefahren sicher war und es auch im Falle einer Rückkehr ist.
Nach § 27 Abs. 1 AsylG wird ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Hat sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war (§ 27 Abs. 3 AsylG).
Im vorliegenden Fall hat sich die Klägerin über zweieinhalb Jahre (von 2015 bis 2018) und damit deutlich länger als drei Monate in Albanien aufgehalten. Der Aufenthalt der Klägerin in Albanien dauerte auch lange nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 an. Insoweit besteht eine gesetzliche Vermutung, dass die Klägerin in Albanien vor Verfolgung sicher ist. Gegenteiliges hat sie nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, dass ihr eine Abschiebung oder Entführung in die Türkei droht oder dass sie in Albanien durch Privatpersonen gefährdet wäre.
a) Soweit die Klägerin mit Verweis auf behauptete Absprachen der albanischen und türkischen Behörden, mit Verweis auf entsprechende Äußerungen von Politikern bzw. Diplomaten in den Medien sowie unter Verweis auf die Aussagen eines HDP-Abgeordneten und entsprechende Zeitungsartikel auf die Möglichkeit einer Auslieferung durch Albanien an die Türkei sowie auf die Gefahr einer Entführung verweist, so drohen ihr diese Gefahren ausweislich der Auskunftslage nicht.
So sind dem Auswärtigen Amt ausweislich zahlreicher Anfragebeantwortungen keine Auslieferungen von Anhängern der Gülen-Bewegung an die Türkei bekannt (zuletzt: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 14.1.2019; vgl. auch Auskünfte vom 13.11.2018, vom 16.10.2018, vom 11.9.2018 und vom 24.1.2018). Nach Angaben des albanischen Innenministeriums seien Auslieferungen an die Türkei nur möglich, wenn ein internationaler Haftbefehl basierend auf den festgelegten Bedingungen und Kriterien des „Europäischen Auslieferungsübereinkommen Paris 1953“ [gemeint wohl: 1957] erlassen werde (Auswärtiges Amt vom 14.1.2019). Ein Abkommen zwischen der Türkei und Albanien, nach dem man alle Mitglieder der FETÖ-Bewegung an die Türkei ausliefere, sei dem Auswärtigen Amt hingegen nicht bekannt (Auswärtiges Amt vom 11.9.2018). Aufforderungen von türkischer Seite, in Albanien Bildungseinrichtungen zu schließen, die der Gülen-Bewegung zugerechnet werden, habe Albanien zurückgewiesen und sei dem nicht nachgekommen. Diese Schulen und Universitäten hätten in Albanien aufgrund ihrer hohen Qualität einen guten Ruf (Auswärtiges Amt vom 16.10.2018 und vom 11.9.2018). In Albanien gebe es auch keine Fälle von Festnahmen türkischer Staatsangehöriger, die als Mitglieder der Organisation FETÖ oder Gülen verdächtigt würden, mit dem Ziel der Auslieferung in die Türkei (Auswärtiges Amt vom 16.10.2018 und vom 24.1.2018). Nach den vorhandenen Informationen finde in Albanien keine Verfolgung von Gülen-Anhängern statt (Auswärtiges Amt vom 16.10.2018 und vom 24.1.2018). Es seien auch keine Fälle bekannt, bei denen es zur Entführung von türkischen Staatsangehörigen innerhalb des Staatsgebiets von Albanien und anzunehmender Verschleppung in die Türkei gekommen sei (Auswärtiges Amt vom 13.11.2018). In den letzten Jahren lägen keine Kenntnisse über Fälle von Verschwindenlassen vor (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10.8.2018, S. 12).
Ausweislich dieser Feststellungen des Auswärtigen Amtes drohen der Klägerin in Albanien weder eine Auslieferung noch eine Entführung. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle von Festnahmen oder gar Auslieferungen von Gülen-Anhängern bekannt. Gegenteiliges hat auch die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen. Insoweit bezieht sie sich lediglich auf eigene Mutmaßungen und nicht hinreichend belegte Stellungnahmen von Privatpersonen sowie Zeitungsartikel, die aufgrund fehlender Substantiierung die zahlreichen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes sowie die Regelvermutungen der §§ 27 Abs. 3 Satz 1, 29a AsylG nicht aufwiegen. Im Gegenteil bestätigt ihr Ehemann, dass fünf von sechs Schulen der Gülen-Bewegung in Albanien immer noch betrieben werden und dass damit die Ausführungen des Auswärtigen Amtes zutreffen, nach denen Albanien diesbezügliche Forderungen der Türkei, gegen die Gülen-Bewegung vorzugehen, zurückweist. Soweit einzelne albanische Führungspersönlichkeiten und Politiker sich medial gegen die Gülen-Bewegung ausgesprochen haben sollten, so führte dies ersichtlich nicht zu einer Änderung hinsichtlich der (fehlenden) Auslieferungsbereitschaft Albaniens gegenüber der Türkei und führte dies ausweislich der Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes auch zu keiner Verfolgung von Gülen-Anhängern innerhalb Albaniens. Dies gilt auch insoweit, als dass der albanische Staatspräsident Edi Rama im Mai 2018 verkündet haben soll, Personen zu observieren, die Verbindungen zum Gülen-Netzwerk hätten. Auch insoweit ist es seitdem weder zu Auslieferungen noch zu Entführungen gekommen, so dass insoweit nicht ersichtlich ist, dass Anhängern der Gülen-Bewegung dies mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. unten; a.A. VG Hamburg, B.v. 26.3.2019 – 2 AE 767/19 – juris Rn. 17 ff.).
Ausweislich der Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes und der Stellungnahme des albanischen Innenministeriums existiert auch kein Abkommen Albaniens mit der Türkei in Bezug auf die Gülen-Bewegung. Die diesbezüglichen, nicht ansatzweise substantiierten Behauptungen zur Existenz eines solchen Abkommens hat die Klägerin daher nicht glaubhaft gemacht. Personen können an die Türkei nur aufgrund eines internationalen Haftbefehls nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen an die Türkei ausgeliefert werden; es sind jedoch keine Fälle von Festnahmen und Auslieferungen von Gülen-Anhängern bekannt. Insoweit bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Albanien die Klägerin festnehmen und ausliefern wird. Ein internationaler Haftbefehl gegen die Klägerin ist erst recht nicht ersichtlich.
Im Übrigen kommt eine Auslieferung der Klägerin durch Albanien nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen, das in Albanien nach Auskunft der albanischen Behörden in Verbindung mit einem darauf basierenden internationalen Haftbefehl alleinige Rechtsgrundlage einer Auslieferung an die Türkei ist, nicht in Betracht. Denn eine Auslieferung kommt nach Art. 3 des Europäischen Auslieferungsabkommen nicht bei politischen strafbaren Handlungen und nicht beim Vorliegen asylerheblicher Merkmale in Betracht, also insbesondere nicht bei Taten nach dem Staatsschutzstrafrecht oder wenn – wie hier – eine Verfolgung wegen eines asylerheblichen Merkmals in Betracht kommt (vgl. hierzu auch Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags vom 17.11.2017, S. 6, https://www.bundestag.de /blob/535346/528076e389572d96e97a06bffd5c1689/ wd-7-144-17-pdf-data.pdf Stand: 14.2.2019). Nachdem Albanien schon bisher keine Anhänger der Gülen-Bewegung festgenommen oder ausgeliefert hat, die Genfer Flüchtlingskonvention sowie Zusatzprotokolle ratifiziert hat, über eine Asylgesetzgebung verfügt, Mitglied des Europarates sowie der Nato, EU-Beitrittskandidat und sicherer Herkunftsstaat ist, besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Albanien verfolgte Angehörige der Gülen-Bewegung entgegen dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen aufgrund anderer Rechtsgrundlagen an die Türkei ausliefern wird.
Ausweislich der Auskunftslage besteht in Albanien auch nicht die Gefahr einer Entführung und Verschleppung in die Türkei oder des Verschwindenlassens (Auswärtiges Amt vom 13.11.2018; a.A. VG Hamburg, B.v. 26.3.2019 – 2 AE 767/19 – juris Rn. 17 ff.). Es sind nach aktueller Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle bekannt, bei denen es zur Entführung von türkischen Staatsangehörigen innerhalb des Staatsgebiets von Albanien und anzunehmender Verschleppung in die Türkei gekommen ist (Auswärtiges Amt vom 13.11.2018). In den letzten Jahren liegen dem Auswärtigen Amt auch keine Kenntnisse über Fälle von Verschwindenlassen vor (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10.8.2018, S. 12). Soweit die Klägerin insoweit auf Geschehnisse im Kosovo im März 2018 verweist, ist dies schon deswegen unbeachtlich, weil es sich insoweit um Vorkommnisse in einem anderen Staat handelt – wenn auch unter den dort Festgenommenen auch albanische Staatsangehörige gewesen sein könnten. Im Übrigen hat das Kosovo auf die wohl von Teilen der kosovarischen Staatsführung geduldete Entführung entsprechend deutlich reagiert und umgehend sowohl den Innenminister als auch den Geheimdienstchef als Reaktion auf die Entführungen entlassen. Seit dieser Entführung im März 2018 sind soweit ersichtlich auch keine weiteren Entführungen von Gülen-Anhängern aus dem Kosovo bekannt, sodass sich die Gegenmaßnahmen der kosovarischen Staatsführung bisher als wirksam erwiesen haben. Soweit die Klägerin im Hinblick auf die Situation im Kosovo auf die vorgelegte Kleine Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneter der Fraktion DIE LINKE an die Bundesregierung verweist (BT-Drs. 19/2098, S. 9), so ist dies schon deswegen unergiebig, da eine Beantwortung der Fragen aus Gründen des Staatswohls nicht offen erfolgte und daher keine veröffentlichte Antwort der Bundesregierung vorliegt. Daraus weitere Mutmaßungen über die Kenntnisse der Bundesregierung und der Nachrichtendienste anzustellen, ist rein spekulativ. Ebenso kommt es nicht darauf an, dass nach Zeitungsberichten weltweit Gülen-Anhänger aus 18 Ländern von der Türkei entführt wurden, u.a. im Kosovo (vgl. oben), Moldawien, Malaysia und Sudan. Die jeweilige Gefährdungslage ist länderspezifisch und konkret in Bezug auf das jeweilige Land (hier: Albanien) zu ermitteln. Aus dem Umstand, dass Entführungen in anderen Ländern weltweit stattfanden, kann nicht geschlossen werden, dass Entführungen auch in Albanien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (a.A. VG Hamburg B.v. 26.3.2019 – 2 AE 767/19 – juris Rn. 17 ff.). Insoweit kommt es entscheidend insbesondere auf die jeweiligen politischen Verhältnisse im Land, die dortige allgemeine Sicherheitslage, die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der dortigen Sicherheitsbehörden, die jeweiligen politischen Risiken für die Türkei bei einer Entführung aus dem Staatsgebiet des jeweiligen Landes sowie auf vielfältige weitere Faktoren an. Allein aus dem Umstand, dass die Türkei zumindest nach Zeitungsberichten in anderen Ländern Entführungen und Verschleppungen vornahm, ist nicht zu folgern, dass dies auch in Albanien droht. Dem steht auch nicht entgegen, dass Albaniens Staatsführung enge Beziehungen zur Türkei pflegt, die Türkei in Albanien wirtschaftlich investiert und angeblich die Auslieferung von 450 Personen verlangt (vgl. hierzu VG Hamburg B.v. 26.3.2019 – 2 AE 767/19 – juris Rn. 19). Dem stehen aber entgegen die zahlreichen Auskünfte des Auswärtigen Amtes, die Bestrebungen des Beitrittskandidaten Albaniens, in die EU aufgenommen zu werden (was die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien erfordert), der Umstand, dass es bisher in den knapp drei Jahren seit dem Putschversuch zu keiner (bekannten) Entführung aus dem Staatsgebiet Albaniens heraus kam, sowie der Umstand, dass Albanien bisher nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes keinen einzigen Gülen-Anhänger an die Türkei ausgeliefert hat und sich der ebenfalls von der Türkei geforderten Schließung der Gülennahen Schulen widersetzt. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass eine Entführung aus Albanien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
b) Soweit die Klägerin auf Bedrohungen durch private Dritte in Albanien verweist, fehlt es zum einen schon an einer hinreichend gravierenden Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG und zum anderen an einem Akteur i.S.d. § 3c AsylG. Einzelne Beleidigungen durch Fremde auf der Straße und im Café stellen keine hinreichend schwere und dem albanischen Staat zurechenbare Verfolgungshandlung dar. Die Situation in der Moschee, als man nach Vortrag der Klägerin ihren Mann und andere Gläubige einsperrte und bedrohte, ließ sich durch die Vermittlung von albanischen Staatsangehörigen gewaltfrei lösen. Es ist im Hinblick auf Albanien als sicherem Herkunftsstaat zudem davon auszugehen, dass der albanische Staat grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig ist, Bedrohungen durch Privatpersonen abzuwehren bzw. strafrechtlich zu verfolgen. Gegenteiliges hat auch die Klägerin, die sich bisher nicht an die albanischen Sicherheitskräfte gewandt hat, nicht substantiiert dargelegt. Beim Aufbau eines Rechtsstaats und beim Schutz der Menschenrechte gibt es in Albanien Fortschritte. Systematische Menschenrechtsverletzungen finden nicht statt. Politische Verfolgung, Folter, Zensur oder staatliche Repression gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen wegen asylrechtlicher Merkmale finden nicht statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10.8.2018, S. 6). Mithin ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei etwaigen Problemen mit Dritten effektiv staatliche Hilfe in Anspruch nehmen kann.
Albanien ist daher nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG als sonstiger Drittstaat i.S.d. § 27 AsylG zu betrachten.
2. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass Albanien i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG bereit ist, die Klägerin wieder aufzunehmen.
Die Rücknahmebereitschaft knüpft an den konkreten Einzelfall (vgl. BT-Drucks. 18/8883, S. 7) an. Sie muss deshalb im Regelfall (ausdrücklich) erklärt werden oder aber aufgrund sonstiger Erkenntnisse zweifelsfrei feststehen, bevor das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung in diesen Staat erlassen kann (VG Berlin, B.v. 10.3.2017 – 3 L 685.16 A – juris Rn. 8).
Im vorliegenden Fall erfolgte zwar keine ausdrückliche Erklärung Albaniens zur Wiederaufnahmebereitschaft, diese steht jedoch aufgrund sonstiger Erkenntnisse zweifelsfrei fest:
Die Klägerin hat sich ausweislich ihrer eigenen Angaben bereits vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik über zweieinhalb Jahre mit einer aus familiären Gründen erteilten Aufenthaltserlaubnis erlaubt in Albanien aufgehalten. Sie trägt selbst vor, dass nach fünfjährigem Aufenthalt sogar der Erwerb der albanischen Staatsangehörigkeit möglich wäre – erst recht ist daher von einem weiteren erlaubten Aufenthalt mit einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen auszugehen. Ihr Ehemann und ihr Sohn sind albanische Staatsangehörige. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin zudem, es sei nicht schwierig, in Albanien zu wohnen; wenn man dort hingehe, dürfe man auch bleiben. Ihr diesbezüglicher Vortrag wird durch die vergleichsweise schnelle Einbürgerung ihres Ehemannes bestätigt. Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes dürfen Türken zudem visumfrei nach Albanien einreisen; nach der Einreise kann ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel für einen längeren Aufenthalt beantragt werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 13.11.2018). Im Anbetracht dieser Umstände ist das Gericht davon überzeugt, dass Albanien zur Wiederaufnahme der Klägerin zusammen mit ihren ebenfalls ausreisepflichtigen Familienangehörigen bereit ist.
II.
Auch liegen keine Abschiebungsverbote hinsichtlich Albaniens vor. Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist daher ebenfalls rechtmäßig.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wäre. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197).
In Albanien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet. Der albanische Staat gewährt Bedürftigen Sozialhilfe in monatlicher Höhe von 3.000 ALL (derzeit ca. 24 EUR) bis 8.000 ALL (derzeit ca. 64 EUR) sowie Invalidengeld von monatlich 9.900 ALL (derzeit ca. 80 EUR) und ein gleichhohes Betreuungsgeld. Ebenfalls werden Sozialdienstleistungen und soziale Pflegedienste staatlich gewährleistet. Empfänger von Sozialhilfe und Sozialleistungen sind u.a. Familien mit keinem oder geringem Einkommen. Grundnahrungsmittel, in erster Linie Brot, werden subventioniert. Eine Vielzahl von lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen engagiert sich im sozialen Bereich. Insbesondere im ländlichen Bereich kommt der Großfamilie nach wie vor die Rolle zu, Familienmitglieder in Notlagen aufzufangen (vgl. zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht vom 10.8.2018, S. 13).
Der erwerbsfähige und bis zu seiner Ausreise auch erwerbstätige Ehemann der Klägerin und die Klägerin selbst beschrieben ihre bisherige wirtschaftliche Lage in Albanien als gut. Beide Ehepartner verfügen zudem über eine sehr gute Ausbildung und Berufserfahrung, sodass auch insoweit davon auszugehen ist, dass sie bei einer Rückkehr nach Albanien den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn werden sicherstellen können – erforderlichenfalls auch außerhalb des Schulsektors. Im Übrigen können sie auf die staatlich gewährleistete Grundversorgung sowie auf die Inanspruchnahme der umfangreichen Hilfsangebote durch Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen. Bereits während ihres ersten, langjährigen Aufenthalts in Albanien war es der Klägerin und ihrer Familie möglich, durch das Einkommen ihres Ehemannes den Lebensunterhalt zu sichern. Nichts anderes gilt auch für den Fall, dass die Klägerin künftig ein weiteres Kind zu versorgen hätte. Auch insoweit ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt der Familie in Albanien durch die Erwerbstätigkeit eines Elternteils gesichert werden kann.
III.
Das Bundesamt war nicht gehalten, über ein Abschiebungsverbot in Bezug auf die Türkei zu entscheiden.
Zwar hat das Bundesamt grundsätzlich über ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Herkunftslandes zu entscheiden. Denn während über den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nur einheitlich entschieden werden kann, ist beim ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz (jetzt: § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) in Bezug auf die einzelnen in Betracht kommenden Abschiebezielstaaten jeweils gesondert und ggf. mit unterschiedlichem Ergebnis zu entscheiden; eine Übertragung des asylrechtlichen Subsidiaritätsprinzips (vgl. oben) kommt nicht in Betracht. Ein Anspruch auf gerichtliche Feststellung von Abschiebungsverboten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Bundesamt die Abschiebung in dieses Land nicht angedroht hat. Denn grundsätzlich darf sich nach § 31 Abs. 3, Abs. 5 AsylG i.V.m. § 24 Abs. 2 AsylG weder das Bundesamt noch das Gericht der Prüfung entziehen, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt. Dies gilt auch in Fällen, in denen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können. Denn insoweit kommt der Feststellung von Abschiebungsverboten nicht nur asylrechtliche, sondern nach § 25 Abs. 3 AufenthG auch ausländerrechtliche Bedeutung zu und kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorbereiten. Der Gesetzgeber hat allerdings nicht ausdrücklich geregelt, hinsichtlich welcher Staaten über das Vorliegen von Abschiebungsverboten zu entscheiden ist. Der Asylsuchende hat Anspruch auf Feststellung eines derartigen Abschiebungsverbotes jedenfalls hinsichtlich der Staaten, für die das Bundesamt verpflichtet ist, eine solche Feststellung zu treffen, für die es eine ihm nachteilige Feststellung bereits getroffen hat oder in die abgeschoben zu werden er aus berechtigtem Anlass sonst befürchten muss. Hinsichtlich des Herkunftsstaats ist das Bundesamt regelmäßig zur Prüfung eines Abschiebungsverbots verpflichtet. Der Gesetzgeber geht erkennbar davon aus, dass die Feststellung des Bundesamts sich in erster Linie auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers beziehen soll, im Hinblick auf den politische Verfolgung geltend gemacht wird und der sich bei Erfolglosigkeit dieses Begehrens vorrangig als Zielstaat für eine Abschiebung anbietet (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 2.8.2007 – 10 C 13/07 – juris Rn. 10 ff.). Die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich eines Herkunftsstaates kann demnach ausnahmsweise dann entbehrlich sein, wenn das Bundesamt Feststellungen hinsichtlich eines anderen Staates, beispielsweise dem zweiten Herkunftsstaat, getroffen hat. Jedenfalls dann, wenn der Kläger eine Abschiebung in den vom Bundesamt nicht geprüften Staat nicht ernsthaft zu befürchten hat und ein Abschiebungsverbot in Bezug auf den anderen Herkunftsstaat verneint wurde, fehlt ein Rechtsschutzinteresse für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Insbesondere würde sich in einem derartigen Fall der aufenthaltsrechtliche Status wegen der Regelung nach § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht verbessern (vgl. BVerwG, U.v. 2.8.2007 – 10 C 13/07 – juris Rn. 13).
So liegt der Fall hier. Zum einen liegt im Hinblick auf Albanien kein Abschiebungsverbot vor, sodass sich selbst bei Feststellung eines etwaigen Abschiebungsverbots bezüglich der Türkei die aufenthaltsrechtliche Stellung der Klägerin nach § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht verbessern würde. Zum anderem kommt nach der Begründung des Bescheids auch für die Beklagte eine Abschiebung der Klägerin in die Türkei ersichtlich nicht in Betracht. Insbesondere wurde der Klägerin die Abschiebung in die Türkei nicht angedroht, stellte das Bundesamt im gesamten Bescheid ausschließlich auf eine Rückkehr nach Albanien ab und wurde im Rahmen der Abschiebungsandrohung festgestellt, dass die Klägerin nicht in die Türkei abgeschoben werden darf.
IV.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids folgt aus § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Feststellung, dass eine Abschiebung in Türkei nicht erfolgen darf (§ 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Unbeachtlich ist insoweit auch die Schwangerschaft der Klägerin. Ein – hier derzeit nicht ersichtliches – inländisches Vollstreckungshindernis hindert nicht den Erlass einer Abschiebungsandrohung (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
V.
Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes für die Klägerin erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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