Verwaltungsrecht

Androhung der Entlassung wegen wiederholter Unterrichtsstörungen

Aktenzeichen  AN 2 K 17.00752

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143194
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§§ 86 Abs. 2 Nr. 9, 88 BayEUG
§ 7 BaySchO

 

Leitsatz

1 Die Androhung der Entlassung ist ein Verwaltungsakt mit Regelungswirkung. Sie stellt eine schwerwiegende Ordnungsmaßnahme dar und hat im Falle von weiteren schulischen Verfehlungen eines Schülers regelmäßig Auswirkungen auf eine erneute Ordnungsmaßnahme (ebenso BayVGH BeckRS 2002, 22389; VG Ansbach BeckRS 2017, 122199). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem Disziplinarausschuss steht für die Auswahl der Ordnungsmaßnahme ein pädagogisches Ermessen zu. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässigerweise mit Schriftsatz vom 6. November 2017 in eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO umgestellte Klage (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 ZPO) ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen.
Bei der Androhung der Entlassung aus dem … handelt es sich um einem Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG, gegen den die Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 VwGO und – nach Erledigung des Verwaltungsaktes – die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die statthafte Klageart ist. Wie in der Entlassung selbst ist auch in der Androhung der Entlassung ein Verwaltungsakt mit Regelungswirkung zu erblicken, auch wenn die Androhung keinen unmittelbar zu vollziehenden Inhalt hat. Sie stellt jedoch eine in der Rangfolge schwerwiegende Ordnungsmaßnahme nach dem BayEUG dar und hat im Falle von weiteren schulischen Verfehlungen eines Schülers regelmäßig Auswirkungen auf eine erneute Ordnungsmaßnahme (so angenommen auch VG Ansbach, U.v. 23.5.2017, AN 2 K 16.01663, VG Würzburg, U.v. 16.6.2010, W 2 K 09.744, VGH München, B.v. 3.6.2002, 7 CS 02.875 – jeweils juris).
Nachdem der Kläger das … inzwischen nicht mehr besucht, weil er zu Schuljahresbeginn 2017/2018 von sich aus auf das …Gymnasium in … gewechselt hat und in seine alte Schule auch nicht mehr zurückkehren möchte, hat sich der Bescheid vom 27. März 2017 erledigt. Die Entlassungsandrohung bezog sich – von seiner Formulierung und vom Anwendungsbereich der Rechtsgrundlage des Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 her – lediglich auf das … und nicht etwa auf die Schulart des Gymnasiums insgesamt. Eine Aufhebung der Androhung der Entlassung durch das Gericht ist für den Kläger damit sinnlos geworden. Der Verwaltungsakt hat sich durch den Schulwechsel auf andere Weise i.S.v. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt und steht damit der Zulässigkeit der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage entgegen.
Bei der ordnungsrechtlichen Maßnahme der Androhung der Entlassung aus der Schule handelt es sich jedoch um eine Maßnahme diskriminierender Wirkung. Bei Maßnahmen diskriminierenden Charakters bzw. der Beeinträchtigung der Persönlichkeit erkennt die Rechtsprechung ein Rehabilitationsinteresse des Betroffenen an und gewährt Rechtsschutz über eine Fortsetzungsfeststellungsklage. Ein schützenswertes Feststellungsinteresse ist für die Androhung der Entlassung aus der Schule anzuerkennen, da nachteilige Auswirkungen auf die weitere schulische und berufliche Laufbahn nicht ausgeschlossen werden können (so auch VG Würzburg, U.v. 16.6.2010, W 2 K 09.744, für die Entlassung aus der Schule VGH München B.v. 13.6.2012, 7 B 11.2651 und B.v. 19.2.2008, 7 B 06.2352, VG Ansbach, U.v. 18.7.2017, AN 2 K 17.00116 – jeweils juris, allgemein für schulische Maßnahmen, z. B. bei Nichtversetzung in die höhere Klasse Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 113 Rn. 142). Der Makel der Ordnungsmaßnahme bleibt für den Kläger andernfalls bestehen und ist durch Schulzeugnisse und andere schulische Unterlagen auch dokumentiert.
Nachdem die Eltern des Klägers getrennt voneinander leben und der Vater des Klägers in großer geographischer Entfernung wohnt, geht das Gericht entsprechend des Vortrags der Klägerseite davon aus, dass die Mutter die Alleinvertretungsberechtigte des Klägers ist und sie den Kläger im Verwaltungsprozess damit nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB ordnungsgemäß vertritt.
Die Klage ist damit zulässig, aber deshalb unbegründet, weil die Androhung der Entlassung vom … vom 27. März 2017 in der Sache rechtmäßig ist. Sie ist formell-rechtlich korrekt ergangen und auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Bescheid leidet nicht unter Verfahrensfehlern. Mit dem Disziplinarausschuss hat das nach Art. 88 Abs. 1 Nr. 3, 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG i.V.m. § 7 Abs. 1 Bayerische Schulordnung (BaySchO) zuständige Gremium über die Ordnungsmaßnahme entschieden. Der Disziplinarausschuss hat mit neun Mitgliedern und damit in der nach § 7 Abs. 5 BaySchO vorgesehenen Stärke getagt und einstimmig entschieden. Es kann offengelassen werden, ob der Disziplinarausschuss richtig besetzt und vollständig anwesend war, da aufgrund der Anwesenheit der Mehrheit des Ausschusses und der Einstimmigkeit bei der Abstimmung ein Verfahrensfehler, der sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann, auszuschließen ist, ein solcher Fehler gegebenenfalls gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich wäre. Eine fehlerhafte Ausschussbesetzung stellt rechtlich nach Auffassung des Gerichts keinen Fehler der sachlichen Zuständigkeit dar, für den eine Unbeachtlichkeit nach Art. 46 BayVwVfG nicht infrage käme, sondern einen Verfahrensfehler wie etwa ein vergleichbarer Verstoß gegen die Beteiligungsvorschriften der Art. 20, 21 BayVwVfG. Eine fehlerhafte Disziplinarausschussbesetzung wurde von der Klägerseite auch nicht geltend gemacht.
Auf die Beteiligungsbzw. Antragsrechte nach Art. 88 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG wurde die Mutter des Klägers im Schreiben vom 15. März 2017 hingewiesen, ausdrücklich auch darauf, dass auf Antrag der Elternbeirat bei der Entscheidung mitwirkt. Ein derartiger Antrag auf Mitwirkung des Elternbeirats wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt gestellt, so dass sich aus der Nichtbeteiligung kein Verfahrensfehler ergibt. Die Beteiligung des Elternbeirats der Schule stellt ein Recht des Schülers bzw. seiner Erziehungsberechtigten dar, aber keine Verpflichtung der Schule. Dass eine Belehrung über das Antragsrecht zur Mitwirkung des Elternbeirats nicht stattgefunden habe (so Schriftsatz der Klägerseite vom 30.6.2017), ist ausweislich der Aktenlage nicht richtig.
Nach dem Protokoll des Disziplinarausschusses hat die Klassenleiterin als Vertrauenslehrkraft des Klägers am Ausschuss teilgenommen. Auch der Kläger selbst und seine Mutter sind im Ausschuss ausführlich zu Wort gekommen. Nicht zu beanstanden ist dabei, dass sich der Kläger im Disziplinarausschuss alleine verantworten musste und seine Mutter getrennt von ihm und erst nach ihm angehört wurde. Art. 88 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 BayEUG schreiben lediglich eine Pflicht zur Anhörung und die Möglichkeit zum persönlichen Vortrag im Disziplinarausschuss vor, nicht aber ein Anwesenheitsrecht des Schülers bzw. der Erziehungsberechtigten während des gesamten Ausschusses bzw. bei der Anhörung des jeweils anderen. Ein Anwesenheitsrecht der Mutter des Klägers bei dessen Anhörung vermag das Gericht auch nicht aus anderen Rechtsvorschriften zu erkennen. Insbesondere gelten strafprozessuale Vorschriften für die schulischen Ordnungsmaßnahmen nicht und ergibt sich hierfür auch kein übergesetzliches Beistandsrecht des Klägers etwa aus dem Grundgesetz oder der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Nach Art. 88 BayEUG war es auch nicht notwendig, dass der Schulleiter mit dem Kläger oder seiner Mutter vor Bescheidserlass oder vor der Disziplinarausschusssitzung ein (weiteres) persönliches Gespräch führt bzw. anbietet. Nach Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayEUG muss dem Schüler und dem Erziehungsberechtigten lediglich Gelegenheit zur Anhörung vor der Entscheidung gegeben werden und sind Schüler und Erziehungsberechtigte nach Art. 88 Abs. 3 Satz 3 BayEUG auf Antrag berechtigt, im Disziplinarausschuss persönlich vorzutragen. Eine persönliche Anhörung des Klägers und seiner Mutter im Disziplinarausschuss am 27. März 2017 ist erfolgt. Mit dem Ladungsschreiben vom 15. März 2017 wurde die Mutter des Klägers auch darauf hingewiesen, dass darüber hinaus die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung besteht. Hiervon wurde jedoch von Klägerseite kein Gebrauch gemacht.
Die getroffene Ordnungsmaßnahme ist auch in der Sache rechtmäßig. Eine Androhung der Entlassung ist nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 BayEUG möglich bei einer schulischen Gefährdung. Eine schulische Gefährdung liegt nach der gesetzlichen Definition in Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG vor bei einer Gefährdung von Rechten Dritter oder bei einer Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Schule durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten. Das massive Stören des Unterrichts und das Sich-Widersetzen gegen die Anweisungen der Lehrkräfte stellten ein Fehlverhalten des Klägers dar und führen dazu, dass ein ordnungsgemäßer und ungestörter Unterricht für die anderen Schüler nicht mehr stattfinden konnte. Nachdem der Kläger den Unterricht wiederholt (und auch erheblich) gestört hat und sich mehrfach den Anweisungen verschiedener Lehrkräfte widersetzt hat, wie sich aus den Verweisen von 29. September 2016, 30. Januar 2017 und 14. März 2017 sowie dem verschärften Verweis vom 9. Februar 2017 und auch der Mitteilung vom 11. Januar 2017 ergibt, liegen die Voraussetzungen der Androhung der Entlassung vor.
Dass sich die bei der Entscheidung herangezogenen Vorfälle wie zu Grunde gelegt, ereignet haben, steht für das Gericht außer Zweifel. Sämtliche Vorfälle wurden von den betroffenen Lehrkräften bzw. der Mitarbeiterin der Offenen Ganztagsschule schriftlich in Form von Aktenvermerken niedergelegt. Da es sich um fünf verschiedene Mitteiler handelt, die ihre Verweise und Mitteilungen auch unabhängig voneinander geschrieben haben, kann ausgeschlossen werden, dass dem Kläger aufgrund von Voreingenommenheit falsche Sachverhalte angelastet werden. Zum Großteil stellen die abweichenden Darstellungen durch den Kläger auch keine entscheidungserheblichen Abweichungen dar. Anweisungen von Lehrern haben Schüler grundsätzlich zu befolgen, ohne Ironie zu Grunde zu legen. Störende und provokante – andere vernünftige Gründe sind jedenfalls nicht vorgetragen und ersichtlich – Toilettenbesuche wenige Minuten nach der Pause sind zu vermeiden, ebenso wie Unterhaltungen und Beschäftigungen mit Mitschülern ohne Unterrichtsbezug, insbesondere bei unmittelbar zuvor ergangenen Ermahnungen. Die bei der Mittagsbetreuung vorgebrachte Darstellung stellt eine völlig unglaubhafte Ausrede des Klägers dar. Dieser hat auch nicht die Gelegenheit wahrgenommen, die erheblichen Zweifel in seinen Darlegungen in der mündlichen Verhandlung auszuräumen. Das von der Lehrerschaft geschilderte Verhalten des Klägers passt überdies in das Bild, das auch die …Schule vom Kläger gezeichnet hat und steht im klaren Gegensatz zur Einlassung der Klägerseite, dass der Kläger dort ein in keiner Weise zu beanstandendes Verhalten an den Tag gelegt habe. Das Gegenteil ergibt sich aus der vom Schulleiter des … einholten Stellungnahme bei der …Schule vom 10. Juli 2017. Darin werden ein auffälliges Arbeitsverhalten und Defizite in der Zuverlässigkeit des Klägers bestätigt, ebenso dass dieser pädagogische und psychologische Erziehungsmaßnahmen in Form von fünf Hinweisen und sechs Nacharbeiten erhalten hat. Dass auch seitens der Mutter des Klägers dessen Arbeits- und Sozialverhalten anders dargestellt und bewertet wird, widerlegt die Darstellungen der Lehrkräfte nicht, sondern deutet eher auf Uneinsichtigkeit auch der erziehungsberechtigten Mutter hin, die nach Art. 76 BayEUG gehalten ist, auf die gewissenhafte Erfüllung schulischer Pflichten und der von der Schule gestellten Anforderungen zu achten, die Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen, und dafür Sorge zu tragen, dass ihr Sohn regelmäßig am Unterricht teilnimmt. Im Übrigen vermag auch die zur Rechtfertigung des Klägers vorgetragene Schulangst sein unterrichtsstörendes und uneinsichtiges Verhalten nicht zu erklären.
Die Androhung der Entlassung ist nach Auffassung des Gerichts auch keine unverhältnismäßige Maßnahme für diesen Sachverhalt. Dem Disziplinarausschuss steht für die Auswahl der Ordnungsmaßnahme ein pädagogisches Ermessen zu, das das Gericht bei seiner Entscheidung zu respektieren hat und nur bei Ermessensbzw. Beurteilungsfehlern aufheben kann. Derartige Fehler – zu denen etwa willkürliche oder sachfremde Erwägungen gehören -, sind vorliegend nicht erkennbar und wurden auch nicht substantiiert von Klägerseite dargelegt. Für den Disziplinarausschuss war, für das Gericht ohne weiteres nachvollziehbar, insbesondere die Uneinsichtigkeit des Klägers und auch dessen Unehrlichkeit (die sich beispielsweise in seinem Vortrag zum Entfernen aus der Offenen Ganztagsschule zeigt) ein ausschlaggebendes Kriterium. In nicht zu beanstandender Weise hat sich der Ausschuss auch mit dem Vorverhalten des Klägers an seiner alten Schule befasst und dies in die Bewertung mit einfließen lassen. Ein anerkennenswertes soziales und sportliches Engagement und sportliche Disziplin beschränken sich beim Kläger hingegen offenbar auf den außerschulischen Bereich und sprechen deshalb nicht ausschlaggebend gegen die ausgesprochene Maßnahme.
Das BayEUG legt auch keine verpflichtende Reihenfolge für etwaige Ordnungsmaßnahmen fest. Insbesondere musste nicht zuerst ein befristeter Ausschluss vom Unterricht nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 bis Nr. 7 BayEUG angeordnet werden oder eine Versetzung in die Parallelklasse nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 3 BayEUG. Aufgrund der häufigen Fehlzeiten des Klägers, deren Berechtigung überdies zweifelhaft ist, wäre ein befristeter Unterrichtsausschluss eher kontraproduktiv gewesen. Eine Versetzung in die Parallelklasse war deshalb nicht möglich, weil eine parallele Klasse mit gleicher Zweig- und Sprachwahl am … nicht zur Verfügung stand.
Niederschwelligere Erziehungsmaßnahmen oder weitere Verweise wurden von der Schule nach den bisherigen, nicht fruchtenden Maßnahmen zu Recht für nicht ausreichend erachtet. Die getroffene Ordnungsmaßnahme war damit in jeder Hinsicht rechtmäßig und die Klage somit abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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