Verwaltungsrecht

Anerkennung eines Verhebetraumas als Dienstunfall – Gelegenheitsursache

Aktenzeichen  AN 1 K 17.02215

Datum:
21.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG BeamtVG § 31 Abs. 1 S. 1, § 45
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1 S. 1, 46 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Auch ein willentlich gesteuertes Handeln (Eigenbewegung) des Beamten kann Ursache eines Dienstunfalls sein. Denn die für den Dienstunfalls kennzeichnende äußere Einwirkung kann auch bei einer außergewöhnlichen Kraftaufwendung vorliegen, weil die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, dem Begriff des Unfalls immanent ist, auch wenn die Folgen der Einwirkung äußerlich nicht sichtbar sind (vgl. BSG BeckRS 2005, 42456). (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nicht ursächlich für einen Dienstunfall ist jedoch eine sog. Gelegenheitsursache, d.h. eine Ursache, die einen anlagebedingten degenerativen Körperschaden des Beamten auslöst, der so leicht ansprechbar war, dass auch ein alltägliches, außerhalb des Dienstes vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (stRspr BVerwG BeckRS 2004, 21796). (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landesamts für Finanzen – Dienststelle … – Bezügestelle Dienstunfall – vom 19. März 2014 und der Widerspruchsbescheid dieser Behörde vom 13. Mai 2014 sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG für die Anerkennung der im insoweit ergänzten Klageantrag vom 21. November 2017 bezeichneten Körperschäden des Klägers als Folge eines Dienstunfalls vom 16. Januar 2014 liegen nicht vor.
Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmtes, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Die Vorschrift des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG entspricht der bis zum Inkrafttreten des Neuen Dienstrechts in Bayern (am 1.1.2011) anzuwendenden Regelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, so dass die zu dieser Rechtsnorm ergangene Rechtsprechung herangezogen werden kann (vgl. LTDrs. 16/3200, S. 482).
Es kommt somit entscheidend darauf an, ob es sich bei dem auf äußerer Einwirkung beruhenden Ereignis, das eine Verletzung verursacht hat, um ein solches handelt, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Damit wird ein bestimmter Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Ausübung des Dienstes verlangt. Der Zusammenhang des Unfalles mit dem Beamtendienst muss das entscheidende Kriterium sein (BVerwG, U.v. 14.12.2004 – 2 C 66/03, Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 6). Denn der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen ergeben (BVerwG, U.v. 28.4.2002 – 2 C 22/01, ZBR 2003, 140; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Rn. 1 zu § 31 BeamtVG). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der öffentlich-rechtliche Dienstherr ohnehin zur Fortzahlung der Bezüge und sonstigen Leistungen, z. B. Beihilfen, verpflichtet ist. Die Dienstunfallvorschriften stellen also eine Sonder-(Ausnahme-)Regelung dar und sind deshalb eng auszulegen (Schütz/Maiwald, a.a.O., BayVGH, U.v. 12.10.1983 – 3 B 83 A.474, veröffentlicht bei Schütz/Maiwald, a.a.O., ES/C II 3.1 Nr. 7).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 1.3.2007 – 2 A 9/04; U.v. 28.4.2002 – 2 C 22/01, ZBR 2003, 140; B.v. 8.3.2004 – 2 B 54/03, Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13; B.v. 29.12.1999 – 2 B 100/99; B.v. 20.2.1998 – 2 B 81/97) sind als Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet der beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung nur solche für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen ist eine als alleinige Ursache im Rechtssinne anzusehen, wenn sie bei natürlicher Betrachtungsweise überragend zum Erfolg mitgewirkt hat, während jede von ihnen als wesentliche (Mit-)Ursache im Rechtssinne anzusehen ist, wenn sie nur annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Erfolges hatte. Alle übrigen Bedingungen im natürlich-logischen Sinne scheiden als Ursachen im Rechtssinne aus.
Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht der Beamten kann hiernach auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder (und) beschleunigt, wenn diesem Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene krankhafte Veranlagung bzw. das anlagebedingte Leiden in dem bei Eintritt des Ereignisses bestehenden Stadium gehören – eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich anzusehen sind.
Keine Ursachen im Rechtssinne sind deshalb sogenannte Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlicher Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (BVerwG, B.v. 8.3.2004, a.a.O.).
Denn der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen, wie bereits ausgeführt, diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstunfallbedingten Gründen, insbesondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen ergeben (BVerwG, B.v. 8.3.2004, a.a.O.).
Im Dienstunfallrecht gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich die allgemeinen Beweisgrundsätze. Für das Vorliegen eines Dienstunfalls sowie die dadurch verursachten Körperschäden ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“). Der Beamte trägt insoweit die (volle) materielle Beweislast. Lässt sich der Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden trotz Ausschöpfung aller Mittel nicht klären, geht dies zulasten des Beamten (vgl. BVerwG, B.v. 23.10.2013 – 2 B 34/12 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 30.1.2012 – 3 B 10.1015 – juris Rn. 28).
Etwaige Beweisschwierigkeiten vermögen eine abweichende mildere Beurteilung der Beweisanforderungen nicht zu rechtfertigen. Es gibt keinen Grundsatz des Inhalts, dass statt der „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ genügt, wenn der Beamte unverschuldet noch erforderliche Beweismittel nicht benennen kann und auch die Verwaltung oder das Gericht nicht in der Lage sind, die erforderlichen Beweismittel heranzuziehen. Dies gilt nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn der Beamte den Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Körperschaden (nur) deshalb nicht nachweisen kann, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft die Entstehung bestimmter Krankheiten noch nicht geklärt ist. Zur Beweiserleichterung führt insoweit allenfalls der Beweis des ersten Anscheins, der jedoch nur bei typischen Geschehensabläufen in Betracht kommt, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des Einzelfalls für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, § 45 BeamtVG, Erl. 1.3; BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55/09, DÖD 2011, 235 ff.; U.v. 22.10.1981; U.v. 23.5.1962 – VI C 39.60, BVerwGE 14, 81 ff. = DVBl 1962, 717; BayVGH, B.v. 9.3.2001 – 3 ZB 01.76; B.v. 7.6.2000 – 3 B 96.1396; B.v. 27.8.1998 – 3 ZB 98.568; OVG Münster, U.v. 10.12.2010 – 1 A 669/07; B.v. 17.7.2012 – 1 A 444/11; OVG Magdeburg, U.v. 13.9.2011 – 1 L 94/11).
An diesen rechtlichen Gegebenheiten gemessen können die beim Kläger am 21. Januar 2014, also nur fünf Tage nach dem angeschuldigten Unfallereignis vom 16. Januar 2014 durch ein Magnetresonanztomogramm der Wirbelsäule von Brustwirbelkörper 11 bis Sakralwirbelkörper 2 und ein Myelogramm (Röntgendarstellung des Wirbelkanals) festgestellten und streitgegenständlich geltend gemachten Körperschäden einer breitbasigen Extrusion in Höhe L 2/3 mit leicht linksseitiger Betonung und Einengung der Neuroforamina beidseits, verstärkt durch Facettengelenksarthrosen auch in Höhe L 4/5 mit Hypertrophie der Ligamente flava beidseits, rechts stärker links und dadurch bedingt dorsaler Einengung des Spinalkanals, weniger stark ausgeprägt in Höhe L 5/S1, nicht als kausal durch das Unfallereignis vom 16. Januar 2014 als Dienstunfall i.S.d. Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG verursacht angesehen werden.
Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass entgegen der Auffassung des Beklagten das Vorliegen eines Dienstunfalls nicht bereits deswegen ausgeschlossen ist, weil es sich um ein willentlich gesteuertes Handeln (Eigenbewegung) des Klägers mit der Folge einer vom Kläger selbst herrührenden Fehlinnervation gehandelt habe und es demzufolge an einer äußeren Einwirkung fehle. Denn nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, U.v. 4.6.2010 – L 3 U 239/07; BSG, U.v. 12.4.2005 – B 2 U 27/04) und der entsprechenden Regelung in Ziffer 46.1.3.1 BayVV-Versorgung kann eine äußere Einwirkung auch bei Eintritt eines Körperschadens infolge einer außergewöhnlichen Kraftaufwendung vorliegen, da die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, dem Begriff des Unfalls immanent ist, auch wenn die Folgen der Einwirkung äußerlich nicht sichtbar sind (vgl. BSG, U.v. 12.4.2005 – a.a.O.).
Jedoch ist im Hinblick auf die ärztlich dokumentierten degenerativen Vorschäden an der Lendenwirbelsäule des Klägers (vgl. Schreiben der Radiologin Dr. med. … …, Fachärztin für diagnostische Radiologie im Kompetenznetz Franken für Radiologie, Nuklarmedizin und Strahlenthereapie, …, vom 21.1.2014; Befundbericht des den Kläger am 20.1.2014 untersuchenden Arztes Dr. med. …, vom 24.1.2014, der von „bereits vorbestehende Beschwerden“ ausgeht) das Unfallereignis vom 16. Januar 2014 nicht als wesentlich mitwirkende Teilursache der vom Kläger reklamierten Körperschäden anzusehen.
Vielmehr stellte das Unfallereignis vom 16. Januar 2014 eine sogenannte Gelegenheitsursache, d.h. eine Ursache dar, bei der die anlagebedingten degenerativen Körperschäden des Klägers („breitbasige Extrusion in Höhe L 2/3, Einengung der Neuroforamina beidseits, verstärkt durch Facettengelenksarthrosen, Hypertrophie der Ligamente, dorsale Einengung des Spinalkanals, vgl. Untersuchungsergebnis vom 21.1.2014) so leicht ansprechbar waren, dass auch ein alltägliches, außerhalb des Dienstes vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2004, a.a.O.).
So deutet vor allem die Diagnose der Radiologin Dr. med. … … vom 21. Januar 2014 signifikant auf langjährige Abnutzungserscheinungen an der Lendenwirbelsäule des zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens bereits 54-jährigen Klägers hin und kann nicht auf das erst fünf Tage vor der Untersuchung stattgefundene Unfallereignis vom 16. Januar 2014 zurückgeführt werden.
Nachdem es sich im vorliegenden Fall geradezu aufdrängt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und den geltend gemachten Körperschäden nicht besteht, geht dies zu Lasten des, wie oben bereits ausgeführt, für diesen Kausalzusammenhang beweispflichtigen Klägers.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Abklärung der Frage, ob das Unfallereignis vom 16. Januar 2014 eine wesentlich mitwirkende Teilursache oder – wie offenkundig der Fall – lediglich eine Gelegenheitsursache für die vom Kläger reklamierten Körperschäden darstellt, drängte sich der Kammer somit nicht auf. Ein entsprechender Beweisantrag wurde auch seitens des Klägerbevollmächtigten weder in der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2015 noch in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2017 gestellt.
Im Übrigen sieht das Gesetz in Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG hinsichtlich der vom Kläger im ergänzten Klageantrag vom 21. November 2017 im Einzelnen bezeichneten Körperschäden die Möglichkeit der Anerkennung einer Berufskrankheit vor (vgl. die vom Kläger erhobene Klage AN 1 K 17.00803).
Nach alledem war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.


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