Verwaltungsrecht

Anforderungen an das Vorliegen eines “triftigen Grundes” für das Verlassen der Wohnung i. S. v. § 4 II BaylfSMV

Aktenzeichen  7 OWi 704 Js 30876/20 jug

Datum:
1.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1764
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Straubing
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayIfSMV § 2, § 4, § 5

 

Leitsatz

1. § 4 II BayIfSMV verbot das Verlassen der Wohnung und nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Nach § 5 Nr. 9 BayIfSMV war das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig, nicht aber der anschließende Aufenthalt in der Öffentlichkeit oder die unterlassene Rückkehr in die Wohnung. (Rn. 16 – 21)
2. Nachdem es genügt, dass ein triftiger Grund vorliegt für das Verlassen der Wohnung, um das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 4 II BayIfSMV zu suspendieren, müssen nicht alle Gründe für das Verlassen triftig sein, wie sich aus der Formulierung “ohne triftigen Grund” ergibt. (Rn. 31 – 47)

Tenor

1. Der Betroffene wird freigesprochen.
2. Die Staatkasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen.

Gründe

I.
Mit Bußgeldbescheid vom 20.5.2020 verhängte die Stadt Straubing gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 150 EUR.
Der Bußgeldbescheid hat folgenden Inhalt: „Sie hielten sich nach den Feststellungen des PP Niederbayern am xx.xx.2020 gegen 13:20 Uhr mit Herrn G. und Herrn G. in Straubing am Parkplatz des McDonalds in der xxx Str. 194 auf.
Damit haben Sie gegen die vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie verstoßen, wonach die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren sind, ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5m einzuhalten ist und ein Verlassen der Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt ist.
Im Rahmen der Anhörung gaben Sie an, dass Sie sich den Bedingungen der Ausgangsbeschränkungen bewusst waren.
Die Tat wurde vorsätzlich begangen Verletzte Vorschriften: § 73 la Nr. 24, Abs. 2 iVm § 32 des IfSG, § 5 Nr. 9 iVm § 4 II der BaylfSMV.“
Gegen den am 29.5.2020 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit am 3.6.2020 bei der Stadt Straubing eingegangenen Schreiben Einspruch eingelegt.
Es galt die BaylfSMV. mit folgendem relevanten Inhalt:
§ 2 BaylfSMV lautete auszugsweise:
„[…] (2) 1 Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. 2Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststätten bereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). 3Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
§ 4 BaylfSMV
„(1) 1 Jeder wird angehalten, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. 2Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.
(2) Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.
(3) Triftige Gründe im Sinne des Abs. 2 sind insbesondere:

3. Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (insbesondere Einrichtungen im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 2); nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben,

/.Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine, mit einer weiteren nicht im seihen Hausstand iebenden Person oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands und ohne jede sonstige Gruppenbiidung […]“
§ 5 Ordnungswidrigkeiten
„Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
1.entgegen § 1 Abs. 1 eine Veranstaltung oder Versammlung durchführt oder hieran teilnimmt,
2.entgegen § 2 Abs. 1 Einrichtungen betreibt oder Reisebusreisen durchführt,
3.entgegen § 2 Abs. 2 Gastronomiebetriebe betreibt,
4.entgegen § 2 Abs. 3 zu privaten touristischen Zwecken Hotels oder Beherbergungsbetriebe betreibt oder Unterkünfte zur Verfügung stellt,
5.entgegen § 2 Abs. 4 Ladengeschäfte des Einzelhandels öffnet,
G.entgegen § 2 Abs. 5 Satz 2 als Verantwortlicher eines Dienstleistungsbetriebs zulässt, dass sich in Wartebereichen mehr als zehn Personen aufhalten,
/.entgegen § 3 Abs. 1 eine der genannten Einrichtungen besucht,
S.entgegen § 3 Abs. 2 eine Hochschule betritt,
9. entgegen § 4 Abs. 2 die Wohnung ohne triftigen Grund verlässt.“
II.
Der Betroffene ist aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
Zwar ist der Bußgeldbescheid wirksam, weil die Umgrenzungsfunktion erfüllt ist. „Diese Aufgabe erfüllt der Bußgeldbescheid in sachlicher Hinsicht, wenn nach dessen Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat bestehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll (OLG Koblenz BeckRS 2018, 28077).“ (BeckOK OWIG/Sackreuther, 28. Ed. 1.10.2020 Rn. 3, OWIG § 65 Rn. 3)
Das ist hier der Fall. Denn es ist klar erkennbar, dass der Aufenthalt vor dem Restaurant vom Bußgeldbescheid geahndet werden soll. Es ist daher keine Einstellung veranlasst.
Die im Bußgeldbescheid umschriebene Tat erfüllt aber nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Dies gilt selbst dann, wenn man das vorangegangene Verlassen der Wohnung als Teil der verfolgen prozessualen Tat ansieht. Denn auch das wäre nicht ahndbar.
1. Ahndbarkeit des Aufenthalts vor dem Restaurant Der vorgeworfene Verstoß gegen das Abstandsgebot und das Kontaktminimierungsgebot waren nicht bußgeldbewehrt nach der BaylfSMV, wie § 5 BaylfSMV deutlich erkennen lässt, so dass diese Vorwürfe ausscheiden.
§ 4 II BaylfSMV verbot das Verlassen der Wohnung und nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Nach § 5 Nr. 9 BaylfSMV war das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig, nachdem seit dem 7.4.2020 die BaylfSMV im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet wurde.
Eine Auslegung von § 5 Nr. 9 BaylfSMV dahingehend, dass jeder Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne triftigen Grund bußgeldbewehrt ist, scheitert an Art. 103 II GG. Der Wortlaut der Verordnung ist eindeutig. Verlassen der Wohnung meint ausweislich des Eintrags Nr. 2 im Duden „weg-, fortgehen von, aus etwas, sich von einem Ort entfernen“.
Dass der Verordnungsgeber damit möglicherweise, wie sich auch aus der Gesamtschau mit § 4 I BaylfSMV ergibt, andere Ziele verfolgt haben mag, kann sein. Der Verordnungsgeber hat sich aber bewusst für die Regelung einer Ausgangssperre entschieden und nicht für Kontakt- oder Aufenthaltbeschränkungen, wie sie teilweise in anderen Bundesländern galten. Auch sah die Verordnung keine Rückkehrpflicht nach einem Verlassen der Wohnung mit triftigem Grund vor. Die damit verbundene Einengung des Tatbestands und Nachweisschwierigkeiten sowie die Folgen einer fehlenden Rückkehrpflicht in die Wohnung, sind vom Gericht hinzunehmen.
Das gilt sowohl für Gesetze als auch für Verordnungen und der Wortlaut ist damit sowohl im Straf- als auch im Ordnungswidrigkeitenrecht die äußerste Grenze der Auslegung.
„Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen (vgl. BVerfGE 71, 108 [116] = NJW 1986, 1671; BVerfGE 92, 1 [19] = NJW 1995,1141). Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren (BVerfGE 92,1 [13] = NJW 1995, 1141). Sie müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, zum Freispruch gelangen und dürfen nicht korrigierend eingreifen (vgl. BVerfGE 64, 389 [393] = NJW 1984, 225). Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Es ist dann Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will (BVerfGE 92, 1 [13] = NJW 1995, 1141). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt anerkanntermaßen ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher  Strafbegründung. Dabei ist „Analogie” nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die – tatbestandsausweitend – über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (st. Rspr., vgl. BVerfGE 71, 108 [115] = NJW 1986, 1671; BVerfGE 82, 236 [269] = NJW 1991, 91; BVerfGE 92, 1 [12] = NJW 1995, 1141).“ (BVerfG NJW 2010, 3209 Rn. 78)
Bei dem Begriff des Verlassens handelt es sich auch nicht um einen normativen unbestimmten Rechtsbegriff, der erst nach Auslegung im Kontext der Norm verständlich wird (so für den Begriff des Versammlungsleiters: BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 9.7.2019 – 1 BvR 1257/19, BeckRS 2019, 18019 Rn. 13). Vielmehr handelt es sich um einen Begriff der Alltagssprache, der aus der Sicht des Normadressaten daher auch an das Verlassen der Wohnung anknüpft und nicht an den Aufenthalt außerhalb der Wohnung.
Der Bußgeldbescheid stellt auf den Aufenthalt vor dem Restaurant ab, ohne dass festgestellt ist, dass der Betroffene seine Wohnung verlassen hat und zu welchem Zweck. Dieses festgestellte Verhalten ist daher jedenfalls nicht ordnungswidrig gewesen.
2. Verlassen der Wohnung
Darüber hinaus weist das Gericht darauf hin, dass das Verlassen der Wohnung auch mit triftigem Grund geschah.
Auch das Verlassen der Wohnung geschah hier mit triftigem Grund nach § 5 III Nr. 3 BaylfSMV und war daher nicht ordnungswidrig. Es kommt daher nicht darauf an, ob es sich dabei um die verfolgte Tat handelt oder ob das vorangegangene Verlassen vom Bußgeldbescheid mit umfasst ist.
Nach den Feststellungen der Polizei vor Ort wurde der Betroffene und die anderweitig gleichartig verfolgten J.G. und D.G. auf dem Parkplatz angetroffen, als sie auf dem Parkplatz des Schnellrestaurants aßen.
Im Schreiben der Stadt Straubing an den Betroffenen vom 18.11.2020 auf seinen Widerspruch hin, findet sich zudem die Feststellung, dass die zuvor gekauften Speisen auf dem Parkplatz verzehrt wurden.
Der Betroffene gab in der Hauptverhandlung und seinem Einspruch an, er hätte die Wohnung alleine zum Zweck der Nahrungsaufnahme verlassen und vor Ort zufällig die beiden gleichartig verfolgten getroffen. Andere Geschäfte hätten am Ostersonntag geschlossen gehabt.
Die Behauptung der ermittelnden Polizeibeamten, die festgestellt haben, die drei hätten angegeben sich vor Ort zu verabredet treffe nicht zu.
Für das Gericht steht fest und es ist nicht zu erwarten, dass sich in einer mündlichen Verhandlung etwas anderes ergibt, als dass der Betroffene die Wohnung zum Zweck der Besorgung von Nahrungsmitteln im Schnellrestaurant erfolgte und andere Geschäfte am Feiertag geschlossen hatten. Das wird sich nicht widerlegen lassen, es erscheint glaubwürdig, nachvollziehbar und es bestehen keine anderweitigen Ermittlungsansätze.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Betroffene und die gleichartig verfolgten J.G. und D.G. dort verabredet hatten.
Denn beim Verlassen der Wohnung hat der Betroffene das Ziel verfolgt, ein Angebot nach § 2 II § BaylfSMV wahrzunehmen und somit die Wohnung mit einem triftigen Grund nach § 5 III Nr. 3 verlassen.
Dass es sich dabei um einen triftigen Grund handelt, erkannte auch die Stadt Straubing in der mündlichen Verhandlung und dem Schreiben vom 13.1.2021 an. Sie beanstandete lediglich, dass man anschließend die Speisen vor Ort verzehrte und sich vor Ort traf.
Dass sich der Betroffene dabei auch mit anderen Personen – ob zufällig oder vorsätzlich – getroffen hat, ändert aber nichts an diesem einen Zweck, zu dem er die Wohnung verlassen hat.
Es bestand aufgrund der BaylfSMV nach Verlassen der Wohnung keine Rückkehrpflicht nach Zweckerreichung, so dass der Verzehr vor der Gaststätte keinen Verstoß gegen eine Norm der BaylfSMV darstellt, wenn man zuvor die Wohnung, wie hier mit triftigem Grund, verlassen hat.
Selbst wenn also von vornherein das Verlassen der Wohnung zum Zweck der Nahrungsaufnahme vor Ort beabsichtigt gewesen wäre, so wäre zuvor ein triftiger Grund vorhanden gewesen, nämlich ein Versorgungsgang für die Gegenstände des täglichen Bedarfs im Sinne des § 4 III Nr. 3 BaylfSMV.
Dabei ergibt sich aus der Zulassung der Öffnung von Gaststätten nach § 2 II S. 3 BaylfSMV für die Abgabe von mitnahmefähigen Speisen, dass auch der Einkauf dort ein solcher Versorgungsgang sein kann und vorliegend auch war.
Soweit § 2 II 1 und 2 BaylfSMV den Betrieb von Gaststätten auch im Freien untersagen, richtet sich dieses Verbot an den Betreiber der Gaststätte und nicht an den Kunden. Würde man § 4 III Nr. 3 BaylfSMV so auslegen, dass auch § 2 II 1 und 2 BaylfSM auf den triftigen Grund einwirken, wäre es selbst verboten gewesen, auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants im Auto die Speisen/Getränke zu essen/trinken oder beim Verlassen des Lokals von seinem Getränk zu nippen. Erst nach Verlassen des Betriebsgeländes, also auf dem Bürgersteig hätte man dann die Lebensmittel verzehren dürfen. Eine solche Beschränkung kann aber nicht mit der notwendigen Bestimmtheit aus § 4 III Nr. 3 BaylfSM hergeleitet werden. Vielmehr zeigen diese Beispiele, dass sich § 2 I11 und 2 nur an die Betreiber der Gaststätte richten.
Nachdem es genügt, dass ein triftiger Grund vorliegt für das Verlassen der Wohnung, um das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 4 II BaylfSMV zu suspendieren, müssen nicht alle Gründe für das Verlassen triftig sein, wie sich aus der Formulierung „ohne triftigen Grund“ ergibt. Es durften also mehrere Zwecke verbunden werden, wobei es nicht darauf ankommt, dass alle Gründe triftig waren. Die damit verbundene Einschränkung der Wirksamkeit des Verbots hat seine Ursache in der vom Verordnungsgeber gewählten Regelung über eine Ausgangssperre. Wegen dieser Regelung kann nur an die Gründe beim Verlassen angeknüpft werden und nicht an das anschließende Verhalten außerhalb der Wohnung.
Es war auch nicht verboten, zum Zweck des gemeinsamen Einkaufens von Nahrungsmitteln die Wohnung zu verlassen. Eine Interpretation von § 4 III Nr. 7 BaylfSMV dahingehend, dass eine Verlassen alleine diesem einen triftigen Grund dienen muss, lässt sich der BaylfSMV nicht entnehmen. Vielmehr würde eine solche Auslegung dazu führen, dass innerhalb der bereits benannten triftigen Gründe eine Unterdifferenzierung eingeführt wird, ob das einzelne Verlassen der Wohnung bei Betrachtung aller Umstände und aller Ziele des Verlassens in einer Gesamtwürdigung triftig war. Mit der Auflistung der dort benannten Ziele hat der Verordnungsgeber aber die genannten Zwecke als triftige Gründe definiert und damit die Prüfung der weiteren Umstände und Zwecke des Verlassens einer Prüfung entzogen.
Eine andere Auslegung würde nach Ansicht des Gerichts gegen Art. 103 II GG verstoßen, weil für den Normadressaten überhaupt nicht mehr erkennbar ist, ob sein Gang zum Supermarkt oder zum Schnellrestaurant nun triftig ist oder nicht.
Das wird bestärkt durch einen Umkehrschluss zu § 4 III Nr. 7 BaylfSMV.
Dort ist explizit geregt, dass beim Verlassen der Wohnung zum Zweck der Bewegung an der frischen Luft dies nur mit bestimmten Personen geschehen darf oder alleine. Nachdem eine derartige Einschränkung für die Versorgungsgänge fehlt, waren diese offensichtlich in Begleitung beliebiger Personen zulässig.
Daran könnte man nur insoweit zweifeln, dass es sich um keinen Versorgungsgang für Gegenstände des täglichen Bedarfs mehr handelt, wenn ein Haushaltsmitglied diese Besorgungen für alle Haushaltsmitglieder erledigen könnte. Dem ist allerdings entgegenzusetzen, dass eine derartige Einschränkung sich gerade nicht findet und § 4 III Nr. 3 BaylfSMV auch nicht darauf abstellt, dass die Einkäufe sich auf den konkreten Bedarf des Tages des Haushalts oder des Einzelnen oder dergleichen bezieht, sondern alleine auf die Art der Gegenstände. Es findet sich daher keine Einschränkung dahingehend, dass der konkrete Einkauf notwendig sein muss, sondern alleine auf die Art der gekauften Artikel.
Eine allgemeine Kontaktbeschränkung findet sich zudem nicht in der BaylfSMV, nur die „Kontaktminimierungsanhaltung“ nach § 4 I BaylfSMV, die aber nicht Teil des § 4 II ist und auch nicht sanktioniert und auch nicht vollstreckbar. Bereits aus der Formulierung, dass man zur Kontaktminimirung „angehalten wird“ und diese nicht verpflichtend ist, zeigt sich dass es sich nicht um eine zwingende Norm handelt, sondern um einen Appell (BayVGH COVuR 2020, 35 Rn. 50). Das gilt auch für das Abstandsgebot, das letztlich keinen vollziehbaren Inhalt hat (BayVGH COVuR 2020, 35 Rn. 51).
Es kommt daher nicht darauf an, ob der Betroffenene beim Verlassen der Wohnung auch beabsichtigte gegen das Kontaktminierungsgebot und das Abstandsgebot zu verstoßen, weil diese unbestimmten Begriffe bei der Auslegung des triftigen Grunds allenfalls außerhalb der konkret normierten triftigen Gründe eine Rolle spielen können. Vorliegend lag aber ein konkret geregelter Grund vor.
Eine Auslegung von § 5 Nr. 9 BaylfSMV dahingehend, dass jeder Aufenthalt in der Öffentlichkeit oder Kontakt mit anderen Menschen ohne triftigen Grund bußgeldbewehrt ist, scheitert an Art. 103 II GG. Der Wortlaut der Verordnung ist eindeutig. Dass der Verordnungsgeber damit möglicherweise, wie sich auch aus der Gesamtschau mit § 4 I BaylfSMV ergibt andere Ziele verfolgt haben mag, kann sein. Der Verordnungsgeber hat sich aber bewusst für die Regelung einer Ausgangssperre entschieden und nicht für Kontakt- oder Aufenthaltsbeschränkungen, wie sie teilweise in anderen Bundesländern galten. Auch sah die Verordnung keine Rückkehrpflicht nach einem Verlassen mit triftigem Grund vor. Die damit verbundene Einengung des Tatbestands und Nachweisschwierigkeiten sowie die Folgen einer fehlenden Rückkehrpflicht in die Wohnung, sind vom Gericht hinzunehmen.
Es ist daher dem Gericht verwehrt, das Gebot des § 4 I IfSMV in den § 4 II Nr. 3 IfSMV hineinzulesen. Das käme der Schaffung eines neuen Bußgeldtatbestands für den Aufenthalt im öffentlichen Raum mit haushaltsfremden Personen gleich, welcher eben gerade nicht vorgesehen war.


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