Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit bei kurzfristigem Antrag auf Terminsverlegung

Aktenzeichen  W 4 K 17.30610

Datum:
7.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141763
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 11 Abs. 1

 

Leitsatz

1. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es regelmäßig, insbesondere wenn der Asylbewerber Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgebend bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst spät in das Asylverfahren einführt (vgl. OVG NW BeckRS 2013, 55090; VGH BW BeckRS 2013, 59598; HessVGH BeckRS 2015, 48296). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird eine Terminsverlegung erst unmittelbar vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit besteht (vgl. OVG NRW BeckRS 2012, 48687). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 7. August 2017 verhandelt und entschieden werden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 1. Februar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Asylgesetz/AsylG) weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz/GG (nachfolgend: 1.) noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (nachfolgend: 2.). Es ist ihm weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (nachfolgend: 3.), noch liegen in seiner Person nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vor (nachfolgend: 4.).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft einreist. Dies ist beim Kläger der Fall. Er ist nach eigenen Angaben von Nigeria aus zunächst nach Italien gereist und von dort aus auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Der Kläger hat eine Verfolgung in Sinne vom § 3 AsylG nicht dargetan.
Es obliegt dem vor Verfolgung Schutzsuchenden, die Voraussetzungen hierfür glaubhaft zu machen. Er muss in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, seinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lückenlos zu tragen. Ein in diesem Sinne schlüssiges Schutzbegehren setzt im Regelfall voraus, dass der Schutzsuchende konkrete Einzelheiten seines individuellen Verfolgungsschicksals vorträgt und sich nicht auf unsubstantiierte allgemeine Darlegungen beschränkt. Er muss nachvollziehbar machen, wieso und weshalb gerade er eine Verfolgung befürchtet. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es regelmäßig, wenn er im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen oder er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgebend bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst spät in das Asylverfahren einführt (vgl. OVG NW, U.v. 2.7.2013 – 8 A 2632/06.A – juris; VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Es fehlt dem Vortrag des Klägers vor dem Bundesamt insgesamt an asylrechtlich erheblicher Substanz. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Nigeria landesweit von politischer Verfolgung betroffen war oder dass er im Falle einer Rückkehr nach Nigeria von derartiger Verfolgung bedroht sein wird.
Im vorliegenden Fall ergibt sich bereits aus den Angaben des Klägers, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen. Insbesondere aufgrund des äußerst unsubstantiierten Vortrags vor dem Bundesamt ist die Schlussfolgerung des Bundesamts, der Sachvortrag sei als unglaubhaft zu bewerten, seitens des Gerichts nicht zu beanstanden.
Durch sein Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung hat er sich auch der Möglichkeit begeben, neue Gesichtspunkte zu seinem Asylbegehren aufzuzeigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem per Fax um 11:30 Uhr am 7. August 2017 durch den Bevollmächtigten gestellten Terminsverlegungsantrag. Er konnte seitens des Gerichts abgelehnt werden. Eine Terminsverlegung nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass hierfür erhebliche Gründe vorliegen. Dies sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des im Falle der Aufhebung bzw. Verlegung des Termins berührten Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern; darüber hinaus muss der verhinderte Beteiligte diese Gründe dem Gericht darlegen und auf Verlangen glaubhaft machen (vgl. BVerwG v. 14.9.1999 – 5 B 54.99 – juris, und vom 5. Mai 1999 – 5 B 50.99 – juris m.w.N.).
Ein ausreichender Grund kann u.a. darin liegen, dass ein Beteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter unerwartet krank ist. Jedoch ist nicht jegliche Erkrankung ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (vgl. OVG NRW, B.v. 11.3.2011 – 12 A 1436/10 – juris Rn. 6 ff. m.w.N.).
Wird eine Terminsverlegung, wie vorliegend, erst unmittelbar vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungsbzw. Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht aus der Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann. Gerade bei so kurzfristig gestellten Anträgen wie vorliegend auf Terminsverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit (OVG NRW, B.v. 11.3.2011 – 12 A 1436/10 – juris Rn. 6 ff. m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund genügen die unsubstantiierten Behauptungen des Klägervertreters zweifellos nicht zur Darlegung eines Verlegungsanspruchs.
Nicht nachvollziehbar ist des Weiteren der Verlegungsantrag, soweit er damit begründet wird, der Kläger habe eine andere Adresse, zumal laut Akte der Klägervertreter ordnungsgemäß gegen Empfangsbekenntnis, welches am 16. Juni 2017 unterschrieben zurückgesandt wurde, geladen war.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die derzeitige politische Lage in Nigeria lässt ferner nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller wegen seiner Asylantragstellung in Deutschland mit einer politischen Verfolgung rechnen müsste (Lagebericht, Nr. IV.2, S. 23/24).
3. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG bleibt ohne Erfolg.
Eine konkrete Gefahr, dass der Kläger im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Nigeria Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden könnte, ist nicht erkennbar. Hierzu kann auf die obigen Ausführungen unter 2. verwiesen werden.
Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht und hierfür ist auch nichts ersichtlich, dass er in Nigeria wegen einer Straftat gesucht wird, die mit der Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe verbunden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
Schließlich ist der Kläger im Falle seiner Rückkehr nicht der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 1. Februar 2017 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
5. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig, weil dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und er auch keinen asylunabhängigen Aufenthaltstitel besitzt. Die Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG bestehen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Zeitpunkt keine rechtlichen Bedenken.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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