Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen

Aktenzeichen  M 12 K 17.42767

Datum:
16.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143075
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AufenthG § 11

 

Leitsatz

1 An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Kein Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. August 2017 entschieden werden, obwohl außer der Kläger mit ihrem Prozessbevollmächtigten niemand erschienen ist. Die Beteiligten wurden ordnungsgemäß geladen (Beklagte mit Ladung vom 20.7.2017; der Klägerbevollmächtigte mit Empfangsbekenntnis am 21.7.2017) und darauf hingeweisen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 19. Mai 2017 rechtswidirg und deshalb aufzuheben ist und ob die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes oder Feststellung von Abschiebungsverboten haben (vgl. Antrag des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung und vom 6. 6. 2017).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 19. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unab hängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 -9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist den Klägern keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger vor ihrer Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von religiöser oder politischer Verfolgung betroffen waren bzw. bedroht sein würden.
Der Kläger zu 1 hat einen Sachverhalt zu seiner Vorverfolgung vorgetragen, der unglaubwürdig ist und von dem das Gericht annimmt, dass er sich nicht ereignet hat.
Er hat schon zu den Zeiten der angeblichen Verhaftung widersprüchliche Angaben gemacht. Beim Bundesamt trug er vor, am 22. April 2014 seien er und seine Frau um 23 Uhr festgenommen worden (Bl. 67 BA). In der mündlichen Verhandlung trug er vor, es sei um 21 Uhr gewesen. Wäre der Kläger zu 1 tatsächlich festgenommen worden, hätte sich ihm die genaue Zeit einprägen müssen.
Unglaubhaft ist, dass der Kläger zu 1 überhaupt an einer Demonstration teilgenommen hat. Der Kläger zu 1 erklärte beim Bundesamt, er wisse nicht, wer die Demonstration organisiert habe; es ginge aber „um die Oromo und das Unrecht der Regierung gegen die Oromo“ (Bl. 68 BA). In der mündlichen Verhandlung trug er dagegen vor, die Demonstration habe sich gegen die Verhaftung der Oromo gerichtet, u.a. auch seines Freundes … (Niederschrift, S. 2). Dabei handelt es sich um widersprüchliche Darstellungen, die den Sachverhalt unglaubhaft machen. Bei der angeblichen Verhaftung seines Freundes handelt es sich auch um eine Steigerung des Vorbringens, die den gesamten Sachverhalt unglaubhaft macht.
Unglaubhaft ist auch das Vorbringen, welcher Grund den Klägern für die Verhaftung angegeben worden ist. Beim Bundesamt trug der Kläger zu 1 vor, ihm sei vorgeworfen worden, der ABO Lebensmittel zu liefern (Bl. 67 BA). In der mündlichen Verhandlung trug er nicht vor, ihm sei vorgeworfen worden, der ABO Lebensmittel zu liefern. Auf den richterlichen Vorhalt hin erklärte er, er sei nicht nach Lebensmittellieferungen gefragt worden. Er habe beim Bundesamt auch nichts von Lebensmittellieferungen gesagt. Dies ist unzutreffend, da in der Niederschrift beim Bundesamt ausdrücklich aufgenommen wurde, dass dem Kläger zu 1 vorgeworfen worden ist, dass er Lebensmittel der ABO liefere (Bl. 67 BA). Die Klägerin zu 2 wiederum hat beim Bundesamt (Bl. 75 BA) erklärt, sie seien verdächtigt worden, der ABO Lebensmittel zu liefern; in der mündlichen Verhandlung trug sie vor, sie seien verdächtigt worden, dass sie ABO-Mitglieder nach Hause nehmen und sie verpflegen (Niederschrift, S. 4). Es handelt sich dabei um widersprüchliche Aussagen, die den gesamten Sachverhalt unglaubhaft machen.
Unglaubhafte Angaben haben die Kläger zu den Vorgängen nach der behaupteten Flucht gemacht. Der Kläger zu 1 erklärte, am 22. November 2015 abends hätten sie sich im Gefängnis überlegt, ob sie fliehen können Bl. 67 BA; Niederschrift über die mündliche Verhandlung, S. 3). Die Klägerin zu 2 erklärte, der Kläger zu 1 habe sie am 21. November 2014 angerufen und ihr gesagt, dass er geflohen sei (Bl. 76 BA). Diese widersprüchlichen Daten belegen, dass sich das Ereignis offenbar nicht ereignet hat, da sich den Klägern das Ereignis sowohl nach dem Datum (21. oder 22.) als auch nach dem Jahr (2014 oder 2015) nicht eingeprägt hat. Auf den Vorhalt hin erklärte die Klägerin zu 2, es handele sich um einen Schreibfehler. Dafür spricht aber nichts, da der Klägerin zu 2 beim Bundesamt die Niederschrift rückübersetzt wurde (Bl. 22 BA) und die Klägerin zu 2 die Möglichkeit gehabt hätte, die Niederschrift zu korrigieren.
Unglaubhaft sind auch die Ausführungen des Klägers zu 1 betreffend die angebliche Flucht aus dem Gefängnis. Beim Bundesamt trug er vor, 12 Gefangene hätten das Dach des Gefängnisses geöffnet. In der mündlichen Verhandlung trug er vor, sie hätten das Blechdach durchbrochen (Niederschrift, S. 3). Es ist nicht vorstellbar, dass in Äthiopien „politische Gefangene“ (Angabe des Klägers zu 1 beim Bundesamt, Bl. 67 BA) im Gefängnis derart wenig gesichert werden, dass sie zu zwölft das Blechdach des Gefängnisses durchbrechen und fliehen können. Dies ist völlig unwahrscheinlich, da gerade Äthiopien seine politischen Gefangenen gut bewachen wird.
Unglaubhaft sind auch die Vorgänge um die Geschichte mit der angeschossenen Person. Der Kläger zu 1 trug vor, die verletzte Person ins Krankenhaus gebracht zu haben. Dort seien „Leute“ gekommen, die gesagt hätten, er helfe der ABO. Es ist nicht nachvollziehbar, welche Leute ins Krankenhaus gekommen seien und warum dem Kläger zu 1 allein wegen des Verbringens eines Verletzten ins Krankenhaus die Unterstützung der ABO hätte vorgeworfen werden sollen. Außerdem erschließt sich nicht, wie die „Leute“ hätten wissen sollen, dass der Kläger zu 1 einen Verletzten ins Krankenhaus gebracht hat. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, dass man wegen einer derartigen Geschichte den Kläger ein Jahr später wieder verdächtigt, zumal er angeblich deshalb drei Monate inhaftiert war.
Das Vorbringen der Klägerin zu 2, sie sei im Gefängnis vergewaltigt worden, stellt auch in Äthiopien eine Straftat dar, die auf Anzeige von der Polizei ermittelt und von den Gerichten abgeurteilt wird. Es wäre der Klägerin zu 2 zuzumuten gewesen, die Tat anzuzeigen. Asylrechtlich ist die Straftat irrelevant.
Das weitere Vorbringen der Klägerin zu 2, ihre Familie habe Probleme mit der Regierung gehabt (Bl. 75 BA), ist bereits deshalb asylrechtlich irrelevant, weil es an der Kausalität zwischen der Ausreise und diesen angeblichen Problemen fehlt.
Insgesamt haben die Kläger einen Sachverhalt zu ihrer behaupteten Verfolgung vorgetragen, der entweder asylrechtlich irrelevant ist oder aber unglaubwürdig ist. Das Gericht geht davon aus, dass sich die Kläger eine Geschichte zurechtgelegt haben, um ihre Ausreise – wohl aus wirtschaftlichen Gründen – zu rechtfertigen und sich ein Bleiberecht zu sichern.
Die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für die Kläger in Äthiopien (Lagebericht v. 6.3.2017, IV).
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten der Kläger ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – auch nach den Angaben der Kläger – nicht ersichtlich, dass ihnen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG; § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.) drohen könnte.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Bei den Klägern ist auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Die Kläger können keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie bei ihrer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wären, dass sie im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würden (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001, InfAuslR 2002, 52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. 7.9 Menschen sind auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen (La gebericht vom 6. 3. 2017, IV.1.1.). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Es sind keine Fälle bekannt, dass zurückgekehrte Äthiopier (56 Äthiopier sind aufgrund eines Rückführungsabkommens mit Norwegen freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt) Benachteiligungen oder gar Festnahmen oder Misshandlungen ausgesetzt gewesen wären (Lagebericht, IV.2.). Nach dem Lagebericht (IV.1.1.) besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe mit einem Volumen von 948 Mio. USD.
Es ist für die Kläger sicher nicht leicht, in Äthiopien wieder Fuß zu fassen. Der Kläger zu 1 hat aber in Äthiopien bis zur 5. Klasse die Schule besucht (Bl. 66 BA), die Klägerin zu 2 bis zur 4. Klasse (Bl. 75 BA). Im Bundesgebiet werden sie etwas Deutsch lernen können, so dass ihnen als Rückkehrer ein Neustart in einem einfachen Beruf gelingen kann. Im Übrigen hat der Kläger zu 1 nach eigenen Angaben in Äthiopien eine Schwester und einen Bruder (Bl. 66 BA), die Klägerin zu 2 drei Brüder, eine Schwester, Onkel und Tanten (Bl. 75 BA), die ihnen in der Anfangszeit helfen können.
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die Kläger besitzen keine Aufenthaltsgenehmigung und sind auch nicht als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt.
Soweit sich die Kläger mit ihrer Klage gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate wenden, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist von den Klägern weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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