Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Wirksamkeit der Rücknahme eines Asylantrags

Aktenzeichen  M 2 S 17.47016

Datum:
13.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 32 Satz 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 u Abs. 7

 

Leitsatz

1 Wird die Rücknahme des Asylantrags zur Niederschrift erklärt, ohne dass der Asylbewerber für einen Sprachmittler gesorgt hätte (vgl. § 17 Abs. 2 AsylG), so ist ein solcher regelmäßig in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 AsylG von Amts wegen hinzuzuziehen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Anfechtung der Rücknahme eines Asylantrags ist aus Gründen der Rechtssicherheit grds. ebenso wenig möglich wie eine Anfechtung der Rücknahme der Asylklage. (redaktioneller Leitsatz)
3 Für einen Mann im erwerbsfähigen Alter ist es möglich, in Albanien eine zumindest existenzsichernde Grundversorgung auf bescheidenem, landesangemessenem Niveau für sich zu erzielen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist albanischer Staatsangehöriger. Eigenen Angaben zufolge reiste er am 24. Juli 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein; er stellte hier am 31. Juli 2017 einen Asylantrag, den er am gleichen Tag wieder zugenommen hat.
Mit Bescheid vom 1. August 2017, dem Antragsteller zugestellt am 3. August 2017, stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) das Asylverfahren ein (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Albanien oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Der Antragsteller erhob zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 17. August 2017 Klage, die dort unter M 2 K 17.47015 anhängig ist, und beantragt dabei sinngemäß, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 1. August 2017 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen. Über die Klage wurde bislang noch nicht entschieden. Zudem wird von ihm beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, er habe den Asylantrag zurückgenommen und unterschrieben, ohne zu wissen, was er unterschreibe.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten elektronisch vorgelegt; sie stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 17.47015 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
I.
Der statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 75 Abs. 1, § 38 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) hat in der Sache keinen Erfolg.
Das als Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 1. August 2017 auszulegende Rechtsschutzbegehren des Antragstellers hat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, sodass im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unter summarischer Prüfung der Rechtslage anzustellenden originären gerichtlichen Ermessenserwägungen bei Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzugs des streitbefangenen Bescheids hinter das öffentliche Vollzugsinteresse zurücktritt. Ist die Klage in der Hauptsache im Rahmen einer summarischen Prüfung nämlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos, kann der Antragsteller kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben.
Der Maßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, nach dem die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, ist dabei mangels eines entsprechenden Verweises auf diese Vorschrift in § 32, § 38 Abs. 2 AsylG nicht anwendbar.
II.
Das Bundesamt ist voraussichtlich zu Recht von einer wirksamen Rücknahme des Asylantrags in der schriftlichen Rücknahmeerklärung vom 31. Juli 2017 ausgegangen, sodass das Asylverfahren nach § 32 Satz 1 AsylVfG einzustellen (1.) und über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu entscheiden war (2.). Auch gegen die Verfügung der einwöchige Ausreisefrist unter Androhung der Abschiebung bestehen keine Bedenken (3.).
1. Nach § 32 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt im Fall der Antragsrücknahme fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Für die Antragsrücknahme bestehen anders als für die Antragstellung (vgl. § 14 AsylG) keine Formvorschriften. Allerdings dürfte wohl regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Rücknahmeerklärung in der gleichen Form wie die Antragstellung nach § 14 AsylG zu erfolgen hat, die Rücknahme also grundsätzlich schriftlich oder zur Niederschrift erfolgen muss. Die Rücknahme kann dabei insbesondere zur Niederschrift des Bundesamts erklärt werden. Wird die Rücknahme zur Niederschrift erklärt, ohne dass der Asylbewerber seinerseits für einen Sprachmittler gesorgt hätte (vgl. § 17 Abs. 2 AsylG), so ist ein solcher regelmäßig in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 AsylG von Amts wegen hinzuzuziehen (Hailbronner, Ausländerrecht, § 32 AsylG Rn. 15).
Eine Anfechtung der Rücknahme eines Asylantrags ist aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich ebenso wenig möglich wie eine Anfechtung der Rücknahme der Asylklage. Ausnahmen sind in Einzelfällen allenfalls bei arglistiger Täuschung, bei Drohung oder unzulässigem Druck, bei unzutreffender Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt oder die Ausländerbehörde, beim Vorliegen von Wiederaufnahmegründen und im Fall eines offensichtlichen Versehens anzuerkennen (vgl. z.B. VG München, U.v. 22.10.2015 – M 17 K 15.30887 – juris Rn. 39).
Dies zugrunde gelegt, ergibt sich vorliegend Folgendes: Der Antragsteller hat durch das Unterschreiben der formularmäßigen Erklärung am 31. Juli 2017 eine schriftliche Rücknahmeerklärung gegenüber dem Bundesamt abgegeben, die damit wirksam geworden ist. Insbesondere erfolgte die Abgabe der Rücknahmeerklärung auch unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für Albanisch (vgl. Blatt 52 der Akten). Diese Erklärung hat der Antragsteller nicht wirksam angefochten, denn er hat keine Tatsachen vorgetragen oder gar glaubhaft gemacht, die im Sinne des Vorstehenden Tatbestandsvoraussetzung für das ausnahmsweise Vorliegen von Anfechtungsgründen sein könnten. Vielmehr erschöpft sich der Vortrag des Antragstellers in der bloßen Behauptung, nicht gewusst zu haben, was er unterschrieben habe, allerdings ohne auch nur ansatzweise zu schildern, unter welchen Umständen er die abgegebene Erklärung unterzeichnet hat und wie es dazu gekommen ist bzw. aus welchem Grund er von einem beachtlichen Grund für eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit seiner Rücknahmeerklärung ausgehe. Gerade vor dem Hintergrund des Umstands, dass der Antragsteller die Erklärung unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für Albanisch schriftlich abgegeben hat, ist nach Aktenlage auch nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller mehr als einem – unbeachtlichen – Motivirrtum unterlegen sein könnte.
2. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass sich für den Antragsteller in Albanien weder mit Blick auf die dortige allgemeine wirtschaftliche, soziale und humanitäre Situation noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine im Rahmen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Abschiebungsschutz relevante Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung ergeben wird. Der Antragsteller hat hierzu auch nichts vorgetragen.
Allein wegen der Lebensbedingungen in Albanien vermag sich der Antragsteller weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse ist nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten, sodass auch nur dann die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sein können (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff.).
Das Gericht geht insbesondere im Lichte des aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes (AA) im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland i.S.d. § 29a AsylG vom 20. Oktober 2017, nicht davon aus, dass dem Antragsteller in Albanien eine Existenzgrundlage gänzlich fehlen wird und er dort im Sinne eines außergewöhnlichen Einzelfalls eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erwarten muss. Die Lebensbedingungen sind in Albanien grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRGK aufweisen (vgl. aktuell z.B. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375). Dies gilt auch im Fall des Antragstellers. Für den Antragsteller als Mann im erwerbsfähigen Alter ist nicht ersichtlich, wieso er nicht in der Lage sein sollte, „durch seiner Hände Arbeit“ in Albanien eine zumindest existenzsichernde Grundversorgung auf bescheidenem, landesangemessenem Niveau für sich zu erzielen. Der albanische Staat gewährt bedürftigen Staatsangehörigen im Inland zudem Sozialhilfe und Sozialdienstleistungen, falls kein oder nur ein geringes Einkommen vorhanden ist (vgl. Bericht des AA, aaO S. 13). Dazu kommt, dass in Albanien Grundnahrungsmittel, in erster Linie Brot, subventioniert werden und sich eine Vielzahl von lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen im sozialen Bereich engagieren (vgl. Bericht des AA, aaO S. 13). Damit ist auch für den Antragsteller in jedem Fall die Grundversorgung ausreichend gesichert. Das Gericht verkennt nicht, dass sich das Leben in Albanien für den Antragsteller jedenfalls zunächst durchaus als schwierig und hart erweisen kann. Die asylrechtlich sehr hohen Voraussetzungen, unter denen eine wirtschaftlich schlechte Lage im besonderen Einzelfall ausnahmsweise zu einem nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen kann, sind jedoch im Fall des Antragstellers zur Überzeugung des Gerichts voraussichtlich nicht erfüllt.
3. Es begegnet sonach auch keine Bedenken, dass das Bundesamt dem Antragsteller im streitbefangenen Bescheid unter Androhung der Abschiebung eine einwöchige Ausreisefrist gesetzt hat. Dies folgt aus § 34, § 38 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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