Verwaltungsrecht

Anhörungsrüge gegen eine Beschwerdeentscheidung, versammlungsrechtliche Beschränkungen

Aktenzeichen  10 CS 21.1299

Datum:
15.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44429
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Anhörungsrüge der Antragstellerin richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 19. April 2021 (10 CS 21.1135), mit dem dieser auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hinsichtlich einer versammlungsrechtlichen Beschränkung – in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung – abgelehnt hat.
Der Anhörungsrüge, die am 3. Mai 2021 erhoben worden ist, fehlt nach Ansicht des Senats bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Denn wäre die Anhörungsrüge erfolgreich, wäre das Verfahren fortzusetzen; das Verfahren wäre in die Lage zurückzuversetzen, in der es sich zu dem Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, befand (§ 152a Abs. 5 VwGO). Daraus könnte die Antragstellerin aber keinerlei rechtlichen Vorteil gewinnen. Die Versammlung, die von der streitgegenständlichen versammlungsrechtlichen Beschränkung betroffen war, hat am 19. April 2021 stattgefunden; eine nachträgliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung wäre bei einem infolge Zeitablauf erledigten Verwaltungsakt (s. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG) nicht mehr möglich und ein entsprechender Eilantrag demgemäß unstatthaft.
Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO aber auch nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof mit der angegriffenen Entscheidung den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, B.v. 28.2.2021 – 10 CS 21.604 – juris Rn. 3).
Gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO ist das Vorliegen der in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen, also eine entscheidungserhebliche Verletzung des Gehörsanspruchs, darzulegen. Soweit der Betroffene wie hier im Wesentlichen die Nichtberücksichtigung seines Sachvortrags rügt, muss er sein tatsächliches (oder rechtliches) Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat (Kaufmann in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 152a Rn. 12; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 152a Rn. 26.; BayVGH, B.v. 28.2.2021 – 10 CS 21.604 – juris Rn. 3).
Die Antragstellerin rügt pauschal, der Verwaltungsgerichtshof sei weder in der Zusammenfassung in Ziffer I. des Beschlusses noch in der Begründung in Ziffer II. auf ihre Stellungnahme vom 19. April 2021 eingegangen. Damit hat sie aber eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise nicht hinreichend dargelegt; eine solche Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch nicht vor.
Dass der Senat den Schriftsatz der Antragstellerin in Teil I. der Gründe des Beschlusses nicht ausführlich referiert, sondern nur mit einem Satz erwähnt hat (BA Rn. 10) – wie übrigens auch den Schriftsatz des Vertreters des öffentlichen Interesses -, lässt nicht den Schluss zu, dass der Schriftsatz nicht zur Kenntnis genommen worden sei. Es liegt auf der Hand, dass angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit (Eingang der Beschwerde etwa vier Stunden vor dem vorgesehenen Beginn der Versammlung) die Wiedergabe des Sach- und Streitstands nur in gedrängter Form erfolgen konnte.
Auch trifft es nicht zu, dass der Senat den Inhalt des Schriftsatzes der Antragstellerin nicht in seine Erwägungen mit einbezogen hat. Die zentrale Frage des Rechtsstreits war, ob die Anordnung einer sog. „Visierpflicht“ (für Personen, die von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung befreit sind) ermessensgerecht und verhältnismäßig war. Mit dieser Frage befasste sich auch der Schriftsatz der Antragstellerin. Der Senat hat seine tragenden Erwägungen zu diesem Streitpunkt und zu den Gründen, die ihn dazu veranlasst haben, der Beschwerde stattzugeben, dargelegt (BA Rn. 16-22). Vorbringen der Antragstellerin wurde ausdrücklich in Rn. 22 des Beschlusses gewürdigt, im Übrigen in die Erwägungen einbezogen. Das Recht auf rechtliches Gehör umfasst nicht die Pflicht des Gerichts, sich in den Gründen der Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen (stRspr, vgl. die Nachweise bei Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 124 Rn. 91.1). Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – nur kurze Zeit bleibt, um mit der Entscheidung, deren schriftlicher Abfassung und deren rechtzeitiger Bekanntgabe dem Anspruch der Beteiligten auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) gerecht zu werden. Der Senat musste, um rechtzeitig eine Entscheidung bekanntgeben zu können, seine wesentlichen Erwägungen in gedrängter Form abfassen.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin liegt somit nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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