Verwaltungsrecht

Anhörungsrüge, keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dargelegt, keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit

Aktenzeichen  W 6 K 21.362

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15362
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der Kläger wendet sich im Wege der Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Gerichts vom 19. Februar 2021 im Verfahren W 6 K 21.125, mit welchem das Verfahren eingestellt und dem Kläger die Kosten auferlegt wurden.
I.
Am 13. Oktober 2020 stellte der Kläger beim Landratsamt W. einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Nachdem keine Reaktion erfolgte, ließ der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 21. Januar 2021 um kurzfristige Entscheidung oder um eine Mitteilung bitten, damit eine Untätigkeitsklage erhoben werden könne. Am 27. Januar 2021 ließ der Kläger Klage erheben (Az.: W 6 K 21.125), mit dem Ziel, ihm die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit Schreiben vom 26. Januar 2021, dem Bevollmächtigten des Klägers am 28. Januar 2021 zugegangen, forderte das Landratsamt W. den Kläger zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 3. bzw. 11. Februar 2021 das Verfahren für erledigt.
Das Verfahren wurde mit Beschluss des Gerichts vom 19. Februar 2021 eingestellt und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zur Begründung der Kostentragungspflicht wurde ausgeführt, dass die Klage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses schon unzulässig gewesen sei, da die Voraussetzungen für eine Untätigkeit der Verwaltung im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO nicht vorgelegen hätten. Die Drei-Monats-Frist des § 75 Satz 2 VwGO sei noch nicht abgelaufen gewesen, da erkennbar gewesen sei, dass sich der Kläger vor Erteilung der Fahrerlaubnis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen müsse, zu dessen Beibringung ihn die Behörde auffordern müsse.
Hiergegen wandte sich der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 12. März 2021 und erhob eine Anhörungsrüge mit dem Antrag,
das Verfahren fortzusetzen.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei entscheidungserheblich verletzt worden, die Entscheidung des Gerichts sei für den Kläger überraschend gekommen. Hätte das Gericht darauf hingewiesen, dass vorliegend keine ausreichende Frist vorliege, hätte der Kläger noch zu den Hintergründen umfangreich vorgetragen. Auf den Schriftsatz vom 12. März 2021 wird Bezug genommen.
Der Beklagter beantragte,
die Anhörungsrüge zurückzuweisen.
Der Bevollmächtigte nahm mit Schriftsatz vom 12. April 2021 erneut in der Sache Stellung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 K 21.125, verwiesen.
II.
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.
1. Die Anhörungsrüge richtet sich ausweislich ihrer Begründung gegen die Kostenentscheidung in Ziffer II des Beschlusses vom 19. Februar 2021 im Verfahren W 6 K 21.125. Zwar zitiert der Bevollmächtigte die Vorschrift des § 321a ZPO, welche im Verwaltungsprozess nicht anwendbar ist. Jedoch ist klar erkennbar, dass das klägerische Begehr auf § 152a VwGO zielt, da er die Verletzung von rechtlichem Gehör in Zusammenhang mit einer Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf nicht mehr gegeben ist, geltend macht.
Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO ist das Gericht in der Besetzung der Ausgangsentscheidung zuständig, so dass hier die Berichterstatterin entscheidet, weil auch die mit der Anhörungsrüge angegriffene Entscheidung gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 3 VwGO durch die Berichterstatterin ergingt (Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 152a Rn. 38; OVG Sachsen, B.v. 22.2.2016 – 3 A 22/16 – juris Rn. 1 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 22 CS 15.1055 – juris Rn. 4).
2. Die Anhörungsrüge des Klägers ist unbegründet, weil er die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO (entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) nicht im Sinn des § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO dargelegt hat. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht, dass das Gericht beim Erlass der angegriffenen Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO in Ziffer II des Beschlusses vom 19. Februar 2021 eine mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbare Überraschungsentscheidung getroffen hat.
Derartige Überraschungsentscheidungen liegen vor, wenn eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf Gesichtspunkte gestützt wird, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste (BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 14.7.1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218/263). Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 996/91 – juris Rn. 35). Er verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 39; U.v. 8.7.1997 – 1 BvR 1621/94 – juris Rn. 43; BayVGH, B.v. 29.2.2012 – 10 ZB 11.1629 – juris Rn. 2). Art. 103 Abs. 1 GG ist dabei allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Des Weiteren muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (st.Rspr., vgl. etwa BVerwG, B.v. 08.4.2004 – 1 B 199.03 – juris). Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensbeteiligten bei umstrittener Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen müssen. Das Gericht ist insofern nicht zu besonderen Hinweisen verpflichtet (BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 22 CS 14.1933 – Rn. 5 m.w.N.). Dementsprechend ist die Anhörungsrüge auch kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 u.a. – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 3.12.2012 – 10 ZB 12.1857 – juris Rn. 8).
Nach diesen Maßstäben verletzt der Beschluss des Gerichts vom 19. Februar 2021 den Kläger nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
Der Kläger trägt vor, dass kein Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO zu der beabsichtigten Entscheidung erteilt wurde und wenn das Gericht darauf hingewiesen hätte, dass vorliegend keine angemessene Frist im Sinne von § 75 VwGO angenommen werde, der Kläger diesbezüglich weiter umfassend vorgetragen hätte, um darzulegen, weshalb im vorliegenden Einzelfall der Ablauf der Frist des § 75 Satz 2 VwGO zu bejahen sei. In der Sache macht er damit geltend, die Kostenentscheidung stelle eine Überraschungsentscheidung dar, weil der Kläger nicht damit habe rechnen müssen, dass ihm die Kostentragungspflicht auferlegt wird.
Damit argumentiert der Kläger jedoch an der prozessualen Situation vorbei. Kurz nach Klageerhebung wurde dem Kläger die Gutachtensanordnung durch die Behörde übermittelt, woraufhin der Kläger sogleich – ohne, dass zuvor eine gerichtliche Aufforderung ergangen wäre – die Klage für erledigt erklären ließ. Mit Zustimmung zur Erledigung durch die Beklagte war das Hauptsacheverfahren damit beendet und in rechtsähnlicher Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO war nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes lediglich über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Nachdem eine Verpflichtung des Gerichts, allein im Hinblick auf die noch offene Kostenentscheidung ansonsten erforderliche Feststellungen zu treffen, Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären, nicht besteht, ist weder ersichtlich noch wurde es dargelegt, weshalb das Gericht zu Hinweisen an die Beteiligten veranlasst gewesen wäre – ungeachtet der Tatsache, dass § 139 ZPO im Verwaltungsprozess keine Anwendung findet. Nachdem es sich bei § 75 VwGO um eine Sachurteilsvoraussetzung dahingehend handelt, ob die Behörde innerhalb angemessener Frist und ohne Vorliegen eines zureichenden Grundes sachlich nicht entschieden hat, kann es für die Beurteilung ihres Vorliegens auch nicht auf subjektive Umstände in der Sphäre des Klägers ankommen. Soweit umfangreiche Ausführungen zur – aus Sicht des Klägers zu bejahenden – Zulässigkeit der ursprünglichen Klage im Verfahren W 6 K 21.125 gemacht werden, rügt der Kläger damit die inhaltliche Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung. Das Anhörungsrügeverfahren dient aber nicht dazu, die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung überprüfen zu lassen.
Abgesehen davon hat das Gericht bei der Ermessenerwägung hinsichtlich der Kostentragungspflicht zusätzlich darauf abgestellt, dass der Kläger die Erledigung durch sein Verhalten verursacht hatte. In dem Schreiben vom 21. Januar 2021 (Aufforderung an die Behörde) wurde eine konkrete Frist nicht gesetzt. Daraufhin hat die Behörde mit Schreiben vom 26. Januar 2021 die geforderte Gutachtensaufforderung erlassen, welche dem Bevollmächtigten des Klägers am 28. Januar 2021 zugegangen ist, und damit die begehrte Verfahrenshandlung vorgenommen. Unter Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte sich die Möglichkeit aufdrängen müssen, dass die Behörde auf das Schreiben vom 21. Januar 2021 tätig wird. Wenn sehr kurze Zeit später Klage erhoben wird (hier: 27.1.2021), ohne dass eine zuvor gesetzte Frist abgelaufen oder ein vertretbarer Zeitraum verstrichen ist (jedenfalls länger als – wie hier – 6 Tage), muss mit dem Risiko von überschneidenden Ereignissen und einer eventuellen Unzulässigkeit der erhobenen Klage gerechnet werden. Dies muss sich der Kläger vorliegend zurechnen lassen, was im Rahmen der Ermessensentscheidung der Kostentragungspflicht einbezogen werden konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
2. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.


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