Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Aktenzeichen  M 13 S 17.45124, M 13 K 17.44918

Datum:
12.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 54540
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36 Abs. 3, § 63 Abs. 1 S. 1, § 71a Abs. 4 S. 2, § 74
VwGO § 58 Abs. 2 S.1, § 60, § 80 Abs. 5, § 173 S. 1
ZPO § 85 Abs. 2, § 114, § 180
AufenthG § 60a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 wird abgelehnt.
Die Antrags- bzw. Klagepartei hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. … wird für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 13 S 17.45124) und für das Hauptsacheverfahren (M 13 K 17.44918) abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antrags- bzw. Klagepartei begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2017 sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Die Antrags- bzw. Klagepartei hat nach eigenen Angaben die kongolesische Staatsangehörigkeit (Bl. 8, 36, 42, 75 BA). Ebenfalls nach eigenen Angaben reiste sie am 4. September 2016 aus der Schweiz kommend mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland ein (Bl. 25, 79 BA).
Am 15. September 2016 stellte die Antrags- bzw. Klagepartei einen Asylantrag in der Bunderepublik Deutschland (Bl. 8 BA). In diesem Zusammenhang gab sie an, in der Schweiz einen Asylantrag gestellt zu haben (Bl. 26 BA). Am selben Tag wurde der Antrags- bzw. Klagepartei eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung ausgestellt und ausgehändigt (Bl. 6 BA).
Am 27. September 2016 wurde die Antrags- bzw. Klagepartei beim Bundesamt angehört (Bl. 41 ff. BA). Die Antrags- bzw. Klagepartei trug dabei u.a. vor, auch in Spanien einen Asylantrag gestellt zu haben, der – ebenso wie der in der Schweiz gestellte Asylantrag – abgelehnt worden sei (Bl. 43, 55 BA).
Eine Anfrage nach Art. 34 der Dublin-III-Verordnung (Bl. 88 f. BA) ergab, dass die Antrags- bzw. Klagepartei am 8. Juli 2013 in der Schweiz einen Asylantrag gestellt hat, der am 13. Juli 2016 abgelehnt worden ist (Bl. 94 ff. BA).
Vor dem Hintergrund der ungeklärten Identität der Antrags- bzw. Klagepartei, die keinerlei Identitätsnachweise vorgelegt hat, ging das Bundesamt aufgrund der Angaben der Antrags- bzw. Klagepartei zu ihren Eltern und ihren Aufenthaltsorten sowie ihrer Sprachkenntnisse ab 26. April 2017 davon aus, dass die Antrags- bzw. Klagepartei die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzt (Bl. 105 ff. BA).
Mit Schreiben vom 8. Mai 2017 informierte das Bundesamt die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern darüber, dass der in Deutschland gestellte Asylantrag der Antrags- bzw. Klagepartei als Zweitantrag gemäß § 71a AsylG gewertet werde. Es wurde gebeten, die Aufenthaltsgestattung der Antrags- bzw. Klagepartei gemäß § 71a Abs. 3 AsylG umgehend einzuziehen (Bl. 109 BA).
Mit Bescheid vom 31. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antrags- bzw. Klagepartei als unzulässig ab (Ziffer 1.) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2.). Die Antrags- bzw. Klagepartei wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Für den Fall, dass sie die Ausreisefrist nicht einhält, wurde ihr die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 3.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4.).
Der Bescheid wurde mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen (Bl. 135 BA, Bl. 21 Akte des Verfahrens M 13 K 17.44918) und der Antrags- bzw. Klagepartei laut Postzustellungsurkunde am Donnerstag, den 1. Juni 2017, durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt (Bl. 156 BA).
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2017, vorab per Telefax eingegangen am selben Tag, im Original am 26. Juni 2017, erhob die Antrags- bzw. Klagepartei durch ihre Verfahrensbevollmächtigten Klage (M 13 K 17.44918) gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 und beantragte,
1.Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
2.die Antragsgegnerin bzw. Beklagte zu verpflichten, der Antrags- bzw. Klagepartei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass sie die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes erfüllt, hilfsweise festzustellen, dass für sie Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG bestehen, hilfsweise, über den Asylantrag der Antrags- bzw. Klagepartei in der Sache zu entscheiden, hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben bzw. kürzer zu befristen, und
3.den Bescheid der Antragsgegnerin bzw. Beklagten vom 31. Mai 2017 aufzuheben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.
Gleichzeitig wurde beantragt,
der Antrags- bzw. Klagepartei Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt Dr. … beizuordnen.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde vorgetragen, dass die Verfahrensbevollmächtigten am 24. Mai 2017von der Antrags- bzw. Klagepartei mandatiert worden seien, da ihr am 15. Mai 2017 eine Duldung ausgestellt worden sei (Kopie der Bescheinigung über die Duldung zur Glaubhaftmachung vorgelegt). Die Antrags- bzw. Klagepartei habe bis dahin jedoch noch keinen Bescheid des Bundesamtes erhalten. Aufgrund der Duldung seien die Verfahrensbevollmächtigten berechtigt davon ausgegangen, dass das Asylverfahren der Antrags- bzw. Klagepartei bereits rechts- bzw. bestandskräftig beendet sei, weshalb das Landratsamt … mit Schreiben vom 24. Mai 2017 (zur Glaubhaftmachung vorgelegt) gebeten worden sei, den Verfahrensbevollmächtigten den Bescheid des Bundesamtes vorzulegen. Die Mandatierung sei, da in Anbetracht der Duldung vom Ende des Asylverfahrens habe ausgegangen werden können, dem Bundesamt nachvollziehbar nicht mehr mitgeteilt worden. Aus Sicht der Kanzlei sei der Status der Antrags- bzw. Klagepartei zum Zeitpunkt der Mandatierung bereits geklärt gewesen, da bereits das Landratsamt … tätig geworden sei. Tatsächlich sei der Bescheid des Bundesamtes aber erst am 31. Mai 2017 erlassen und der Kanzlei am 16. Juni 2017 seitens der Antrags- bzw. Klagepartei zugestellt worden (entsprechendes Telefax zur Glaubhaftmachung vorgelegt). Wegen der Mandatierung und der Abschrift des Schreibens an das Landratsamt … habe die Antrags- bzw. Klagepartei davon ausgehen dürfen, dass der Bescheid des Bundesamtes auch an die Kanzlei zugestellt worden sei. Dass dies nicht geschehen sei, sei der der Antrags- bzw. Klagepartei bereits vor Abschluss des Asylverfahrens ausgestellten Duldung zuzuschreiben, die dafür gesorgt habe, dass die Verfahrensbevollmächtigten berechtigt nur noch dem Landratsamt …, nicht dagegen auch dem Bundesamt ihre Vertretung angezeigt hätten. Aufgrund dieser nun vorherrschenden Konfusion durch den Duldungsstatus der Antrags- bzw. Klagepartei werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da kein Verschulden der Antrags- bzw. Klagepartei oder ihrer Bevollmächtigten bei Versäumung der Frist vorliege.
Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2017, vorab per Telefax eingegangen am selben Tag, im Original am 4. Juli 2017, beantragte die Antrags- bzw. Klagepartei,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Dieses Eilverfahren trägt das Aktenzeichen M 13 S 17.45124.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Hauptsacheverfahren wurde nicht explizit auch auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erstreckt. Ebenso wenig wurde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein expliziter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Die Antragsgegnerin bzw. Beklagte übermittelte die Behördenakte, äußerte sich aber nicht zur Sache.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten der Verfahren M 13 K 17.44918 und M 13 S 17.45124 sowie die elektronisch übermittelte Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
1. Die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ergeht gem. § 76 Abs. 4 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Dieser Antrag hat, auch wenn er sachgerecht (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO) nur als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 gerichteten Klage, soweit sie sich gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) richtet, ausgelegt wird (vgl. VG Lüneburg, B.v. 9.2.2018 – 1 B 2/18 – juris Rn. 2; VG München, B.v. 28.2.2018 – M 16 S 17.47946 – juris Rn. 13), keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
a) Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht innerhalb der einwöchigen Antragsfrist gemäß § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG bei Gericht eingegangen. Der Antrags- bzw. Klagepartei wurde der Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 ausweislich der Postzustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten am 1. Juni 2017 zugestellt und damit bekanntgegeben (§ 41 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 3 VwZG i.V.m. § 180 ZPO). Dem Bescheid war eine korrekte Rechtsbehelfsbelehrung:und der Hinweis nach § 36 Abs. 3 Satz 2, Satz 1 Hs. 1 AsylG beigefügt. Dass nicht auch auf § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 AsylG hingewiesen wurde, macht die Rechtsbehelfsbelehrung:angesichts der „Soll-Formulierung“ der Regelung nicht unrichtig im Sinne von § 36 Abs. 3 Satz 3 AsylG i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (vgl. Pietzsch, in: BeckOK Ausländerrecht, § 36 AsylVfG, Rn 13 m.w.N. ). Damit begann die Wochenfrist gemäß § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG am 2. Juni 2017 um 0 Uhr und endete am Donnerstag, den 8. Juni 2017, um 24 Uhr (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Der am 29. Juni 2017 eingegangene Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war damit verspätet.
b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt vorliegend nicht in Betracht, da das Fristversäumnis nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht unverschuldet ist.
aa) Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 VwGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag sind nach § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist gem. § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die versäumte Rechthandlung nachzuholen. Sofern dies – wie vorliegend in Form der Stellung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes – geschehen ist, kann die Wiedereinsetzung gem. § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Unkenntnis, Irrtum oder die unzureichende Beherrschung der deutschen Sprache können Hindernisse im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO sein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 60 Rn. 8).
(2) Verschuldet im Sinne des § 60 Absatz 1 VwGO ist ein Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene hinsichtlich der Wahrung der Frist nicht diejenige Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten ist (vgl. BVerwG, B.v. 23.2.1996 – 8 B 28/96 – juris Rn. 1 m.w.N.). Bei einem Rechtsanwalt sind insoweit grundsätzlich höhere Anforderungen zu stellen als bei einem juristischen Laien (vgl. HessVGH, B.v. 17.7.1992 – 9 TP 930/92 – juris Rn. 7 unter Verweis auf BVerwGE 49, 255; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 60 Rn. 9). Auch bei einem Ausländer, der eine Frist versäumt, beurteilt sich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand danach, ob ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat. Dabei sind seine Sprachschwierigkeiten zu berücksichtigen. Versäumt ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer eine Rechtsmittelfrist, so verbieten es die Rechtsschutzgarantien der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG die Versäumung dieser Frist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen des Ausländers beruht, als nicht unverschuldet im Sinne des Rechts auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen. Unzureichende Sprachkenntnisse entheben den Ausländer allerdings nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte (BVerfG, B.v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91 – juris Rn. 20). Ist der gesamte Aufenthalt eines Asylbewerbers auf den Asylbescheid hin orientiert, ist es ihm zuzumuten, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden. Ein Asylbewerber muss damit rechnen, dass das amtliche Schreiben sein Verfahren betrifft und von großer Dringlichkeit ist. Es obliegt ihm, sich unverzüglich und mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung über den Inhalt des Schreibens zu bemühen (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91 – juris Rn. 23).
Rechtsunkenntnis vermag ein Fristversäumnis grundsätzlich nicht zu entschuldigen. Der Betroffene muss sich vielmehr in geeigneter, zuverlässiger Weise informieren. Eine juristisch nicht vorgebildete Person muss sich bei ihr nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter Weise juristischen Rat holen (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.1989 – 4 CB 24/88 – juris Rn. 4). Hat der Betroffene sich in derartigen Fällen bei einer Person erkundigt, auf deren Sachkunde er vertrauen durfte (vgl. BayVGH, U.v. 11.9.1990 – 22 B 88.3013 – juris Leitsatz), liegt bei einer falschen Auskunft kein Verschulden des Betroffenen vor. Allerdings ist ihm ein Verschulden der Auskunftsperson unter den Voraussetzungen des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
Ein Verschulden des Bevollmächtigten im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO ist im Rahmen von § 60 Abs. 1 VwGO ebenso beachtlich wie eigenes Verschulden des Betroffenen. Dies gilt auch in Asylsachen (vgl. BVerfG, B.v. 20.4.1982 – 2 BvL 26/81 – juris Leitsatz 2 und Rn. 48 ff.). Verschulden des Bevollmächtigten ist gegeben, wenn dieser die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts nicht angewandt hat (vgl. BGH, U.v. 22.11.1984 – VII ZR 160/84 – juris Rn. 8). Diese gebietet es u.a., sich über die Grundzüge des das jeweilige Mandat betreffenden Rechtsbereichs, der insoweit einschlägigen Rechtsbehelfe und der hierfür geltenden Fristen durch Lektüre des Gesetzestextes und gegebenenfalls der einschlägigen Rechtsprechung, (Kommentar-)Literatur und/oder Fachzeitschriften Kenntnis zu verschaffen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.9.2010 – 7 A 343/10 – juris Rn. 7 ff.)
bb) Vorliegend kann dahinstehen, ob der Antrags- bzw. Klagepartei hinsichtlich des Versäumnisses der Antragsfrist gemäß § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG ein eigenes Verschulden angelastet werden kann oder sie – entsprechend dem Vortrag ihrer Verfahrensbevollmächtigten – durch die Mandatierung der Verfahrensbevollmächtigten, die sogleich den den Asylantrag der Antrags- bzw. Klagepartei betreffenden Bescheid des Bundesamtes beim Landratsamt … anforderten, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten gebotenen und ihm zumutbaren Bemühungen unternommen hat, um die Frist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG zu wahren. Denn jedenfalls trifft die Verfahrensbevollmächtigten der Antrags- bzw. Klagepartei im Hinblick auf das Fristversäumnis ein Verschuldensvorwurf, der der Antrags- bzw. Klagepartei gem. § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zugerechnet wird.
Die Verfahrensbevollmächtigten der Antrags- bzw. Klagepartei durften aus der der Antrags- bzw. Klagepartei am 15. Mai 2017 vom Landratsamt … ausgestellten und ausgehändigten Bescheinigung über eine Duldung nicht berechtigterweise, d.h. nicht automatisch schließen, dass das Asylverfahren der Antrags- bzw. Klagepartei bereits rechts- bzw. bestandskräftig beendet und daher die Anzeige der Vertretung beim Bundesamt im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG nicht mehr geboten sei, um sicherzustellen, dass (Rechtsbehelfs-)Fristen im asylrechtlichen Verfahren der Antrags- bzw. Klagepartei gewahrt werden können.
(1) Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Abs. 1 AsylG gestattet ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AyslG), ihm insofern also ein gesetzliches Aufenthaltsrecht zusteht.
(2) Die Verfahrensbevollmächtigten der Antrags- bzw. Klagepartei unterlagen jedoch der Fehleinschätzung, dass eine bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung über einen Asylantrag der einzige Grund ist, aus dem eine Aufenthaltsgestattung im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlöschen bzw. nicht bestehen kann mit der Folge, dass die dem Ausländer ausgestellte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung gem. § 63 Abs. 4 AsylG eingezogen werden kann und in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht möglicherweise nur noch seine Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wird (= Duldung, vgl. § 60a AufenthG). Zum einen ergeben sich aus § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5a AsylG andere Gründe für das Erlöschen einer Aufenthaltsgestattung als die unanfechtbare Entscheidung des Bundesamtes (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG). Zum anderen gilt gemäß § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG der Aufenthalt eines Ausländers im Fall eines Zweitantrags im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG (jedenfalls zunächst) nur als geduldet. § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG enthält für den Fall, dass ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, eine Spezialregelung zu § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG, die vorsieht, dass dem jeweiligen (Zweit-)Antragsteller (jedenfalls zunächst) kein gesetzliches Aufenthaltsrecht im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG zusteht, sondern kraft Gesetzes lediglich seine Abschiebung als vorübergehend ausgesetzt gilt (vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, § 71a AsylG Rn. 6 ; Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 17). Erst die Entscheidung des Bundesamtes, dass trotz Vorliegens eines Zweitantrags gem. § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, zieht im Fall eines Zweitantrags im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG nach sich (Hadamitzky/Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 71a AsylG Rn. 5 ).
Dementsprechend hat das Landratsamt … vorliegend die der Antrags- bzw. Klagepartei ausgehändigte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung gemäß § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG, § 63 Abs. 4 AsylG analog eingezogen und ihr am 15. Mai 2017 gemäß § 71a Abs. 4 Satz 2, § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine Bescheinigung über die gesetzlich fingierte Duldung im Sinne von § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG ausgestellt und ausgehändigt. Denn das Bundesamt war bei der ihm obliegenden Prüfung des Asylantrags der Antrags- bzw. Klagepartei vom 15. September 2016 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antrag – an sich von Anfang an – als Zweitantrag im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG anzusehen ist. Deshalb hat es das Landratsamt … wegen der in diesem Fall (zunächst) bestehenden gesetzlichen Fiktion einer Duldung gem. § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG und des Nichtbestehens eines Aufenthaltsrechts im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG gebeten, die der Antrags- bzw. Klagepartei für den vorliegenden Fall eines Zweitantrags gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylG (jedenfalls bislang unberechtigt) erteilte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung gem. § 71a Abs. 3 AsylG, § 63 Abs. 4 AsylG analog einzuziehen.
(3) Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der aus der Existenz einer Duldung von den Verfahrensbevollmächtigten der Antrags- bzw. Klagepartei gezogene automatische Rückschluss auf einen bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens der Antrags- bzw. Klagepartei nicht berechtigt ist bzw. war und die Verfahrensbevollmächtigen der Antrags- bzw. Klagepartei insoweit einem Rechtsirrtum unterlagen. Da Rechtsunkenntnis ein Fristversäumnis grundsätzlich nicht zu entschuldigen vermag, Rechtsanwälten bezüglich der Wahrung von Fristen grundsätzlich höheren Sorgfaltsanforderungen unterliegen, sie sich durch Lektüre des Gesetzestextes und gegebenenfalls der einschlägigen Rechtsprechung, (Kommentar-)Literatur und/oder Fachzeitschriften Kenntnis der Grundzüge des das jeweilige Mandat betreffenden Rechtsbereichs, der insoweit einschlägigen Rechtsbehelfe und der hierfür geltenden Fristen verschaffen müssen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.9.2010 – 7 A 343/10 – juris Rn. 7 ff.) und die nach ihrem Wortlaut eindeutige Regelung des § 71a Abs. 3 AsylG zudem bereits seit dem Inkrafttreten der Norm im Jahr 2000 unverändert gilt (vgl. hierzu BFH, B.v. 10.4.2006 – VII S 9/06 – juris Rn. 5), ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antrags- bzw. Klagepartei bezüglich des vorliegenden Fristversäumnisses auch ein Verschuldensvorwurf im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO zu machen. Da nach bestehender Rechtslage eine Duldung unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne den bzw. vor dem bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss eines Asylverfahrens erteilt werden kann bzw. als erteilt gelten kann, hätte es die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts in der Situation, in der die Antrags- bzw. Klagepartei zwar eine (Bescheinigung über die) Duldung, aber keinen Bescheid vom Bundesamt erhalten hatte, geboten, nicht nur dem Landratsamt, sondern auch dem Bundesamt die Vertretung der Antrags- bzw. Klagepartei anzuzeigen mit der Folge, dass ein das Asylverfahren abschließender Bescheid unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG an die Verfahrensbevollmächtigen zuzustellen gewesen wäre, bzw. zumindest der Antrags- bzw. Klagepartei ausdrücklich zu empfehlen, sich im Fall des Erhalts eines Schreibens des Bundesamtes unverzüglich an die Verfahrensbevollmächtigten zu wenden, um sicherzustellen, dass gesetzliche Fristen im asylrechtlichen Verfahren eingehalten werden können. Aufgrund der verschuldeten Fehleinschätzung seiner Verfahrensbevollmächtigten kann eine Wiedereinsetzung der Antrags- bzw. Klagepartei in die versäumte Antragsfrist gem. § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 VwGO nicht gewährt werden Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
2. Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, der bei sachgerechter Auslegung gem. § 122 Abs. 1, § 88 VwGO auch als auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezogen auszulegen ist, ergeht, soweit er sich auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezieht, gem. § 76 Abs. 4 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Soweit er sich auf das Hauptsacheverfahren bezieht, ist gem. § 76 Abs. 1 AsylG ebenfalls die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung berufen. Der Hauptsacherechtsstreit wurde durch Beschluss der Kammer vom 11. September 2018 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Der Antrags- bzw. Klagepartei ist mit der Bestätigung des Klageeingangs Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben worden. Die Antragsgegnerin bzw. Beklagte hat in einer Generalerklärung vom 27. Juni 2017 auf die Anhörung vor Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter verzichtet.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. … ist sowohl für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 13 S 17.45124) als auch für das Hauptsacheverfahren (M 13 K 17.44918) abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet weder im Eilverfahren noch im Hauptsachverfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Wie vorstehend dargelegt, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 verfristet und daher unzulässig. Dasselbe gilt hinsichtlich der im Hauptsacheverfahren erhobenen Klage. Für deren Erhebung gilt gemäß § 74 Abs. 1 Hs. 2 i.V.m. § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG ebenfalls eine Frist von einer Woche ab Zustellung des Bescheids vom 31. Mai 2017. Diese Wochenfrist war, wie den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen ist, auch bei Erhebung der Klage am 20. Juni 2017 bereits verstrichen. Aus den ebenfalls vorstehend bereits erläuterten Gründen kann auch in diese Wochenfrist keine Wiedereinsetzung gewährt werden.
3. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar; dies gilt auch im Hinblick auf die Versagung von Prozesskostenhilfe (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.1992 – 24 C 92.32498 – juris Rn. 2).


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