Verwaltungsrecht

Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs bezüglich des Niederschlagswassers

Aktenzeichen  20 ZB 17.1681

Datum:
19.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7828
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 24 Abs. 1 Nr. 2
EWS § 5 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 6
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

1. Auch wenn es für einen Kläger nicht ganz einfach ist, die von der Beklagten ermittelten Beitragssätze der Entwässerungssatzung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, entbindet es ihn nicht davon, sich im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht selbst durch Akteneinsicht sachkundig zu machen, notfalls sogar mit Hilfe eines von ihm beauftragten Sachverständigen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Notwendigkeit einer Hebeanlage ist für die Einleitung von Abwasser in eine Entwässerungseinrichtung nur dann für die Frage der Erschließung des Grundstücks relevant, wenn die dafür notwendigen Kosten im Einzelfall unzumutbar wären. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 16.1240, Au 6 K 16.1241, Au 6 K 16.1415 2017-06-28 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 25.498,73 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch liegen besondere tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wurde im Zulassungsantrag zwar eingangs erwähnt, allerdings fehlen weitergehende Ausführungen hierzu, so dass insoweit bereits die Darlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht erfüllt sind.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils liegen vor, wenn die angegriffene Entscheidung mit überwiegender (bzw. hoher) Wahrscheinlichkeit unrichtig ist. Dies ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2011 – 20 ZB 11.1146 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542). Schlüssige Gegenargumente liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Anhaltspunkte aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis nicht richtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2001/10 – NVwZ 2011, 546). Nach diesem Maßstab bestehen weder ernstliche Zweifel hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht die Entscheidung tragend angenommenen Rechtmäßigkeit der Satzung über die öffentliche Entwässerungseinrichtung des Marktes Erkheim vom 5. November 2013 (EWS, hierzu im Folgenden 1.), der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Marktes Erkheim vom 5. November 2013 (BGS/EWS, hierzu im Folgenden 2.) oder des Entstehens der Beitragsschuld hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. 53/2 (hierzu 3.).
1. Der Kläger macht gegen die EWS einerseits geltend, dass keine Gründe des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Gemeindeordnung (GO) bestünden, die eine Einbeziehung des Niederschlagswassers im Einzelfall in den Anschluss- und Benutzungszwang rechtfertigten. Seine Argumentation geht dahin, dass eine unverhältnismäßige Belastung der nicht nach § 5 Abs. 6 EWS vom Anschluss- und Benutzungszwang für Niederschlagswasser befreiten Grundstückseigentümer vorliege mit der Folge, dass der Anschluss- und Benutzungszwang (§ 5 Abs. 1, Abs. 5 EWS) nicht durch Gründe des öffentlichen Wohls gedeckt sei. Diese Argumentation vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung aber nicht zu begründen. Denn das Verwaltungsgericht hat auf den Seiten 12 bis 21 seines Urteils ausführlich und überzeugend ausgeführt, weshalb Gründe des öffentlichen Wohls für die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs bezüglich des Niederschlagswassers im konkreten Fall vorliegen. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts werden durch die Argumentation in der Begründung des Zulassungsantrags auch nicht angegriffen. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, dass dessen Anordnung „nicht erforderlich“ sei im Interesse allseits tragbarer Belastungen. Damit wird aber anders als im Zulassungsantrag vorgetragen nicht die Frage der Erforderlichkeit im Sinne der Anwendung des mildesten, gleich effizienten Mittels angesprochen, sondern die Angemessenheit der Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs im Sinne einer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Der Zulassungsantrag entbehrt aber jeglicher Darlegung, inwiefern und warum die Belastungen für die vom Anschluss- und Benutzungszwang für Niederschlagswasser Betroffenen „nicht tragbar“ seien. Der für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne notwendige Vergleich des verfolgten Ziels mit den Auswirkungen auf die Betroffenen ist daher auf der Grundlage des Zulassungsantrags nicht möglich und vermag daher ernstliche Zweifel nicht zu begründen.
Soweit daneben geltend gemacht wird, dass entgegen der Regelung in § 5 EWS die Befreiung nach § 5 Abs. 6 EWS die Regel und nicht die Ausnahme sei, trifft dies wohl zu. Es erschließt sich aber nicht, inwiefern aus dieser Tatsache der behauptete Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen soll. Soweit daneben geltend gemacht wird, dass im Gemeindegebiet nicht überall die Möglichkeit geschaffen worden sei, das Niederschlagswasser in die Entwässerungseinrichtung einzuleiten, ist diese Behauptung schon nicht substantiiert. Eine Überprüfung eines etwaigen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist daher schon gar nicht möglich. Auch die Argumentation, der Anschluss- und Benutzungszwang wäre deswegen rechtswidrig, da die Satzung keine Härtefallklausel für die Fälle vorsehe, in denen die Kosten eines Gutachtens nach § 5 Abs. 6 Satz 2 EWS nicht von den Grundstückseigentümern aufgebracht werden könnten, ist nicht hinreichend substantiiert: Denn es fehlt an einer nachvollziehbaren Darlegung, wieso die ausweislich des Zulassungsantrags um die 1.500,- Euro (oder in dem Fall, in dem Deckschichten durchbohrt werden müssten, auch darüber) liegenden Kosten unverhältnismäßig sein sollen.
2. Soweit der Zulassungsantrag sich gegen die BGS/EWS wendet, sind schon die Anforderungen an die Darlegung einer Kalkulationsrüge nicht erfüllt, jedenfalls liegen keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Satzung auf der Grundlage des Zulassungsantrags vor.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs genügt es nicht, wenn eine Klagepartei ohne jegliche substantiierte Belegung lediglich behauptet, die bestimmten Beitragssätze seien nicht ordnungsgemäß ermittelt worden. Zwar verlangt der Grundsatz der Amtsermittlung des § 86 Abs. 1 VwGO, dass das Gericht alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts ausschöpft, die geeignet erscheinen, die dafür die erforderliche Überzeugung zu gewinnen. Diese Pflicht findet aber in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten eine Grenze. Diese besteht nicht nur darin, dass das Gericht die Beteiligten zur Erforschung des Sachverhalts mit heranziehen kann, sondern auch und gerade darin, dass die Kläger die zur Begründung ihrer Rechtsbehelfe oder ihrer Einwendungen dienenden Tatsachen und Beweismittel nach § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO angeben sollen. Solange sie dieser Pflicht nicht nachkommen, überprüfbare und einem Beweis zugängliche Tatsachen vorzutragen, braucht das Gericht der bloßen Möglichkeit fehlerhaft bestimmter Beitragssätze nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, U.v. 17.4.2002 – 9 CN 1/01 – BVerfGE 116, 188; BayVGH, B.v. 2.8.2006 – 23 ZB 06.643 – juris). Dass es für den Kläger nicht ganz einfach ist, die von der Beklagten ermittelten Beitragssätze auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, entbindet ihn nicht davon, sich im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht selbst durch Akteneinsicht sachkundig zu machen, notfalls mit Hilfe eines von ihm beauftragten Sachverständigen. Um dieser Mitwirkungspflicht nachkommen zu können, ist dem Kläger ein umfangreiches Akteneinsichtsrecht in die Kalkulationsunterlagen eingeräumt (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2005 – 23 ZB 05.1236 – juris). Diesen Anforderungen einer substantiierten Darlegung genügen die Ausführungen des Klägers in der Begründung des Zulassungsantrags nicht. Jedenfalls ist auf ihrer Grundlage ein ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar.
Soweit geltend gemacht wird, dass in die Ermittlung der Beitragshöhe die Regenrückhaltebecken Eingang gefunden hätten, hat das Verwaltungsgericht in Randnr. 80 seines Urteils bereits ausführlich dargelegt, dass die im Zulassungsantrag vorgebrachte Behauptung, dass diese nur dem Hochwasserschutz dienten, nicht zutrifft.
Auch soweit der Kläger vorbringt, dass das ausführende Unternehmen zu teuer sei und dass bei seiner Beauftragung kein transparentes Verfahren durchgeführt worden sei, handelt es sich lediglich um unsubstantiierte, pauschale Behauptungen, die nicht geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit zu begründen.
Soweit bemängelt wird, dass der Beklagte sich weigere, die von der beauftragten Firma unterzeichnete Verpflichtungserklärung vorzulegen, ist weder dargelegt noch ersichtlich, inwiefern dies von Bedeutung für die Höhe der umzulegenden Kosten sein könnte.
Gleiches gilt hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit. Soweit gerügt wird, dass eine Rechnungsprüfung nicht erfolgt sei, ist auch diese Argumentation unsubstantiiert und ins Blaue hinein erhoben, insbesondere angesichts der erfolgten Rechnungsprüfung durch den Kommunalen Prüfungsverband.
Die Behauptung, die vom Beklagten bezahlten Ingenieurkosten seien ungewöhnlich hoch und beliefen sich auf 100% der Baukosten, ist ebenfalls nicht hinreichend substantiiert. Daneben wird sie auch durch den Vortrag der Beklagten im Zulassungsverfahren, der sich genau auf die einzelnen Positionen des Kostenspiegels bezieht, widerlegt.
Auch der Angriff, die Höhe des Prognosewerts für Schmutzwasser in der Kalkulation sei nicht nachvollziehbar, ist unsubstantiiert, da er sich auf den diesbezüglichen Hinweis beschränkt. Die bloße Behauptung, ein angesetzter Wert sei „nicht nachvollziehbar“, reicht nach den oben ausgeführten Grundsätzen nicht für die Darlegungsanforderungen aus, stattdessen ist substantiiert darzulegen, warum der vorgenommene Ansatz falsch wäre.
Schließlich hat sich das Verwaltungsgericht auch mit dem erhobenen Vorwurf, der Anteil der Molkerei an der Kapazität der Kläranlage des Abwasserverbandes habe in der Kalkulation gekürzt werden müssen, bereits in den Randnrn. 89 ff. des Urteils auseinandergesetzt. Die Begründung des Zulassungsantrags setzt sich damit nicht auseinander und wiederholt pauschal und unsubstantiiert die Behauptung, dieser Anteil sei herauszurechnen.
3. Der Kläger wendet daneben gegen die Rechtmäßigkeit der BGS/EWS ein, dass das Grundstück Fl.Nr. 53/2 entgegen der Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil tatsächlich nicht erschlossen sei. Damit wird in der Sache keine Argumentation gegen die Rechtmäßigkeit der Beitrags- und Gebührensatzung, sondern gegen das Entstehen der Beitragsschuld bezüglich des Niederschlagswasserbeitrags geltend gemacht. Nach § 5 Abs. 1, Abs. 5 EWS besteht bei angeschlossenen Grundstücken eine Pflicht und ein Recht zur Einleitung, die sich nach § 14 Abs. 1 EWS auch auf Niederschlagswasser erstreckt, wenn die Möglichkeit der Einleitung in einen Mischwasser- oder Regenwasserkanal besteht. Nach § 6 Abs. 2 BGS/EWS entsteht der Grundstücksflächenbeitrag jedoch nicht, wenn Niederschlagswasser nicht eingeleitet werden darf. Ob Niederschlagswasser tatsächlich in die Entwässerungseinrichtung des Beklagten eingeleitet wird, ist daher unerheblich, maßgeblich ist allein die Möglichkeit hierzu. Daher kommt es auf die Argumentation des Klägers, dass er tatsächlich von dem genannten Grundstück kein Niederschlagswasser in die Entwässerungseinrichtung einleite, nicht an.
Mit dem Argument, dass die „Bürgermeisterkanäle“, die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (Rn. 95) des Urteils inzwischen Teil der Entwässerungseinrichtung sind, nicht zur Einleitung des Niederschlagswassers von dem Grundstück Fl.Nr. 53/2 geeignet wären, da das Wasser dann zunächst 50 m bergauf gepumpt werden müsste, wird die Möglichkeit der Einleitung von Niederschlagswasser in Frage gestellt. Im Ergebnis bestehen aber dennoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, konkret an der Entstehung der Beitragspflicht. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 18. August 1998 (23 B 93.3934 – juris, insb. Rn. 29) entschieden, dass die Notwendigkeit einer Hebeanlage für die Einleitung von Abwasser in eine Entwässerungseinrichtung nur dann für die Frage der Erschließung des Grundstücks relevant ist, wenn die dafür notwendigen Kosten im Einzelfall unzumutbar wären. Dass diese Kosten hier unzumutbar wären, ist aber klägerseits nicht vorgetragen. Damit bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Anschlussmöglichkeit auch bei Notwendigkeit einer Hebeanlage grundsätzlich vorliegt.
Aus den vorstehenden Gründen bestehen auch keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren war nach § 52 Abs. 3 GKG in Höhe der mit den streitgegenständlichen Bescheiden für die Grundstücke Fl.Nr. 53/2, 53 und 56 festgesetzten Herstellungsbeiträgen festzusetzen.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.


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