Verwaltungsrecht

Anordnungsanspruch auf Distanzunterricht wegen Verweigerung von Testungen (verneint)

Aktenzeichen  7 CE 21.2740

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 983
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 35, Art. 56
BaySchO § 19 Abs. 4
15. BayIfSMV § 12 Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 3
14. BayIfSMV § 13 Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 3
VwGO § 123 Abs. 1
BayVerf Art. 128

 

Leitsatz

1. Die 15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (BayIfSMV – BayMBl Nr. 816) sieht – wie im Übrigen auch bereits die 14. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. September 2021 (BayMBl Nr. 615) – weder Schulschließungen noch die Erteilung von Wechselunterricht vor. Damit ist zum maßgeblichen Zeitpunkt an bayerischen Schulen auch für Schülerinnen und Schüler, die den in § 12 Abs. 2 Satz 1 15. BayIfSMV als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht vorgeschriebenen Testungen nicht nachkommen wollen, kein Distanzunterricht mehr vorgesehen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass sich aufgrund des deklaratorischen Hinweises in § 13 Abs. 2 Satz 3 14. BayIfSMV (jetzt § 12 Abs. 2 Satz 3 15. BayIfSMV), die Schulpflicht bleibe unberührt, die bis dahin vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommene Testobliegenheit zu einer unbedingten Testpflicht für Schülerinnen und Schüler gewandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2022 – 7 CE 21.3152 – n.v. Rn. 12 m.w.N.). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Schülerinnen und Schüler haben jedenfalls seit dem 6. Oktober 2021 kein Wahlrecht mehr zwischen Distanz- und Präsenzunterricht. Die Testobliegenheit hat sich zur Testpflicht gewandelt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 19 Abs. 4 BaySchO vermittelt keinen Anspruch auf die Durchführung von Distanzunterricht.  Zudem ist § 19 Abs. 4 BaySchO als Ausnahmeregelung zu Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG eng auszulegen und grundsätzlich nicht analogiefähig. (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 ES 21.5544 2021-11-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO die vorläufige fortgesetzte Unterrichtung der Antragstellerin zu 1), 10. Klasse der W.-Mittelschule in A. (im Folgenden: die Schule), im sog. Distanzunterricht sowie ihr die hierfür notwendigen Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen, die zu erledigenden Aufgaben zu korrigieren und eine Benotung vorzunehmen.
Bereits im Schuljahr 2020/21 und am Anfang des Schuljahres 2021/22 hatte die Antragstellerin zu 1) nicht an den zur Teilnahme am Präsenzunterricht erforderlichen Testungen zum Nachweis des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 teilgenommen. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2021 teilte die Schule den Antragstellern zu 2) und 3), den Eltern der Antragstellerin zu 1) mit, dass künftig kein Anspruch mehr auf Distanzunterricht bestehe. Wenn die Antragstellerin zu 1) kein negatives Testergebnis vorlege und deswegen eine regelmäßige Teilnahme am Präsenzunterricht nicht möglich sei, liege eine Verletzung der Schulpflicht vor. Die Erziehungsberechtigten verletzten dabei ihre Pflicht, auf regelmäßigen Schulbesuch ihrer Kinder hinzuwirken. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass Schulpflichtverletzungen nicht nur mit Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen belegt, sondern auch als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden könnten. Wer den Testnachweis verweigere, gelte dem Unterricht als unentschuldigt ferngeblieben und erhalte bei angekündigten Leistungsnachweisen die Note ungenügend. Den Antragstellern wurde eine Bedenkzeit bis nach den Herbstferien eingeräumt.
Mit Beschluss vom 3. November 2021 lehnte das Verwaltungsgericht München den im Hauptantrag gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO sowie den hilfsweise gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) habe in der Sache keinen Erfolg. Soweit die Antragsteller zu 2) und 3) vorläufigen Rechtsschutz begehrten, sei der Antrag mangels Antragsbefugnis schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer auf den Hauptantrag beschränkten Beschwerde.
Zur Begründung der Beschwerde tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor, sie akzeptierten, dass die Teilnahme am Präsenzunterricht nur nach regelmäßigen Testungen möglich sei. Begehrt werde aber die Fortsetzung von Distanzunterricht durch zuhause zu bearbeitende Unterlagen, wie er bis vor 1 ½ Monaten gewährt worden sei. Dies hätte das Verwaltungsgericht verkannt, weil es auffallend häufig in seiner Entscheidung Passagen aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über eine gegen § 13 Abs. 2 14. BayIfSMV erhobene Normenkontrollklage zitiere, die sich nicht mit der Frage eines Anspruchs auf die Erteilung von Distanzunterricht befasse. Nicht zu folgen sei der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die maßgebliche Sach- und Rechtslage habe sich zwischenzeitlich geändert. Eine Änderung der Sachlage sei nicht ersichtlich. Vom Frühjahr 2021 bis Anfang Oktober 2021 habe der Antragsgegner an der Schule Distanzunterricht angeboten. Der auch im Schuljahr 2021/22 weiterhin bestehende Distanzunterricht werde im Schreiben des Antragsgegners vom 23. September 2021 bestätigt. Die Inzidenzen seien zwischenzeitlich noch höher. Auch die Rechtslage habe sich im Wesentlichen nicht geändert. Die schulrechtliche Regelung in § 13 Abs. 2 14. BayIfSMV sei nahezu inhaltsgleich mit der Vorgängerregelung des § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV vom 5. März 2021 bzw. vom 9. April 2021 sowie der Nachfolgeregelung in § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV vom 5. Juni 2021. Die Begründung zur 14. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verweise auf die Vorgängerbegründungen. Inhaltlich regele die Verordnung vor allem nur den Ablauf bzw. die Voraussetzungen für die Teilnahme am Präsenzunterricht, während sie keine Regelungen zum Distanzunterricht enthalte. Die Einfügung des Satzes „die Schulpflicht bleibt unberührt“ durch die Änderungsverordnung vom 5. Oktober 2021 sei – wie sich aus deren Begründung ergebe – zur Klarstellung dahingehend erfolgt, dass die Schulpflicht selbstverständlich auch während der Corona-Pandemie bestehen bleibe. Auch der Inhalt der Begründung der Änderungsverordnung hinsichtlich der Verletzung der Schulpflicht durch die Nichtteilnahme an den Tests als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht bewirke keine Änderung der Rechtslage, sondern es handele sich insoweit um rechtliche Einschätzungen zum „Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz“ sowie zur Bayerischen Schulordnung. Es bleibe daher bei der wiederholt bestätigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und seiner Klarstellung, dass die Begründung des Gesetzgebers, die Erteilung von Distanzunterricht für Schülerinnen und Schüler, die keinen negativen Test vorwiesen, liege im Ermessen der Schule, rechtsfehlerhaft sei. In einer späteren Entscheidung vom 13. Juli 2021 – 25 NE 21.1873 – zur 13. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung habe der Verwaltungsgerichtshof wiederum ausgeführt, dass bei Nichterfüllung der Testobliegenheit durch die Schülerinnen und Schüler für sie Distanzunterricht und Distanzlernen stattfinde. Diese Rechtsprechung gelte auch für die 14. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, da auch hier keine Testpflicht statuiert werde. Das werde auch durch das Informationsschreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 8. Oktober 2021 bestätigt, wonach kein Testzwang bestehe. Die Antragstellerin zu 1) hätte damit einen Anspruch auf Distanzunterricht nach Art. 35, Art. 56 Abs. 2 BayEUG sowie aus Art. 128 Abs. 1 BV.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller bleibt ohne Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu Recht abgelehnt. Die Antragstellerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Gewährung von Distanzunterricht glaubhaft gemacht. Dahingestellt bleiben kann deshalb, ob die Antragsteller zu 2) und 3) aufgrund ihres elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG nach § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt sind.
Die Antragstellerin zu 1) hat weder einen Anspruch auf Gewährung von Distanzunterricht gemäß Art. 35, Art. 56 Abs. 2 BayEUG und Art. 128 BV noch aus § 19 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b BaySchO.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsanspruchs bestimmt sich nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 46). Da die Antragstellerin die Erteilung von Distanzunterricht und damit ein aktives Handeln des Antragsgegners begehrt, ist maßgeblicher Zeitpunkt die Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
1. Zur Begründung eines Anspruchs auf Gewährung von Distanzunterricht kann sich die Antragstellerin zu 1) nicht auf die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Gewährung von Distanzunterricht für Schülerinnen und Schüler, die der ihnen obliegenden Testobliegenheit nicht nachkommen, berufen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 1) hat sich die diesen Entscheidungen zugrunde gelegte Sach- und Rechtslage wesentlich geändert. Ein Anspruch auf Gewährung von Distanzunterricht aus Art. 35, Art. 56 Abs. 2 BayEUG und Art. 128 BV besteht nicht (mehr).
a) Die 15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (BayIfSMV – BayMBl Nr. 816) sieht – wie im Übrigen auch bereits die 14. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. September 2021 (BayMBl Nr. 615) – weder Schulschließungen noch die Erteilung von Wechselunterricht vor. Damit ist zum maßgeblichen Zeitpunkt an bayerischen Schulen auch für Schülerinnen und Schüler, die den in § 12 Abs. 2 Satz 1 15. BayIfSMV als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht vorgeschriebenen Testungen nicht nachkommen wollen, kein Distanzunterricht mehr vorgesehen.
aa) Nach § 12 Abs. 2 15. BayIfSMV ist die Teilnahme am Präsenzunterricht, an sonstigen Schulveranstaltungen oder schulischen Ferienkursen in Präsenz sowie an der Mittags- und Notbetreuung für Schülerinnen und Schüler nur erlaubt, wenn sie dreimal wöchentlich einen Testnachweis nach § 4 Abs. 6 Nr. 1, 2 erbringen oder in der Schule unter Aufsicht einen über die Schule zur Verfügung gestellten und dort zu verwendenden Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben (Satz 1). Für Schülerinnen und Schüler der Grundschulstufe gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass an die Stelle dreier wöchentlicher Selbsttests nach Entscheidung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zwei wöchentliche PCR-Pool Testungen treten können; in diesem Fall ist an jedem Montagmorgen ein zusätzlicher Testnachweis zu erbringen oder ein Selbsttest unter Aufsicht vorzunehmen (Satz 2). Die Schulpflicht bleibt unberührt (Satz 3).
Satz 3 der Regelung wurde mit § 1 Nr. 3 Buchst. a der Verordnung zur Änderung der 14. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Oktober 2021 (im Folgenden: Änderungsverordnung, BayMBl Nr. 715) in § 13 Abs. 2 14. BayIfSMV vom 1. September 2021, der Vorgängerregelung von § 12 Abs. 2 15. BayIfSMV, eingefügt. Der Begründung der Änderungsverordnung (abgedruckt in BayMBl Nr. 716) ist hierzu zu entnehmen, dass durch die Ergänzung klargestellt werden sollte, dass die Schulpflicht von den Testerfordernissen nach § 13 Abs. 2 Satz 1 [14. BayIfSMV] unberührt bleibt. Testverweigernde Schülerinnen und Schüler hätten bislang die Schulpflicht durch Teilnahme am Distanzunterricht erfüllen können. Seither sei das umfangreiche Sicherheitsnetz zur Gewährleistung eines schulischen Regelbetriebs auf vielen Ebenen weiterentwickelt worden. Die sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch unter Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften voranschreitende Impfkampagne, die Vorgaben des detaillierten Rahmenhygieneplans Schulen sowie insbesondere die Teststrategie hätten dazu beigetragen, dass Schülerinnen und Schüler an Bayerns Schulen wieder flächendeckend in den Präsenzunterricht zurückkehren könnten und auch kein verpflichtender Mindestabstand mehr einzuhalten sei. Vor diesem Hintergrund sei deklaratorisch festzuhalten, dass die Schulpflicht von dem Testerfordernis nach § 13 Abs. 2 Satz 1 [14. BayIfSMV] unberührt bleibe. Die Schulpflicht sei in erster Linie eine Pflicht zum Besuch des Präsenzunterrichts (vgl. Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG). Schülerinnen und Schüler, die nicht geimpft bzw. genesen seien, sich nicht den erforderlichen Tests unterzögen und deshalb nicht am Unterricht teilnehmen könnten, verletzten daher grundsätzlich ihre Schulpflicht (vgl. Art. 56 Abs. 4 Satz 3 und Art. 119 Abs. 1 Nr. 4 BayEUG), Erziehungsberechtigte ihre Pflicht, auf den Unterrichtsbesuch ihrer Kinder hinzuwirken (vgl. Art. 76 Satz 2, Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG). Schülerinnen und Schüler, die die erforderlichen Testnachweise nicht erbrächten, seien nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BaySchO aus zwingenden Gründen verhindert, am Unterricht oder einer sonstigen verbindlichen Schulveranstaltung teilzunehmen und fehlten damit unentschuldigt.
bb) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass sich aufgrund des deklaratorischen Hinweises in § 13 Abs. 2 Satz 3 14. BayIfSMV (jetzt § 12 Abs. 2 Satz 3 15. BayIfSMV), die Schulpflicht bleibe unberührt, die bis dahin vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommene Testobliegenheit zu einer unbedingten Testpflicht für Schülerinnen und Schüler gewandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2022 – 7 CE 21.3152 – n.v. Rn. 12 m.w.N.).
§ 13 Abs. 2 Satz 1 14. BayIfSMV führt in der ab dem 6. Oktober 2021 geltenden Fassung (jetzt § 12 Abs. 2 Satz 1 15. BayIfSMV) in Verbindung mit den einschlägigen schulrechtlichen Bestimmungen für die von der Zugangsbeschränkung betroffenen Schülerinnen und Schüler zu einer unbedingten Testpflicht. Denn nach den insoweit eindeutigen Vorgaben in Art. 36 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG wird die nach Art. 129 Abs. 1 BV und Art. 35 Abs. 1 BayEUG bestehende Schulpflicht in der Regel durch Besuch des Präsenzunterrichts erfüllt (vgl. insoweit auch § 19 Abs. 4 Satz 3 BaySchO, wonach Distanzunterricht schulrechtlich nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig ist). Dem steht nicht entgegen, dass die Schulpflicht während der Zeiten, in denen durch infektionsschutzrechtliche Bestimmungen Schulschließungen bzw. Wechselunterricht angeordnet waren, nicht entfallen war. Allerdings war die Präsenzpflicht im Unterricht für Schülerinnen und Schüler während der Schulschließungen infektionsschutzrechtlich aufgehoben bzw. während des Wechselunterrichts zeitweise ausgesetzt. Bereits seit Erlass der 14. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. September 2021 (BayMBl Nr. 615) sind Schulschließungen und damit Distanzunterricht bzw. Distanzlernen infektionsschutzrechtlich nicht mehr vorgesehen. Schule findet seit Beginn des Schuljahres 2021/22 grundsätzlich in Präsenz statt. Durch Einfügung des deklaratorischen Hinweises in § 13 Abs. 2 Satz 3 14. BayIfSMV (jetzt § 12 Abs. 2 Satz 3 15. BayIfSMV) hat der Verordnungsgeber ab Inkrafttreten der Änderungsverordnung zum 6. Oktober 2021 (vgl. § 2 der Änderungsverordnung) klargestellt, dass die Schulpflicht nur noch durch Teilnahme am Präsenzunterricht erfüllt werden kann. Hierin liegt zugleich eine Abkehr von der nach Erlass der infektionsschutzrechtlichen Zugangsbeschränkung in § 18 Abs. 2 Satz 1 12. BayIfSMV vom 5. März 2021 (BayMBl Nr. 171) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 9. April 2021 (BayMBl Nr. 261) eröffneten Möglichkeit, der fortbestehenden Schulpflicht bei Verweigerung der erforderlichen Testungen durch Teilnahme am Distanzunterricht nachkommen zu können (vgl. insoweit die Begründung zur 12. BayIfSMV, BayMBl Nr. 262). Damit haben Schülerinnen und Schüler jedenfalls seit dem 6. Oktober 2021 kein Wahlrecht mehr zwischen Distanz- und Präsenzunterricht. Die Testobliegenheit hat sich damit zur Testpflicht gewandelt.
b) Nach oben Ausgeführtem kann sich die Antragstellerin zu 1) daher nicht darauf berufen, sie habe einen Anspruch auf Gewährung von Distanzunterricht, weil es sich bei der in § 12 Abs. 2 Satz 1 15. BayIfSMV vorgesehenen Testung als Zugangsvoraussetzung für den Präsenzunterricht nicht um eine Testpflicht handele. Mit ihrer Argumentation, ein Testzwang sei ausdrücklich nicht vorgesehen, verkennt sie den Unterschied zwischen der vorliegend gegebenen Testpflicht und einem – nicht angeordneten – Testzwang. Von einem Testzwang wäre nur auszugehen, wenn eine Schülerin oder ein Schüler zwangsweise (etwa mithilfe der Polizei oder des Ordnungsamtes) der Schule zugeführt und dort unter Anwendung unmittelbaren Zwangs getestet würde. Aus dem von ihr angeführten Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 8. Oktober 2021, in dem das Bestehen eines Testzwangs verneint wird, ergibt sich nichts Anderes. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, Distanzunterricht sei anfangs auch noch im neuen Schuljahr angeboten worden, und mit diesem „eingeräumten Recht auf Distanzunterricht korrespondiert ein entsprechender Anspruch darauf“, übersieht sie, dass mit Inkrafttreten der Änderungsverordnung eine Klarstellung der Rechtslage erfolgt ist und zudem durch eine tatsächliche Übung nicht ohne weiteres ein Anspruch begründet wird. Darüber hinaus wurde im Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 8. Oktober 2021 in Übereinstimmung mit der Rechtslage darauf hingewiesen, dass „testverweigernde Schülerinnen und Schüler keinen Anspruch auf Distanzunterricht mehr“ haben.
c) Nicht überzeugend ist die Auffassung der Antragstellerin zu 1), die Schulpflicht sei nicht in erster Linie eine Pflicht zum Besuch des Präsenzunterrichts, sondern sie könne ebenso durch Distanzunterricht erfüllt werden. Nach Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG haben Schülerinnen und Schüler insbesondere die Pflicht, am Unterricht regelmäßig teilzunehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen zu besuchen. Dies korrespondiert mit dem sich aus Art. 7 Abs. 1 GG ergebenden staatlichen Erziehungsauftrag, der sich nicht auf die reine Wissensvermittlung beschränkt. Soziale Kompetenz im Umgang mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG, B.v. 31.5.2006 – 2 BvR 1693/04 – juris Rn. 16). Da in der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung Regelungen zur Durchführung von Distanz- bzw. Wechselunterricht fehlen, flächendeckende Schulschließungen im Gegenteil durch den Bundesgesetzgeber nach § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG (i.d.F.v. 10.12.2021) i.V.m. § 33 Nr. 3 IfSG ausdrücklich ausgeschlossen sind, bleibt es bei der Regelung in Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG, dass Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht teilnehmen müssen. Weder der Antragsgegner noch das Verwaltungsgericht oder der Verwaltungsgerichtshof sind befugt, ohne gegenteilige infektionsschutzrechtliche Bestimmung von den gesetzlichen Regelungen des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen abzuweichen, die Antragstellerin zu 1) von der Pflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht zu befreien und ihr einen Anspruch auf die Gewährung von Distanzunterricht zuzusprechen, damit sie sich weiterhin den infektionsschutzrechtlich vorgesehenen Tests entziehen kann.
d) Die Einschätzung, ob die Einführung von Distanzunterricht Schutz vor der Ausbreitung der Pandemie bietet, obliegt nicht der Antragstellerin zu 1). Auch im Hinblick auf die Pflicht des Staates, sich im Schulverhältnis schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Schülerinnen und Schüler zu stellen, verbleibt ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Normgebers. Es ist Aufgabe des hierfür demokratisch legitimierten Gesetzgebers und der seiner Kontrolle unterliegenden Exekutive, den Gesundheitsschutz bezogen auf das Risiko einer Infektion mit Covid-19 und etwaiger Folgeerkrankungen einerseits und körperlich-gesundheitliche und psychologische Beeinträchtigungen sowie soziale Auswirkungen aufgrund anhaltenden Distanzunterrichts andererseits im Spannungsverhältnis von Individualgrundrechten und Schulpflicht angemessen in Abwägung zu bringen und einer vertretbaren Bewertung zuzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2022 – 7 CE 21.3152 – n.v. Rn. 29 m.w.N.).
2. Ein Anspruch der Antragstellerin zu 1) auf Distanzunterricht ergibt sich nicht aus § 19 Abs. 4 BaySchO.
a) Hierzu trägt die Antragstellerin zu 1) im Wesentlichen vor, § 19 Abs. 4 BaySchO sehe Distanzunterricht als Form des Schulbesuchs vor, durch die die Schulpflicht erfüllt werden könne. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lägen auch die Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 BaySchO, jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung unter „Berücksichtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 9 Abs. 1 DSGVO, Verbot der Verarbeitung von Gesundheitsdaten; freie Wahl über die Zustimmung zur Verwendung von Gesundheitsdaten), aber auch im Lichte von Art. 128 Abs. 1 BV“ vor. Unabhängig davon sei vom Antragsgegner Distanzunterricht beschlossen worden, so dass „durch § 13 Abs. 2 BayIfSMV“ eine Anordnung im Sinne von § 19 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BaySchO vorliege. Nachdem das Abhalten von Distanzunterricht an der Schule für die Antragstellerin zu 1) in der Vergangenheit längere Zeit neben dem gleichzeitigen Präsenzunterricht stattgefunden habe, dürfte insoweit § 19 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b BaySchO einschlägig sein.
b) Ungeachtet dessen, dass sich die Antragstellerin zu 1) mit den zutreffenden Argumenten des Verwaltungsgerichts, das die Anwendbarkeit von § 19 Abs. 4 BaySchO ablehnt, nicht in einer den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise auseinandersetzt, liegen die Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 Satz 3 BaySchO nicht vor. Hiernach ist die Durchführung von Distanzunterricht an einer Schule oder in einzelnen Klassen oder Kursen der Schule nur zulässig, wenn die zuständigen Behörden zum Schutz von Leben oder Gesundheit die Schulschließung oder den Ausschluss einzelner Klassen oder Kurse anordnen und das Einvernehmen der Schulaufsicht vorliegt (Nr. 1 Buchst. a) oder den Ausschluss einzelner Personen anordnen oder genehmigen (Nr. 1 Buchst. b). Weder haben die zuständigen Behörden zum Schutz von Leben oder Gesundheit die Schulschließung oder den Ausschluss einzelner Klassen oder Kurse angeordnet noch den Ausschluss der Antragstellerin angeordnet oder genehmigt. Soweit sich die Antragstellerin auf § 19 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b BaySchO beruft, weil sie als nichtgetestete Schülerin vom Präsenzunterricht ausgeschlossen sei und das Abhalten von Distanzunterricht an der Schule in der Vergangenheit längere Zeit neben dem gleichzeitig abgehaltenen Präsenzunterricht stattgefunden habe, kann sie damit nicht durchdringen. § 19 Abs. 4 BaySchO vermittelt keinen Anspruch auf die Durchführung von Distanzunterricht, sondern regelt lediglich, ob und wie Distanzunterricht stattfinden darf, falls es durch infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu Schulschließungen oder dem Ausschluss einzelner Personen kommt (vgl. Dirnaichner in PdK Bay G-1, Stand September 2021, Erl. 1.4 unter Art. 35 BayEUG). Die Regelung umfasst bereits ihrem Wortlaut nach nicht den Fall, dass die Antragstellerin zu 1) unmittelbar ohne weiteren Vollzugsakt durch § 12 Abs. 2 Satz 1 15. BayIfSMV vom Präsenzunterricht ausgeschlossen ist, weil sie nicht an den erforderlichen Testungen teilnimmt.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 1) kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass § 19 Abs. 4 BaySchO unter Berücksichtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 9 Abs. 1 DSGVO) den „vom Gesetzgeber nicht vorhersehbaren Sachverhalt der Corona-Pandemie“ umfassen müsse. Gegen das Argument der Antragstellerin zu 1) für eine erweiternde Auslegung der Norm spricht bereits, dass Absatz 4 gerade unter Berücksichtigung des wegen der Corona-Pandemie erforderlichen Distanzunterrichts mit Verordnung vom 13. August 2020 (GVBl S. 535) in § 19 BaySchO eingefügt worden und seine Geltungsdauer bis 31. Juli 2025 befristet ist, so dass der Gesichtspunkt der mangelnden Vorhersehbarkeit der Corona-Pandemie nicht verfängt. Zudem ist § 19 Abs. 4 BaySchO als Ausnahmeregelung zu Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG eng auszulegen und grundsätzlich nicht analogiefähig. Hinsichtlich des lediglich schlagwortartig erwähnten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO wird auf § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 8 IfSG verwiesen.
Die Beschwerde ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 (vgl. NVwZ-Beilage 2013, 57).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben