Verwaltungsrecht

Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Äthiopien

Aktenzeichen  AN 3 K 17.33199

Datum:
19.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 56543
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Abs. 4, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Verfolgungsgefahr liegt vor, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der Umstände des Einzelfalles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, so dass ihm ein Verbleib bzw. eine Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist (z.B. BVerwG v. 20.02.2013 – 10 C 20.12 -; v. 15.08.2017 – 1 B 120.17 -). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. VGH BW, Urt. v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 -). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund der sich derzeit durch die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der in Äthiopien herrschenden Heuschreckenplage ergebenden landesweiten Verhältnissen besteht ein Abschiebungsverbot für Äthiopien. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2017 (Gz. …*) wird in den Ziffern 4 bis 6 aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist im Umfang des Klagebegehrens teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ihm steht zwar weder ein Anspruch auf Asylanerkennung (vgl. Art. 16a Abs. 1 und 2 GG i.V.m. § 26a AsylG) noch ein – insoweit hinsichtlich der Voraussetzungen deckungsgleicher – Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG (Hauptantrag) oder auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge) zu. Jedoch hat der Kläger einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG (Hilfsantrag). Entsprechend wird er auch durch die Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung sowie das auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützte Einreise- und Aufenthaltsverbot in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
I.
Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
§ 3a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des AufenthG.
Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Eine Verfolgungsgefahr liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann vor, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der Umstände des Einzelfalles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, so dass ihm ein Verbleib bzw. eine Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist (z.B. BVerwG v. 20.2.2013 – 10 C 20.12 – juris; v. 15.8.2017 – 1 B 120.17 – juris).
In der Entscheidung vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 – juris – führt das Bundesverwaltungsgericht dazu u.a. Folgendes aus:
„Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohl begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn auf Grund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Verfügung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (U.v. 23.2.1988 – BVerwG 9 C 32.87 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80 sowie U.v. 15.3.1988 – BVerwG 9 C 278.86 – BVerwGE 79, 143, 150, 151). Maßgebend ist in dieser Hinsicht – wie der Senat im Urteil vom 23. Juli 1991 – BVerwG 9 C 154.90 – (DVBl. 1991, 1089, [1092]) ausgeführt hat – damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann aber – wie ausgeführt – eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn – wie hier – nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus (vgl. U.v. 30.10.1990 – BVerwG 9 C 60.89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt). Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (vgl. U.S. Suprime Court v. 9.3.1987, zitiert bei Hailbronner, AuslR, 2. Aufl., S. 791 und sinngemäß wiedergegeben in der UNHCR-Zeitschrift „Flüchtlinge“, Augustnummer, 1987, S. 8, 9). Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.“
Unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen und insbesondere der Entscheidungen des BayVGH vom 13. Februar 2019, 8 B 17.31645 – juris, vom 12. März 2019, 8 B 18.30274 – juris und 8 B 18.30252 – juris, vom 25. Juni 2019, 8 ZB 19.32121 – juris, vom 21. August 2019, 23 ZB 19.32647 sowie vom 11. September 2019, 23 ZB 19.33156 ist festzustellen, dass dem Kläger die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zuzusprechen ist.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger Äthiopien bereits vorverfolgt verlassen hat und deshalb Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU mit der darin enthaltenen Vermutung zu seinen Gunsten anzuwenden wäre, denn in Ansehung der grundlegenden Änderungen der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 kommt eine Inanspruchnahme der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht in Betracht.
Das Gericht schließt sich diesbezüglich vollumfänglich dem BayVGH an, welcher insbesondere in den zum Verfahrensgegenstand gemachten Entscheidungen äußerst ausführlich und umfassend dargelegt hat, dass für Fälle wie den vorliegenden infolge der seit April 2018 entstandenen Veränderungen bei Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer Gefahr politischer Verfolgung auszugehen ist.
II.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu.
Derartige Gründe wurden klägerseits weder hinreichend dargelegt noch sind sie sonst ersichtlich.
Insbesondere ist auch insoweit in Folge der grundlegenden Änderungen der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 nicht anzunehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Äthiopien dort Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen.
Auch ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist zu verneinen.
Der BayVGH führt dazu in seiner Entscheidung vom 13. Februar 2019, 8 B 17.31645 – juris, unter anderem Folgendes aus:
„Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.
Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 82 ff. m.w.N.).“
Dieser Beurteilung schließt sich das Gericht auch für den vorliegenden Fall an. Gefahrerhöhende persönliche Umstände sind weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch sonst zu erkennen.
III.
Die Verpflichtungsklage hingegen erweist sich hinsichtlich der begehrten Feststellung auf Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG als erfolgreich.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Davon ist dann auszugehen, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden, d.h. unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können ausnahmsweise eine solch Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung darstellen.
Nach der Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG v. 13.6.2013, 10 C 13.12 – juris; BayVGH v. 8.11.2018, 13 a B 17.31918 – juris) können in außergewöhnlichen Ausnahmefällen auch „nicht staatliche“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht kommen.
D. h., im Bereich des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind neben von Staat oder staatsähnlichen Organisationen ausgehenden Gefahren für Leib und Leben auch „nicht staatliche“ Gefahren wegen prekärer Lebensbedingungen zu berücksichtigen, jedoch kommt dies nur in ganz außergewöhnlichen Fällen in Betracht (vgl. z.B. EGMR v. 27.5.2008, 26565.05, NVwZ 2008, 1334; v. 28.6.2011, 8319.07, NVwZ 2012, 681).
Zu berücksichtigen sind bei dieser Beurteilung eine Reihe relevanter Faktoren, z.B. die Zugangsmöglichkeiten zu Arbeit, Grundversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden und über finanzielle Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse verfügen zu können (vgl. BayVGH v. 23.3.2017, 13 a B 17.30030 – juris; v. 20.11.2018, 8 ZB 18.32888 – juris).
Aus der oben genannten Rechtsprechung geht deutlich hervor, dass insoweit hohe Anforderungen zu stellen sind, da nur bei Vorliegen „zwingender Gründe“ i.S.d. Art. 3 EMRK ein nach der Rechtsprechung erforderlicher außergewöhnlicher Fall vorliegt, der zur Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen kann (vgl. z.B. BayVGH v. 21.11.2014, 13 a B 14.30284 – juris).
Darauf hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch, dass dabei nicht der Maßstab für das Vorliegen einer Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG heranzuziehen ist (BayVGH v. 21.11.2014, a.a.O.).
Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) nötig, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen ohne Vorhandensein einer hinreichenden Tatsachengrundlage basierende Gefahr vorhanden sein. Diese Gefahr darf nicht nur hypothetisch sein, sondern muss sich aufgrund aller fallrelevant zu berücksichtigenden Umstände als hinreichend sicher im Hinblick auf eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung erweisen.
Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verletzung von durch Art. 3 EMRK geschützter Rechte bedarf es nicht, vielmehr genügt insoweit das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr, entsprechend dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. EGMR v. 28.2.2008, 37201.06, NVwZ 2008, 1330; BVerwG v. 27.4.2010, 10 C 5.09, NVwZ 11, 51). Bei der Frage des Vorliegens solch einer Gefahr bei Rückkehr geht es demgemäß nicht um einen fernab jedweden Zweifels liegenden Beweis, sondern dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung ein gewisser Grad an Mutmaßung immanent (vgl. BVerwG v. 13.2.2019, 1 B 2.19 unter Verweis auf EGMR v. 9.1.2018, 36417.16, X./Schweden).
2. Aufgrund der sich derzeit durch die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der in Äthiopien herrschenden Heuschreckenplage ergebenden landesweiten Verhältnissen in Äthiopien ist das Gericht in Ansehung der in Äthiopien „pandemieunabhängig“ gegebenen Situation unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen der Auffassung, dass im Falle des Klägers vorliegend derzeit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sind.
Das Gericht legt dabei seiner Beurteilung folgende, sich aus den zum Verfahrensgegenstand gemachten Unterlagen ergebende tatsächliche Situation zugrunde: Experten befürchten durch das Corona-Virus für den gesamten afrikanischen Kontinent eine Katastrophe. Sie nehmen eine extrem hohe Dunkelziffer an Infizierungen an und warnen insbesondere davor, dass sich überfüllte afrikanische Großstädte zu einem gefährlichen Herd für das Corona-Virus entwickeln könnten. Aufgrund der oftmals schlecht ausgestatteten Gesundheitssysteme – so soll es z.B. in Äthiopien für 105 Mio. Menschen 435 Beatmungsgeräte geben (Berliner Zeitung.de PolitikGesellschaft vom 9.4.2020) – wird in Afrika durch die Pandemie eine ausmaßlose Katastrophe für möglich gehalten.
Nach einem Bericht der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi vom 14. April 2020 hat Äthiopien für vorerst fünf Monate den Ausnahmezustand angeordnet. Damit sind alle Schulen, Universitäten und Kirchen geschlossen, Beamte sollen von zu Hause aus arbeiten. Mehr als 4.000 Gefangene wurden begnadigt, die äthiopische Fluglinie Äthiopien Airlines stellte die Flüge zu 82 Zielen ein. In der Region Tigray wurde der Ausnahmezustand aufgerufen und alle Bewegungen von den ländlichen Gebieten in die Städte untersagt.
Diese Angaben werden so auch in den „Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes“, Stand: 15.4.2020, wiedergegeben. Danach müssen nach Äthiopien Einreisende sich auf eigene Kosten in eine 14-tägige Quarantäne in einem von der äthiopischen Regierung bestimmten Hotel begeben. Der Empfang von Besuchern dort ist nicht erlaubt. Die bisher landesweit geltenden Restriktionen umfassen das Verbot größerer Veranstaltungen, die Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs. Öffentliche Ämter sind seit 24. März 2020 bis auf einen Notbetrieb geschlossen. In allen Bundesstaaten wurde der öffentliche Personenverkehr verboten; Reisen aus Addis Abeba über Land sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln derzeit nicht möglich.
In vielen Städten herrschen weitreichende Ausgangssperren. In Gondar z.B. ist sowohl öffentlicher als auch privater Personennahverkehr verboten. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte sind geschlossen.
Die für den 29. August 2020 geplanten Parlamentswahlen sind auf unbestimmte Zeit verschoben.
Neben der Corona-Pandemie und dem damit für die Bevölkerung Äthiopiens einhergehenden Bedrohungen auch in wirtschaftlicher Hinsicht droht den Staaten des östlichen Afrika eine Hungersnot, seit gewaltige Heuschreckenschwärme eingefallen sind. Der Kampf gegen Corona verschlimmert die Lage noch. Infolge der bereits dargestellten Reisebeschränkungen ist es den Trupps, die versuchen, die Kurzfühlerschrecken mit Pestiziden zu bekämpfen, nahezu unmöglich, an ihre Einsatzorte zu kommen. Das ermöglicht den Insekten, sich ungehemmt zu vermehren. Die nun bevorstehende zweite Heuschreckengeneration könnte 500 mal so gewaltig wie die erste sein, wenn sie nicht bekämpft wird. Die gefräßigen Tiere sind mobil, ihre Jäger sind es nicht, so Thilo Thielke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „Nur die Heuschrecken sind noch mobil“ v. 7. April 2020. Im Dezember hatte die Invasion der Heuschrecken begonnen. Sie fraßen kahl, was auf ihrem Weg lag und zerstörten die Ernte. Es handelt sich aktuell um die schlimmste Plage seit 25 Jahren. Weil viele Länder ihre Grenzen geschlossen haben, gehen in Ostafrika die für die Bekämpfung der Heuschreckenplage erforderlichen Pestizide aus.
Unter Berücksichtigung dieser Gesamtsituation, wie sie sich dem Gericht insbesondere nach Auswertung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen und in Ansehung der konkreten Besonderheiten des Einzelfalles darstellt, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine Rückkehr der Kläger wegen der jetzigen aufgrund der Corona-Pandemie i.V.m. der Heuschreckenplage bestehenden Lebenssituation, auch in Ansehung der unabhängig von Pandemie und Heuschreckenplage für Rückkehrer bestehenden Situation in Äthiopien, derzeit und in überschaubarer Zukunft einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen würde.
Die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berücksichtigenden prekären Lebensbedingungen sind z.Zt. im Hinblick auf die der herrschenden Pandemie immanenten Beschränkungen und die daraus folgenden Probleme der Erlangung eines Zugangs zu Arbeit und adäquater Unterkunft, zu Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung und zur Erlangung der für die Befriedigung elementarer Bedürfnisse nötigen finanziellen Mittel sowie der durch die Heuschreckenplage zusätzlich zur Pandemie verursachten schwierigen wirtschaftliche Situation nach Auffassung des Gerichts gegeben.
Insbesondere infolge der durch die bestehende Pandemie veranlassten Beschränkungen wird die Wohnungs- und Arbeitssuche für Rückkehrer zur Überzeugung des Gerichts in einem Maße erschwert, wenn nicht zeitweise weitgehend unmöglich gemacht, dass unter Zugrundelegung der oben dargestellten rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht mehr im erforderlichen Umfang von der Sicherung des Existenzminimums ausgegangen werden kann. Zu beachten ist dabei auch, dass unter Berücksichtigung der Mobilitätsbeschränkungen, verbunden mit vorhandenen oder neu hinzu kommenden strengen Ausgangsbeschränkungen, für Rückkehrer häufig keine ernsthaft realisierbare Möglichkeit besteht, sich zeitnah in den Heimatort zur dort evtl. vorhandenen Familie zu begeben, sie vielmehr für einen unbestimmten Zeitraum darauf verworfen sind, unter erschwerten Bedingungen in Addis Abeba zu verweilen.
Jedoch auch unterstellt, dass es den Rückkehrern gelingt, zeitnah in den Verbund der (ggf.) vorhandenen (Groß-)Familie zurückzukehren, wäre derzeit zur Überzeugung des Gerichts wegen der mit der Pandemie und der Heuschreckenplage sich verwirklichenden Lebensbeschwernisse in einem Land wie Äthiopien die Sicherung des Existenzminimums nicht mehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Nach alldem liegt zur Überzeugung des Gerichts hinsichtlich Äthiopien ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
Damit war wegen des insoweit einheitlichen Streitgegenstandes nicht mehr über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 sowie analog § 60 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu entscheiden.
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass es ohnehin nicht beachtlich wahrscheinlich erscheint, dass für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG besteht. Eine solche liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Hinsichtlich der vorgetragenen Erkrankung des Klägers ist der Vortrag unsubstantiiert, da die vorgelegten Arztbriefe nicht den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten und jetzt in § 60a Abs. 2c AufenthG kodifizierten und damit nach der neuesten Rechtsprechung auf andere Krankheiten übertragbare Mindestanforderungen entsprechen (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris). Anhand der vom Kläger vorgelegten Dokumente ergibt sich vielmehr, dass der Kläger zwischenzeitlich wieder genesen ist.
IV.
Des Weiteren waren im Hinblick auf das Bestehen eines Anspruchs auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG die dem entgegenstehenden Regelungen in den Ziffern 4 bis 6 des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheides aufzuheben, für die in Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung bedeutet dies insbesondere die Aufhebung, soweit darin gerade die Abschiebung nach Äthiopien angedroht ist (vgl. §§ 59 Abs. 3, 75 Nr. 12 AufenthG, § 34 Abs. 1 Satz 3 AsylG).
Nach alldem war der Klage im Umfange des Urteilstenors stattzugeben, im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenbescheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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