Verwaltungsrecht

Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach Äthiopien

Aktenzeichen  AN 9 K 17.33149

Datum:
19.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35007
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Eine Rückkehr nach Äthiopien stellt für eine alleinerziehende Frau derzeit und in überschaubarer Zukunft wegen der nichtgegebenen Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar, wenn kein Familienverband vorhanden ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Mai 2019 wird in Ziffern 4-6 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG bei den Klägern vorliegen.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu ¾ und die Beklagte zu ¼.
3. Das Urteil ist in Ziff. 2 vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Kostenschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubigerin vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind teilweise begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 9. Mai 2017 ist in Ziff. 4 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Kläger entsprechend in ihren Rechten.
Den Klägern steht zwar weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu. Jedoch haben die Kläger einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG entsprechend dem Hilfsantrag. Deshalb werden die Kläger auch durch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Hinblick auf die Begründung für die Ziffern 1 bis 3 dort auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid vom 9. Mai 2017 Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
I.
Ergänzend ist folgendes auszuführen: Sowohl die Asylanerkennung als auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im angefochtenen Bescheid zu Recht verweigert. Der gesamte Sachvortrag der Klägerin zu 1) enthält keinerlei Anhaltspunkte auf eine im Heimatland erlittene politische Verfolgung im Sinne des Asylgrundrechts oder der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft in § 3 ff. AsylG. Für das in Deutschland geborene Kind, den Kläger zu 2), scheidet eine solche Vorverfolgung ohnehin aus. Demgemäß bestehen nach dem Vorbringen der Klägerin auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Fall der Rückkehr nach Äthiopien den Klägern dort flüchtlingsrelevante bzw. überhaupt Verfolgung droht.
II.
Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG liegen hier ersichtlich nicht vor. Aus dem gesamten Vortrag der Klägerin ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass ihr im Heimatland ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG droht.
III.
Die Verpflichtungsklagen haben jedoch hinsichtlich der begehrten Feststellung auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG Erfolg. Den Klägern steht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles ist das Gericht der Auffassung, dass im Fall der Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind. Davon ist dann auszugehen, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden, das heißt unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können (ausnahmsweise) eine solche Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung darstellen. Nach der Rechtsprechung (vgl. ZB BVerwG U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13 a B 17.31918 – juris) können in außergewöhnlichen Ausnahmefälle auch “nicht staatliche” Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht kommen. Zu berücksichtigen sind bei dieser Beurteilung unter anderem die Zugangsmöglichkeit zu Arbeit, Unterkunft sowie einer Grundversorgung.
Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin zu 1) glaubhaft vorgetragen, dass sie in Äthiopien keine Familie mehr hat, zu der sie zurückkehren könnte, da ihre leiblichen Eltern verstorben sind und sie keine Kenntnis über weitere Verwandte hat, da sie bei einer Pflegefamilie aufgewachsen ist. Die Rückkehr zu dieser Pflegefamilie ist ihr nach den glaubwürdigen Angaben über die Behandlung dort ebenfalls nicht zuzumuten, zumal die Pflegeeltern sie in der Vergangenheit trotz der unmenschlichen Behandlung durch ihren damaligen Mann zu diesem zurückgeschickt haben. Eine Rückkehr zu diesem Mann ist aufgrund dessen früheren Verhaltens ebenso ausgeschlossen wie aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin nunmehr von einem anderen Mann ein weiteres Kind, den Kläger zu 2), bekommen hat. Zum Vater des Klägers zu 2) hat die Klägerin zu 1) nach ihren Angaben, an denen zu zweifeln kein Anlass besteht, nur insoweit Kontakt, als dieser sich gelegentlich nach seinem Sohn erkundigt, ansonsten hielt sich dieser auch zuletzt in der Schweiz auf und hatte die Klägerin zu 1) verlassen. Dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien sich auf die Unterstützung des Vaters des Klägers zu 2), des Herrn ., verlassen könnte, ist nicht ersichtlich, zumal unklar ist, ob dieser überhaupt nach Äthiopien zurückkehren kann und darf. Nachdem die Klägerin zu 1) somit als alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind nach Äthiopien zurückkehren müsste, ohne sich auf einen Familienverband stützen zu können, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie dort als alleinstehende Frau Unterkunft, einen Arbeitsplatz oder eine sonstige Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu erlangen, finden wird, zumal Sozialleistungen für Rückkehrer in Äthiopien nicht erbracht werden (vgl. Lagebericht des AA vom 12. Oktober 2018). Auch das VG Ansbach hat im Urteil vom 3. Mai 2019 (AN 3 K 19.30354) festgestellt, dass nach der Auskunftslage die Situation für zurückkehrende alleinstehende Frauen in Äthiopien dann unzumutbar und existenzbedrohend sein kann, wenn kein Familienverband vorhanden ist, es sei schwierig für eine alleinstehende Frau, sowohl Unterkunft als auch einen Arbeitsplatz zu finden, weil dafür Geld, familiäre Kontakte oder persönliche Beziehungen erforderlich seien, dies gelte gerade auch für die Wohnungssuche.
Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Klägerin als alleinstehende Frau mit ihrem kleinen Kind, dem Kläger zu 2), in Äthiopien auch aufgrund dessen, dass sie weder eine Schulbildung genossen noch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, in Äthiopien keine Existenzgrundlage finden könnte, sodass eine Rückkehr der Klägerin nach Äthiopien derzeit und in überschaubarer Zukunft wegen der nichtgegebenen Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen würde.
Damit sind auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie das Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig und waren dem gemäß aufzuheben.
Damit war den Klagen im Umfang des Urteilstenors stattzugeben und die Anträge im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.


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