Verwaltungsrecht

Anspruch auf neue dienstliche Beurteilung

Aktenzeichen  3 BV 17.69

Datum:
27.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13792
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LlbG Art. 58 Abs. 2 S. 1, Art. 59 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Eine fehlende Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung kann nicht nachgeholt werden (Aufgabe der Rechtsprechung des Senats, U.v.12.11.2015 – 3 B 14.2012). (Rn. 18)

Verfahrensgang

AN 1 K 16.783 2016-11-16 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird abgeändert. Die dienstliche Beurteilung vom 10. November 2015 und der Einwendungsbescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 25. Februar 2016 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den Beurteilungszeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich zu beurteilen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die angefochtene Regelbeurteilung 2015 des Klägers vom 10. November 2015 für den Beurteilungszeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Sie ist zusammen mit dem Einwendungsbescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 25. Februar 2016 aufzuheben. Der Beklagte muss den Kläger für den streitigen Beurteilungszeitraum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich beurteilen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Beurteilung 2015 des Klägers ist rechtswidrig, weil sie den Anforderungen an die erforderliche Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung nicht genügt.
Art. 59 Abs. 2 LlbG schreibt diesbezüglich vor, dass bei der Bildung des Gesamturteils die bei den Einzelmerkmalen vergebenen Wertungen unter Berücksichtigung ihrer an den Erfordernissen des Amtes und der Funktion zu messenden Bedeutung in einer Gesamtschau zu bewerten und zu gewichten sind. Die für die Bildung des Gesamturteils wesentlichen Gründe sind in den ergänzenden Bemerkungen darzulegen. Dabei ist es Sache des Dienstherrn festzulegen, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen einer dienstlichen Beurteilung zumessen will. Das abschließende Gesamturteil darf sich nicht auf die Bildung des arithmetischen Mittels aus den einzelnen Leistungsmerkmalen beschränken. Vielmehr kommt im Gesamturteil die unterschiedliche Bedeutung der Einzelbewertungen durch ihre entsprechende Gewichtung zum Ausdruck. Das abschließende Gesamturteil ist danach durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte zu bilden (BVerwG, U.v.1.3.2018 – 2 A 10.17 – BVerwGE 161, 240 Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbeurteilungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdrängt (a.a.O. Rn. 43). In der Regel bedarf es einer gesonderten Begründung des Gesamturteils, um erkennbar zu machen, wie es aus den Einzelbewertungen hergeleitet wird (BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 51.16 – juris Rn. 11; U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 30; BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 6 BV 14.1885 – juris Rn. 12 ff.; BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 6 B 17.1026 – juris Rn. 31). Nur so kann das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden, insbesondere nachdem es im Ermessen des Dienstherrn steht, welches Gewicht er einzelnen Merkmalen beimessen will. Die Gewichtung bedarf schon deshalb in der Regel einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet werden kann.
Diesen Anforderungen wird die angefochtene dienstliche Beurteilung nicht gerecht. Deren ergänzende Bemerkungen, die gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 2 LlbG als Begründung des nachstehenden Gesamturteils dienen sollen, schildern den konkreten Dienstposten, den der Kläger ausfüllt, treffen Aussagen zu seiner Vernetzung und seinen Schnittstellenvereinbarungen und heben sein Engagement bei der Ausbildung von Praktikanten, der Einarbeitung neu eingestellter Kollegen und bei der Weiterentwicklung der Qualitätsstandards in der Bewährungshilfe in Fachforen und Qualifikationszirkeln hervor. Als Eigenschaftsbeschreibungen finden sich „methodisch versiert und fachkompetent“ sowie die Erledigung der Arbeit ohne Qualitätsverlust trotz durchgängig hoher Fallbelastung. Eine Aussage, die als Gewichtung der vorher mit Punktwerten versehenen Einzelmerkmale zu verstehen ist, findet sich nicht.
Das Leistungsbild des Klägers aus den Einzelnoten bei der Leistungsbewertung (13 mal 10 Punkte, 6 mal 11 Punkte und einmal 12 Punkte) legt das Gesamturteil 10 Punkte auch nicht in eindeutiger Weise nahe, denn im Initialschreiben sind in Ziffer 3 lit. g für die allgemeine Vergleichsgruppe „Bewährungs- und Gerichtshilfe“ folgende Superkriterien festgelegt: 1. Mittelwert aus den Einzelmerkmalen des Arbeitserfolgs (erbrachte Arbeitsmenge, Arbeitstempo, Arbeitsgüte), 2. Eigeninitative, Selbständigkeit, 3. Verhalten nach außen, [4. Mittelwert aus den Einzelmerkmalen des Führungserfolgs und -verhaltens, soweit – wie hier nicht – bepunktet,] 5. Urteilsvermögen, 6. Entschlusskraft, Entscheidungsfreude, Verantwortungsbereitschaft und 7. Fachkenntnisse. In diesen Superkriterien hat der Kläger 11,33 (Mittelwert), 10, 11, 10, 11 und 11 Punkte erreicht. Da der Mittelwert der erreichten Punktzahlen in den Superkriterien näher bei 11 als bei 10 Punkten liegt, bedurfte es zwingend einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte.
Dieser Fehler konnte auch nicht durch die Ausführungen im Einwendungsbescheid geheilt werden, wonach das vergebene Gesamturteil von 10 Punkten in der Gesamtschau auch schlüssig sei, da der überwiegende Teil der Einzelmerkmale mit diesem Wert bepunktet worden sei. Diese Bemerkung enthält zum einen selbst keine Gewichtung und deutet darauf hin, dass außer Acht gelassen wurde, dass der dem Dienstherrn eröffnete Wertungsspielraum bei der Gewichtung der Einzelmerkmale einer dienstlichen Beurteilung dort eine Grenze findet, wo eine von ihm abstrakt vorgegebene Gewichtung dem Bedeutungsgehalt der Begriffe von „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr gerecht wird. Dies wäre – wie das Bundesverwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat (U.v. 1.3.2018 – 2 A 10.17 – BVerwGE 161, 240 Rn. 46) – etwa dann der Fall, wenn der Dienstherr vorgäbe, dass bei einer Vielzahl von zu bewertenden Einzelmerkmalen diesen sämtlich das gleiche Gewicht zukommen soll mit der Folge, dass selbst solche Einzelmerkmale, die für eine Bewertung von „Eignung“ und „fachliche Leistung“ eines Beamten regelmäßig im Vordergrund stehen (weil sie den Kern dieser Begriffe ausmachen) wie z.B. Arbeitsgüte und Arbeitsmenge (hier zusätzlich Arbeitstempo und damit der Sache nach das Superkriterium 1.) – lediglich – mit dem gleichen Gewicht in das Gesamturteil einfließen sollen wie andere, zwar ebenfalls bedeutsame, aber im Vergleich dazu doch nachrangige Einzelmerkmale wie etwa „Fortbildungsbereitschaft“ (hier Einzelkriterium 2.2.7.). Dementsprechend ist bereits im Initialschreiben geregelt, dass Schlüssigkeit zwischen den Einzelbewertungen und dem Gesamturteil sowie insbesondere auch zwischen den Bewertungen der Superkriterien und dem Gesamturteil bestehen muss (Nr. 11.1 Hervorhebung im Original). An dieser Verwaltungsvorschrift, die ersichtlich keine Regelung erst für die Erstellung von Auswahlvermerken in Konkurrenzsituationen darstellt, muss sich der Beklagte festhalten lassen. Denn die Verwaltungsgerichte sind wegen des in der dienstlichen Beurteilung liegenden persönlichen Werturteils zwar auf die Prüfung beschränkt, ob der Beurteiler einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, ob er den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob er allgemeine Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat und ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten ist (BVerfG, B.v. 6.8.2002 – 2 BvR 2357/00 – juris Rn. 32; BVerwG, U.v. 21.3.2007 – 2 C 2.06 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 11.3.2013 – 3 ZB 10.602 – juris Rn. 4). Soweit aber Richtlinien für die Erstellung der dienstlichen Beurteilung bestehen, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob sie eingehalten sind und gleichmäßig angewendet werden und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen, insbesondere mit denen der Laufbahnvorschriften über die dienstliche Beurteilung, in Einklang stehen (BVerwG, U.v. 19.12.2002 – 2 C 31.01 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 7.5.2014 – 3 BV 12.2594 – juris Rn. 17).
Des Weiteren hat das Bundesverwaltungsgericht nach dem Erlass des angefochtenen Urteils zunächst entschieden, dass die zum Gesamturteil führende Gewichtung der Einzelbewertungen im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden kann (BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 51.16 – BayVBl 2017, 682 Rn. 16) und später weiter verdeutlicht (U.v. 1.3.2018 – 2 A 10.17 – BVerwGE 161, 240 Rn. 48), dass die – richtige – Begründung des Gesamturteils schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen hat und nicht mit einem Widerspruchs- oder Einwendungsbescheid nachgeholt werden kann. Anders als etwa bei nachträglich erhobenen Einwänden gegen Einzelbewertungen in der dienstlichen Beurteilung genügt es nicht, das Gesamturteil nachträglich zu plausibilisieren. Zulässig ist allenfalls eine Intensivierung (im Sinne einer ergänzenden Anreicherung) einer schon in der dienstlichen Beurteilung enthaltenen Begründung. Die Begründung auszutauschen oder ihr einen weiteren, eigenständigen Argumentationsstrang hinzuzufügen, ist ausgeschlossen. Die Begründungspflicht für das Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung bei uneinheitlichem Leistungsbild zielt auf die Herstellung einer materiell richtigen Entscheidung und nicht auf ihre Darstellung. Dies kann durch eine nachträgliche Begründung nicht erreicht werden. Auch die erforderliche Einheitlichkeit und gleiche Anwendung der den dienstlichen Beurteilungen zugrunde liegenden Maßstäbe kann nur dann hinreichend gewährleistet und ggf. gerichtlich überprüft werden, wenn diese in der dienstlichen Beurteilung offen- und niedergelegt sind. Andernfalls besteht das nahe liegende Risiko, dass jeweils nachträglich ein „passendes“ Kriterium für denjenigen Beamten nachgeschoben wird, der ein Rechtsmittel eingelegt hat. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an und gibt seine anderslautende frühere Rechtsprechung (U.v.12.11.2015 – 3 B 14.2012) auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2, 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht vorliegen. Die vom Verwaltungsgericht für grundsätzlich bedeutsam erachteten Fragen, welche Anforderungen an die Begründung des Gesamturteils der dienstlichen Beurteilung zu stellen sind, und ob eine fehlende Begründung eines Gesamturteils nachholbar ist, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen geklärt.


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