Verwaltungsrecht

Anspruch auf rechtliches Gehör

Aktenzeichen  9 ZB 21.2210

Datum:
9.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34522
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103
BayBO Art. 54 Abs. 4
VwGO § 173
ZPO § 227

 

Leitsatz

1. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden, wobei sich das Gericht sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen hat, wenn sie entscheidungserheblich sind. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Ablehnung eines Antrags auf Vertagung eines Termins, zu dem das Gericht ordnungsgemäß geladen hat, kommt eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Vertagung iSv § 173 VwGO iVm § 227 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn sie schlüssig aufzeigt, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 K 20.1829 2021-07-12 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen für sofort vollziehbar erklärte sowie zwangsgeldbewehrte Sicherungsanordnungen des Landratsamts Nürnberger Land im Bescheid vom 10. August 2020, mit denen ihm unter Nr. 1 aufgegeben wurde, durch geeignete Maßnahmen (z.B. engmaschiges Netz, Austausch defekter Dachziegel und Lattungen) die öffentliche Verkehrsfläche vor seinem Anwesen M …weg, … … gegen herunterfallende Dachziegel abzusichern (Nr. 1 des Bescheids), und unter Nr. 2, die defekten Zaunelemente entlang seiner Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung S … aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen (Nr. 2).
Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 10. August 2020 Klage erhoben und einen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Den Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Oktober 2020 (Az. AN 3 S 20.1828) ab. Die Beschwerde hiergegen wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 (Az. 9 CS 20.2415) zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Juli 2021 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auch der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor.
1. Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
Der Kläger macht geltend, er habe die in Rede stehende Dachfläche bereits am 19. Juni 2020 in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt. Hinsichtlich einer im Eilverfahren (Az. AN 3 S 20.01828) vorgelegten Fotografie sei das Verwaltungsgericht fälschlich davon ausgegangen, dass diese eine andere Dachfläche abbilde. Damit genügt er bereits dem Darlegungsgebot nicht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO; vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 9 ZB 21.1537 – juris Rn. 7). Zum einen enthält die Akte des Verwaltungsgerichts (Az. AN 3 S 20.01828, AN 3 K 20.01829) keine in diesem Verfahren vorgelegten Lichtbilder. Zum anderen setzt er sich nicht substantiiert mit der vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil in Bezug genommenen zurückweisenden Beschwerdeentscheidung des erkennenden Senats (B.v. 16.12.2020 – 9 CS 20.2415) auseinander. Danach zeigen Gebäude und Zaun auf den vom Kläger im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lichtbildern nicht die Örtlichkeiten der vom Landratsamt Nürnberger Land dokumentierten Schäden. Auch die vom Landratsamt durchgeführte Baukontrolle am 27. Juli 2020 und wohl auch die am 22. September 2020 hätten das Fortbestehen der aufgenommenen Mängel ergeben. Eine nachvollziehbare Darlegung, warum diese Annahmen des Verwaltungsgerichtshofs, auf die das Verwaltungsgericht verwiesen hat, unzutreffend gewesen sein sollten, ist aber zu fordern, nachdem der Kläger auch im erstinstanzlichen Klageverfahren zur Frage der Erfüllung der Anordnungen vor Bescheiderlass nur vorgetragen hat, dass (vom Landratsamt) „Beweisfotos“ vor Fristablauf zum Beleg für die noch ausstehende Erledigung „der geforderten Sache“ gemacht worden seien, während spätere Fotos die Erledigung gezeigt hätten.
Nichts Anderes gilt, soweit der Kläger im Zulassungsverfahren vorbringt, die Einfriedung durch Holzlattenzaun stehe, wie sich aus den bei der Akte befindlichen Fotografien ergebe, zur Gänze auf seinem Anwesen und rage nicht in den öffentlichen Verkehrsraum hinein. Ein Betonpfosten sei bereits vor Fristablauf entfernt worden. Zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 10. August 2020 habe keine konkrete Gefahrenlage bestanden.
Das Verwaltungsgericht hat dagegen im Wege der Bezugnahme auf die Beschwerdeentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Eilverfahren die im Bescheid geschilderte Gefahrenlage und die Notwendigkeit des Eingreifens anhand der zahlreichen Fotos in der Behördenakte auch hinsichtlich des Zauns als belegt angesehen. Darüber hinaus hat es zu dem Einwand des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der streitgegenständliche Bescheid benenne tatsächlich keine Mängel, sondern fordere nur Schönheitsreparaturen, in seinen Entscheidungsgründen ergänzend ausgeführt, die in der Behördenakte befindlichen Fotos zeigten, dass im Dachbereich und bei Teilen der Einfriedung Mängel vorhanden seien, aufgrund derer von einer konkreten Gefahr für Personen, die den Gehweg im Bereich des Daches und des Zaunes nutzen, auszugehen sei. So sei beispielsweise auf einem Foto deutlich zu sehen, dass Dachziegel in der Dachrinne lägen, von wo aus sie auf den Gehweg fallen könnten. Hinsichtlich des Zauns sei zu erkennen, dass Zaunlatten zum Teil nahezu lose seien und als „Stolperfalle“ in den Gehweg ragen könnten. Auch zu dieser Bewertung durch das Verwaltungsgericht äußert sich der Kläger nicht. Er stellt ihr nur seine eigene Rechtsauffassung gegenüber (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2019 – 20 ZB 18.2196 – juris Rn. 3).
2. Der Zulassungsantrag kann auch nicht mit Erfolg auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gestützt werden.
a) Das Zulassungsvorbringen, dem Kläger seien die Unterlagen der Gegenseite erst drei Tage vor der mündlichen Verhandlung zugestellt worden und sein Antrag, den Termin zu verschieben, sei abgelehnt worden, lässt nicht auf die damit angesprochene Versagung rechtlichen Gehörs schließen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10).
Danach kommt bei Ablehnung eines Antrags auf Vertagung eines Termins, zu dem das Gericht ordnungsgemäß geladen hat, zwar eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Vertagung im Sinne von § 173 VwGO i.V.m § 227 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2020 – 15 ZB 19.425 – juris Rn. 42 m.w.N.). Einen Verlegungsantrag hat der Kläger aber schon nicht gestellt, sondern ausweislich der Akte in seinem Schreiben vom 3. Juli 2021, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 6. Juli 2021, nur für den Fall angekündigt, dass ihm die von ihm zuvor angeforderte Kopie der Akte des Landratsamts nicht bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. Juli 2021 übermittelt werden könne. Mit Schreiben vom 6. Juli 2021 erfolgte darauf die Versendung der Kopie der Behördenakte an den Kläger (s. S. 65 ff. d. GA). Der Kläger hat anschließend im erstinstanzlichen Verfahren keinen Verlegungsantrag gestellt, den das Verwaltungsgericht hätte verbescheiden können bzw. müssen. Er hat somit nicht sämtliche ihm verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2020 – 9 ZB 20.32183 – juris Rn. 4 m.w.N.). Zudem hat er sich auch nicht gegenüber dem Verwaltungsgericht darauf berufen, keine ausreichende Vorbereitungszeit gehabt zu haben oder dargelegt, warum ihm in Anbetracht der späten Versendung der Aktenkopie des Landratsamts der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung in zeitlicher Hinsicht unzumutbar war (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2020 – 15 ZB 19.425 – juris Rn. 43).
b) Soweit der Kläger eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Bestehens von Mängeln am Dach kritisiert, kann er damit ebenfalls nicht durchdringen.
Umfang und Art der Tatsachenermittlung bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerwG, U.v. 14.11.1991 – 4 C 1.91 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 2.4.2019 – 9 ZB 16.597 – juris Rn. 11). Eine Aufklärungsrüge – wie hier – kann nur Erfolg haben, wenn sie schlüssig aufzeigt, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. Mit der Beschwerde muss ferner dargelegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG, B.v. 16.3.2011 – 6 B 47.10 – juris Rn. 12). Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 12 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 21). Daran fehlt es hier. Der Kläger legt insbesondere nicht dar, warum es ihm nicht möglich gewesen wäre – z.B. im Wege der Vorlage und Erläuterung von weiteren Fotos – eine Sachverhaltsaufklärung anzustoßen. Nachdem das Verwaltungsgericht aufgrund der vom Landratsamt vorgenommenen Dokumentation vom Fortbestand sicherheitsrelevanter Mängel bei Bescheiderlass ausging, musste es Aufklärungsmaßnahmen nicht mehr von sich aus für erforderlich halten (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2018 – 9 ZB 16.321 – juris Rn. 32).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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