Verwaltungsrecht

Anspruch eines Berufsfeuerwehrbeamten auf Übernahme in den 24-Stunden-Einsatzdienst

Aktenzeichen  3 ZB 19.1676

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2824
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2003/88/EG Art. 22 Abs. 1 S. 1 lit. b
BayAzV § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
BeamtStG § 45

 

Leitsatz

1. Ist ein Urteil auf zwei unabhängig voneinander bestehende Begründungen gestützt, von denen jede die Klageabweisung selbstständig trägt, so kommt eine Zulassung der Berufung nur in Betracht, wenn für jeden der beiden Begründungsstränge ein Zulassungsgrund vorliegt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch unter der Annahme einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung oder einer Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht hat der benachteiligte Beamte keinen Anspruch, die Ungleicbehandlung in einer bestimmten, von dem Beamten begehrten Weise aufzulösen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 17.1082 2019-07-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Auf der maßgeblichen Grundlage des Zulassungsvorbringens liegen keine ernstlichen Zweifel in diesem Sinn vor, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen könnten.
1.1 Der Kläger begehrt mit seiner Klage im Hauptantrag die Verpflichtung der Beklagten, ihn wieder in einem 24-Stunden-Einsatzdienst der Berufsfeuerwehr einzusetzen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage unter Verweis auf die bekannten Beschlüsse (BayVGH, B.v. 13.7.2018 – 3 ZB 16.1027 und 3 ZB 16.1028 – n.v.; VG Augsburg, B.v. 7.4.2016 – Au 2 K 16.142 – juris) im Parallelfall eines Kollegen des Klägers, ebenfalls Beamter im feuerwehrtechnischen Dienst der Beklagten, mit Urteil vom 4. Juli 2019 abgewiesen. Es hat einen Anspruch aus dem Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung über die Arbeitszeit für den bayerischen öffentlichen Dienst (Bayerische Arbeitszeitverordnung – BayAzV) verneint, da dem Kläger im gegenwärtigen Dienstmodell keine dienst- oder laufbahnrechtlichen Nachteile entstünden. Der Regelungszweck dieser Norm verlange, dass der Dienstherr trotz des Benachteiligungsverbots und dessen dienst- und laufbahnrechtlicher Bedeutung in seiner Organisations- und Personalhoheit grundsätzlich frei bleiben und nicht auf die Umsetzung notwendiger personeller Organisationsmaßnahmen verzichten müsse, die zur Gewährleistung der Erfüllung der Aufgaben der Berufsfeuerwehr erforderlich seien. Eine unzulässige Retorsionsmaßnahme liege nicht vor. Die nach dem Widerruf der Opt-Out-Erklärung durch den Kläger vorzunehmende Gesamtbetrachtung der Situation unter Berücksichtigung aller positiven und negativen Aspekte ergebe keinen relevanten Nachteil im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayAzV. Es bestehe auch kein Anspruch des Klägers auf Beschäftigung in einem 24-Stunden-Modell in unmittelbarer Anwendung der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9; i.F.: Arbeitszeitrichtlinie). Selbst wenn man einen Nachteil für den Kläger durch die Gestaltung seines Dienstplans und damit eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sowie eine Fürsorgepflichtverletzung annehmen wolle, ergebe sich daraus kein Anspruch auf einen Einsatz im 24-Stunden-Dienst. Denn die Beseitigung der behaupteten Nachteile im Verhältnis zu den (unterstellt) bevorzugten Feuerwehrbeamten des 24-Stunden-Dienstes könne durch die Beklagte – vor dem Hintergrund des ihr zukommenden Organisationsermessens – auf verschiedene Art und Weise erfolgen. So könnten etwa die vom Kläger wegen vermehrter Dienstantritte als Nachteil angesehenen vermehrten Rüstzeiten in gewissem Umfang als Arbeitszeit anerkannt werden. Jedenfalls komme das Begehren, in den 24-Stunden-Dienst aufgenommen zu werden, nicht als einzige ermessensgerechte Entscheidung in Betracht. Die beklagte Ungleichbehandlung könne auch durch die Schaffung neuer Dienstzeitmodelle beseitigt werden.
1.2 Zur Begründung des Zulassungsantrags wird vorgetragen, eine richtlinienkonforme Auslegung des Nachteilsbegriffs der Bayerischen Arbeitszeitverordnung führe dazu, „dass jeglicher dem Kläger aufgrund fehlender Bereitschaft für einen Dienst von mehr als 48 Wochenstunden…entstehende Nachteil zu berücksichtigen sei“. Hierzu zählten insbesondere die infolge der häufigeren Dienstantritte erhöhten Zeiten der Arbeitswege und Rüstzeiten, der Entfall der Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten sowie die Aberkennung der „Ausrückefunktion“. Durch die ihnen drohenden Nachteile sollten Feuerwehrbeamte davon abgehalten werden, ihre Opt-Out-Erklärungen zu widerrufen. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Oktober 2010 (Fuß I – C-243/09 – Slg 2010, I-9849) begründe allein die Herausnahme aus dem Regeldienst einen unionsrechtlichen Nachteil. Im Rahmen der unterstellten Unanwendbarkeit von § 4 BayAzV habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass die Beklagte durchaus per Dienstanweisung den begehrten 24-Stunden-Dienst in richtlinienkonforme Weise regeln und dies von ihr auch verlangt werden könne. Zu Recht gehe das Verwaltungsgericht im Rahmen der weiteren Unterstellung einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes davon aus, dass gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BayAzV eine Arbeitszeit von maximal 40 Wochenstunden gelte und damit sämtliche Dienstplanvarianten der Beklagten für die Feuerwehrbeamten rechtswidrig seien. Die Handlungsoption der Beklagten bestehe darin, dem Kläger einen ihm nach Unionsrecht zustehenden 24-Stunden-Dienst anzubieten. Dem Verwaltungsgericht stehe nicht zu, Überlegungen zur Einsatzfähigkeit der Berufsfeuerwehr der Beklagten auf unionsrechtlich unzulässiger Grundlage anzustellen und dem Kläger so seine unionsrechtlichen Arbeitnehmerrechte zu verweigern.
1.3 Das angefochtene Urteil ist – wie dargestellt (1.2) – auf zwei unabhängig voneinander bestehende Begründungen gestützt, von denen jede die Klageabweisung selbstständig trägt (vgl. UA S. 11 Rn. 60). Eine Zulassung der Berufung kommt in diesem Fall einer kumulativen Begründung nur in Betracht, wenn für jeden der beiden Begründungsstränge ein Zulassungsgrund vorliegt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 124 Rn. 5 m.w.N.).
1.3.1 Es spricht bereits alles dafür, dass der Kläger – wie der Senat in den beiden gleich gelagerten Fällen (vgl. B.v. 13.7.2018 – 3 ZB 16.1028 – BA Rn. 15) zwei seiner Kollegen entschieden hat – durch die beanstandete Arbeitszeitgestaltung keinen rechtlich relevanten Nachteil im Sinne der maßgeblichen Vorschriften erlitten hat. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang erneut auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Oktober 2010 (Fuß I – C-243/09 a.a.O.) hinweist, nimmt der Senat auf seine Ausführungen zu diesem Vortrag im Parallelfall (BayVGH, B.v. 13.7.2018 – 3 ZB 16.1028 – BA Rn. 12-14) Bezug und sieht von einer erneuten Wiedergabe ab.
Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen zu Recht verneint hat (vgl. dazu UA Rn. 60 bis 87), insbesondere ob ein rechtlicher Nachteil (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b der Arbeitszeitrichtlinie bzw. § 4 BayAzV) vorliegt. Denn dem Kläger gelingt es jedenfalls nicht, mit seinen Angriffen auf den zweiten Begründungsstrang des Urteils (UA S. 22 Rn. 88 ff.) ernstliche Zweifel an dessen Richtigkeit aufzuzeigen.
1.3.2 Mit der Zulassungsbegründung wird die das klageabweisende Urteil tragende Annahme nicht ernsthaft infrage gestellt, wonach allein aus dem (unterstellten) Vorliegen eines Nachteils auf Seiten des Klägers durch die konkrete Gestaltung seines Dienstplans kein Anspruch auf einen Einsatz im begehrten 24-Stunden-Dienst folgt. Auch unter der Annahme einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) oder einer Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG) besteht der begehrte Anspruch nicht (UA S. 22 Rn. 88). Mit der näheren Begründung des Verwaltungsgerichts für diese Annahme setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht in einer Weise auseinander, die geeignet wäre, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aufzuzeigen. Das Argument, die Beklagte sei nicht daran gehindert, auch für Opt-Out-Verweigerer wie den Kläger einen 24-Stunden-Dienst im Wege der Dienstanweisung zu regeln, mag zutreffen; allerdings lässt sich hieraus keine entsprechende Verpflichtung ableiten. Es würde gegen die der Beklagten zukommende Organisationshoheit über ihre Feuerwehr verstoßen, wollte man ihr vorschreiben, in welcher Form sie die Einsatzpläne für Gruppen von Beamten mit verschiedenen Arbeitszeiten ausgestaltet. Das angefochtene Urteil weist auf verschiedene, der Beklagten offenstehende Möglichkeiten hin, die für den Kläger (unterstellten) Nachteile seines Arbeitszeitmodells auszugleichen (vgl. UA S. 23 Rn. 90), ohne dass die Zulassungsbegründung hierauf eingeht. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die Beseitigung der vom Kläger bezeichneten Nachteile gegenüber der Gruppe der vermeintlich bevorzugten Feuerwehrbeamten eben nicht nur durch seinen Einsatz im 24-Stunden-Dienst erreicht werden kann. Eine konkrete Rechtspflicht der Beklagten, im beantragten Sinn tätig zu werden, besteht nicht. Die erhobene Verpflichtungsklage kann demnach keinen Erfolg haben.
Entsprechendes gilt sinngemäß bei Annahme eines Verstoßes der Beklagten gegen den Gleichheitsgrundsatz (UA S. 24 Rn. 92). Diesem Grundsatz könnte nicht nur dadurch Rechnung getragen werden, dass der Kläger in den begehrten Dienstplan aufgenommen würde, sondern etwa auch dadurch, dass völlig neue Dienstplan-Modelle eingerichtet würden. Ob solche realistisch erscheinen, bedarf keiner näheren Erörterung angesichts der vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes vorzunehmenden rechtlichen Betrachtung.
1.2 Der Senat hat auch die weiteren Argumente des Klägers, die dieser in der 30-seitigen Zulassungsbegründung vom 19. September 2019 und in der weiteren Äußerung vom 26. Januar 2020 vorgebracht hat, erwogen. Er hat sie jedoch ebenfalls nicht für geeignet gehalten, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen, ohne dass es insoweit im vorliegenden Beschluss einer ausdrücklichen Auseinandersetzung bedurft hätte.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die ordnungsgemäße Darlegung dieses Zulassungsgrundes setzt die Formulierung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage voraus, die über den vorliegenden Fall hinausgehend für eine Vielzahl von Verfahren Bedeutung hat. Die beiden aufgeworfenen Rechtsfragen zur Reichweite von Art. 2 der Arbeitszeitrichtlinie sind nach den vorstehenden Ausführungen nicht entscheidungserheblich. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil (UA S. 22 b., Rn. 88). Unterstellt man hier das Vorliegen eines Nachteils im Sinn von Art. 22 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b der Arbeitszeitrichtlinie und § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayAzV, kommt es auf die Frage ihrer Auslegung und unmittelbaren Anwendung sowie auf die vermeintliche oder wirkliche Unionsrechtswidrigkeit der Bayerischen Arbeitszeitverordnung nicht mehr an. Selbst wenn also § 4 BayAzV im Hinblick auf eine nicht korrekte Differenzierung zwischen Dienstzeit und Ruhezeit im Sinne der RL 2003/88/EG unionsrechtswidrig sein und zu einer Ungleichbehandlung führen sollte, erwächst auch hieraus kein Anspruch auf den begehrten Einsatz in einem 24-Stunden-Dienst (UA S. 21).
3. Auch die Darlegungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO verhelfen dem Antrag nicht zum Erfolg. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung nur zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, geltend gemacht wird und auch vorliegt.
Zur Begründung seiner Verfahrensrüge behauptet der Kläger, das Verwaltungsgericht sei „Beweisanträgen des Klägers wie auch der Beklagten“ auf Einvernahme des ehemaligen Leiters der Berufsfeuerwehr der Beklagten, Herrn H., nicht nachgekommen; ohne diesen Verfahrensfehler „hätte das Gericht die Klage nicht abweisen können“. Aus dem Protokoll über die öffentliche Sitzung des Verwaltungsgerichts am 4. Juli 2019 ergibt sich jedoch nicht, dass der Kläger einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Im Übrigen ist der beigezogenen Verwaltungsakte zu entnehmen, dass die Beklagte die Einvernahme des Herrn H. als Zeugen mit Schreiben vom 7. Juni 2019 angeboten hat, woraufhin der Kläger (Schreiben v. 23.6.2019, S. 10) die Glaubwürdigkeit des Herrn H. als „nur eingeschränkt gegeben“ bezeichnet hat.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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