Verwaltungsrecht

Anspruch eines fraktionslosen Gemeinderatsmitgliedes auf Überlassung von Haushaltsunterlagen

Aktenzeichen  4 ZB 17.1586

Datum:
23.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 134597
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GeschO § 3 Abs. 5 S. 2, § 23 Abs. 1 S. 4
GG Art. 3 Abs. 1
BayGO Art. 56 Abs. 2, Art. 63 Abs. 2 S. 1 Nr. 1. Art. 64, Art. 65 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Den Fraktionen eines Gemeinderates dürfen weitergehende Rechte eingeräumt werden als fraktionslosen Gemeinderäten, solange damit nicht eine missbräuchliche Schlechterstellung und wesentliche Erschwerung ihrer Arbeit verbunden ist.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus der in der Geschäftsordnung normierten Verpflichtung, den Haushaltsplan jeder Fraktion einmal zur Verfügung zu stellen, folgt nicht zugleich das Verbot, diesen nicht auch den nicht fraktionsangehörigen Mitgliedern des Gemeinderats zur Verfügung zu stellen.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 16.2052 2017-03-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger, ein fraktionsloses Gemeinderatsmitglied, begehrt von der beklagten Gemeinde, dass ihm die gleichen Haushaltsunterlagen überlassen werden wie den Fraktionen und Gruppen des Gemeinderats.
Die Geschäftsordnung der Beklagten gewährt jedem Gemeinderatsmitglied zur Vorbereitung von Tagesordnungspunkten der nächsten Sitzung nach vorheriger Terminvereinbarung das Recht zur Einsicht in die entscheidungserheblichen Unterlagen, sofern Geheimhaltungsgründe nicht entgegenstehen (§ 3 Abs. 5 Satz 2 GeschO). Im Zusammenhang mit der Ladung zu Gemeinderatssitzungen sieht die Geschäftsordnung vor, dass der Tagesordnung weitere Unterlagen, insbesondere Beschlussvorlagen, beigefügt werden sollen, wenn und soweit das sachdienlich ist und Gesichtspunkte der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen; der Haushaltsplan wird jeder Fraktion einmal überlassen (§ 23 Abs. 1 Satz 3 und 4 GeschO).
Der Kläger trug im erstinstanzlichen Verfahren vor, die Gewährung nur eines Akteneinsichtsrechts ohne Kopiermöglichkeit benachteilige ihn in nicht gerechtfertigter erheblicher Weise gegenüber den fraktionsangehörigen Gemeinderatsmitgliedern.
Mit Urteil vom 22. März 2017 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, dem Kläger die Haushaltsunterlagen, die sie den Fraktionen und Gruppen des Gemeinderats zur Vorbereitung der Gemeinderatssitzungen zur Verfügung stellt, zur gleichen Zeit zu überlassen (schriftliches Exemplar, PDF oder Möglichkeit der Fertigung von Kopien). In der Begründung wurde ausgeführt, der Kläger könne aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) beanspruchen, ebenso wie alle anderen Gemeinderatsmitglieder einen dauerhaften Zugang zu den Haushaltsunterlagen zu erhalten. Sofern die Beklagte die Überlassung der Haushaltsunterlagen ablehne, die sie gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 GeschO den Fraktionen sowie ohne spezifische Rechtsgrundlage der bestehenden Gruppe nicht fraktionsgebundener Ratsmitglieder zur Verfügung stelle, müsse sie zur selben Zeit dem Kläger zumindest die beantragte Kopiermöglichkeit einräumen. Die Verwaltungspraxis, wonach jeder Mandatsträger mit Ausnahme des Klägers dauerhaften Zugang zu den Unterlagen erhalte, benachteilige diesen bei der Sitzungsvorbereitung gegenüber den Ratskollegen in erheblicher und sachlich nicht gerechtfertigter Weise. Zwar sei es nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zulässig, den Fraktionen weitergehende Rechte einzuräumen als fraktionslosen Gemeinderäten, solange damit nicht eine missbräuchliche Schlechterstellung und wesentliche Erschwerung ihrer Arbeit verbunden sei. Es sei auch nicht zu beanstanden, wenn eine Geschäftsordnung vorsehe, Sitzungsvorlagen im Regelfall nur den Fraktionen sowie den Ausschussgemeinschaften und -mitgliedern zuzuleiten. Aus dieser Rechtsprechung ergebe sich allerdings nicht, dass eine Ungleichbehandlung der Gemeinderatsmitglieder bezüglich des Zugangs zu den Haushaltsunterlagen gerechtfertigt sei. Das von der Beklagten aufgrund der Geschäftsordnung ausgeübte Ermessen orientiere sich an dem legitimen Ziel, ihren personellen und sachlichen Aufwand bei der Information der Gemeinderatsmitglieder über die umfangreichen Haushaltsunterlagen möglichst gering zu halten. Im Regelfall sei durch die Überlassung eines Exemplars an jede Fraktion die Information der Gemeinderatsmitglieder gewährleistet. Sei dies, wie bei fraktionslosen Gemeinderatsmitgliedern, ausnahmsweise nicht der Fall, müsse mit Blick auf die Bedeutung der Unterlagen für die Ratsarbeit entschieden werden, ob dieser Nachteil im Sinne einer Gleichbehandlung angemessen auszugleichen sei. Demgemäß habe die Beklagte ihr Ermessen in der Vergangenheit bereits zugunsten des auch vormals fraktionslosen Klägers ausgeübt und übe sie derzeit zugunsten der einer Gruppe angehörigen fraktionslosen Gemeinderatsmitglieder aus, indem sie auch ihnen ein Exemplar der Haushaltsunterlagen zur Verfügung stelle. Aufgrund der aktuellen Handhabung sei von einer Selbstbindung auszugehen; auch stelle die Versagung einer Kopiermöglichkeit bzw. der Überlassung der Haushaltsunterlagen in elektronischer oder gedruckter Form an den Kläger einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar, weil kein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst irgendwie einleuchtender Grund für die Ungleichbehandlung ersichtlich sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kläger tritt dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. März 2017 bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 VwGO).
a) An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel sind nur gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Beklagte trägt vor, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, sie räume neben den Fraktionen auch der Gruppe der „Unabhängigen Bürger“ ein aus § 23 Abs. 1 Satz 4 GeschO abgeleitetes Recht auf Überlassung der vollständigen Haushaltsunterlagen ein. Eine derartige Verwaltungsübung existiere jedoch nicht. Tatsächlich erhalte die genannte Gruppierung ein Exemplar der Haushaltsunterlagen nur aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Finanzausschuss der Beklagten als Tischvorlage. Die Ungleichbehandlung, die der Kläger erfahre, sei somit durch seinen fehlenden Status als Fraktionsbzw. Ausschussmitglied gerechtfertigt. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts besitze der erste Bürgermeister der Beklagten nach § 23 Abs. 1 Satz 3 GeschO keinen Ermessensspielraum.
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Darstellung im Zulassungsantrag nicht angenommen, die Überlassung der Haushaltsunterlagen an die im Gemeinderat der Beklagten bestehende Gruppe ohne Fraktionsstatus sei ein auf § 23 Abs. 1 GeschO gestütztes Recht. Es hat vielmehr ausgeführt, dies geschehe mangels spezifischer Rechtsgrundlage (UA S. 17) nach allgemeinem gemeindlichen Ermessen im Rahmen von Art. 56 Abs. 2 GO (UA S. 19). Damit hat das Gericht den bestehenden rechtlichen Rahmen zutreffend bestimmt. Dass die genannte Verwaltungspraxis nur auf einer Ermessensentscheidung beruhen kann, folgt zwingend aus dem Fehlen einer Geschäftsordnungsbestimmung, die den Gruppierungen mit weniger als drei Mitgliedern (§ 5 Satz 2 GeschO) einen Rechtsanspruch auf Überlassung der Unterlagen vermitteln könnte. Eine diesbezügliche Sonderregelung lässt sich insbesondere den Vorschriften über den Finanzausschuss und dessen Aufgaben (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 GeschO) nicht entnehmen. Dass der darin vertretenen zweiköpfigen Gruppierung der „Unabhängigen Bürger“ gleichwohl im Ermessenswege ein Exemplar der Haushaltsunterlagen als Tischexemplar überlassen wird, verstößt andererseits nicht gegen die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 GeschO. Denn aus der dort normierten Verpflichtung, den Haushaltsplan jeder Fraktion einmal zu überlassen, folgt nicht zugleich das Verbot, dieses der Haushaltssatzung zugrundeliegende Zahlenwerk (Art. 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Art. 64 GO) den nicht fraktionsangehörigen Mitgliedern des Gemeinderats ebenfalls zur Verfügung zu stellen.
Ist demnach der erste Bürgermeister der Beklagten wenn schon nicht verpflichtet (dazu BayStMI v. 6.8.1995, LT-Drs. 13/3098, FSt 1996, 210), so doch jedenfalls befugt, über den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 4 GeschO hinaus auch anderen Ratsmitgliedern den Haushaltsplan dauerhaft – d. h. nicht bloß zur Einsichtnahme nach § 3 Abs. 5 Satz 2 GeschO – zugänglich zu machen, so muss dies allerdings ermessensfehlerfrei geschehen und insbesondere dem auch für die ratsinternen Beziehungen geltenden allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2012 – 8 C 22/11 – BVerwGE 143, 240 Rn. 15) angemessen Rechnung tragen. Dies war hier, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, nicht der Fall, da dem Kläger anders als der zweiköpfigen Gruppe der „Unabhängigen Bürger“ der Haushaltsplan weder in gedruckter oder elektronischer Form noch auch nur als Kopiervorlage zur Verfügung gestellt worden ist. Ein hinreichender sachlicher Grund für die darin liegende Ungleichbehandlung ist nicht zu erkennen. Der bloße Umstand, dass die genannte Gruppe – aufgrund eines Losentscheids – einen eigenen Vertreter in den Finanzausschuss entsendet, genügt entgegen der im Zulassungsverfahren geäußerten Rechtsauffassung der Beklagten nicht, um darauf eine unterschiedliche Ermessenshandhabung zu stützen. Der Finanzausschuss besitzt keine eigenen Entscheidungsbefugnisse, sondern ist als vorberatender Ausschuss lediglich mit der Vorbereitung der Haushaltssatzung und einer etwaigen Nachtragshaushaltssatzung betraut (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 GeschO). Wird einer diesem Ausschuss angehörenden Gruppierung ein Exemplar des Haushaltsplans ausgehändigt, kann sie davon nicht nur in den Ausschusssitzungen, sondern auch bei der anschließenden Beratung und Beschlussfassung im Gemeinderat (Art. 65 Abs. 1 GO) Gebrauch machen. Die keiner Fraktion zugehörigen, jedoch im Finanzausschuss vertretenen Ratsmitglieder verfügen damit in den entscheidenden Plenarsitzungen über deutlich genauere und vollständigere Informationen als die anderen fraktionslosen Mitglieder, ohne dass für diese unmittelbar mandatsbezogene Begünstigung eine sachliche Rechtfertigung gegeben wäre.
b) Die vorliegende Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die Beklagte trägt hierzu vor, es sei zu fragen, ob die Klage zwar nicht aus Gründen der Gleichbehandlung, jedoch unter dem Gesichtspunkt eines ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Anspruchs auf Zurverfügungstellung der Haushaltsunterlagen Erfolg hätte. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stehe einem Ratsmitglied nach der Gemeindeordnung kein individuelles Informationsrecht zu. Ob sich einzelne Mandatsträger zur effektiven Wahrnehmung ihrer organschaftlichen Mitwirkungsbefugnisse insoweit auf ein verfassungsunmittelbares Informationsrecht berufen könnten, habe der Senat zuletzt mit Hinweis auf die Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte offengelassen.
Eine besondere rechtliche Schwierigkeit, die zur Zulassung der Berufung führen könnte, ist damit nicht dargetan. Auf die bisher nicht abschließend geklärte Frage des Bestehens und der möglichen Reichweite eines Informations- und insbesondere Auskunftsanspruchs einzelner Mandatsträger (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2015 – 4 ZB 14.1692 – Rn. 16; B.v. 11.2.2014 – 4 ZB 13.2225 – BayVBl 2014, 405 Rn. 13 f.) kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an, da aus den oben dargelegten Erwägungen selbst bei Verneinung eines solchen originären Rechtsanspruchs jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ein derivatives Recht auf Informationsteilhabe bezüglich der Haushaltsunterlagen besteht.
c) Aus den gleichen Gründen kann der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob der Kläger aufgrund eines aus seinen organschaftlichen Mitwirkungsbefugnissen abzuleitenden ungeschriebenen Informationsanspruchs verlangen kann, dass ihm die Haushaltsunterlagen zur Verfügung gestellt werden, kann hier offenbleiben, weil ihm der geltend gemachte Anspruch angesichts der bisherigen Verwaltungspraxis der Beklagten schon aus Gründen der Gleichbehandlung zusteht.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs.
Der vorliegende Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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