Verwaltungsrecht

Antrag auf Ehegattennachzug bei erloschenem Visum zur Ausübung einer Au-Pair-Tätigkeit

Aktenzeichen  10 CE 20.1914 ; 10 CS 20.1915

Datum:
18.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24613
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 7 Abs. 1 S. 3, § 18d, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 48 Abs. 1, § 60a Abs. 4, § 81 Abs. 3, Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 1
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Eine Nebenbestimmung, wonach ein Aufenthaltstitel erlischt, wen ein genau bezeichnetes Arbeitsverhältnis endet, zu dessen Durchführung der Aufenthaltstitel erteilt wird, ist zulässig. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum kann grundsätzlich nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder an der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können.  (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 20.1183 2020-08-07 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 20.1914 und 10 CS 20.1915 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 20.1914 wird auf 1.250,- Euro festgesetzt, der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 20.1915 auf 5.000,- Euro.

Gründe

I.
Mit ihren Beschwerden verfolgt die Antragstellerin ihre in erster Instanz erfolglosen Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Juli 2020 und hilfsweise auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie bis zur Durchführung des Visumverfahrens in der deutschen Botschaft in In. zu dulden und eine entsprechende Bescheinigung auszustellen, weiter.
Die Antragstellerin reiste am 25. April 2018 mit einem bis zum 22. Oktober 2018 gültigem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dieses war mit dem Zusatz versehen: „Gilt nur für eine Au-Pair-Tätigkeit bei der Familie Ko., M.“. Weiterhin war eine Nebenbestimmung verfügt, wonach der Aufenthaltstitel mit „Beendigung dieser Tätigkeit oder mit Bezug öffentlicher Leistungen“ erlösche.
Familie Ko. kündigte den Au-Pair-Vertrag am 12. Juni 2018 mit sofortiger Wirkung. Die Antragstellerin beendete die Tätigkeit und flog in ihre Heimat In. zurück. Am 20. Juli 2018 schloss sie einen neuen Au-Pair-Vertrag mit der Familie K. aus St. und reiste am 12. September 2018 zum Antritt dieser Stelle wieder in das Bundesgebiet ein. Am 19. Oktober 2018 stellte sie einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei der zuständigen Ausländerbehörde, über den nicht entschieden wurde. Mit Schreiben vom 7. November 2018 war der Antragstellerin von der Ausländerbehörde allerdings mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, den Antrag abzulehnen, weil ihr Visum mit der Kündigung des Vertrags durch die Familie Ko. erloschen sei. Der Antrag vom 19. Oktober 2018 habe keine Fiktionswirkung ausgelöst und sie sei zur Ausreise verpflichtet. Die Tätigkeit bei der Familie K. wurde am 9. Juli 2019 beendet. Die Antragstellerin erklärte sich zunächst bereit, nach In. auszureisen, und legte ein Rückflugticket vor, beantragte dann aber mit Schriftsatz vom 11. September 2019 bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18d AufenthG hilfsweise § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Am 20. Februar 2020 heiratete sie einen deutschen Staatsangehörigen. Den für den 24. März 2020 vereinbarten Termin zur Beantragung eines Visums zum Ehegattennachzug bei der deutschen Botschaft in J. konnte sie aufgrund der Einschränkungen des Flugverkehrs wegen der Covid-19-Pandemie nicht wahrnehmen. Aus diesem Grund erteilte ihr die Antragsgegnerin eine bis 18. Juni 2020 gültige Duldung.
Mit Schreiben vom 6. Mai 2020 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Die Erteilung eines Visums sei aufgrund der weltweiten Reisewarnung des Auswärtigen Amtes mit tatsächlichen und rechtlichen Unwägbarkeiten verbunden. Die Nachholung sei er daher nicht zumutbar. Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 beantragte sie zudem die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 und Abs. 5 AufenthG.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Juli 2020 lehnte die Antragsgegnerin die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18d (Nr. I.), § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (Nr. I.I.) und § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (Nr. I.II) sowie die Anträge auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung (Nr. II.) ab. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, der Antragsgegnerin ihren indonesischen Reisepass auszuhändigen. Diese Anordnung wurde mit der Androhung eines Zwangsgeldes versehen (Nr. III. und IV.). Weiterhin forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, das Bundesgebiet bis 30. Juli 2020 zu verlassen und drohte ihr im Falle der Nichtbefolgung die Abschiebung nach In. an (Nr. V. und VI.). Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erteilung einer Duldung wurde ebenfalls abgelehnt (Nr. VII.).
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Klage (Au 1 K 20.1182). Zudem beantragte sie im Eilverfahren, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 6. Juli 2020 anzuordnen und, hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Fiktionsbescheinigung auszustellen, weiter hilfsweise, ihr eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und eine entsprechende Bescheinigung auszustellen.
Mit Beschlüssen vom 7. August 2020 lehnte das Verwaltungsgericht die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Au 1 S 20.1214) und auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung bzw. Duldung ab (Au 1 E 20.1183).
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Verfahren Au 1 S 20.1214 aus, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei nur teilweise statthaft. Das der Antragstellerin erteilte Visum sei mit der Beendigung der Tätigkeit bei der Familie Ko. erloschen. Der am 19. Oktober 2018 gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für eine Au-Pair-Beschäftigung bei der Familie K. in St. habe damit keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG entfalten können. Die vom Landratsamt ausgestellte Fiktionsbescheinigung habe nur deklaratorische Wirkung. Im Hinblick auf die Pflicht zur Aushändigung des indonesischen Reisepasses sei der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenfalls unzulässig. Rechtsgrundlage der Anordnung sei § 48 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Die Klage gegen Anordnungen nach dieser Vorschrift hätten gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Bezüglich der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung sowie die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sei der Antrag statthaft, habe in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unzulässig, soweit er sich gegen die Gebührenfestsetzung im streitgegenständlichen Bescheid wende. Nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO müsse zunächst ein Antrag bei der Behörde gestellt werden.
Im Verfahren Au 1 E 10.1183 führte das Verwaltungsgericht zur Begründung aus, Gegenstand des Antrags nach § 123 VwGO sei der geltend gemachte Anspruch der Antragstellerin auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung und hilfsweise auf Erteilung einer Duldung. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung bestehe gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG dann, wenn ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Fiktionswirkung habe. Nachdem die Antragsgegnerin mittlerweile die Anträge der Antragstellerin auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen mit Bescheid vom 6. Juli 2020 abgelehnt habe, sei weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Klage. Diese sei im Verfahren Au 1 S 20.1214 abgelehnt worden. Ein Anordnungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die Antragstellerin habe ohne vorherige Durchführung eines Visumverfahrens keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu ihrem deutschen Ehemann. Sie sei nicht mit dem für den Ehegattennachzug erforderlichen Visum eingereist. Sie sei auch nicht berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen. Die Ausnahmevorschrift des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV greife nicht, da die Antragstellerin nicht mehr im Besitz eines nationalen Visums sei. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG könne von der Verpflichtung zur Einreise mit dem erforderlichen Visum abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt seien. Ein solcher Anspruch sei nicht gegeben, weil nach derzeitigem Stand vieles dafür spräche, dass ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vorliege. Das Visum, das die deutsche Botschaft in J. der Antragstellerin erteilt habe, sei ausdrücklich nur für eine Au-Pair-Tätigkeit bei der Familie Ko. gültig gewesen. Auch für die Annahme der Unzumutbarkeit der Durchführung des Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Ebensowenig ergebe sich ein Anordnungsanspruch aus dem Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Der besondere Schutz der Ehe gemäß Art. 6 GG stehe der Pflicht zur Nachholung des Visumverfahren nicht entgegen. Auch die Covid-19-Pandemie führe nicht zu einem tatsächlichen oder rechtlichen Ausreisehindernis. Es finde weiterhin Flugverkehr zwischen In. und Deutschland statt. Auch die Beantragung des Visums bei der Botschaft sei möglich.
Im Beschwerdeverfahren beantragt die Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Juli 2020 (Nr. I. bis I.II. und III. bis VII.) anzuordnen, hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine vorläufige Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und eine Bescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG auszustellen.
Die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Augsburg stellten ein einziges vorläufiges Rechtsschutzverfahren dar. Das Verwaltungsgericht sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur teilweise statthaft sei. Das Verwaltungsgericht nehme rechtsfehlerhaft an, dass die Fiktionswirkung nicht eingetreten sei, weil das Visum der Antragstellerin mit der Beendigung der Tätigkeit bei der Familie Ko. erloschen sei. Diese auflösende Bedingung sei nicht eingetreten und sei zudem nichtig gewesen. Es sei eine restriktive Auslegung der genannten auflösenden Bedingung vorzunehmen, weil die Antragstellerin keine Juristin sei und zum Zeitpunkt der Wiedereinreise nicht über die notwendigen Deutschkenntnisse verfügt habe, um den Inhalt der auflösenden Bedingung im Sinne der Auslegung des Verwaltungsgerichts zu interpretieren. Zudem habe sie sich sicherheitshalber bei der deutschen Botschaft in In. darüber erkundigt, ob sie mit dem bestehenden Visum bei einem Wechsel der Gastfamilie wieder einreisen könne. Sinn und Zweck der auflösenden Bedingung sei nicht die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Familie Ko., sondern die Beendigung der Tätigkeit als solche gewesen. Auch wenn die Erteilung des Visums erst aufgrund der positiven Prüfung des konkreten Au-Pair-Vertrages durch die deutsche Botschaft in In. erfolge, folge hieraus nicht zwingend, dass bei Beendigung der Tätigkeit bei der Gastfamilie bei gleichzeitiger Begründung eines neuen Au-Pair-Verhältnisses das Visum erlösche und ein neues Visumverfahren für die neue Gastfamilie durchzuführen sei. Zudem sei das Vertragsverhältnis zwischen der Antragstellerin oder Familie Ko. bei der Wiedereinreise nicht rechtswirksam beendet gewesen. Die auflösende Bedingung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Augsburg nicht nur anfechtbar, sondern nichtig gewesen, weil die Bestimmung einer auflösen Bedingungen einen besonders schwerwiegenden offensichtlichen Mangel darstelle. Wann die Au-Pair-Tätigkeit bei der Familie Ko. beendet gewesen sei, sei nicht ohne weiteres bestimmbar. Auch das Verwaltungsgericht Augsburg habe keine tragfähige Begründung dafür geliefert, wann eine Beendigung der Tätigkeit eintrete. Eine unwirksame fristlose Kündigung könne es jedenfalls nicht sein. Das Visum sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei der erneuten Einreise der Antragstellerin in das Bundesgebiet also nicht ungültig gewesen. Daher sei auch die Fiktionswirkung mit dem rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der späteren Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eingetreten. Das Landratsamt habe daher zu Recht Fiktionsbescheinigungen erteilt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts habe die Antragstellerin auch die Regelerteilungsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzugs erfüllt. Es komme nämlich gerade nicht darauf an, ob sie mit einem nationalen Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs eingereist sei. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei hier nicht einschlägig, weil sie sich auf einen Fall bezogen habe, bei dem der Antragsteller mit einem Schengen-Visum eingereist gewesen sei. Das nationale Visum nach § 6 Abs. 3 AufenthG sei gerade auf einen längerfristigen Aufenthalt angelegt, gleich welchem Zweck er diene. Auch wenn die Aufenthaltserlaubnis nicht zu dem beantragten Zweck verlängert werden könne, sei jedenfalls eine vorherige Ausreise überflüssig.
§ 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV schließe den Wechsel des Aufenthaltszwecks gerade nicht aus, wenn ein solcher Zweckwechsel nicht gesetzlich ausgeschlossen sei. Die Ausweisherausgabeanordnung sei ebenfalls gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar, denn es handle sich bei ihr um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung sei nicht nur zulässig, sondern auch offensichtlich begründet. Die Vollstreckung des Zwangsgeldes durch die Antragsgegnerin sei momentan ausgesetzt. Dies ändere jedoch nichts an dem bestehenden Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Androhung des Zwangsgeldes. Auch die Abschiebungsandrohung verletze die Antragstellerin in ihren Rechten, weil sie aufgrund der Fortgeltung der Fiktionswirkung ihres Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei. Das Verwaltungsgericht setzte sich auch in Widerspruch zu seiner Begründung im Verfahren auch 1 E 20.1183, wenn es annehme, dass das Visumverfahren zügig im Heimatland der Beschwerdeführerin nachgeholt werden könne, aber vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ausgehe. Die Antragstellerin müsse vielmehr aufgrund der Begründung des Verwaltungsgerichts befürchten, dass ihr wegen des Vorliegens eines angeblich schwerwiegenden Ausweisungsinteresses kein Visum erteilt werde. Es sei sehr wohl glaubhaft, dass die Antragstellerin bei der deutschen Botschaft in J. Informationen zur Erteilung des Visums eingeholt habe. Die deutsche Botschaft sei telefonisch nur über sogenannte Locals erreichbar, die nicht der Lage seien, eine qualifizierte Auskunft zu diesem Verfahren zu erteilen. Auch habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass die drohenden Folgen der Corona-Pandemie dazu führen könnten, dass die Antragstellerin bei der Einreise nach In. für längere Zeit willkürlich in Quarantäne genommen werde und sich sogar mit Corona infizieren und daran sterben könne. Durch die Beendigung der Fiktionswirkung infolge der Ablehnung der Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung sei nunmehr zudem Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beantragen gewesen. Lediglich für den Fall, dass die Wiederherstellung des Suspensiveffekts abgelehnt worden wäre, sei hilfsweise der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt worden. Es werde nunmehr nur der äußerst hilfsweise gestellte Antrag auf Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG gestellt. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung werde nicht mehr aufrechterhalten, weil die Fiktionswirkung mit der Ablehnung der beantragten Aufenthaltsgenehmigung entfallen sei und zwar unabhängig davon, dass die Ablehnung des Antrags rechtswidrig gewesen sei. Trotz der nach § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG fehlenden Fiktionswirkung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis könne eine Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO für Dauer des Aufenthaltserlaubnisverfahrens erwirkt werden, wenn dies erforderlich sei, um sicherzustellen, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetze, dem möglicherweise Begünstigten zu Gute komme. Die Antragstellerin habe auch einen Anordnungsanspruch, da ihr entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein Anspruch auf Erteilung auf Aufenthaltsgenehmigung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zustehe, weil nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum abgesehen werden müsse. Das Verwaltungsgericht gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das nationale Visumverfahren nochmals zu durchlaufen sei, weil die Antragstellerin keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung habe. Dies sei mit der Gesetzessystematik nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung nicht vereinbar. Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei es, auf die Nachholung des Visumverfahrens zur Vermeidung unnötigen Verwaltungs- und Reiseaufwands nur dann zu verzichten, wenn sich alle Voraussetzungen für eine Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits im Inland ohne eine ins Detail gehende Einzelfallprüfung feststellen ließen. Dies könne auch bei einer Ermessensreduzierung auf „Null“ der Fall sein, wenn die Ausländerbehörde keine umfangreichen Ermittlungen und Abwägungen vorzunehmen brauche, weil sich das materielle Ergebnis ohne weiteres in einer Anspruchsnorm finden lasse. In dem hier zu entscheidenden Fall seien deswegen besondere Umstände gegeben, weil die Antragstellerin ursprünglich erlaubt mit einem erforderlichen nationalen Visum eingereist sei und alle erforderlichen Voraussetzungen, die von der zuständigen Auslandsvertretung der Bundesrepublik zu prüfen seien, bereits geprüft worden seien. Die deutsche Botschaft in In. habe im Rahmen des Verfahrens zur Legalisierung der Ehefähigkeit die von ihr zu prüfenden notwendigen Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung positiv verbeschieden, genauso wie die zuständige Ausländerbehörde durch die Erteilung der Vorabzustimmung die übrigen Voraussetzungen ausdrücklich bejaht habe. Es gebe nichts, was die deutsche Botschaft und die Antragsgegnerin materiell noch prüfen müssten. Die Verweisung auf die Wiederholung des Verfahrens zur Einholung eines nationalen Visums sei eine reine Schikane. Völlig neben der Sache liege die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass nach § 54 Abs. 2 Nr.9 AufenthG ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliege, nur weil die Antragstellerin aufgrund des Eintritts einer rechtswidrigen auflösenden Bedingungen ohne gültiges Visum wieder in das Bundesgebiet eingereist sein solle. Selbst wenn das Visum bei der Wiedereinreise erloschen gewesen wäre, hätte die Antragstellerin durch die erneute Einreise nach Deutschland weder nachhaltig oder schwerwiegend gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen verstoßen. Zur Frage einer anhaltenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zeitpunkt der Entscheidung enthalte die Begründung des Verwaltungsgerichts noch nicht einmal einen Nebensatz. Ebenso wenig dazu, dass die Antragsgegnerin in der Vergangenheit überhaupt keine Gefahrenprognose angestellt habe. Habe die Ausländerbehörde dies – wie hier die Antragsgegnerin – im Rahmen der erteilten Vorabzustimmung geprüft und für unbeachtlich gehalten, sei sie daran auch bei Entscheidung über die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels gebunden. Den hier einschlägigen § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hätten weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht in den Blick genommen. Der Antragstellerin komme zudem als Ehefrau eines deutschen Staatsangehörigen ein sich unmittelbar aus Art. 20 AEUV ergebendes Bleiberecht zu. Entweder sei hier im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG davon auszugehen, dass ein Regelfall nicht vorliege und deshalb eine Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise trotz des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes erteilt werden könne, oder es könne nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Zur Begründung wird auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und das erstinstanzliche Vorbringen verwiesen. Es bestünden Zweifel, ob der Vortrag der Antragstellerin, sie habe sich vor ihrer erneuten Wiedereinreise bei der deutschen Botschaft erkundigt, ob sie mit dem ursprünglichen Visum wieder einreisen dürfe, der Wahrheit entspreche. Auf den von der deutschen Botschaft vorgelegten Email-Verkehr werde verwiesen.
Die Landesanwaltschaft beteiligt sich im Verfahren 10 CS 20.1915 als Vertreter des öffentlichen Interesses. Sie ist der Auffassung, dass das Visum der Antragstellerin mit Beendigung der Tätigkeit bei der Familie Ko. erloschen sei.
Die Antragstellerin erwidert mit Schriftsatz vom 7. September 2020, der Schriftverkehr ihrer Mutter mit der Botschaft in J. habe sich aufgrund des Anhörungsschreibens des Landratsamtes St. ergeben. Eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG scheitere schon an der Rückführungsrichtlinie. Auch könne an eine rechtswidrige auflösende Bedingung keine Strafbarkeit geknüpft werden. Zudem habe sich die Antragstellerin aufgrund der Auskunft der Botschaft bezüglich ihrer angeblich illegalen Einreise in einem Tatbestandsirrtum befunden. Die Nachholung des Visumverfahrens sei ihr nicht zumutbar, weil bereits alle Erteilungsvoraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug von der Botschaft und der Antragsgegnerin geprüft worden seien. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der wegen der Corona-Pandemie bestehenden Reisewarnungen für In..
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die Verfahren 10 CE 20.1914 und 10 CS 20.1915 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass die vom Verwaltungsgericht in zwei getrennten Verfahren entschiedenen Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO (Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 6. Juli 2020) und § 123 VwGO (Antrag auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG) im Verhältnis Haupt-/Hilfsantrag stehen sollen.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Juli 2020 und den (hilfsweise gestellten) Antrag nach § 123 VwGO auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr eine Duldung zu erteilen, zu Recht abgelehnt hat. Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen.
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur teilweise statthaft ist. Soweit er zulässig ist, ist er unbegründet.
1.1 Dies gilt zunächst für den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Nr. I.II. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 6. Juli 2020. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vom 6. Mai 2020 hat keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst, weil die Antragstellerin im Zeitpunkt der Stellung des Antrags nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels bzw. eines als fortbestehend geltenden Aufenthaltstitels war. Denn das nationale Visum, das ihr zum Zweck der Aufnahme einer Au-Pair-Tätigkeit bei der Familie Ko. erteilt worden und bis zum 22. Oktober 2018 gültig war, war bei der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 19. Oktober 2018 bereits erloschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Das Visum war mit der auflösenden Bedingung (§ 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) versehen, dass es mit der Beendigung der Tätigkeit bei der Familie Ko. erlischt. Eine Nebenbestimmung, wonach ein Aufenthaltstitel erlischt, wenn ein genau bezeichnetes Arbeitsverhältnis endet, zu dessen Durchführung der Aufenthaltstitel erteilt wird, ist zulässig (Maor in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, § 12 AufenthG Rn. 9). Die auflösende Bedingung im Visum ist auch hinreichend bestimmt, weil sich aus ihr klar und eindeutig ergibt, dass der Aufenthaltstitel erlischt, wenn die als Aufenthaltszweck bezeichnete Tätigkeit beendet ist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wirksam ist, weil die Nebenbestimmung nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf die Beendigung der Tätigkeit abstellt. Angesichts der klaren Wortlauts bedarf die Nebenbestimmung keiner Auslegung und es sind auch keine besonderen juristischen oder sprachlichen Kenntnisse erforderlich, um die Regelungswirkung der Nebenbestimmung (Erlöschen bei Beendigung dieser Tätigkeit [Au-Pair-Tätigkeit bei Familie Ko.]) zu erkennen. Eine solche Nebenbestimmung ist aber in der Regel als ermessensfehlerhaft anzusehen, wenn das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis unmittelbar mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses eintritt, ohne dass dem Betroffenen eine angemessene Übergangsfrist eingeräumt wird (VGH BW, B.v. 11.12.2013 – 11 S 2077/13 – juris). Dies ergibt sich auch aus Nr. 12.2.3 AVwV-AufenthG, wonach dann, wenn der Ausländer aufgrund der auflösenden Bedingung vollziehbar ausreisepflichtig wird, durch eine entsprechende Ausgestaltung der auflösenden Bedingung eine hinreichende Frist zur Ausreise, die mindestens 14 Tage betragen soll, einzuräumen ist. Das Verwaltungsgericht hat aber zu Recht festgestellt, dass die Bedingung bestandskräftig und damit, obwohl nicht mit einer angemessenen Auslauffrist versehen, wirksam ist, weil die Antragstellerin nicht innerhalb eines Jahres nach Erteilung des Visums Rechtsmittel eingelegt hat (§ 58 Abs. 2 VwGO; vgl. Kerstin Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 12 AufenthG Rn. 6; BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 20.09 – juris Rn. 15). Für die Wirksamkeit der auflösenden Bedingung kommt es entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin nicht darauf an, ob sie auf die angebliche Auskunft der Botschaft in J., sie könne mit dem Visum vom 23. April 2018 für eine Au-Pair-Tätigkeit bei einer anderen Familie, die nicht im Visum genannt ist, erneut einreisen, vertrauen durfte. Entscheidend ist, dass sie es versäumt hat, fristgerecht gegen die betreffende Nebenbestimmung Rechtsmittel einzulegen. Im Übrigen war der Antragstellerin spätestens durch das Anhörungsschreiben des Landratsamtes St. vom 7. November 2018 bekannt, dass die Auskunft der Botschaft, die ihr angeblich erteilt worden ist, unrichtig war bzw. die Ausländerbehörde eine andere Rechtsauffassung vertritt. Es lag ab diesem Zeitpunkt in der Hand der Antragstellerin, die notwendigen Schritte einzuleiten. Für den Einritt der auflösenden Bedingung in dem Visum vom 23. April 2018 ist es unerheblich, ob die Antragstellerin von der deutschen Botschaft telefonisch die Auskunft erhalten hat, sie könne mit diesem Visum erneut einreisen. Ausschlaggebend ist ausschließlich, dass die Voraussetzungen für den Bedingungseintritt (Beendigung der Tätigkeit) vorliegen und das Visum erloschen ist. Auf die Glaubhaftigkeit des Vortrags der Antragstellerin zu ihrem Telefonat mit der deutschen Botschaft in J. kommt es somit nicht an, weil ihre subjektive Vorstellung vom Bedingungseintritt allenfalls für die Frage Bedeutung hat, ob eine vorsätzliche illegale (erneute) Einreise vorlag.
Für eine Nichtigkeit der Nebenstimmung in dem Visum nach § 44 Abs. 1 VwVfG gibt es auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die Frage, ob die Au-Pair-Tätigkeit bei der Familie Ko. beendet ist, hängt nicht von komplexen rechtlichen Bewertungen, sondern allein von der tatsächlichen Beendigung der Tätigkeit ab. Dass die weitere Bedingung „erlischt mit Bezug von öffentlichen Leistungen“ nicht zur Nichtigkeit der Nebenbestimmung führt, ergibt sich bereits aus der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (v. 16.11.2010 – 1 C 20.09 – juris Rn. 15).
1.2 Auch die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18d bzw. § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (Nr. I. und I.I des Bescheids) haben die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht ausgelöst, weil im Zeitpunkt der Antragstellung (11. September 2019) das Visum vom 23. April 2018 bereits erloschen war und der Antrag vom 19. Oktober 2018 die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht ausgelöst hat (s.o.). Die der Antragstellerin ausgestellte Fiktionsbescheinigung hatte nur deklaratorische und keine konstitutive Wirkung.
1.3 Die Anordnung zur Überlassung des Passes der Antragstellerin (Nr. III.) nach § 48 Abs. 1 AufenthG dient der Sicherung der bestehenden Ausreiseverpflichtung. Rechtsmittel gegen Anordnungen nach § 48 Abs. 1 AufenthG begründen mangels Erwähnung in § 84 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich den Suspensiveffekt (Hruschka in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, § 48 AufenthG Rn. 55; Möller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 48 AufenthG Rn. 61). Bei der Anordnung handelt es sich um keine Maßnahme zur Vollstreckung der bestehenden Ausreisepflicht. Die Vollstreckung der Ausreisepflicht erfolgt durch die (bereits angedrohte) Abschiebung.
1.4 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung bezüglich der Anordnung zur Überlassung des Passes (Nr. IV.) ist statthaft, da die Zwangsgeldandrohung als Maßnahme der Zwangsvollstreckung von Gesetzes wegen sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG). Derzeit fehlt der Antragstellerin aber für einen entsprechenden Antrag das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Antragsgegnerin laut Beschwerdevorbringen der Antragstellerin die Vollstreckung der Zwangsgeldandrohung mit Schreiben vom 11. August 2020 ausgesetzt hat. Ein Rechtsschutzinteresse, das über die Verhinderung der Fälligstellung des angedrohten Zwangsgeldes hinausgeht, hat die Antragstellerin nicht dargelegt. Der Senat weist aber darauf hin, dass aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung zur Überlassung des Passes die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 VwZVG nicht vorliegen und sich die Zwangsgeldandrohung auch deshalb als rechtswidrig erweisen dürfte, weil sie die Frist für die Herausgabe des Passes nicht an die Vollstreckbarkeit der Grundverfügung bindet.
1.5 Bezüglich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung (Nr. V. und VI.) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ebenfalls statthaft, aber unbegründet. Wegen des erloschenen Visums und der fehlenden Fiktionswirkung der mit dem streitgegenständlichen Bescheid abgelehnten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ist die Antragstellerin ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), die Androhung der Abschiebung setzt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht voraus (Zimmerer in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, § 59 AufenthG Rn. 3 m.w.N.).
2. Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung bzw. auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht hat.
2.1 Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der durch eine Verfahrensduldung im Wege einer einstweiligen Anordnung zu sichern wäre. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besteht nicht. Es spricht nichts dafür, dass es im vorliegenden Fall aus Rechtsschutzgründen (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise geboten wäre, der Antragsgegnerin die Abschiebung der Antragstellerin vorläufig zu untersagen.
2.1.1 Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG steht bereits entgegen, dass ein Ausweisungsinteresse besteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und somit nicht alle regelhaften Erteilungsvoraussetzungen vorliegen. Die Antragstellerin ist am 12. September 2018 in das Bundesgebiet eingereist, ohne den nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen. Das ihr am 23. April 2018 erteilte Visum ist mit der Beendigung der Au-Pair-Tätigkeit bei der Familie Ko. erloschen (s.o.). Sie ist somit unerlaubt i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist. Seit der Einreise hält sie sich entgegen § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf. Dabei ist unerheblich, ob sich die Antragstellerin bei der Einreise am 12. September 2018 bewusst war, dass ihr Visum erloschen war (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19.14 – juris Rn. 25 m.w.N.). Damit hat sie einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen, der ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG begründet (Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 54 AufenthG Rn. 95 f.). Schwerwiegend ist das Ausweisungsinteresse deshalb, weil die Antragstellerin nicht nur am 12. September 2018 unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist ist, sondern sich im Anschluss daran lange Zeit ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat. Spätestens seit dem Anhörungsschreiben des Landratsamtes vom 7. November 2018 war der Antragstellerin auch bewusst, dass ein rechtmäßiger Aufenthalt eine nochmalige Einreise mit einem neuen Visum für die Tätigkeit bei der Familie K. in St. erfordern würde. Sie hat sich gegen eine Legalisierung ihres Aufenthalts entschieden und ist auch nach Beendigung ihrer Au-Pair-Tätigkeit nicht freiwillig ausgereist. Das Ausweisungsinteresse ist auch noch „aktuell“. Denn die Antragstellerin ist nicht nur unerlaubt eingereist, sondern hält sich auch derzeit noch unerlaubt im Bundesgebiet auf. Ihr kann allenfalls zu Gute gehalten werden, dass sie – glaubt man ihren Angaben zum Telefonat mit der Deutschen Botschaft in J. – nicht vorsätzlich unerlaubt eingereist ist und die für den März 2020 geplante freiwillige Ausreise wegen fehlender Flugverbindungen nicht stattfinden konnte. Andererseits war ihr seit November 2018 definitiv bekannt, dass ihr Aufenthalt nicht rechtmäßig ist, ohne dass sie die gebotenen Konsequenzen zur Legalisierung gezogen hätte. Nicht entscheidend ist, ob durch die unerlaubte Einreise und den anschließenden unerlaubten Aufenthalt auch ein Straftatbestand erfüllt ist (Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 AufenthG Rn. 7). Auf ihre Ausführungen zum Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen eines Straftatbestands nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG kommt es somit nicht an.
2.1.2 Ob wegen der Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vom Vorliegen eines Ausnahmefalls (Art. 6 GG) auszugehen ist, kann offen bleiben, weil die Antragstellerin nicht mit dem für einen Ehegattennachzug erforderlichen Visum eingereist ist und sie den Aufenthaltstitel nicht im Inland beantragen kann (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV), so dass es an einer weiteren Erteilungsvoraussetzung fehlt. Denn im Zeitpunkt ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis war das Visum bereits erloschen. Ihre Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für eine Au-Pair-Tätigkeit und für die Ableistung eines sozialen Jahres hatten keine Fiktionswirkung ausgelöst (s.o.). Zwar kann von dem Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind. Ein Anspruch auf die Erteilung ist aber nur dann gegeben, wenn das Aufenthaltsgesetz oder ein anderes Gesetz einen strikten Rechtsanspruch verleihen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat. Eine Ermessenreduzierung auf Null reicht dazu nicht aus. Auch bei einer „Soll“-Regelung fehlt es daran. Die Annahme eines atypischen Ausnahmefalls beruht auf einer wertenden Einzelfallbetrachtung und stellt ebenfalls keinen strikten Rechtsanspruch dar. Das Visumverfahren dient dem Zweck, die Zuwanderung nach Deutschland wirksam steuern und begrenzen zu können. Ausgehend von diesem Zweck sind Ausnahmen von der Visumpflicht prinzipiell eng auszulegen. Das bedeutet für die Auslegung des Ausnahmetatbestands des Vorliegens eines gesetzlichen Anspruchs (i.S.v. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) auf Erteilung der angestrebten Aufenthaltserlaubnis, dass sich ein solcher aus der typisierten gesetzlichen Regelung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) ergeben muss und Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben müssen (Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 5 AufenthG Rn. 152; BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15.14 – juris). Nicht entscheidungserheblich ist damit auch, ob die Antragsgegnerin im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG absehen müsste. Auch aus der Vorabzustimmung der Antragsgegnerin vom 5. März 2020 lässt sich kein Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ableiten. Durch die Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV werden keine subjektiven Rechte eingeräumt und auch kein Vertrauensschutz auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründet (Engels in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.2.2020, § 31 AufenthV Rn. 14).
2.1.3 Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass es ihr aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Dies wäre grundsätzlich bei einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK der Fall; eine Trennung von Ehegatten, die die übliche Dauer des Visumverfahren nicht übersteigt, ist aber regelmäßig zumutbar (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn.5 m.w.N.). Weder die bestehenden Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie noch die Tatsache, dass der Antragstellerin bereits eine Vorabzustimmung erteilt worden ist und die betreffenden Unterlagen für die Erteilung des Visums durch die Deutsche Botschaft in J. geprüft worden sind, machen die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar. Etwaige durch die Corona-Pandemie verursachte Reisebeschränkungen sind vorübergehender Natur und haben allenfalls auf den Zeitpunkt, zu dem das Visumverfahren nachgeholt werden muss, Einfluss. Die Vorabzustimmung hat mit Blick auf § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG insoweit Bedeutung, als sich die Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahren danach richtet, ob eine Vorabzustimmung erteilt worden ist, weil sich die Dauer des Visumverfahrens dann nur nach den bei der Auslandsvertretung vorherrschenden Umständen richtet (Engels in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, § 31 AufenthV Rn. 18 m.w.N.).
2.1.4 Zudem kann grundsätzlich vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder an der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können (vgl. VGH BW, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/18 – juris Rn. 21). Hierfür ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin keine hinreichenden Anhaltspunkte. Denn eine Ausländerbehörde entscheidet im Rahmen des nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bestehenden Ermessens rechtsfehlerfrei, nicht von der Durchführung des Visumverfahrens abzusehen, wenn sie durch die Erteilung einer Vorabzustimmung dafür Sorge getragen hat, dass das Visumverfahren zügig betrieben werden kann (Engels in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, § 31 AufenthV Rn. 18 m.w.N.).
2.2 Die Antragstellerin hat auch keinen sonstigen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht, da ihre Abschiebung nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.
Die Abschiebung ist nicht rechtlich unmöglich. Von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ist insbesondere auszugehen, wenn Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK der Entfernung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Art. 6 GG gewährt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2615/10 – juris Rn. 14). Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5).
Die Abschiebung (oder freiwillige Ausreise) ist auch nicht tatsächlich unmöglich. Flugverbindungen nach In. bestehen. Die Deutsche Botschaft ist geöffnet, Visaanträge werden bearbeitet. Auch hat die Antragstellerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie als indonesische Staatsangehörige an einer Einreise nach In. gehindert wäre oder nach Erteilung des Visums nicht wieder in die Bundesrepublik ausreisen könnte.
Soweit die Antragstellerin auf die aktuelle Infektionslage in In. und die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes hinweist, die im Übrigen (drittstaatsangehörige) In.-Reisende und nicht indonesische Staatsangehörige betrifft, macht sie zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG geltend. Dass solche Abschiebungsverbote vorliegen würden, hat sie aber nicht annähernd dargelegt und glaubhaft gemacht. Im Übrigen fehlt es an einem vorherigen Feststellungsantrag bei der Ausländerbehörde, die vor einer Entscheidung gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligen müsste.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen.
Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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