Verwaltungsrecht

Antrag auf einstweilige Anordnung, Darlegungsanforderungen für Beschwerdebegründung:, Notreiseausweis (für einen sich im Ausland aufhaltenden Ausländer), Zuständigkeit der Auslandsvertretungen, gewöhnlicher Aufenthalt

Aktenzeichen  10 CE 21.2270

Datum:
1.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13317
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4 S. 3
AufenthV § 13 Abs. 1
AufenthG § 71 Abs. 2
AufenthG § 51 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 10 E 21.492 2021-08-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 4. August 2021 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller, ein iranischer Staatsangehöriger, der sich derzeit in Griechenland aufhält, seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, ihm unverzüglich einen Notreiseausweis auszustellen.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller in seiner Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof in seiner Prüfung beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben.
§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt, dass die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss. Der Beschwerdeführer muss innerhalb der Monatsfrist konkret begründen, warum die Entscheidung des Verwaltungsgerichts änderungsbedürftig bzw. unrichtig sein soll. Das Darlegungsgebot soll zu einer sorgfältigen Prüfung vor Einlegung des Rechtsmittels anhalten und dem Oberverwaltungsgericht eine Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses ermöglichen. Der Beschwerdeführer muss darlegen, welche tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts er in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält; er hat substantiiert auszuführen, weshalb die Überlegungen des Verwaltungsgerichts falsch sind, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Er muss das Entscheidungsergebnis, die entscheidungstragenden Rechtssätze oder die für die Entscheidung erheblichen Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen; lediglich das Vortragen einer eigenen Würdigung der Sach- und Rechtslage, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht, reicht grundsätzlich nicht aus. Nicht ausreichend ist es auch, erstinstanzliches Vorbringen einfach zu wiederholen. Bei kumulativer Begründung des angefochtenen Beschlusses durch das Gericht hat die Beschwerdebegründung auf alle selbständig tragenden Gründe der Entscheidung argumentativ einzugehen (vgl. Kaufmann in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 146 Rn. 14 mit Nachweisen der Rechtsprechung).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung (auf die Verpflichtung zur Ausstellung eines Notreiseausweises nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV) eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würde und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren glaubhaft gemacht werden müsste (siehe BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9.12 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 13.8.1999 – 2 VR 1.99 – juris Rn. 24; Kuhla in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2021, § 123 Rn. 154 ff.).
Seine Feststellung, dass ein Obsiegen in der Hauptsache nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht sei, hat das Verwaltungsgericht auf drei selbstständig tragende rechtliche Gründe gestützt. Zum einen sei der Antragsgegner nicht passivlegitimiert, da ein Anspruch auf Ausstellung eines Notreiseausweises bei der deutschen Auslandsvertretung in Griechenland geltend zu machen und ein gerichtliches Verfahren demgemäß gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten sei. Zweitens sei der Antragsteller nicht mehr im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV zur Rückkehr in das Bundesgebiet berechtigt, weil die ihm (früher) zugutekommende Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG inzwischen gemäß § 51 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei. Schließlich sei nicht glaubhaft gemacht, dass das dem Antragsgegner nach § 13 Abs. 1 AufenthV eingeräumte Ermessen auf Null reduziert sei.
Die fehlende Passivlegitimation hat das Verwaltungsgericht damit begründet, dass sich bereits aus dem Wortlaut des § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergebe, dass im vorliegenden Fall die deutsche Auslandsvertretung in Griechenland für die Ausstellung eines Passersatzes zuständig sei. Aber selbst wenn man – im Hinblick auf die Verwaltungsvorschriften (Nr. 71.2.1 AVwV-AufenthG) und Kommentarmeinungen (vgl. Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.4.2022, AufenthG § 71 Rn. 43) – davon ausgehe, dass die Zuständigkeit der Auslandsvertretung erst ab dem Zeitpunkt entstehe, in dem der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bundesgebiet, sondern im Ausland habe, ergebe sich nicht anderes, da alles dafür spreche, dass der Antragsteller inzwischen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Griechenland habe.
Lediglich gegen dieses zweite Argument, letztlich die Hilfsbegründung, wendet sich der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung, indem er bestreitet, in Griechenland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet zu haben. Er setzt sich aber nicht mit den hierzu vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gesichtspunkten zum Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts auseinander, sondern bestreitet lediglich pauschal, dass er in Griechenland eine „konkrete Bindungsperspektive“ habe. Soweit er hinsichtlich der Bedeutung des Zeitablaufs für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg (U.v. 7.11.2013 – 4 K 1340/12 – juris) verweist, kann er daraus nichts für seinen Fall herleiten. In dieser Entscheidung ist festgestellt, dass es bei einem Zwangsaufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt auf die gesamten Umstände des Einzelfalls ankommt, ob hiermit ein (neuer) gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird; in dem dort entschiedenen Fall war dies aufgrund der von Anfang an zeitlich überschaubaren Restfreiheitsstrafe und fortbestehender Bindungen an die Familie, zu der der Inhaftierte zurückkehren würde, nicht der Fall. Der Antragsteller hat aber etwa bezüglich der Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu seinen sozialen Bindungen in Griechenland und zu dem Umstand, dass er im Bundesgebiet keine Wohnung mehr hat, nichts vorgetragen.
Zu dem zweiten tragenden Grund des Verwaltungsgerichts, nämlich dass sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nach § 51 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei, bringt er lediglich vor, er habe konkludent einen Antrag auf „längere Frist“ im Sinn dieser Vorschrift gestellt, indem er „zu jedem Zeitpunkt klargemacht“ habe, „dass er zurückreisen möchte“. Abgesehen davon, dass schon nicht dargelegt ist, aus welchem der Schriftsätze seines Bevollmächtigten auch nur konkludent ein solcher Antrag herausgelesen werden könnte, geht er damit nicht auf die rechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ein, dass nur eine tatsächlich verlängerte Rückreisefrist, nicht aber schon ein darauf gerichteter Antrag, das Erlöschen des Aufenthaltstitels hindert (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 51 Rn. 18) und dass es grundsätzlich unerheblich ist, aus welchen Gründen ein rechtzeitiger Antrag auf Verlängerung der Rückkehrfrist unterblieben ist (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.1.2022, AufenthG § 51 Rn. 43).
Auf die weiterhin selbstständig tragende Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass auch eine Ermessensreduzierung auf Null nicht glaubhaft gemacht ist, geht die Beschwerdebegründung überhaupt nicht ein. Das Gericht verweist zu Recht darauf, dass allein das (ohnehin nicht festgestellte) Vorliegen einer unbilligen Härte nicht schon im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV auch die Ausstellung eines Notreiseausweises gebietet. Ermessenserwägungen in diesem Sinn wären hier schon deswegen veranlasst, weil nach Aktenlage die deutsche Auslandsvertretung in Griechenland dem Antragsteller die Ausstellung eines Visums unter Berufung auf den zwingenden Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG versagt hat und insoweit (wohl noch) ein verwaltungsgerichtliches Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland anhängig ist. Eine (Wieder-)Einreise mit einem Notreiseausweis würde dem die Grundlage entziehen.
Soweit in Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, ist die Beschwerde ebenfalls zurückzuweisen. Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hatte der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO letztlich keine hinreichenden Erfolgsaussichten (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO.).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO
Die Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge unter Abänderung des vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 8.4. und 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da der Antragsteller mit seinem Antrag auf einstweilige Anordnung im Ergebnis eine Vorwegnahme der Hauptsache anstrebt, sieht der Senat keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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