Verwaltungsrecht

Antrag auf Zulassung der Berufung, formunwirksame Einlegung, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, ausreichende Darlegung von Zulassungsgründen innerhalb der Begründungsfrist (verneint)

Aktenzeichen  10 ZB 22.827

Datum:
6.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10621
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO §§ 55a, 55d
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 23 K 19.5881 2021-12-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. In Abänderung des Streitwertbeschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. Dezember 2021 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Feststellung, dass sie betreffende grenznahe Personenkontrollen durch die Bundespolizei rechtswidrig gewesen seien, weiter.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, weil er formunwirksam ist. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat zwar innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO mit an das Verwaltungsgericht München gerichtetem Schriftsatz vom 22. März 2022 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, diesen allerdings nicht als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO eingereicht. Damit hat er gegen die am 1. Januar 2022 in Kraft getretene Vorschrift des § 55d Satz 1 VwGO verstoßen, wonach schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, eine Behörde oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Die von Amts wegen zu beachtende Verletzung der vorgeschriebenen elektronischen Form führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (ganz h.M., vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 15 ZB 22.30186 – juris Rn. 3; OVG LSA, B.v. 18.1.2022 – 1 L 98/21.Z – juris Rn. 4; OVG SH, B.v. 25.1.2022 – 4 MB 78/21 – juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, B.v. 7.2.2022 – 6 N 19/22 – juris Rn. 2). Mangels unverzüglicher Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen kann die schriftliche Antragstellung auch nicht ausnahmsweise als formwirksam behandelt werden (§ 55d Satz 3 und 4 VwGO). Ob vorliegend möglicherweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht käme, sei es beispielsweise weil eine Übersendung des Schriftsatzes per beA zum Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist mangels Vorliegens einer individuellen Kennung zur Aktivnutzung des beA trotz eines rechtzeitigen Antrags in 2021 nicht möglich war, bedarf keiner weiteren Aufklärung, da der Antrag auf Zulassung der Berufung auch aus anderen Gründen keinen Erfolg hat.
2. Der Antrag ist auch unzulässig, weil mit dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag das Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, und der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt sind.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Gemessen daran werden mit dem Zulassungsantrag ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt. Das Zulassungsvorbringen verfehlt bereits die aufgezeigten Darlegungsanforderungen.
Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin als unzulässig abgewiesen, weil es am erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse, insbesondere an einer hinreichenden Wiederholungsgefahr fehle. Innerhalb der zweimonatigen Zulassungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, die aufgrund der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 1. März 2022 (Empfangsbekenntnis des Bevollmächtigten) mit Ablauf des 2. Mai 2022 endete (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 und § 193 BGB), erfolgte dazu ausschließlich der allgemeine Hinweis der Klägerin, es bestünden „Zweifel, dass es für die Feststellung einer Wiederholungsgefahr im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Fortsetzungsfeststellungsklage notwendig sei, dass die Rechtsverletzung „gleichsam automatisch“ jedes Mal stattfinden müsse.“
Damit wird den Darlegungsanforderungen nicht genügt. Die erforderliche einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils leistet das Zulassungsvorbringen nicht. Eine solche wäre umso notwendiger gewesen, als nicht ohne Weiteres erkennbar ist, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung tragend auf einen entsprechenden Rechtssatz gestützt hätte, zumal das Zulassungsvorbringen die Formulierung des Verwaltungsgerichts (vgl. S. 8 der UA) nur verkürzt wiedergibt. Ausgehend vom obergerichtlich gefestigten Maßstab einer „hinreichend bestimmte(n) Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut gleichartige Maßnahmen ergehen werden“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 8), hat das Verwaltungsgericht neben der von der Klägerin angeführten Formulierung auch andere Maßstäbe im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit weiterer Kontrollen formuliert („gleichmäßig und regelhaft“ u.a.). Insofern hätte es der Darlegung bedurft, dass das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr tatsächlich und entscheidungserheblich überspannt hat. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht auch auf sich regelmäßig ändernde tatsächliche Umstände der Identitätskontrollen im Hinblick auf die jeweils eingesetzten Fahrzeuge, die jeweilige Streckenführung und die jeweilige Einsatzlage sowie auf sich ändernde Anordnungen des Bundesinnenministeriums hingewiesen und ausgehend hiervon eine hinreichend bestimmte Wiederholungsgefahr bei unveränderten tatsächlichen Verhältnissen verneint. Hierzu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht.
Zu den weiter geltend gemachten Zulassungsgründen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung enthält das Zulassungsvorbringen keine Ausführungen.
Eine weitere „ausführliche Begründung“ wurde zwar im Zulassungsantrag angekündigt, erfolgte jedoch nicht innerhalb der maßgeblichen Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, obwohl der Bevollmächtigte der Klägerin mit Verfügung des Senats vom 30. März 2022 ausdrücklich auf das Erfordernis einer fristgerechten weiteren Begründung hingewiesen wurde. Ohne substantiierte Darlegung eines Zulassungsgrunds ist der Zulassungsantrag unzulässig. Eine „Ergänzung“ nach Ablauf der Begründungsfrist ist nicht mehr möglich, weil eine solche Ergänzung das Vorliegen von den Mindestanforderungen entsprechenden fristgerechten Ausführungen mit ergänzungsfähigem Inhalt voraussetzt (BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 3 ZB 19.2426 – juris Rn. 4; B.v. 12.5.2020 – 6 ZB 19.1287 – juris Rn. 1; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53; Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1. 2022, § 124a Rn. 71 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG. Gründe für eine Abweichung vom Regelstreitwert sind nicht ersichtlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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