Verwaltungsrecht

Antrag auf Zulassung der Berufung, Gerichtsbescheid, Klagefrist, Säumnis, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Verfahrensmangel, Kausalität

Aktenzeichen  10 ZB 21.1128

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12504
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 84
VwGO § 74 Abs. 1
VwGO § 60

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 4 K 20.2146 2021-03-09 GeB VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesene Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2020 weiter, mit dem diese der Klägerin gegenüber – basierend auf einer Hundehalterverordnung − Anordnungen zur Hundehaltung getroffen hat.
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin – der Sache nach − geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheides gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 3 VwGO und eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegen nicht vor beziehungsweise sind nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
a) Dies gilt insbesondere für den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
aa) Nicht durchdringen kann die Klägerin mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht hätte ihr gemäß § 86 Abs. 3 VwGO einen gerichtlichen Hinweis erteilen müssen, dass es und warum es eine Mandatierung des von ihr zunächst kontaktierten Rechtsanwalts für gegeben erachtet habe, so dass der Gerichtsbescheid unter Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze und des rechtlichen Gehörs zustande gekommen sei.
Für eine erfolgreiche Verfahrensrüge wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ist erforderlich, dass der Gehörsverstoß allein auf dem Vorgehen des Verwaltungsgerichts beruht. Dies ist nicht der Fall, wenn der Beteiligte es versäumt hat, alle zumutbaren Möglichkeiten zu nutzen, sich vor dem Verwaltungsgericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Hat das Verwaltungsgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, hat der Beteiligte nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO unter anderem die Möglichkeit, die mündliche Verhandlung zu beantragen. In diesem Fall gilt der Gerichtsbescheid nach § 84 Abs. 3 VwGO als nicht ergangen. In der dann stattfindenden mündlichen Verhandlung kann der Beteiligte sich zu den bisher seiner Auffassung nach übergangenen Gesichtspunkten umfassend äußern. Diese Einschränkung der Wahlmöglichkeit nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO folgt aus den Voraussetzungen einer begründeten Gehörsrüge (vgl. zum Verfahrensmangel eines Gehörsverstoßes als Revisionsgrund: BVerwG, B.v. 17.7.2003 − 7 B 62/03 – juris Rn. 14).
So liegt der Fall hier. Der Klägerin wäre es ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen, sich auf diesem Weg rechtliches Gehör zu verschaffen.
Auch soweit der erhobene Einwand darauf abzielt, eine Verletzung der Hinweispflicht als spezielle Ausprägung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu rügen, ergibt sich nichts anderes. Der Einwand erschließt sich dem Senat schon in der Sache nicht. Das Verwaltungsgericht hat in dem gerichtlichen Schreiben zu der Anhörung der Beteiligten hinsichtlich des avisierten Erlasses eines Gerichtsbescheids ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin ein etwaiges Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsse (vgl. VG Regensburg, Gerichtsakte, Bl. 47). Damit war für die Klägerin unmissverständlich erkennbar, dass das Verwaltungsgericht von einer erfolgten Mandatierung des von ihr ursprünglich kontaktierten Rechtsanwalts ausging. Auch über die Gründe hierfür konnte die Klägerin nicht im Unklaren sein, da sie mit ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 8. September 2021 dazu unmittelbar Anlass gegeben hat (vgl. VG Regensburg, Gerichtsakte, Bl. 7: „Bei einem weiteren Telefonat vor Ablauf der Klagefrist wurde mir versichert, dass die „Angelegenheit am laufen“ sei … Ich bin aber schon damals von einer Vertretung des ersten Anwalts ausgegangen“).
Abgesehen davon setzt eine derartige gegen einen Gerichtsbescheid erhobene Verfahrensrüge – aus den bereits zum Gehörsverstoß dargelegten Gründen (s.o.) − voraus, dass der Mangel nicht durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 1 Alt. 2 VwGO hätte geheilt werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2016 – 22 ZB 16.549 – juris Rn. 22; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 48). Dies liegt bei einer Rüge der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes darin begründet, dass der Rechtsmittelführer in diesem Fall − unter anderem – diejenigen Maßnahmen substantiiert darzulegen hat, mit denen er vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, etwa auch durch die Stellung eines Beweisantrags, der ohne Stütze im Prozessrecht abgelehnt wurde, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 20 m.w.N.). Dessen begibt sich ein Rechtsmittelführer, der keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 1 Alt. 2 VwGO stellt.
Aus diesen Gründen scheitert die Klägerin auch mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es sich über die Mandatsbedingungen des von ihr zunächst kontaktierten Rechtsanwalts, die leicht über dessen Homepage zu recherchieren seien, hätte informieren können und müssen, mit der Folge, dass seine irrige Annahme, das Mandatsverhältnis sei mit der fernmündlichen Auskunft „die Sache sei am Laufen“ geschlossen worden, hätte vermieden werden können. Überdies verkennt die Klägerin mit diesem Einwand den im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltenden Maßstab. Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Dies bedeutet, dass der Betroffene, der die gesetzliche Frist versäumt hat und Wiedereinsetzung begehrt, die materielle Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass er ohne Verschulden verhindert war, sie einzuhalten.
b) Auch der Zulassungsgrund der ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 3 VwGO liegt nicht vor beziehungsweise ist nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
bb) Derartige Zweifel zeigt die Zulassungsschrift nicht auf.
(1) Das Zulassungsvorbringen der Klägerin ist vage, pauschal und unsubstantiiert (vgl. Senatsakte, Bl. 26: „ist aber selbst wohl nicht von einer Mandatierung ausgegangen“). Zudem ist es in sich widersprüchlich. So trägt die Klägerin vor, der Umstand, dass der Kontakt zwischen ihr und dem ursprünglich eingeschalteten Rechtsanwalt lediglich telefonisch stattgefunden habe, dass er ihr weder eine Vollmacht übersandt noch tätig geworden sei noch von ihr Unterlagen angefordert habe, sprächen gegen eine Mandatierung. Erstens hat die Klägerin bereits in der eidesstattlichen Versicherung vom 8. September 2020 auch „E-Mails“ erwähnt (vgl. VG Regensburg, Gerichtsakte, Bl. 7), ohne diese indes vorzulegen. Dies greift sie auch in der nunmehr vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 6. Mai 2021 erneut auf („auf elektronischem Weg“). Zweitens tragen die als Beleg angeführten Mandatsvereinbarungen, welche die Klägerin nach eigener Aussage dem Internetauftritt des Rechtsanwalts entnommen hat, ihre Argumentation insoweit gerade nicht. Darin kommt vielmehr zum Ausdruck, dass ein derartiges Mandat unter anderem auch telefonisch zustande kommen kann (vgl. Senatsakte, Bl. 27: „Bei Verträgen, die … unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln … [Telefon, … Online-Formular] geschlossen werden …“). Überdies ist die nunmehr im Beschwerdeverfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 6. Mai 2021 genauso wenig belastbar (vgl. Senatsakte, Bl. 31: „Herr Rechtsanwalt … hat mir zu keiner Zeit seinerseits Formulare, eine Widerrufsbelehrung, eine Mandatsvereinbarung oder eine Vorschussrechnung zukommen lassen“ u. „Der Kontakt fand mit ihm nur fernmündlich oder auf elektronischem Weg statt“) wie die vorherige vom 8. September 2020 (vgl. VG Regensburg, Gerichtsakte, Bl. 7: „Eine schriftliche Bevollmächtigung … ist allerdings zu keiner Zeit erfolgt“). Dabei spart die Klägerin aus, was und wie sie selbst genau kommuniziert, insbesondere auch übersandt bzw. abgerufen, hat. Eine eindeutige Aussage, dass es zu keiner Bevollmächtigung gekommen ist, in welcher Form auch immer, ergibt sich daraus nicht.
(2) Soweit man die Zulassungsschrift, die nicht nach Zulassungsgründen differenziert, dahingehend deutet, die Klägerin habe auch unter dem Vorzeichen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rügen wollen, das Verwaltungsgericht habe mit der vorgenannten Argumentation den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage entschieden, gilt nichts anderes. Der Sache nach würde die Klägerin einen Verfahrensmangel geltend machen. Dies kann im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aber nur geschehen, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zur Zulassung führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2020 – 10 ZB 20.357 – S. 5; B.v. 30.8.2019 – 10 ZB 18.1519 – juris Rn. 16 m.w.N.; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 124 Rn. 26). Dies ist hier indes, wie erörtert, nicht der Fall (s.o.).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.


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