Verwaltungsrecht

Antrag auf Zulassung einer Berufung – Asylverfahren

Aktenzeichen  11 ZB 18.30085

Datum:
3.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6939
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Der EGMR ist kein Divergenzgericht. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine unzureichende Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht stellt grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß noch einen sonstigen Verfahrensmangel im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 VwGO dar. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 16.30976 2017-11-24 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der Zulassungsgrund einer Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist bereits deshalb nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), weil das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht auf der behaupteten Abweichung von einem im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 (2 BvR 1481/04) bzw. des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom 7. Januar 2014 (Nr. 58802/12) aufgestellten Rechtssatz beruhen kann. Denn für die Klageabweisung war letztlich maßgeblich, dass den Klägern in anderen unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden Landesteilen eine zumutbare interne Fluchtalternative offen gestanden hätte. Hiermit setzt sich der Zulassungsantrag jedoch nicht auseinander. Wird wie hier die angefochtene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so ist – sofern nicht ausnahmsweise ein Fall der Rechtskrafterstreckung vorliegt – in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund darzulegen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund dann entweder nicht entscheidungserheblich ist oder das angefochtene Urteil hierauf nicht beruht (BVerwG, B.v. 20.12.2016 – 3 B 38/16 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 11 ZB 16.1451 – juris Rn. 2 und B.v. 13.1.2014 – 13a ZB 13.30365 – juris Rn. 4; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7; Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 180 f. m.w.N.).
Abgesehen gesehen davon wird der Europäische Menschenrechtsgerichtshof nicht dadurch zum Divergenzgericht (vgl. BayVGH, B.v. 10. Januar 2018 – 10 ZB 17.30394 – juris Rn. 4; B.v. 30.10.2012 – 9 ZB 12.30407 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 21.11.2005 – 12 A 848/05 – juris Rn. 10; vgl. auch BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 13 zum EuGH), dass deutsche Gerichte und Behörden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund ihrer Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet sind, die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen (B.v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – BVerfGE 111, 307/323 f. = juris Rn. 46 ff.) und den Entscheidungen damit eine faktische Präzedenzwirkung zukommt (BVerfG, B.v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a. – BVerfGE 128, 326/368 = juris Rn. 89).
Schließlich ist das Gericht auch nicht von den allgemeinen Grundsätzen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zur Darlegungslast und Würdigung des Sachvortrags im Asylverfahren (U.v. 14.1.2014 – Nr. 58802/12 – NLMR 2014, 13 = juris Rn. 59 m.w.N.) abgewichen. Denn das Bundesamt hatte nach dem angefochtenen Bescheid, auf den das verwaltungsgerichtliche Urteil gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug nimmt, – wie die Kläger selbst einräumen – keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen; für das Verwaltungsgericht, das diese als wahr unterstellt hat, kam es hierauf schon nicht an. Dass es den Sachvortrag rechtlich anders gewürdigt hat als die Kläger, begründet noch keine Divergenz. Hierfür würde auch weder genügen, dass das Verwaltungsgericht einen in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellten Grundsatz übersehen oder übergangen noch dass es ihn in sonstiger Weise nicht richtig angewandt hat (stRspr, BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 m.w.N.; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 124 Rn. 42).
Auch soweit die Kläger geltend machen, das Verwaltungsgericht habe ihr rechtliches Gehör verletzt, weil es – gestützt auf geschönte Auskünfte im Lagebericht des Auswärtigen Amts und unter Verkennung der realen Lage in der Ukraine – keine Einzelauskunft beim Auswärtigen Amt eingeholt habe, ist hiermit weder ein Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO noch ein sonstiger Verfahrensfehler nach § 138 VwGO schlüssig dargelegt. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO besteht darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern; sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5/17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 – Vf. 18-VI-12 – BayVBl 2014, 448 = juris Rn. 33; BVerfG, B.v. 4.9.2008 – 2 BvR 2162/07 u.a. – juris WM 2008, 2084 = Rn. 13; Berlit, in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 261 ff., 272 ff.). Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht, das die Kläger bzw. ihre gesetzliche Vertreterin in der eineinhalbstündigen mündlichen Verhandlung ausführlich angehört und sich mit ihrem Vorbringen in den Urteilsgründen auseinandergesetzt hat, ihnen nicht das rechtliche Gehör versagt.
Mit ihrer Kritik, dass keine Einzelauskunft eingeholt worden sei, machen die Kläger in Wahrheit eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend; ihre Kritik an den herangezogenen Informationen und deren Bewertung richtet sich gegen die dem sachlichen Recht zuzurechnende Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Beides stellt jedoch grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß noch einen sonstigen Verfahrensmangel im Sinne der §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 138 VwGO dar (vgl. Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 68 ff., 72 ff., 262; BVerwG, B.v. 1.2.2010 – 10 B 21/09 u.a. – juris Rn. 13). Die Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beigemessen oder habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu begründen (BVerfG, B.v. 2.12.1969 – 2 BvR 320/69 – BVerfGE 27, 248 = juris Rn. 9; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – VerfGH 34, 47 = juris Rn. 22). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist von vornherein nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhaltes einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 262).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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