Verwaltungsrecht

Arbeitsüberlastung ist regelmäßig kein Wiedereinsetzungsgrund

Aktenzeichen  15 ZB 17.50022

Datum:
5.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 117053
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, § 74 Abs. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, 2 S. 1, § 138
ZPO § 85 Abs. 2, § 222 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2

 

Leitsatz

Übernimmt ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Ist ihm dies wegen eigener Arbeitsüberlastung nicht möglich, muss er die Übernahme des Mandats ablehnen oder es an einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt weiterleiten. Ist eine Hilfsperson des Prozessbevollmächtigten überlastet, muss der Bevollmächtigte geeignete Vorkehrungen zur Abwendung der Überlastung treffen, um dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens zu begegnen (OVG NRW BeckRS 2008, 36065). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 17.50566 2017-05-30 GeB VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens eines Verfahrensmangels im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 138 VwGO infolge der Nichtgewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegt nicht vor.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Klage unzulässig ist, weil der Kläger die einwöchige Frist zur Klageerhebung gemäß § 74 Abs. 2 Halbs. 2, § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht gewahrt hat. Die Frist endete, nachdem der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehenden Bescheid vom 10. April 2017 am Dienstag, den 11. April 2017, zugestellt worden war, gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am Dienstag, den 18. April 2017, 24.00 Uhr. Die Klage ist beim Verwaltungsgericht jedoch erst am Donnerstag, den 20. April 2017, und damit um zwei Tage verspätet eingegangen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Ablehnung des mit der Klageerhebung gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das Verwaltungsgericht nicht rechtsfehlerhaft. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Nach § 60 Abs. 1 und 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2014 – 2 B 93/13 – juris Rn. 11). Das Verschulden seines Bevollmächtigten muss sich ein Beteiligter gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie sein eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 60 Rn. 14). Ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigen hat dieser als Organisationsverschulden zu verantworten, wenn er es zu vertreten hat, etwa weil er die Hilfsperson nicht mit der zu erwartenden Sorgfalt ausgewählt und angeleitet hat, erforderliche Anweisungen nicht gegeben oder die Einhaltung der Anordnungen nicht regelmäßig überprüft hat (vgl. BayVGH, U.v. 16.6.2015 – 15 B 13.424 – BayVBl 2016, 54 = juris Rn. 20). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dabei sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO) und die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen.
Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht genügt, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, dass seine Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden verhindert waren, die Klagefrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 und 2 VwGO). Er hat vor dem Verwaltungsgericht lediglich vorgetragen, dass er „den Bescheid im Büro der Prozessbevollmächtigen abgegeben (habe), das Sekretariat aufgrund Urlaubs nicht besetzt gewesen (sei), die Prozessbevollmächtigte die Klage abdiktiert und für den 18. April 2017 zum Verschriftlichen auf den Schreibtisch der einzigen Sekretärin gelegt (habe) und dass sie „das Band aufgrund Arbeitsüberlastung erst am 20. April 2017 geschrieben (habe)“. Das genügte zur Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht.
Arbeitsüberlastung ist regelmäßig kein Wiedereinsetzungsgrund (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2015 – 4 BN 18.14 – ZfBR 2015, 271 = juris Rn. 10 m.w.N.; BGH, B.v. 8.5.2013 – XII ZB 396/12 – NJW 2013, 2035-2037 = juris Rn. 7 f.; BayVGH, B.v. 29.9.1997 – 8 ZS 97.2401 – BayVBl 1998, 544 = juris Rn. 2). Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernimmt, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Ist ihm dies wegen eigener Arbeitsüberlastung nicht möglich, muss er die Übernahme des Mandats ablehnen oder es an einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt weiterleiten. Ist eine Hilfsperson des Prozessbevollmächtigten überlastet, muss der Bevollmächtigte geeignete Vorkehrungen zur Abwendung der Überlastung treffen, um dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens zu begegnen (vgl. OVG NRW, B.v. 21.5.2008 – 13 A 292/08 – juris Rn. 8 zu § 32 VwVfG). Zum Ausschluss des Verschuldens wegen Arbeitsüberlastung bedarf es mithin stets des Hinzutretens besonderer Umstände. So kann etwa eine plötzliche und unvorhersehbar eingetretene hohe Arbeitsbelastung das Verschulden ausschließen. Auch solche besonderen das Verschulden ausschließenden Umstände sind aber im Rahmen des § 60 Abs. 2 VwGO darzulegen und glaubhaft zu machen. Hierzu gehört auch der Vortrag, dass der Bevollmächtigte alles seinerseits Mögliche getan hat, um die Fristversäumung trotz der Arbeitsüberlastung zu vermeiden (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2015 – 4 BN 18.14 – ZfBR 2015, 271 = juris Rn. 10 m.w.N.).
Daran fehlt es hier. Der Kläger hat nicht substanziiert dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass seine Prozessbevollmächtigten bei sorgfältiger, den Fristenlauf berücksichtigender Planung, insbesondere bei Organisation ausreichender Schreibkräfte nicht in der Lage gewesen wäre, die Klagefrist einzuhalten. Ebenso wenig hat er vorgetragen, dass die Fristversäumnis ohne eigenes Organisationsverschulden der Bevollmächtigten auf einem Verschulden deren Hilfspersonen beruht. Vielmehr wurde im Wege der anwaltlichen Versicherung der Prozessbevollmächtigten lediglich glaubhaft gemacht, dass deren im fraglichen Zeitpunkt eingesetzte einzige Hilfskraft arbeitsüberlastet gewesen sei. Das reicht Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht aus.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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