Verwaltungsrecht

Asyl Aserbaidschan, Unglaubhafter Vortrag bzg. Verfolgung wegen Parteitätigkeit (Opposition)

Aktenzeichen  AN 16 K 17.32176

Datum:
17.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45995
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 3, § 4 AsylG – § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Den Klägern steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 GG noch ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht.
Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG und aufgrund der Identität der Schutzgüter auch kein Anspruch nach Art. 16a Abs. 1 GG auf Anerkennung als Asylberechtigte gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in welchem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von den Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, der auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – BVerwGE 55,82 – juris Rn. 15). Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch auch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, detaillierten und widerspruchsfreien Sachverhalt schildern, der seine Verfolgungsfurcht für den Fall der Rückkehr in sein Heimatland begründet. Ein glaubhaftes Vorbringen liegt daher in der Regel nicht vor, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – juris Rn. 15). Insbesondere bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171 – juris Rn. 3).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140,22 – juris Rn. 24; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146,67 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylverfahren erst zu beachten, wenn der Kläger frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht und dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist das Gericht der Überzeugung, dass den Klägern im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan keine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Zur Begründung nimmt das Gericht Bezug auf die Begründung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend gilt Folgendes:
Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht vermochte der Kläger zu 1) nicht, seinen Vortrag widerspruchsfrei und substantiiert zu gestalten. Aufgrund Abwesenheit der Klägerin zu 2) konnte deren widersprüchlicher und teils oberflächlicher Vortrag bei der Beklagten nicht aufgeklärt werden.
Hinsichtlich der Behauptungen betreffend die Verfolgung aufgrund seiner Parteizugehörigkeit beließ es der Kläger zu 1) auch in der mündlichen Verhandlung bei oberflächlichen Ausführungen. Das Gericht hat explizit mehrfach nach Tätigkeiten in der Partei gefragt. Hier führte der Kläger stets nur aus, dass er Wahlbeobachter gewesen sei. Konkrete Schilderungen, insbesondere zu dadurch verursachten Problemen, machte der Kläger zu 1) nicht.
Auch hinsichtlich seiner nunmehr in der mündlichen Verhandlung getätigten Aussage, dass er bis 2015 mehrmals in Haft gewesen sei, beließ es der Kläger zu 1) auch hierbei bei diesen Ausführungen. Jegliche Details ließ der Vortrag vermissen. Zudem führte der Kläger zu 1) keine plausible Erklärung an, weshalb er dies nicht bereits beim Bundesamt angeben hat. Die Erläuterung, dass er dies beim Bundesamt gesagt hätte, ist insoweit unglaubhaft, als beim Bundesamt eine Rückübersetzung mit Bestätigung der Richtigkeit erfolgt ist.
Der Vortrag des Klägers zu 1) ist daher nicht glaubhaft. Selbst wenn man den Vortrag als wahr unterstellte, ist der Kläger allenfalls als kaum aktiv einzustufen. Dies gilt bereits für seine Tätigkeit in Aserbaidschan als auch für etwaige politische Tätigkeiten hier in Deutschland. Diesbezüglich führte der Kläger undetailliert aus, dass er in Deutschland an kleineren Aktionen teilnehme, hier jedoch nur als Zuhörer. Gemäß dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. November 2020, Seite 9, können regierungskritische Oppositionsparteien und ihre Mitglieder im Alltag Benachteiligungen ausgesetzt sein. Diese richten sich jedoch insbesondere gegen Funktionäre bzw. politisch aktive Parteimitglieder. Letzteres ist jedoch aus den genannten Gründen beim Kläger zu 1) nicht der Fall. Sein Vortrag ist bereits nicht glaubhaft und er wäre allenfalls als kaum aktiv einzustufen.
Auch der Vortrag des Klägers zu 1) hinsichtlich der Umstände des Abrisses seines Restaurants ist nicht glaubhaft. Auch hierbei konnten in der mündlichen Verhandlung zahlreiche Widersprüche und Oberflächlichkeiten nicht aufgeklärt werden. Zunächst gab der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung nun an, dass er aufgrund seiner politischen Tätigkeit überhaupt kein Geld für den Abriss seines Restaurants bekommen soll. Auf Nachfrage bzw. Vorhalt des Gerichts führte der Kläger dann an, dass ihm 30.000 US-Dollar angeboten worden sein, dies jedoch zu wenig gewesen sei.
Auch die Vorlage von Dokumenten, die nach dem Vortrag des Klägers zu 1) Vorladungen und Fahndungsbeschlüsse von Polizei und Staatsanwaltschaft seien, ergibt sich nichts anderes. Insbesondere ergibt sich hieraus keine Verfolgung des Klägers zu 1) im Sinne des Asylgesetzes. Es kann dahinstehen, ob diese Dokumente echt sind. Jedenfalls erfolgten Ladung und damit auch der anschließende Fahndungsaufruf nach eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung aufgrund der Auseinandersetzung bzw. Handgreiflichkeit mit der Polizei im Rahmen des Abrisses seines Restaurants. Das eine Privatperson nach einer Handgreiflichkeit mit einer Polizei eine Vorladung der Polizei erhält, gibt keinen Anlass anzunehmen, dass dies einer staatlichen Verfolgung entsprechen würde. Nach Auffassung des Gerichts scheinen die Dokumente, die Echtheit unterstellt, einem regulären Justizvorgang zu entsprechen.
Auf den bedingt gestellten Beweisantrag des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung dahingehend, dass der Fahndungsbeschluss echt sei, war daher nicht nachzugehen. Nach eigenen Angaben des Klägers erfolgte die Vorladung und damit auch der Fahndungsaufruf nicht aufgrund der politischen Tätigkeit, sondern aufgrund der Handgreiflichkeit mit der Polizei. Da selbst bei Echtheit der Dokumente sich hieraus keine staatliche Verfolgung ergibt, ist diese Frage insoweit nicht entscheidungserheblich.
Darüber hinaus erscheint es dem Gericht widersprüchlich, wenn der aserbaidschanische Staat, wie der Kläger zu 1) angegeben hat, im Jahre 2010 mit Inhaftierung, Schlägen und Folterung gegen den Kläger zu 1) vorgegangen ist, dann jedoch in den Folgejahren, in denen der Kläger zu 1) weiterhin Wahlbeobachter gewesen sein will, nicht mehr gegen den Kläger zu 1) vorgeht. Die diesbezüglich behaupteten Inhaftierungen wurden vom Kläger zu 1) in keiner Weise substantiiert.
Ebenfalls widersprüchlich ist die Aussage der Klägerin zu 2), die bei Ihrer Befragung beim Bundesamt angegeben hat, dass sie Aserbaidschan über den Flughafen nur verlassen konnten, da sie an uniformierte Personen 5.000,00 Dollar gezahlt hätten. Der Kläger zu 1) hat nun in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie die 5.000,00 Dollar an einen Schleuser, nicht jedoch an uniformierte Personen, gezahlt hätten.
Ein Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 AsylG oder Art. 16a GG ist demnach nicht gegeben.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Das Gericht nimmt Bezug auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Den Klägern droht nach Auffassung des Gerichts insoweit insbesondere kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen.
3. Die Kläger können die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen.
a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe droht.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG sind vorliegend nicht gegeben. Diesbezüglich wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Zudem wird auf obige Ausführungen verwiesen.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt eine einzelfallbezogene, erhebliche und konkrete Gefahrensituation voraus, wobei es nicht darauf ankommt, von wem die Gefahr ausgeht und wodurch sie hervorgerufen wird. Erheblich ist eine Gefahr, wenn sie von bedeutendem Gewicht ist, konkret, wenn ihre Verwirklichung mit einer auf stichhaltigen Gründen beruhenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Rückkehr in das Herkunftsland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Maßgeblich sind vielmehr die dort üblichen Standards. Nicht zu prüfen ist deshalb, ob in Aserbaidschan eine medizinisch optimale Behandlung oder gar eine Heilung zu erreichen ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist.
Im aserbaidschanischen Gesundheitssystem hat die Regierung in den letzten Jahren erhebliche Investitionen vorgenommen (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 17.11.2020, Stand: November 2020, S. 21). Zu Anfang des Jahres wurde eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, die auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung insgesamt abzielt. Ihre schrittweise verbindliche Einführung wurde wegen der Covid-19-Pandemie auf 2021, mithin auf dieses Jahr, verschoben.; theoretisch gibt es eine alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt, mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann jedoch nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet. Bei stationärer Behandlung sind alle Medikamente kostenfrei (vgl. IOM Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2016, S. 2). Ambulante Patienten zahlen ihre Medikamente mit Ausnahme bei Krebserkrankungen und psychischen Erkrankungen selbst. Medikamente sind vergleichsweise teuer. Auch wenn die medizinische Versorgung noch nicht europäischen Standards entspricht, können verbreitete Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Asthma, Anämie, Gelenk- und Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die coronare Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen, psychische Erkrankungen wie Depressionen, Drogenmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen in Aserbaidschan adäquat behandelt werden. Bis auf wenige Ausnahmen sind die in Deutschland üblichen Medikamente auch in Aserbaidschan erhältlich (vgl. Information zur medizinischen Versorgung in Aserbaidschan der Botschaft Baku vom 29.4.2016). Nicht vorhandene Medikamente können in der Regel durch andere, wirkungsgleiche ersetzt werden.
Unter Zugrundelegung der genannten Maßstäbe und Erkenntnismittel erweist sich eine Abschiebung der Kläger nach Aserbaidschan weder gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG noch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als unzulässig. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Es ist davon auszugehen, dass die Kläger auch bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan in der Lage seien werden, sich einen Lebensunterhalt und ein wirtschaftliches Existenzminimum zu sichern. Die Kläger zu 1) und zu 2) haben beide eine entsprechend hochwertige Ausbildung genossen. Zudem haben beide noch zahlreiche, teils auch enge, Familienangehörige in Aserbaidschan, zu denen sie auch noch Kontakt haben. Von deren Unterstützung ist auszugehen.
Insoweit kommt es auf die Behauptungen des Klägervertreters hinsichtlich des Umstandes, was ein Tagelöhner in Aserbaidschan verdient, nicht an.
Auch aus den Behauptungen des Klägervertreters zur Covid-19-Pandemie ergibt sich nichts anderes. Der Vortrag des Klägervertreters ist insoweit unsubstantiiert. Es ist davon auszugehen, dass Aserbaidschan ebenso wie andere Länder, eben auch Deutschland, von der Covid-19-Pandemie getroffen ist, jedoch auch zahlreiche Maßnahmen verhängt, wie die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes zeigen. Es gibt derzeit keinerlei Erkenntnisse dahingehend, dass die Bevölkerung aufgrund der Covid-19-Pandemie überdurchschnittlich wirtschaftlich leiden würde.
Soweit die Kläger ärztliche Atteste vorlegen, hinsichtlich einer möglichen Epilepsie und einer möglichen Posttraumatischen Belastungsstörung, so ist jedenfalls festzustellen, dass diese Erkrankungen gemäß der zur Grundlage des Verfahrens gemachten Erkenntnismittellage (vgl. bspw. Auskunft der Botschaft Baku an das VG Minden vom 17. Januar 2011, IOM Az.: ZC 274 und Auskunft der Botschaft Baku an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 18. April 2013) in Aserbaidschan behandelbar sind. Sofern trotz des staatlichen Gesundheitssystems noch von zusätzlichen Kosten auszugehen ist, ist jedenfalls nach dem oben Gesagten davon auszugehen, dass eine etwaige Behandlung auch finanziell erreichbar ist.
4. Auch die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
5. Gleiches gilt für die Befristung des in Ziffer 6 festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzungen in zeitlicher Hinsicht nur auf, im vorliegenden Fall nicht ersichtliche, Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.


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