Verwaltungsrecht

Asyl, Nigeria: Es liegt kein innerstaatlicher Konflikt in Nigeria vor. Die Malariagefahr führt nicht zur Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung für ein gesundes Kleinkind.

Aktenzeichen  Au 9 K 20.30436

Datum:
6.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24277
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 14a Abs. 2, § 24 Abs. 1 S. 6
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen, bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts auf.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der minderjährige Kläger ist zusammen mit seiner gesetzlichen Vertreterin und Mutter in der Lage, diesen Konflikten durch Rückkehr in weniger gefährdete Gebiete im Sinne eines internen Schutzes aus dem Wege zu gehen.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem gesunden Kläger aufgrund des Risikos einer Malariainfektion in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. (Rn. 35 – 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 6. August 2020 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 6. August 2020 form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 6. März 2020 (Gz.: …) ist rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG), auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) bzw. auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3, 3b AsylG. Dem Kläger droht bei seiner erstmaligen Einreise nach N. keine Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG). Hierzu fehlt bereits jeglicher sachlicher Vortrag. Auch in der Klageschrift finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger asylrechtlich relevante Merkmale i.S.d. §§ 3, 3b AsylG vorhanden sind. Dem Kläger steht diesbezüglich kein Anspruch zur Seite. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im mit der Klage angegriffenen Bescheid des Bundesamtes zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) liegen zu Gunsten des Klägers nicht vor. Der Kläger ist im Falle seiner erstmaligen Einreise nach N. nicht einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt, auch nicht wegen seines christlichen Glaubens.
Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen, bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts i.S. der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 2013 -, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 -, U.v. 27. 4.2010 – 10 C 4/09 -, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 und U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – sowie B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – jeweils juris). Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die in N. (noch) nicht festzustellen sind, vergleichbar. Nach den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln (Tagespresse, Medien) und Erkenntnissen des Gerichts kam es zwar auch im Jahr 2017 und 2018 sehr häufig zu Anschlägen der Gruppe „Boko Haram“ und sind auch die Einsätze der nigerianischen Sicherheitskräfte mit Gewaltexzessen und willkürlichen Verhaftungen verbunden. Allerdings konzentrieren sich die Anschläge von „Boko Haram“ und die daraus folgenden Auseinandersetzungen immer noch hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten N.s, während es im Süden und Südwesten des Landes nur vereinzelt zu Anschlägen bzw. Terrorakten gekommen ist. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „Boko Haram“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von N. vom 10. Dezember 2018, 21. Januar 2018, 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S. 5 sowie II, 1.4., vom 28. August 2013, vom 6. Mai 2012, 7. März 2011, 11. März 2010 und vom 21. Januar 2009, jeweils Ziffer II.1.4). In N. findet kein Bürgerkrieg statt; Bürgerkriegsparteien sind nicht vorhanden.
Der Kläger ist zusammen mit seiner gesetzlichen Vertreterin und Mutter in der Lage, diesen Konflikten durch Rückkehr in weniger gefährdete Gebiete im Sinne eines internen Schutzes (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e AsylG entsprechend) aus dem Wege zu gehen. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die Mutter des Klägers nach ihrem eigenen Vorbringen aus … im Bundesstaat … State im Süden N.s stammt. Von daher liegt auch eine Rückkehr bzw. erstmalige Einreise des Klägers zusammen mit seiner Mutter in die südlichen Regionen N.s nahe.
3. Daneben hat die Beklagte aber auch zutreffend dargelegt, dass beim Kläger keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht vorliegend weder aufgrund einer Situation allgemeiner Gewalt in N. noch aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen in seinem Heimatland. Im Hinblick auf die Konkretisierung der Situation allgemeiner Gewalt in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfolgt die Prüfung auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG am Maßstab dieser Norm (vgl. SächsOVG, U.v. 25.10.2018 – 5 A 806/17.A – juris Rn. 42). Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden. Eine landesweite Gefährdung ist für die Kläger nicht zu erkennen.
Gleiches gilt für zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in N. – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik N. – Lagebericht – a.a.O. Nr. I.2.) – ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht a.a.O. Nr. II.2 und 3.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Antragsteller drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – a.a.O. – juris Rn. 22, 36).
Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – a.a.O., juris Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U.v. 31.1.2013 a.a.O., juris Rn. 38).
Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Mutter des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in N. zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der weitgehend fehlenden Schulbildung der Mutter des Klägers – die Mutter hat nach ihrem eigenen Vorbringen in N. nur drei Jahre lang die Grundschule besucht – und ihrer unterstellten Rückkehr als alleinerziehende Mutter mit einem Kleinkind. So ist darauf zu verweisen, dass im liberaleren Südwesten N.s – und dort vor allem in den Städten – alleinstehende oder alleinlebende Frauen eher akzeptiert werden. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation insbesondere für alleinstehende Frauen nicht übermäßig hart. Diese sind darauf angewiesen, spezifische Hilfsorganisationen für Frauen in Anspruch zu nehmen. Diese sind in N. insbesondere in den größeren Städten zahlreich vertreten. Auf die ins Verfahren eingeführte Aufstellung im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – N. – Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 18.2, S. 41) wird verwiesen. Weiter ist auf das in Afrika herrschende Prinzip der wechselseitigen Solidarität (Ubuntu) zu verweisen. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach N. zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA – N., Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 20, S. 50). Schließlich ist auch darauf zu verweisen, dass die Analphabeten-Quote bei nigerianischen Frauen annähernd 50% beträgt. Daher lässt sich auch aus diesem Umstand kein nationales Abschiebungsverbot zu Gunsten der Kläger ableiten. Überdies bleibt zu berücksichtigen, dass die Mutter des Klägers bereits erste berufliche Erfahrungen in N. gemacht hat. So hat sie nach ihrem eigenen Vorbringen ihrer Mutter beim Verkauf von Obst und Gemüse geholfen. Weiter ist darauf zu verweisen, dass die Mutter des Klägers wohl noch über mehrere Familienangehörige in N. verfügen dürfte. So hat sie selbst dargelegt, dass in N. noch ihre Eltern, eine Schwester, drei Brüder, mehrere Onkel väterlicherseits und mütterlicherseits sowie zwei Tanten mütterlicherseits und drei Tanten väterlicherseits lebten. Der Vortrag der Mutter des Klägers, dass mittlerweile alle nahen Angehörigen verstorben seien, wird ihr nicht geglaubt. Von der Mutter des Klägers kann daher erwartet werden, dass diese bei einer Rückkehr nach N. den Kontakt zu ihren dort noch lebenden Verwandten erneut herstellt.
Es kann daher nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Kläger zusammen mit seiner Mutter nach einer Rückkehr nach N. in existenzielle Not geraten wird. Vielmehr ist es dem Kläger zusammen mit seiner Mutter zuzumuten, in deren Heimat zurückzukehren, auch wenn dies mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist.
Auch ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist zugunsten des Klägers nicht zu erkennen. Nach dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers abgesehen werden, wenn im Zielstaat für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (sogenannte individuelle Gefahren). Eine wesentliche Verschlechterung ist dabei nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Das Abschiebeverbot dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln und ihre Heilungschancen zu verbessern. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Es wird im Fall einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist und eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel zudem vor, wenn diese zumindest in einem Teil des Zielstaats erlangt werden kann (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind für den Kläger im Verfahren nicht bekannt geworden. Ärztliche Atteste wurden für den Kläger nicht vorgelegt.
Auch die individuelle Situation des Klägers führt im vorliegenden Fall nicht zu einer anderen Bewertung und Einschätzung zum Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten.
Der Kläger hat zwar gefahrerhöhende individuelle Umstände dahingehend vorgetragen, dass er als in Deutschland geborenes und dort aufgewachsenes Kleinkind bei einer Rückkehr nach N. einem erhöhten Risiko einer Infektion mit Malaria ausgesetzt sei. Daraus lässt sich jedoch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ableiten.
Für das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Vorschriften sind alle relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen. Das i.S.d. Art. 3 EMRK für die drohenden Gefahren zu fordernde Mindestmaß an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenden körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von dessen Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand (VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 -, a.a.O., Rn. 27). Es gilt insoweit der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VGH BW, a.a.O., Rn. 29). Für die Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr bedarf es keiner mindestens 50%-igen Wahrscheinlichkeit. Vielmehr genügt, wenn bei zusammenfassender Würdigung die für eine Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33.18 -, NVwZ, 161 ).
Ausgehend von diesem Maßstab ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem soweit ersichtlich gesunden Kläger aufgrund des Risikos einer Malariainfektion in N. eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers wurden nicht geltend gemacht. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich, zumal die Mutter des Klägers auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, dass ihr Kind gesund sei.
Das Gericht hat berücksichtigt, dass N. ein Hochrisikogebiet für Malariaerkrankungen ist und dass Kinder unter fünf Jahren insoweit besonders gefährdet sind, da ihr Immunsystem noch nicht vollständig ausgebildet ist (dazu VG Düsseldorf, U.v. 6.8.2019 – 27 K 7378/18.A -, beck online, Rn. 23, 24 m.w.N.). Die statistische Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren liegt in N. bei 186 Fällen pro 1.000 Lebendgeburten, Malaria steht bei den häufigsten Todesursachen in N. an dritter Stelle.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass in Malaria-Übertragungsgebieten eine erhöhte Gefahr für Kinder besteht, die im Ausland geboren wurden und dort aufgewachsen sind. In derartigen Hochrisikogebieten baut sich innerhalb des ersten Lebensjahrzehnts infolge der anhaltenden Exposition gegenüber Malariaerregern eine sog. Semi-Immunität auf, die das Erkrankungsrisiko mindert bzw. einen schweren Krankheitsverlauf verhindert (VGH BW, U.v. vom 19.1.2010, – A 5 S 63/08 – juris Rn. 32; OVG NW, U.v. 1.12.2010 – 4 A 1731/06.A – juris Rn. 156). Kindern, die im Ausland geboren wurden und dort aufgewachsen sind, fehlt dieser Schutz.
Dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass gerade der Kläger im Falle seiner Abschiebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an Malaria erkranken und aufgrund fehlender medizinischer Versorgung schwere Folgen davontragen wird (so auch OVG NW, U.v.24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris).
Eine Prophylaxe gegen Malaria ist möglich und für den Kläger bzw. dessen Familie auch verfügbar. Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit besteht die Malariavorbeugung bei Kindern primär in einer konsequenten Expositionsprophylaxe durch Mückengitter an Fenstern und Türen, imprägnierte Moskitonetze über Betten und Spielfläche, dauerhaft imprägnierte Kleidung und geeignete Repellentien (Lotion, Creme, Spray o.Ä. zum Auftragen), die auf die Haut oder die Kleidung aufgetragen werden (Empfehlungen zur Malariaprophylaxe, herausgegeben durch die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit, abrufbar im Internet unter: www.dtg. org/images/Startseite-Download-Box/2019_DTG_Empfehlungen_Malariaprophylaxe.pdf, Seite 113). Mittel zur Imprägnierung sowie Repellentien für einen gewissen Zeitraum könnten von der Mutter des Klägers vor der Ausreise besorgt und in den Zielstaat mitgenommen werden. Auch ist es durchaus zumutbar, in N. entsprechende Mittel zu erwerben.
Die Mutter des Klägers hat vor ihrer Ausreise aus N. in einer häuslichen Umgebung gewohnt und gelebt. Es ist somit unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich wohl noch mehrere Familienangehörige der Mutter des Klägers in N. aufhalten, nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Wohnverhältnisse ohne funktionierende Abwasserbeseitigung zurückkehren würde, in der sich die Malaria übertragende Stechmücke stark vermehrt.
Malaria ist zudem in N. behandelbar (VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 27). Nach § 60 Abs. 7 Satz 4 und 5 AufenthG ist insoweit nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria können in N. teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation N., herausgegeben vom Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Republik Österreich, Stand: 12.04.2019, Seite 53). Demnach ist davon auszugehen, dass der Kläger eine Behandlung gegen eine Malariaerkrankung in N. erhalten könnte. Bei rechtzeitigem Erkennen der Krankheit und Behandlung mit den entsprechenden Medikamenten tendiert die Sterblichkeitsrate gegen Null (OVG NW, U.v. 1.12.2010 – 4 A 1731/06.A – juris Rn. 160).
Auch der Umstand, dass der Kläger als in Deutschland geborenes Kleinkind nicht über eine Semi-Immunität gegen eine Malariainfektion verfügt, begründet kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG.
Die Einschränkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, ist vorliegend bereits nicht einschlägig. Der Kläger macht lediglich das Risiko einer möglichen Erkrankung geltend und beruft sich nicht auf eine bereits bestehende Krankheit. Gesundheitliche Gefahren, die keine Erkrankungen darstellen, sind nur unter § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu subsumieren (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 16 zu § 60 Abs. 7 AufenthG in der bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung).
Eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheidet vorliegend insoweit aus. Diese Vorschrift findet gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG keine Anwendung auf Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist.
Der Kläger beruft sich nicht auf eine individuelle, gerade ihm drohende Gefahr, sondern macht geltend, dass in N. ein hohes Risiko bestehe, mit Malaria infiziert zu werden, und stellt auf die ihm im Falle einer Infektion mit Malaria drohenden schweren bzw. schwersten Folgen ab.
Bei der Gefahr der Ansteckung mit Malaria tropica handelt es sich um eine allgemeine Gefahr, die alle gesunden Rückkehrer nach N. gleichermaßen betrifft (VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 18). Würde man innerhalb der Bevölkerungsgruppe der gesunden Rückkehrer nach N. noch weiter differenzieren und als maßgebliche Bevölkerungsgruppe nur auf die aus Europa zurückkehrenden, dort geborenen gesunden Kleinkinder abstellen, drohte diesen ebenfalls eine allgemeine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG (vgl. VGH BW, U. v. 19.1.2010, a.a.O., Rn. 17, zur Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo).
Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG wird hier auch nicht ausnahmsweise aus verfassungsrechtlichen Gründen überwunden.
Besteht eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, und fehlt es – wie hier – an einem Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, ist ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris Rn. 14; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris Rn. 34; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 – juris Rn. VGH BW, U.v. 19.1.2010, a.a.O., Rn. 19.; VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 19). Mit der Beschränkung des Abschiebungsschutzes auf die Gefahr des Eintritts des Todes oder schwerster Verletzungen wird hinsichtlich der Intensität der Gefährdung der Kern des menschenrechtlich zwingend gebotenen Schutzes von Leib und Leben bezeichnet. Die weitere Einschränkung, dass die drohende Rechtsgutverletzung darüber hinaus in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung stehen muss und ihr Eintritt mit hoher, nicht nur beachtlicher Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, zielt darauf ab, den verfassungsrechtlich zwingend gebotenen Abschiebungsschutz auf solche Gefahren für Leib und Leben zu begrenzen, die noch in einem Zurechnungszusammenhang mit der Abschiebung stehen (vgl. VGH BW, U.v. 19.1.2010, a.a.O., Rn. 21).
Vor diesem Hintergrund ist hinsichtlich des Klägers nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, wenn er bei einer Abschiebung nach N. dem Risiko einer Malariainfektion ausgesetzt würde. Es ist nicht feststellbar, dass der gesunde Kläger im Falle einer Rückkehr nach N. sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Die Vorschrift des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung kann bei Allgemeingefahren unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage denklogisch keinen weitergehenden Schutz gewähren als die – weniger strengen Maßstäben unterliegende – Regelung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus (VGH BW, U.v. 17.7.2019, a.a.O., Rn. 50 m.w.N.).
Nichts Anderes gilt auch unter Berücksichtigung der sich wohl auch in Afrika ausbreitenden Corona-Pandemie. Auch dieser Umstand ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats N. i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst hat der Kläger nicht aufgezeigt.
Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind überdies in N. lediglich 45244 Corona-Fälle bestätigt, wovon 32430 Personen genesen sind und es lediglich zu 930 Todesfällen gekommen ist (Quelle: COVID-19 pandemic data, Wikipedia, Stand: 7.8.2020). Demnach handelt es sich um eine lediglich abstrakte Gefährdung, der im Rahmen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begegnen ist.
4. Auch die Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG) und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG im angefochtenen Bescheid begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat insoweit die nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu treffende Grundentscheidung bezüglich eines Einreise- und Aufenthaltsverbots getroffen als auch Ermessen hinsichtlich der Befristung in § 11 Abs. 2 AufenthG ausgeübt. Die Ermessensbetätigung der Beklagten bleibt gerichtlich unbeanstandet. Die Beklagte hat insoweit das ihr zukommende Ermessen erkannt und im Rahmen der gerichtlich eingeschränkten Prüfung des § 114 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt. Sachliche Einwände hiergegen wurden auch bereits nicht erhoben.
5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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