Verwaltungsrecht

Asyl, Somalia: Mangels existenzbedrohender Notlage erfolglose Klage

Aktenzeichen  M 11 K 17.43380

Datum:
22.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50645
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Das Gericht ist nicht überzeugt, dass dem Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in Gabiley bzw. in der Region Woqooyi Galbeed eine sonstige, dh nicht einem Akteur zurechenbare erniedrigende oder unmenschliche Behandlung droht. Es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
II. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.
1. Das Klagebegehren, das dem Wortlaut nach im Anfechtungsteil auch Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheids (Ablehnung des Antrags auf Asylanerkennung) erfasst, ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger nur die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht aber zugleich auch seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der anwaltlich vertretene Kläger hat im Verpflichtungsteil seines in der Klageschrift formulierten Klageantrags auf Art. 16a GG und § 2 AsylG nicht Bezug genommen, sondern ausdrücklich nur die Anerkennung als Flüchtling auf Grundlage von § 3 AsylG beantragt.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Das Gericht ist aus nachfolgenden Gründen nicht überzeugt, dass die vom Kläger vorgebrachten Fluchtgründe – seine behauptete Konvertierung zum Christentum und die daraus resultierende Gefahr asylerheblicher Repressalien im Falle der Rückkehr – der Wahrheit entsprechen:
Gegen die Glaubhaftigkeit spricht vor allem, dass der Kläger vor seiner Anhörung beim Bundesamt am 14. Februar 2017 mit seinen Fluchtgründen nicht zu vereinbarende Angaben in Bezug auf seine Religion gemacht hat. So hat er kurz nach seiner Einreise am 5. Oktober 2015 bei der Registrierung seiner persönlichen Daten ein Blatt unterschrieben, auf dem sich unter der Rubrik „Konfession (Diintada): Catholic, Protestant,
Muslim, other“ der Eintrag „Muslim“ findet (Bl. 37 d. A.). Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass beim Ausfüllen dieses Blattes kein Dolmetscher anwesend gewesen ist, kann man aufgrund des Bildungsstandes des Klägers, der nach seinen Angaben in Addis Abeba studiert hat und zudem beim späteren Asylantrag als zweite Sprache Englisch angegeben hat, nicht annehmen, dass der Kläger nicht wusste, was der Eintrag „Muslim“ bedeutete. Ferner findet sich in dem von ihm und vom Dolmetscher unterschriebenen Asylantrag vom 10. März 2016 unter der Rubrik Religion der Eintrag „Islam“. Zu beachten ist insoweit auch, dass nach den später behaupteten Fluchtgründen die Angaben zur Religion aus der Sicht des Klägers ein ganz wesentliches persönliches Merkmal bezeichneten.
Hinzu kommt, dass der Kläger die behauptete Taufe, die dem vorgelegten Taufschein zufolge am 1. April 2006 stattgefunden haben und die nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung sein damaliger Lehrer durchgeführt haben soll, in der Anhörung beim Bundesamt nicht erwähnt hat.
Ferner kommt hinzu, dass das Gericht auch nicht überzeugt ist, dass der Kläger überhaupt wahrheitsgemäße Angaben über seine familiären Verhältnisse gemacht hat. Seine Behauptung, zur Gruppe der Tumaal – einer Untergruppe der Gaboye (vgl. Gundel, Clans in Somalia, 2009, S. 17) – zu gehören, ist wenig glaubhaft. Sein Auftreten in der Gerichtsverhandlung, die von ihm geschilderten Vermögensverhältnisse seiner Familie und sein Bildungsstand sprechen eher dagegen, dass der Kläger zu den Gaboye gehört, die nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 2. April 2020 (Lagebericht),S. 12 f., eine ethnische Minderheit darstellen, die unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen leben muss und sich, weil sie nicht in die Clan-Strukturen eingebunden ist, in vielfältiger Weise von der übrigen Bevölkerung, nicht aber systematisch von staatlichen Stellen, wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt wird. Nicht glaubhaft waren auch die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf seine gegenwärtigen Kontakte zu seinen Familienangehörigen. Der Kläger gab insoweit an, nicht zu wissen, wo sein Vater und seine Schwestern sich momentan befänden und auch zu seiner Mutter, die seiner Kenntnis nach zuletzt in der Türkei gewesen sei, keinen Kontakt zu haben. Das Gericht ist angesichts der vom Kläger in der Anhörung beim Bundesamt geschilderten finanziellen Situation seiner Familie und des Bildungsstandes des Klägers von der Wahrheit dieser Angaben nicht überzeugt. Seine weitere Behauptung in der mündlichen Verhandlung, seit 2015 keinen Kontakt zu seiner Frau mehr zu haben, steht zudem in Widerspruch zu seiner Einlassung beim Bundesamt. In der Anhörung am 14. Februar 2017 behauptete der Kläger jedenfalls noch, Kontakt zu seiner Ehefrau zu haben (Bl. 51 d. A. unten).
Insgesamt ist das Gericht deshalb nicht überzeugt, dass die vorgebrachten Fluchtgründe der Wahrheit entsprechen.
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht deshalb nicht.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Somalia weder die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Diese letztgenannte Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass nicht nur das Tatbestandsmerkmal der Folter – bei dem sich das schon ohne weiteres aus dem Wortlaut ergibt – sondern auch die beiden anderen Tatbestandsmerkmale (unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) nur solche Beeinträchtigungen erfassen, die von einem Akteur im Sinne von § 3c AsylG ausgehen. Dies folgt aus § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG, der auf § 3c AsylG verweist. Wie sich aus den Ausführungen unter 2. ergibt, drohen dem Kläger, weil seine Fluchtgründe nicht glaubhaft sind, keine der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG genannten Handlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Zu verneinen ist schließlich auch, dass dem Kläger in Somalia eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht.
Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist insoweit der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U. v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 -, InfAuslR 2013, 241). Im vorliegenden Fall ist auf die Stadt Gabiley – eine Stadt in der in Somaliland gelegenen Region Woqooyi Galbeed – abzustellen, weil der Kläger dort nach seinen Angaben vor seiner Ausreise gelebt hat.
Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist schon deshalb zu verneinen, weil in Gabiley bzw. in der Region Woqooyi Galbeed kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift besteht. Die Region liegt in Somaliland, wo das im somaliaweiten Vergleich bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht worden ist (Lagebericht, S. 4). Die AlShabaab-Miliz hält dort derzeit keine Gebiete (Lagebericht, S. 14). Es gibt dort auch keine signifikanten Aktivitäten der Al-Shabaab-Miliz (österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somaliland, Stand 17. September 2019, S. 9).
Ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes besteht deshalb nicht.
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Insbesondere ist das Gericht nicht überzeugt, dass dem Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in Gabiley bzw. in der Region Woqooyi Galbeed eine sonstige, d. h. nicht einem Akteur zurechenbare erniedrigende oder unmenschliche Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. m. Art. 3 EMRK droht. Es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
Ob ein Rückkehrer in eine solche Situation gerät, hängt ganz wesentlich auch davon ab, ob und in welchem Umfang die Familie und die Großfamilie Hilfeleistungen anbieten können. Im vorliegenden Fall fehlen glaubhafte Angaben über die familiäre Situation des Klägers (siehe oben). Angesichts dessen ist das Gericht nicht überzeugt, dass der Kläger in Somalia auf sich allein gestellt ist. Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage in Teilen Somalias veranlasst. Dass der knapp 30jährige Kläger, der zu keiner Risikogruppe gehört, ernsthaft erkranken könnte, ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Sofern die Corona-Pandemie oder die Heuschreckenplage zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in seiner Herkunftsregion führen sollte, ist aufgrund des Fehlens glaubhafter Angaben zur familiären Situation nicht feststellbar, dass der Kläger in einem solchen Fall in eine Notlage geraten würde. Im Übrigen verfügt der Kläger nach seinen Angaben über einen für somalische Verhältnisse weit überdurchschnittlichen Bildungsstand, so dass er in Somaliland auch allein auf sich gestellt zurechtkommen würde. Insgesamt besteht deshalb kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. m. Art. 3 EMRK.
5. Nicht zu beanstanden sind auch die in den Nummern 5 und 6 des Bescheids getroffenen Nebenentscheidungen (vgl. § 34 AsylG, § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 4, Abs. 3 AufenthG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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