Verwaltungsrecht

Asylbewerber aus dem Iran, Keine glaubhafte Vorverfolgung (Kontakt zum Christentum, Teilnahme an Weihnachtsfeier), Keine Nachflutgründe (keine identitätsprägende Konversion, Aktivitäten in sozialen Netzwerken unter Pseudonym)

Aktenzeichen  AN 17 K 17.33896

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10769
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3

 

Leitsatz

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen.
1. Die Klagen sind fristgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 74 Abs. 1 AslyG erhoben worden. Die doppelte Klageerhebung steht der Zulässigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG, nicht mehr entgegen, da die erste Klage (AN 17 K 17.33.649) in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2022 rechtzeitig zurückgenommen worden ist.
2. Die Klagen sind jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 24. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Den Klägern steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
a) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Ergänzende Regelungen ergeben sich aus § 3a AsylG für die Verfolgungshandlungen, aus § 3b AsylG für die Verfolgungsgründe, aus § 3c AsylG zu den Akteuren, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3d AsylG zu den Akteuren, die Schutz bieten können, und nach § 3e AsylG zu einem möglichen internen Schutz.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, gilt dabei einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Herkunftslandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
Dies zugrunde gelegt, haben die Kläger keinen glaubhaften Sachverhalt zu einer im Iran bereits erlebten oder bevorstehenden Verfolgung vorgebracht, so dass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie für sie nicht eingreift. Das Vorbringen der Kläger rund um die Ereignisse im Zusammenhang mit der Teilnahme der Klägerin an einer christlichen Weihnachtsfeier und zu Kontakten der Kläger zu Christen im Iran bzw. zu einer Hinwendung zum christlichen Glauben glaubt die Einzelrichterin den Klägern nicht. Die Angaben der Kläger hierzu sind in vielen Punkten oberflächlich und unkonkret. Die Angaben der Kläger untereinander widersprechen sich dabei in zahlreichen Punkten, auch weichen die Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung von denen, die sie beim Bundesamt und im schriftlichen Verfahren gemacht haben, ab. Vor allem aber spricht gegen ein real Erlebtes das ausweichende und einsilbige Antwortverhalten auf die Fragen der Einzelrichterin und die mehrfachen Anpassungen des Vorbringens beider Kläger an die Fragestellungen, Nachfragen und Vorhalte des Gerichts auf unplausible, unklare und widersprüchliche Aussagen.
Auf die Unplausibilität, dass die Kläger noch ca. 1 ½ Jahre nach der – ihren Angaben zufolge – fluchtauslösenden und aufgedeckten Teilnahme der Klägerin an der Weihnachtsfeier im Iran verbracht haben, was auch das Bundesamt in seiner Bescheidsbegründung vom 24. Mai 2017 aufgegriffen hat, reagierten die Kläger durch schriftsätzliches Vorgehen damit, dass sie angaben, sich bis zu Ausreise versteckt gehalten zu haben. In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin auf die entsprechende Frage des Gerichts zunächst (und auch nach ersichtlichen Zögern) jedoch an, dass sie sich nicht versteckt hätten, sie passte ihr Aussageverhalten auf Vorhalt des Gerichts dann jedoch dahingehend an, dass sie sich nur für kurze Zeit versteckt hätten. Nähere Erläuterungen oder eine Distanzierung von früherem Vorbringen erfolgte nicht.
Auch zur Rolle des Klägers im Geschehen und zu seiner Zuwendung zum Christentum erfolgten widersprüchliche Angaben. Er selbst gab in der mündlichen Verhandlung zunächst an, im Iran bereits Christ gewesen, aber keine Aktivitäten gehabt zu haben. Später, nach kritischen Nachfragen des Gerichts, gab er jedoch an, nicht zu behaupten, dass er Christ sei. Zu der Frage, wann er durch seiner Frau Bekanntschaft mit dem Christentum gemacht habe, antwortete er, dass dies ca. ein Jahr vor der Ausreise gewesen sei. Dies steht jedoch in unauflöslichem Widerspruch zur angeblich fluchtauslösenden Weihnachtsfeier, die bereits 1 ½ Jahre vor der Ausreise stattgefunden haben soll. Dazu wie er mit seiner Frau zum Christentum ins Gespräch gekommen sei, machte er – trotz mehrfacher Nachfrage des Gerichts – lediglich ausweichende und völlig vage und unkonkrete Angaben („Ich habe das Verhalten meiner Frau beobachtet und mir Fragen gestellt“; „Ich habe sie gefragt und wir haben darüber gesprochen.“ „Ich weiß, dass ich immer wieder Fragen gestellt habe.“).
Die Klägerin korrigierte die offensichtlich unwahren Angaben des Klägers hierzu nicht und machte ihrerseits unglaubhafte und ausweichende Angaben („Ich hatte damals [2007] noch nicht viele Erkenntnisse und es hat lange gedauert, bis ich diese Erkenntnisse bekommen habe. Erst dann habe ich angefangen, mit ihm zu sprechen.“; „Es fällt mir schwer, eine Zeit zu benennen.“), was ihre eigene Glaubwürdigkeit auch insgesamt erschüttert. Auch, wenn man insoweit eine Schutzbehauptung der Klägerin zugunsten ihres Mannes (etwa aus Angst vor diesem) in Erwägung zieht, kann ihr Vorbringen im Übrigen nicht überzeugen. Die schon beim Bundesamt ohne Stringenz erzählte und mit vielen unrelevanten Nebenhandlungen und Nebenpersonen angereicherte Geschichte, die aber dennoch konkrete und detaillierte Angaben und eine lebendige Schilderung vermissen lässt, wurde auch in der mündlichen Verhandlung nicht konkretisiert. Fragen wurden nur einsilbig beantwortet, etwa die nach der Bekanntschaft mit den Christentum über die Freundin G* … In diesem Zusammenhang machte die Klägerin auch widersprüchliche Angaben zum Lesen der Bibel. Zunächst gab sie in der mündlichen Verhandlung an, die Bibel von G* … nur genommen, aber nicht gelesen zu haben, auf Nachfrage sagte sie dann, das Buch nicht lange zur Seite gelegt zu haben. Beim Bundesamt gab die Klägerin hingegen an, die Bibel gleich gelesen, aber zunächst nicht verstanden zu haben. Wesentlich steigernd wird ihr Vortrag auf die gerichtliche Frage, warum sie noch 1 ½ Jahre nach der Weihnachtsfeier im Iran verblieben seien. Dass sie eine Woche nach dem Vorfall vorgeladen worden sei und es nach zwei Monaten zu einer erneuten Befragung gekommen sei, ist bei der Bundesamtanhörung von ihr so nicht erwähnt worden. Nach ihren dortigen Angaben habe sie einen Anruf von unbekannt erhalten und ein Protokoll unterschreiben müssen, wobei Zeitabläufe insoweit nicht geschildert worden sind.
Eine Vorverfolgung sowohl des Klägers also auch der Klägerin kann damit nicht angenommen werden. Insbesondere ist nichts dafür glaubhaft gemacht, dass sich die Kläger tatsächlich bereits im Iran dem Christentum zugewandt oder auch nur in Kontakt mit dem Christentum gekommen sind. Ergänzend wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auch auf die Ausführungen des Bundesamts in seinem Bescheid vom 24. Mai 2017 Bezug genommen.
b) Die Kläger haben zur Überzeugung des Gerichts auch nicht glaubhaft gemacht, dass beachtliche Nachfluchtgründe eingetreten sind, die einer Rückkehr in den Iran entgegenstehen. Ein Nachfluchtgrund liegt dabei nicht in einer formalen Konversion zum Christentum im Gastland. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist es geklärt (vgl. BayVGH, U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris Rn. 24 m.w.N., U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris Rn. 20), dass es für die Frage einer Verfolgungsgefahr aufgrund erfolgter Konversion zum Christentum maßgeblich darauf ankommt, ob im Fall der Rückkehr der Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – aktiv ausübt oder nur erzwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird. Erforderlich ist damit eine echte und ernsthaft innere Zuwendung zum Christentum, die formale Aufnahme in eine christliche Glaubensgemeinschaft durch die Taufe ist nicht ausreichend. Eine solche identitätsprägende Hinwendung zum christlichen Glauben ist für die Kläger nicht anzunehmen. Es bestehen vielmehr Zweifel an einer ernsthaften inneren Zuwendung zum christlichen Glauben, weil ein nachvollziehbares und konkretes Erweckungserlebnis, sei es im Iran, sei es in Deutschland oder einen sonst nachvollziehbaren Grund für eine Hinwendung zum Christentum nicht ersichtlich ist und nicht glaubhaft vorgebracht wurde. Die Angaben zur Hinwendung an den christlichen Glauben im Iran werden den Klägern – wie oben dargelegt – nicht geglaubt. Da die Kläger ihre Taufe in der Türkei auf die (unglaubhafte) Verfolgungsgeschichte im Iran zurückführen und dadurch hieran anknüpfen, dass der Kontakt durch die Pfarrer im Iran hergestellt worden sei, kann auch die Taufe in der Türkei nicht als Zeichen echter innere Zuwendung gesehen werden. Wie der Kläger selbst angibt, handelte es sich um eine Massentaufe von Iranern und Afghanen, so dass die Vermutung nachliegt, dass diese aus asyltaktischen Gründen (die Kläger haben bereits in der Türkei ein Asylverfahren durchlaufen), nicht aber aus christlicher Überzeugung erfolgt ist.
Dass inzwischen, d. h. in Deutschland, eine identitätsprägende Hinwendung zum Christentum erfolgt ist, an der die Kläger im Falle einer Rückkehr in den Iran weiter festhalten würden, sie den Glauben sichtbar oder erzwungenermaßen nur heimlich weiter ausüben würden, ist nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht der Fall. Für den Kläger ist insoweit von vorneherein nichts ersichtlich und vorgetragen, aber auch für die Klägerin ist eine solche enge, identitätsprägende Verbindung nicht feststellbar. In der Regel zeigt sich eine (spät) angenommene Glaubensüberzeugung durch emotionale Äußerungen und Handlungen und durch das Bedürfnis, über seinen Glauben zu sprechen. Gerade dies fehlt bei der Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung durchgehend einsilbig blieb, gänzlich. Auch besondere Aktivitäten in der Kirchengemeinde machte sie nicht mehr geltend, trug vielmehr von sich aus – quasi entschuldigend – vor, dass durch ihre Arbeit und die Coronapandemie die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen eingeschränkt bzw. beendet worden ist. Von Bedeutung ist zudem, dass keine Motivation bzw. kein Erweckungserlebnis für die Hinwendung zum Christentum deutlich geworden sind, sondern die Hinwendung auf die – nicht glaubhaften – Geschehnisse im Iran zurückgeführt wird und von diesen Schutzbehauptungen keine Distanzierung stattfand.
Dass ein Kontakt der Klägerin zu bzw. eine gewisse Integration der Klägerin in die Evang.- Luth. Kirchengemeinde in … erfolgt ist, wird vom Gericht, auch nach entsprechender Bekundung eines Mitglieds der Kirchengemeinde in der mündlichen Verhandlung, durchaus gesehen und zu Grunde gelegt. Dass die Verbindung über soziale, gesellschaftliche und/oder humanitäre Aspekte hinausgeht und mehr als nur als lose betrachtet werden kann, ist jedoch nicht ersichtlich. Die Zugehörigkeit der Klägerin zur christlichen Glaubensgemeinschaft stellt für sie, soweit erkennbar, keine existentielle Lebensfrage dar und ist damit nicht von asylrechtliche Relevanz.
Der formale Akt der Taufe als solches begründet noch keine beachtliche Verfolgungsgefahr. Es gibt nämlich keine Erkenntnisse dahingehend, dass allein deshalb einem Übergetretenen bei einer Rückkehr in den Iran – selbst unter dem Recht der Scharia – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.2.2021, S. 13 ff.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation/Version 3 vom 2.7.2021, S. 47 ff., Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Gefährdung von Konvertiten vom 7.6.2018, S. 17 ff., so auch BayVGH, U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris Rn. 25; U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris Rn. 22). Es spricht auch nichts dafür, dass die formale Konversion der Kläger im Iran überhaupt bekannt geworden ist.
Ebenso wenig führt die Asylantragstellung in Deutschland unter Angabe von religiösen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran voraussichtlich – selbst wenn dies dort bekannt geworden sein sollte – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungsmaßnahmen. Den iranischen Sicherheitsbehörden ist bekannt, dass Asylbewerber aus dem Iran überwiegend aus anderen als politischen Gründen versuchen, in Deutschland einen dauernden Aufenthalt zu erreichen, hierzu Asylverfahren betreiben und dabei auch häufig eine Konversion zu anderen Religionen behaupten (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380 – juris; B.v. 8.8.2017 – 14 ZB 17.30924; B.v. 28.8.2017 – 14 ZB 30.625 und B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 30670).
Bei der Rückkehr in den Iran kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft ist aber bislang ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Es gibt derzeit auch keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis (vgl. OVG NRW, B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 293/17.A – juris; B.v. 15.6.2011 – 13 A 1050/11.A; VGH BW, U.v. 15.4.2015 – A 3 S 1459/13 – juris; SächsOVG, U.v. 14.1.2014 – A 2 A 911/11 – juris; BayVGH, B.v. 25.2.2013 – 14 ZB 13.30023 – juris; B. v. 21.1.2013 – 14 ZB 12.30456 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 13.5.2011 – 13 LA 176/10 – AuAS 2011, 174; VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2011 – 5 K 7134/10.A und v. 9.3.2011 – 5 K 3257/10.A).
c) Schließlich begründen auch die Aktivitäten des Klägers in den sozialen Netzwerken keinen beachtlichen Nachfluchtgrund. Selbst wenn der Kläger tatsächlich Autor der im Gerichtsverfahren vorgelegter Nachrichten ist (was durch die Ausdrucke schwerlich nachweisbar ist) und selbst, wenn weiter diese Nachrichten tatsächlich regimekritische Äußerungen enthalten sollten, die bei den Sicherheitsbehörden im Iran auf Aufmerksamkeit gestoßen sind oder geeignet sind, Aufmerksamkeit zu erregen (auch dies ist aufgrund der größtenteils nicht übersetzten Ausdrucke nicht feststellbar; soweit Übersetzungen mit Online-Übersetzer vorgenommen und vorgelegt worden sind, sind diese kaum verständlich, die Äußerungen völlig unklar und unverständlich und nicht als regimekritisch feststellbar), ist mit Konsequenzen bei einer Rückkehr in den Iran nicht zu rechnen, weil die Nachrichten nicht auf den Kläger als Verursacher zurückgeführt werden können. Er gibt selbst an, dass sein Twitter- und sein Facebook-Account unter dem Pseudonym „…“, also nicht unter seinem richtigen Namen laufen, so dass dadurch keine Verbindung zu ihm hergestellt werden kann. Auch keines der vom Kläger verwendeten Profilbilder ermöglicht eine Identifizierung des Klägers, der dort nur von Weitem und/oder im Schatten stehend abgebildet ist, falls es sich überhaupt um ein Foto des Klägers selbst handelt. Das Gericht hat den Kläger auf den Profilbildern jedenfalls nicht erkannt; eine Identifizierung ist damit aller Wahrscheinlichkeit nach, auch für niemanden sonst möglich. Im Übrigen sind Profilbilder jederzeit änderbar und von jedermann fremde Fotos nutzbar, sodass einem Profilfoto – was allgemein und auch den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt ist – kein nennenswerter Identifizierungswert zukommt. Ob das Handy des Klägers bzw. seine Accounts unter seiner richtigen Identität registriert sind, blieb offen. Auch die Accountdaten sind jedenfalls manipulierbar. Eine Gewähr oder ein Nachweis für die Registrierung mit seinen richtigen Personaldaten besteht nicht. Der Kläger hat dies nicht einmal vorgetragen. Dafür, dass die Identität von „…“ im Iran nicht bekannt ist, spricht auch deutlich, dass der Kläger sich selbst auf eine Verfolgungsgefahr wegen seiner regimekritischen Posts zunächst nicht gestützt hat, er sich deshalb offenbar jahrelang nicht für gefährdet gehalten hat. Die Klägerseite erläuterte in der mündlichen Verhandlung, dass die Nachrichten über Twitter und Facebook erst aufgrund rechtsanwaltlicher Beratung aufgegriffen worden sind, nicht aber auf Initiative des Klägers und vor allem erst nach jahrelangen Aktivitäten. Bei den Erwiderungen auf die Posts des Klägers mit drohendem Inhalt handelt es sich damit ersichtlich um leere, mangels der Kenntnis von der Identität des Klägers nicht realisierbare Drohungen, selbst dann, wenn die einschüchternden Erwiderungen von staatlichen Stellen kommen sollten, was aber ebenfalls völlig unklar und durch nichts belegt ist. Auf die Frage, mit welchen Konsequenzen ein Asylantragsteller im Fall von regimekritischen Äußerungen im Ausland bei einer Rückkehr in den Iran zu rechnen hat und darauf, ob Konsequenzen und ein Auffinden der Person auch im Ausland möglich und wahrscheinlich sind, kommt es für den Kläger damit nicht an.
3. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Hierfür spricht, nachdem den Klägern ihre Fluchtgeschichte und eine identitätsprägende Zuwendung zum Christentum nicht geglaubt wird und auf sie zurückführbare regimekritische Äußerungen nicht vorliegen, nichts.
4. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr in den Iran vorliegt. Hierfür ist nichts mehr ersichtlich. Gesundheitliche Einschränkungen wurden zuletzt nicht mehr vorgetragen. Nach den letzten ärztlichen Unterlagen war auch die Klägerin wieder medikationsfrei.
Was die humanitären und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Iran anbelangt, können diese ohnehin nur ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigen (ausführlich hierzu etwa VG Ansbach, U.v. 13.7.2021 – AN 17 K 21.30074 – juris Rn. 48 m.w.N.). Ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel ist zwar von einer angespannten wirtschaftlichen Situation im Iran insbesondere in Folge der Sanktionen der USA und des Währungsverfalls auszugehen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Iran, Version 3, 2.7.2021, S. 80 f.). Gleichwohl gewährleistet der Iran auch für Rückkehrer eine Grundversorgung, zu der neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen wie Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Spezielle Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind allerdings nicht bekannt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand Dezember 2020), vom 5.2.2021, S. 24). Die medizinische Versorgung ist auf ausreichendem Niveau gewährleistet (BFA a.a.O., S. 84 ff.). Darüber hinaus können die Kläger bei einer Rückkehr einerseits mit familiärer Unterstützung rechnen und sind sie – wie vor ihrer Ausreise – in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften.
Ebenso wenig ergibt sich ein Abschiebungshindernis aus der gegenwärtigen Pandemie-Lage durch das Corona-Virus. Eine eine Rückkehr unzumutbar machende Situation in den Iran haben die Kläger weder vorgetragen noch liegt eine solche nach Einschätzung des Gerichts vor. Jedenfalls stünde § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG einer Berücksichtigung im vorliegenden Verfahren entgegen.
5. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
6. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Die Befristung steht im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und wird vom Gericht in zeitlicher Hinsicht nur auf – hier nicht vorliegende -Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die nicht dem heutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der einen behördlichen Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots fordert, entsprechende Formulierung der Ziffer 6 im Bescheid vom 24. Mai 2017 („gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot“) ist insoweit unschädlich. Die nunmehr geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer ist regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72; s. auch BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – NVwZ 2019, 483 Rn. 25).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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