Verwaltungsrecht

Asylfolgeantrag aufgrund von Konversion von Iranerin zum Christentum

Aktenzeichen  W 8 K 19.30704

Datum:
8.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16490
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 51 Abs. 1, § 51 Abs. 3 S. 2
AsylG § 3, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 51 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG beginnt auch bei Dauersachverhalten mit dem Tag der erstmaligen Kenntnisnahme von den veränderten Umständen und kann nur dann erneut in Lauf gesetzt werden, wenn der Dauersachverhalt einen Qualitätsumschlag erfährt. Dies gilt auch für sich prozesshaft entwickelnde dauerhafte Sachverhalte sowie Wiederaufgreifensgründe, die während des gerichtlichen Verfahrens auftreten (Anschluss an BVerwG NVwZ 1993, 788). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aufgrund der fehlenden Möglichkeit, im Zulassungsantrag nach § 78 Abs. 4 AsylG neue Tatsachen und Beweismittel in das Verfahren einzuführen, kann ein Wiederaufgreifensgrund nicht im Berufungszulassungsverfahren geltend gemacht werden. Daher beginnt erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit durch Zurückweisung des Zulassungsntrags die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zu laufen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Gerade bei sich fließend entwickelnden dauerhaften Sachverhalten wie bei der Religionskonversion ist unter anderem maßgeblich auf die Taufe als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2019 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – BVerwGE 157, 18) betreffend die Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Beklagte zu Unrecht den Asylantrag der Klägerin gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt hat. Denn entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist ein Folgeverfahren nach § 71 AsylG durchzuführen.
Die Voraussetzungen des § 51 VwVfG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG sind aufgrund der mittlerweile erfolgten Konversion der Klägerin zum Christentum und ihrer damit verbundenen Taufe und weiteren Aktivitäten gegeben.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG). Nach § 71 Abs. 2 AsylG hat der Ausländer den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet gewesen war. Schriftlich ist der Folgeantrag nur in den Fällen des § 71 Abs. 2 Satz 1 und 3 AsylG zu stellen. In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden (§ 71 Abs. 3 Satz 1 bis 3 AsylG).
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Ein weiteres Asylverfahren ist hiernach dann durchzuführen, wenn aufgrund der Änderung der Sach- oder Rechtslage eine andere Entscheidung möglich erscheint (VGH BW, U.v. 20.5.2008 – A 10 S 3032/07 – juris). Hierfür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der freilich nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – DVBl. 2000, 1048). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist darüber hinaus ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstige Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen, wobei die Frist gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Auch bei Dauersachverhalten ist grundsätzlich die erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen für den Fristbeginn maßgeblich. Diese Frist kann nur dann erneut in Lauf gesetzt werden, wenn der Dauersachverhalt einen Qualitätsumschlag erfährt. Das Erfordernis, die Dreimonatsfrist nach § 51 Abs. 3 VwVfG einzuhalten, gilt auch für sich prozesshaft entwickelnde dauerhafte Sachverhalte sowie Wiederaufgreifensgründe, die während des gerichtlichen Verfahrens auftreten (BVerwG, U.v. 13.5.1993 – 9 C 49/92 – BVerwGE 92, 278; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 71 Rn. 97 ff.; Fritz/Vormeier in Funke-Kaiser, GK-AsylG, Lfg. 113, 1.1.2017, § 71, Rn. 290). Unbilligkeiten aufgrund des Umstandes, dass bei sich prozesshaft entwickelnden dauerhaften Sachverhalten der Zeitpunkt, zu welchem ein Qualitätssprung stattfindet bzw. der Zeitpunkt, zu welchem der Sachverhalt Asylerheblichkeit erreicht, nur schwer feststellbar ist, lassen sich dadurch vermeiden, dass für die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes ein Wiederaufgreifen bei Versäumung auch nach Ermessen möglich ist. Eine Nichtanwendung der Frist im Rahmen des AsylG auf derartige Sachverhalte würde jedoch dem gesetzgeberischen Willen widersprechen (vgl. BT-Drucks. 15/420, 109 f.).
Der Klägerin ist es gelungen, die Einhaltung der Voraussetzungen des § 71 AsylG und § 51 VwVfG hinsichtlich ihrer Konversion zum Christentum glaubhaft zu machen. Der Klägerin war insoweit ein Wiederaufgreifensgrund zuzuerkennen, weil sich die Sachlage geändert hat. Die Klägerin hat zeitnah und damit rechtzeitig innerhalb der Dreimonatsfrist ihre Konversion zum Christentum und konkret ihre Taufe vorgetragen.
Die Klägerin hat insbesondere die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten. Ihr war es auch nicht möglich, den Wiederaufgreifensgrund, konkret die Taufe, schon im Erstverfahren durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Sie hat zwar schon während des laufenden Verfahrens auf Zulassung der Berufung die Taufe sowohl dem Bundesamt als auch dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mitgeteilt. Jedoch ist festzuhalten, dass von Rechts wegen mit dem Zulassungsantrag nach § 78 Abs. 4 AsylG keine neuen Tatsachen und Beweismittel in das Verfahren eingeführt werden können. Handelt es sich im Asylverfahren um einen Rechtsbehelf, der von Natur her das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel ausschließt, muss das Verfahrensrecht dem Betreffenden die Möglichkeit geben, neues Sachvorbringen in geeigneter Weise geltend zu machen. Weist das Berufungsgericht den Zulassungsantrag wie hier zurück, ist die Antragsablehnung im Asylverfahren unanfechtbar. Stellt der Betreffende anschließend den Folgeantrag, kann ihm nicht die Versäumung der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG entgegengehalten werden. Vielmehr ist die Folgeantragstellung erst nach unanfechtbarer Zurückweisung des Zulassungsantrags zulässig und erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit beginnt die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG zu laufen (Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 71 Rn. 15 f; Müller in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 71 AsylG Rn. 40 jeweils m.w.N.).
Die Klägerin hat über ihre Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 24. September 2018 unter Vorlage entsprechender Bescheinigungen der christlichen Gemeinden die Konversion und konkret die Taufe vorgebracht und damit innerhalb der Dreimonatsfrist nach Erlass des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juli 2018 (14 ZB 17.31218), mit dem dieser den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat.
Gerade bei sich fließend entwickelnden dauerhaften Sachverhalten wie hier bei der Religionskonversion ist unter anderem maßgeblich auf die Taufe als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen. Zwar ist aus der Sicht des iranischen Staates bei der Konversion vom Islam zum Christentum nicht auf einen einzigen förmlichen Akt abzustellen, sondern auf den nach außen getragenen Abfall vom Islam unter Hinwendung zu einer anderen Religion. Jedoch ist grundsätzlich erforderlich, die Lösung vom Islam nach außen zu manifestieren und zu verfestigen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der Betreffende sich nachhaltig und auf Dauer sowie nach außen hin erkennbar ernstlich vom moslemischen Glauben abgewandt hat (vgl. HessVGH, B.v. 23.2.2010 – 6 A 1389/09.A – Asylmagazin 2010, 120, veröffentlicht auch unter: https://www.asyl.net/rsdb/m16712/ bzw. https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/16712.pdf). Eine solche Manifestation ist die christliche Taufe. Auch nach Kenntnis des Auswärtigen Amts wird im Iran Apostasie, der Abfall vom Islam, erst angenommen, wenn der eigentliche Übertritt in eine dem Islam nicht zurechenbare Glaubensgemeinschaft vorgenommen wird. Im Fall christlicher Glaubensgemeinschaften ist für einen Apostasievorwurf die Taufe notwendig (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Schwerin vom 25.8.2015).
Der entscheidende Qualitätsumschwung ist mit der Taufe in Deutschland am 10. Dezember 2017 eingetreten, die die Klägerin mit Schriftsatz vom 24. September 2018 dem Bundesamt unter Vorlage eine Bescheinigung der Christlichen Gemeinde vom 5. September 2018 über die Taufe sowie die regelmäßige Teilnahme an sonntäglichen Gottesdiensten mitgeteilt hat. In der Bescheinigung der Christlichen Gemeinde ist weiter ausgeführt, dass die Klägerin sich sehr schnell integriert habe und einen Ort gefunden habe, wo sie ihren christlichen Glauben ausleben und darin wachsen könne. Sie nehme auch an einer kleinen Gruppe der Gemeinde teil, ein Hauskreis. Die Klägerin hat damit ihre Konversion auch hinreichend substanziiert. Die Klägerin hat so konkrete Umstände, aus denen sich ein möglicher ernsthafter Glaubenswandel erkennen lässt, vorgetragen und insbesondere in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2019 vertieft. Dass die Klägerin nicht schon vorher gegenüber dem Bundesamt in gleicher Tiefe ihre Gründe vorgetragen hat, liegt offenbar an einem Missverständnis, ist im Übrigen aber für die Frage, ob zulässigerweise überhaupt ein Folgeverfahren durchzuführen ist, im Hinblick auf das schriftliche Vorbringen der Klägerin irrelevant.
Im Ergebnis hat die Klägerin schlüssig ihre Konversion vorgetragen. Dabei genügt – wie ausgeführt – schon die Möglichkeit einer günstigen Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe. Die theoretische Möglichkeit, dass ein formaler Taufakt auch nur aus asyltaktischen Gründen erfolgt sein könnte, rechtfertigt für sich nicht die Nichtdurchführung eines Folgeverfahrens. Die eigentliche Sachprüfung hat nicht auf der Zulässigkeitsstufe zu erfolgen, sondern im Folgeverfahren. Die Schlüssigkeit wird durch das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, auf das im Einzelnen verwiesen wird, zusätzlich belegt. Das Vorbringen zeigt, dass die Taufe nicht bloß einen formalen Akt darstellt, sondern auf der Basis einer mehrjährigen Entwicklung nicht nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen erfolgt ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung, die aus einer tiefen Überzeugung heraus in identitätsprägender Weise vollzogen wurde. In der Folge ist ein weiteres Verfahren (Folgeverfahren) durchzuführen und die Klägerin (erforderlichenfalls) zu ihrer Konversion seitens des Bundesamtes ergänzend anzuhören.
Nach alledem konnte der streitgegenständliche Bescheid keinen Bestand haben. Über den Hilfsantrag war nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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