Verwaltungsrecht

Asylfolgeantrag eines äthiopischen Staatsangehörigen oromischer Volkszugehörigkeit

Aktenzeichen  B 2 K 16.30070

Datum:
11.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 135404
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufentG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 3, § 4, § 71 Abs. 1 Hs. 1, § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1

 

Leitsatz

1. Auch Angehörige der Volksgruppe der Oromo haben bei einer Rückkehr nach Äthiopien nur dann mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen, wenn sie sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen (wie BayVGH BeckRS 2015, 50136).(Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Möglichkeit, vom Ausland her etwa durch aktive Unterstützung der OLF in die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Äthiopien einzugreifen, besteht nicht bzw. wird von TBOJ/UOSG jedenfalls nicht genutzt (s. BayVGH BeckRS 2002, 31572). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 22.12.2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung internationalen subsidiären Schutzes und die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten hat.
Nach § 71 Abs. 1 AsylG ist auf einen Folgeantrag hin ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen, d.h., wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Abs. 1 Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Abs. 1 Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten seit dem Tag gestellt werden, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 03.03.2000 – 2 BvR 39/98 – in DVBl. 2000, 1098) geht § 71 AsylG von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wiederaufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. Dafür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der freilich nicht von vorneherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe.
Ist festgestellt, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind, so ist – in einem zweiten Prüfungsschritt – eine erneute Sachprüfung durchzuführen, wobei die Verwaltungsgerichte nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.02.1998 – 9 C 28/97 – in NVwZ 1998, 861 auch dann in der Sache selbst wie in einem Asylverfahren zu entscheiden haben, wenn das Bundesamt lediglich die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 51 VwVfG abgelehnt hat.
Der Asylantrag des Klägers vom 19.06.2013 stellt einen derartigen Asylfolgeantrag dar, nachdem der vorherige Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden war (siehe Urteil vom 22.12.2012, B 3 K 11.30049).
Im angefochtenen Bescheid vom 22.12.2015 werden die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ohne nachvollziehbare Begründung und in sich auch nicht widerspruchsfrei bejaht. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) und die Anerkennung als Asylberechtigter werden jedoch verneint.
Diese Verneinung ist im Ergebnis zutreffend.
Die Einhaltung der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG für die mit dem Folgeantrag vorgebrachten Wiederaufgreifensgründe kann angesichts der Problematik des Qualitätsumschlages bei Dauersachverhalten dahingestellt bleiben.
Das Gericht ist jedenfalls aufgrund des klägerischen Vorbringens in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass sich vorliegend die dem Urteil vom 21.11.2012 (B 3 K 11.30049) – dessen Gegenstand der ablehnende Bundesamtsbescheid vom 14.02.2011 war – zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Klägers geändert hätte (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG).
Konkret geht es um die richterliche Würdigung im Urteil vom 22.11.2012, dass der Kläger, der nach Ansicht des Gerichtes in seinem Heimatland nicht politisch aktiv war, nicht zu den gefährdeten Personenkreis gehört, der im Fall seiner Abschiebung wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, von äthiopischen Behörden in asylrelevanter Weise belangt zu werden (Urteilsabdruck S. 14).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 14.07.2015 (Az. 21 ZB 15.30119 juris Rn. 5) auch für einen Angehörigen der Volksgruppe der Oromo seine ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach Personen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden derart ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen.
Die vorgebrachten Wiederaufnahmegründe sind weder für sich genommen, noch kumulativ gesehen geeignet, den Kläger nunmehr im Folgeverfahren als exponierten, ernsthaften Oppositionsangehörigen einzustufen.
Der bislang nicht vorgetragenen, aber seit November 2011 bestätigten Mitgliedschaft des Klägers in der OLF kommt – was auch der Umstand der bisherigen Nichterwähnung belegen mag – neben der Mitgliedschaft in der TBOJ/UOSG kein eigenständiges exilpolitisches Gewicht zu. Die UOSG sieht sich als Massenorganisation der OLF und wird von der Exil-OLF (Sitz Washington/USA) regelmäßig auch so bezeichnet. Eine Möglichkeit, vom Ausland her etwa durch aktive Unterstützung der OLF in die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Äthiopien einzugreifen, besteht nicht bzw. wird von UOSG jedenfalls nicht genutzt (s. BayVGH U.v. 16.07.2002, Az. 9 B 99.30749 juris Rn. 23 ff.). Zudem war schon im Erstverfahren vorgetragen worden, der Kläger gehöre dem Vorstand der Regionalgruppe der UOSG in Bayern an und sei dort für die Angelegenheiten der Mitglieder Disziplin und Kontakt zur OLF zuständig.
Das exilpolitische Engagement des Klägers als Mitglied der TBOJ/UOSG und seit … als Vorstand der Union der Oromo-Studenten in München (TBOM) mit dem Tätigkeitsbereich „Soziales“ war bereits Gegenstand des rechtskräftigen Urteils vom 21.11.2012 und wurde inzwischen aufgegeben. Soweit dem Kläger von der TBOJ/UOSG in ihrem Schreiben vom 06.08.2016 bestätigt wird, er sei am …als Kassierer in den Bundesvorstand der UOSG gewählt worden, fehlt an dieser Stelle die Information, dass dieses Engagement laut Mitteilung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.07.2016 seit Mai 2016 beendet wurde. Die Beendigung der Vorstandstätigkeit für die TBOM bzw. TBOJ/UOSG kann jedoch – auch wenn sie wegen der Inanspruchnahme durch die Arbeitstätigkeit des Klägers erfolgte – nicht als nachträgliche verfolgungsrelevante Steigerung der exilpolitischen Tätigkeiten des Klägers angesehen werden. Dies gilt im Übrigen umso mehr, als auch die in der mündlichen Verhandlung zur Sprache gekommene politische und organisatorische Spaltung der TBOJ/UOSG belegt, dass – schon angesichts ihrer Anzahl – Vorstandsposten kein zuverlässiges Indiz für eine relevante exilpolitische Exposition sind.
Die andauernde Mitgliedschaft des Klägers in der TBOJ/UOSG hat ersichtlich ebenso wenig eigenständigen politischen Gehalt, wie die fortgesetzte Teilnahme an den üblichen exilpolitischen Veranstaltungen. Auch die Einzelaktion vom …in Frankfurt (Geldübergabe als Schatzmeister der TBOJ für die Arbeit des OMN, Niederschrift S. 2), die von der TBOJ/UOSG in der Bestätigung vom 06.08.2016 als Teilnahme an der jährlichen Oromia Mediennetzwerk Konferenz beschrieben wird, begründet schon angesichts der gerichtsbekannten Vielzahl ähnlicher Aktionen für den Kläger kein eigenständiges exilpolitisches Profil. Entsprechendes gilt für die Redaktionstätigkeit des Klägers bei dem Magazin Biiftuu Bilisaa seit 14.05.2016. In der Bestätigung der TBOJ/UOSG vom 09.08.2016 wird der Kläger als „Leiter des Editorial Teams“ bzw. „Editor“ bezeichnet, im Impressum der vorgelegten Ausgabe des Magazins vom Mai 2016 dagegen als „Assistant Producer“. Die Bedeutung dieser unterschiedlichen Funktionsbezeichnungen kann indes dahinstehen, denn die Funktionsposten (auch) bei diesem Magazin wechseln gerichtsbekannt häufiger (s. Urteil vom 26.08.2013, B 3 K 12.30096) und aus der Zuordnung einer solchen Funktion kann keineswegs auf die Stellung des Betreffenden als ernsthaftem Oppositionellen geschlossen werden. Auch in Kombination mit den einzelnen – üblichen – Veröffentlichungen erwächst daraus kein eigenständiges journalistisches Profil, das zu einer flüchtlingsrelevanten exilpolitischen Exposition beitrüge.
Schließlich ist auch das zur Begründung des Folgeantrages vorgelegte „Statement by Dr. Trevor Trueman Concerning Alemu Tierfesse Tufa“ vom 03.05.2013 nicht Ausdruck einer Sach- oder Rechtslage, die sich im Sinne vom § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hätte. Wie dem Beschluss zur Ablehnung des entsprechenden Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen ist, obliegt die Würdigung der Rückkehrgefährdung im konkreten Einzelfall der richterlichen Würdigung und nicht einer Auskunftsstelle.
Soweit auf die aktuelle Verfolgung und Bedrohung von protestierenden Oromo in Äthiopien wegen der Landnahme aufgrund des sog. Masterplans hingewiesen wird (s. Amnesty International Because I am Oromo, 28.10.2014 und Human Rights Watch „Such a Brutal Crackdown“ Killings and Arrests in Response to Ethiopia´s Oromo Protests, Juni 2016), kann daraus für den unverfolgt ausgereisten Kläger – jenseits einer nicht anzunehmenden Gruppenverfolgung der Bevölkerungsmehrheit der Oromo in Äthiopien – keine individuell intensivierte Verfolgungsbedrohung hergeleitet werden, da er gerade nicht an diesen Protesten in Äthiopien selbst beteiligt war (s. BayVGH B. v. 04.07.2015, Az. 21 ZB 15.30119 juris Rn. 6).
Der Vortrag zur Begründung des Folgeantrages erfüllt somit nicht die Voraussetzung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Der Sachvortrag ist nicht geeignet, gegenüber den Ausführungen im Urteil des Erstverfahrens eine Änderung zugunsten des Klägers aufzuzeigen.
Schon aus Vorstehenden ergibt sich, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass für den Kläger im Ermessenswege (§ 51 Abs. 5 VwVfG) nationale Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG) festzustellen wären. Zusätzlich ist anzumerken, dass im Falle fehlender Heimreisepapiere sich eine erhebliche konkrete Gefahr durch eine Abschiebung gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ohnehin nicht begründen lässt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83 b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollsteckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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