Verwaltungsrecht

Asylrechtlicher Berufungszulassungsantrag: Erfolglose Grundsatzrüge

Aktenzeichen  13a ZB 17.31203

Datum:
21.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35656
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige ist im Allgemeinen nicht von einer Gefahrenlage auszugehen, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dies gilt auch für Volkszugehörige der Hazara, die im Iran aufgewachsen sind oder eine längere Zeit dort gelebt haben, soweit sie eine der afghanischen Landessprachen beherrschen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Frage zum Fehlen einer inländischen Fluchtalternative in Afghanistan im Falle außerehelichen Geschlechtsverkehrs („Zina“) hat keine grundsätzliche Bedeutung, da sie einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 K 17.31094 2017-05-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. Mai 2017 bleibt ohne Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Zur Begründung des Zulassungsantrags trägt der Kläger vor, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei klärungsbedürftig, ob „ein Mann aus dem Volk der Hazara nach seiner Rückkehr nach Afghanistan die Möglichkeit [hat,] eine ausreichende Existenzgrundlage zu finden.“ Dies gelte insbesondere für im Iran aufgewachsene Personen ohne familiäre Verbindungen in Afghanistan. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertrete bisher die Ansicht, dass es für einen gesunden jungen Mann möglich sei, nach Rückkehr nach Afghanistan eine Existenzgrundlage zu finden, so dass § 60 Abs. 5 AufenthG nicht einschlägig sei. Diese Auffassung bedürfe angesichts aktueller Erkenntnismittel der erneuten Überprüfung. Die humanitäre Lage in Afghanistan verschlechtere sich ständig. So habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Hinblick auf neue Erkenntnismittel die Berufung zugelassen, um u.a. die auch hier aufgeworfene Frage grundsätzlich zu klären (VGH BW, B.v. 3.5.2017 – A 11 S 941/17). Auch das Bundesverfassungsgericht habe in einem Beschluss (BVerfG, B.v. 1.6.2017 – 2 BvR 1226/17) zu verstehen gegeben, dass eine eingehende Auseinandersetzung mit neuen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan – insbesondere den Beiträgen der Expertin Stahlmann (Asylmagazin 2017, 73 ff.) – erforderlich sei. Die Lagebeurteilung Afghanistan des Auswärtigen Amts vom 28. Juli 2017 nenne ferner erstmals auch den ISPK als neuen Verfolgungsakteur neben den Taliban; der ISPK würde gezielt gegen Zivilisten – insbesondere Hazara – vorgehen. Die aufgeworfene Grundsatzfrage sei auch verallgemeinerungsfähig, da die Angehörigen der Minderheit der Hazara eine große Personengruppe unter den Afghanen darstellten, die in Deutschland einen Asylantrag stellten.
Ferner sei grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), ob „afghanischen Männern, die in Afghanistan außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einer mit einem anderen Mann verheirateten Frau haben und den Ehebruch (‚Zina‘) begehen, sowohl religiöse als auch staatliche Verfolgung im ganzen afghanischen Staatsgebiet [droht], die … zudem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung bis hin zur Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe nach sich zieht.“ Das Verwaltungsgericht habe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft selbst bei Wahrunterstellung seines Sachvortrags mit der Begründung abgelehnt, dass er sich auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verweisen lassen müsse, ohne jedoch darzulegen, weshalb sich die Verfolgung allenfalls auf lokaler Ebene zutragen würde und nicht landesweit. Dabei habe sich das Verwaltungsgericht insbesondere nicht zur Frage der religiösen Verfolgung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG durch das Scharia-Strafrecht verhalten, das für außerehelichen Geschlechtsverkehr eine Bestrafung von Auspeitschen bis zu Steinigung vorsehe (vgl. SFH, „Afghanistan: Zina, außerehelicher Geschlechtsverkehr“, 2.10.2012). Peitschenhiebe stellten für sich genommen bereits einen ernsthaften Schaden im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar. Der Verweis des Verwaltungsgerichts auf inländische Fluchtalternativen in Mazar-e-Sharif oder Bamiyan überzeuge nicht, da es nicht berücksichtige, dass religiöse und/oder staatliche Verfolgung nicht auf das Gebiet um Kabul beschränkt sei. Die aufgeworfene Frage sei auch verallgemeinerungsfähig. Sie sei auch entscheidungserheblich, da das Verwaltungsgericht seinen Sachvortrag nicht in Abrede gestellt habe, sondern lediglich auf inländische Fluchtalternativen verwiesen habe.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Hinsichtlich der ersten klägerseitig aufgeworfenen Frage zur Möglichkeit der Existenzsicherung in Afghanistan für Hazara mit langjährigem Aufenthalt im Iran gilt, dass diese nicht klärungsbedürftig ist. Es ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde; dies gilt auch für Volkszugehörige der Hazara, die im Iran aufgewachsen sind oder eine längere Zeit dort gelebt haben, soweit sie eine der afghanischen Landessprachen beherrschen (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 13a ZB 17.30569 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 13a ZB 17.30230 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; B.v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; U.v. 24.10.2013 -13a B 13.30031 – juris = KommunalPraxisBY 2014, 62). Der Zulassungsantrag gibt insoweit keinen Anlass zur erneuten Überprüfung. Zudem hat mittlerweile auch der klägerseitig zitierte Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg unter eingehender Würdigung aktueller Erkenntnisse entschieden, dass die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara einer Existenzsicherung in Afghanistan nicht entgegensteht, selbst wenn die betroffene Person seit langem nicht mehr – oder sogar nie – in Afghanistan gelebt, sondern einen beträchtlichen Teil des Lebens im Iran verbracht hat (VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 349-353; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 494; B.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 515, 524 f.).
Soweit es die zweite aufgeworfene Frage zum Fehlen einer inländischen Fluchtalternative in Afghanistan nach § 3e AsylG im Falle des außerehelichen Geschlechtsverkehrs („Zina“) betrifft, so kann dieser bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, da sie einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 15 ZB 18.31513 – juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 – 13 A 3333/18.A – juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 – 13 A 903/17.A – juris Rn. 16-19).
Soweit der Kläger vorliegend auch und gerade rügen sollte, dass das Verwaltungsgericht in seinem Fall zu Unrecht das Vorliegen eines Schutztatbestands verneint habe, so gilt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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