Verwaltungsrecht

Asylverfahren, Herkunftsland Türkei, Einstweiliger Rechtsschutz, Wiederaufnahmeantrag

Aktenzeichen  M 1 E 21.30861

Datum:
23.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25083
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AsylG § 33 Abs. 5 S. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederaufnahme seines Asylverfahrens.
Der Antragsteller, ein türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit und islamisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste am 3. April 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. April 2013 einen Asylantrag.
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 6. März 2017 wurde der Asylantrag als zurückgenommen betrachtet und das Asylverfahren wegen Nichtbetreibens gem. § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestellt, da der Antragsteller der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG für den 27. Dezember 2016 nicht nachgekommen war (Bl. 112 ff. der Behördenakte).
Mit am 28. März 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid und begehrte Eilrechtsschutz mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, in der Person des Antragstellers ein Asylverfahren durchzuführen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. M 1 S 17.36143) wurde durch Beschluss vom 19. Juni 2017 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Im Klageverfahren (Az. M 1 K 17.36142) wurde die Klage durch Urteil vom 26. Mai 2020 abgewiesen, da der Antragsteller trotz wirksamer Ladung des Bundesamts zur Anhörung nicht erschienen war. Weiter wurde das Urteil damit begründet, dass der Antragsteller auch keinen Antrag auf Wiederaufnahme des behördlichen Verfahrens gestellt habe. Der Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom … Juli 2017 sei erstmals am 18. September 2019 durch Übersendung durch das Gericht beim Bundesamt eingegangen. Zudem würde der Wiederaufnahmeantrag nicht die formellen Voraussetzungen erfüllen, da der Antragsteller die Wiederaufnahme nicht persönlich beantragt habe. Gegen das Urteil stellte der Antragsteller einen Antrag auf Zulassung der Berufung, der mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Januar 2021 rechtskräftig abgewiesen wurde.
Am … Oktober 2020 stellte der Antragsteller erneut einen Wiederaufnahmeantrag und sprach beim Bundesamt vor.
Mit Schreiben vom 23. März 2021 erklärte das Bundesamt, dass es den Wiederaufnahmeantrag als verspätet betrachte und den Antrag deshalb als Asylfolgeantrag behandle.
Mit am 14. April 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten beantragt der Antragsteller im Wege des Eilrechtsschutzes,
die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren des Klägers nach § 33 Abs. 5 AsylG wiederaufzunehmen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers führt im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 AsylG vorlägen. Die neunmonatige Frist für den Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG sei durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 19. Juni 2017 im einstweiligen Verfahren unterbrochen worden. Der Antragsteller habe aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage davon ausgehen können, dass die Einstellung des Asylverfahrens nicht rechtmäßig gewesen sei. Jedenfalls habe die Frist frühestens mit Zustellung des klageabweisenden Urteils im Oktober 2020 begonnen. Letztendlich habe die Frist erst mit dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Januar 2021 begonnen, da der Antragsteller erst dann davon ausgehen könne, dass die Frist für den Wiederaufnahmeantrag beginne. Der Antragsteller habe deshalb den Wiederaufnahmeantrag vom 26. Oktober 2020 innerhalb der neunmonatigen Frist gestellt. Der Antragsteller habe zudem ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag, da die Beklagte der Ausländerbehörde mitgeteilt habe, dass das erste Asylverfahren beendet sei und der Antragsteller damit ausreisepflichtig sei.
Die Antragsgegnerin, vertreten durch das Bundesamt, trat dem Antrag mit Schriftsatz vom 6. Mai 2021 entgegen und beantragt,
den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf den Akteninhalt verwiesen. Bereits am 23. März 2021 habe die Antragsgegnerin erklärt, dass dem Antrag auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens nicht entsprochen werden könne, da die dafür vorgesehene Frist abgelaufen sei. Der Antrag sei deswegen als Folgeantrag gemäß § 71 AsylG zu behandeln, § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG. Die Frist beginne mit der Bekanntgabe der Einstellungsverfügung, mit welcher rein deklaratorisch nach außen dokumentiert werde, dass die Prüfung des Antrags eingestellt worden sei. Für das Fristende seien gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG die allgemeinen Vorschriften der §§ 187 bis 193 BGB maßgeblich. Der Einstellungsbescheid sei am 6. März 2017 ausgestellt und zeitnah nach der Ausstellung bekanntgegeben worden. Daran ändere auch der vermeintliche Antrag vom 15. Juli 2017 nichts, da dieser erst am 18. September 2019 beim Bundesamt eingegangen sei. Der Schriftsatz sei deshalb, wie in dem rechtskräftigen Urteil vom 26. Mai 2020 festgestellt, als unbeachtlich anzusehen. Zudem könne auch die Klageerhebung gegen den Einstellungsbescheid innerhalb der Frist nicht als Wiederaufnahmeantrag angesehen werden. Zur Begründung werde dabei auf die Feststellungen im Urteil vom 26. Mai 2020 verwiesen. Es sei zwischenzeitlich ein Folgeantragsverfahren für den Antragsteller angelegt worden.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Die Entscheidung konnte durch den Berichterstatter ergehen, weil alle Beteiligten einer Entscheidung durch den Berichterstatter zustimmten, § 87a Abs. 2, 3 VwGO.
1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Dem Wiederaufnahmeantrag steht der Ablauf der neunmonatigen Antragsfrist entgegen. Gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG ist das Asylverfahren nicht wieder aufzunehmen und ein Antrag auf Wiederaufnahme stattdessen als Folgeantrag gemäß § 71 AsylG zu behandeln, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt.
a) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Einstellungsentscheidung (Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 8. Edition, 2021, § 33 Rn. 92). Ausweislich der Behördenakten (Bl. 131) wurde der Bescheid am 15. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben und damit förmlich zugestellt, § 4 VwZG. Dahinstehen kann insoweit, ob die Entscheidung entsprechend der gesetzlichen Fiktion gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 41 Abs. 5 VwVfG am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als zugestellt galt oder der Antragsteller den Bescheid – so die Begründung des Bevollmächtigten in der Klageschrift im Verfahren M 1 K 17.35142 – erst am 25. März 2017 erhielt und dieses somit erst dann zuging, § 4 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwZG, da der am 26. Oktober 2020 gestellte Wiederaufnahmeantrag jedenfalls zu spät einging.
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers begann die Frist nicht erst mit der Zustellung des Urteils vom 26. Mai 2020 oder gar mit der Zustellung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Januar 2021 zu laufen. Der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG spricht lediglich von der Einstellung des Asylverfahrens als fristauslösendem Ereignis. Auf die Bestandskraft des Einstellungsbescheids kommt es nicht an. Bei der neunmonatigen Frist handelt es sich um eine materielle Ausschlussfrist, für die gem. § 31 Abs. 1 VwVfG die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend gelten. Gem. § 187 Abs. 1 BGB beginnt die Frist im Falle eines Ereignisses an dem Tage, der auf das Ereignis folgt. Das fristauslösende Ereignis ist nicht die Zustellung des den Antragsteller betreffenden Urteils oder des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, sondern die Zustellung der Einstellungsentscheidung, die spätestens am 25. März 2017 erfolgte.
b) Das Gericht folgt auch nicht der Ansicht des Bevollmächtigten des Antragstellers, dass die Frist durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 19. Juni 2017, in welchem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Einstellungsbescheid vom 6. März 2017 angeordnet wurde, unterbrochen wurde. Ausgehend von den bereits dargelegten Erwägungen ist die Zustellung der Entscheidung über die Einstellung des Asylverfahrens maßgeblich. Eine Unterbrechung etwaiger Fristen ist dem Verwaltungsverfahren fremd. An gesetzliche Fristen sind sowohl die Behörde als auch die Beteiligten gebunden, es sei denn, das Gesetz räumt ihnen eine Dispositionsbefugnis ein (Kallerhoff/Stamm in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 31 Rn. 12). Dies bestätigt etwa § 31 VwVfG, der nicht auf die Hemmungstatbestände der §§ 203 ff. BGB verweist. Ein durch einen der Beteiligten gesetzter, abweichender Fristbeginn würde dem besonderen Zweck der Frist, Klarheit für die Beteiligten zu schaffen, ob der Antrag nunmehr als Folgeantrag zu behandeln ist, widersprechen.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
3. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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