Verwaltungsrecht

Asylverfahren – Verspäteter Tatsachenvortrag in der mündlichen Verhandlung

Aktenzeichen  B 3 K 17.31805

Datum:
5.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 122680
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 74 Abs. 2
VwGO § 87b, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Unkenntnis über die Verpflichtung, mögliche Verfolgungsgründe innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG vorzutragen, stellt keinen Entschuldigungsgrund dar, der einer Zurückweisung entsprechenden Vorbringens entgegen stehen würde. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2008, 39031). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Abschiebung kann trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK erfüllen. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 21.06.2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C-23/12 – juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Kläger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Kläger eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Kläger, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A juris).
Gemessen an diesen Maßstäben haben die Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht folgt diesbezüglich zunächst vollumfänglich den Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
a) Der Vortrag der Kläger zu 1. und 2. beim Bundesamt einerseits und in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2017 andererseits sind in den maßgeblichen Punkten von teils erheblichen Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten geprägt, so dass insgesamt von keiner glaubhaften Schilderung des Verfolgungsschicksals der Kläger ausgegangen werden kann.
Widersprüchlich sind bereits die Ausführungen zum Aufeinandertreffen der Kläger mit der Miliz. Während der Kläger zu 1. beim Bundesamt angeben hatte, es sei beim keinem der Vorfälle jemand zuhause gewesen, erklärt die Klägerin zu 2. in der mündlichen Verhandlung zunächst, es sei nur beim letzten Vorfall niemand zuhause gewesen. Anschließend erklärte sie, den zweiten Besuch habe sie nur von ihrer Schwiegermutter erfahren, beim ersten Vorfall sei sie jedoch mit einigen der Kinder zuhause gewesen. Die Milzen hätten sich ca. eine halbe Stunde in der Wohnung aufgehalten und sich nach dem Kläger zu 1. erkundigt. Eine plausible Erklärung für die Widersprüche bezüglich der Anwesenheit bei den Vorfällen konnten die Kläger dem Gericht nicht liefern.
Massive Widersprüche finden sich auch bei den Einlassungen der Klägerin zu 2. hinsichtlich des maßgeblichen dritten Vorfalls. Beim Bundesamt gab sie an, das gewaltsame Eindringen in die Wohnung vom Balkon der Wohnung ihrer Mutter aus beobachtet zu haben. In der mündlichen Verhandlung erklärte sie, sich zur Tatzeit bei einer Geburtstagsfeier in einer weiter entfernten Wohnung in der Nachbarschaft aufgehalten zu haben. Dort habe sie von anderen Personen von den Eindringligen erfahren. Der Bruder des Klägers zu 1. aus der Nachbarwohnung sei jedoch zuhause gewesen und habe den Einbruch beobachtet. Auf Vorhalt des Gerichts erklärte die Klägerin zu 2. sodann, sie habe vom Balkon der Geburtstagsfeier aus zumindest Leute auf dem Dach ihres Hauses gesehen.
Widersprüchlich sind ferner die Ausführungen zur Frage des Gerichts, ob die Klägerin zu 2. nach dem Überfall nochmal in der Wohnung gewesen sei. Beim Bundesamt wurde angegeben, sie habe am Abend des Überfalls die Wohnung noch einmal betreten und den Personalausweis und ihre Staatsangehörigkeitsurkunde geholt. Die Milizen seien zu der Zeit bei ihrer Mutter gewesen. In der mündlichen Verhandlung wurde dagegen ausgeführt, sie habe die Wohnung an diesem Abend nicht mehr betreten. Die Dokumente habe vielmehr das Oberhaupt des Stadtviertels aus der Wohnung geholt. Obwohl das Oberhaupt mit den Milizen in der Wohnung gewesen sei, sei es diesem gelungen, die Dokumente unbemerkt von den Milizen mitzuführen und später der Mutter der Klägerin zu 2 auszuhändigen. In diesem Zusammenhang ist zudem widersprüchlich, welche Dokumente überhaupt existierten und wer welche Dokumente mitgenommen haben will. Insoweit wird auf die Anhörungsniederschrift beim Bundesamt sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Auch die Angaben zum Aufenthalt des Klägers zu 1. nach dem letzten Überfall sind widersprüchlich. Die Klägerin zu 2. gab beim Bundesamt an, der Kläger zu 1. sei sieben Tage nicht nach Hause gekommen. Der Kläger zu 1. erklärte hingegen in der mündlichen Verhandlung, er sei noch am besagten Abend nach Bagdad gefahren und dann ca. nach einer Woche direkt in die Türkei ausgereist.
Weiterhin wurde die Zugehörigkeit des Klägers zu 1. zur „Al Sayed Al Hasany-Bewegung“ widersprüchlich beantwortet. Die versuchte Rechtfertigung des Widerspruchs überzeugt das Gericht nicht.
Letztlich ist der – im Rahmen des letzten Wortes der mündlichen Verhandlung – Vortrag des Klägers zu 1. in, er sei zum Christentum konvertiert und daher verfolgt, völlig unglaubwürdig. Hiervon war im gesamten Verfahren bislang keine Rede. Diesen Sachvortrag stuft das Gericht als unglaubwürdige Steigerung der Fluchtgeschichte ein, zumal der Kläger auf Frage des Gerichts nicht einmal mit dem Begriff der „Taufe“ etwas anfangen konnte.
b) Im Übrigen macht das Gericht von seinem Ermessen Gebrauch und weist die klägerischen Vorträge in der mündlichen Verhandlung, die Bedrohungen seinen von der Miliz „Saraya Al Salem“ ausgegangen sowie der Kläger zu 1. sei im Jahr 2016 zum Christentum konvertiert, als verspätet zurück (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 13.2.2015 – 13a ZB 14.30432 – juris). Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind nämlich nicht gemäß § 74 Abs. 2 AsylG innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung der Beklagten angegeben worden (vgl. OVG Bautzen, B.v. 18.11.2013 – A 1 A 544/13 – juris). Die Voraussetzungen der Anwendung des § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO, der gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG entsprechende Anwendung findet, lagen vor. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht Tatsachen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würden (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumnis belehrt worden ist (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Es bestehen vorliegend keine Zweifel daran, dass die Zulassung der erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Tatsachen (Bedrohung der Anhänger des „Al Sayed Al Hasany“ durch die Miliz „Saraya Al Salem“) die Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits verzögern würde, da das Gericht u.U. weitere Nachforschungen anstellen müsste. Eine genügende Entschuldigung dieser Verspätung durch die Kläger ist weder vorgetragen noch ersichtlich, insbesondere war den Klägern nach eigenen Angaben seit Mitte/Ende 2016 bekannt, dass die Bedrohungen der schiitischen Miliz „Saraya Al Salem“ zuzuschreiben sind. Diese Tatsache wurde aber erstmals in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2017 vorgetragen, obwohl den Klägern dies ohne weiteres frühzeitig möglich gewesen wäre. Gleiches gilt für den Vortag, der Kläger sei inzwischen zum Christentum konvertiert. Der Kläger führt auf Frage des Gerichts aus, er sei „praktisch seit 16.10.2016 Christ“. Gründe warum diese – vermeintliche – Tatsache nicht früher in das Verfahren eingeführt worden, sind weder ersichtlich noch konnte der Kläger zu 1. dem Gericht solche liefern. Die fragende Antwort, ob er dies denn hätte machen müssen, stellt keinen Entschuldigungsgrund dar. Die Beklagte hat die Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung:des angefochtenen Bescheids über die Folgen einer Versäumung der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG belehrt. Auch die Klageeingangsmitteilung des Gerichts vom 19.05.2017 enthielt eine Belehrung gemäß § 74 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO, so dass die Voraussetzungen des § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO vorlagen. (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, B.v. 18.11.2013 – A 1 A 544/13 – juris; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 21 ZB 14.30468 – juris). Das Gericht macht daher von seinem Ermessen Gebrauch und weist den Vortrag insoweit zudem als verspätet zurück.
c) Weiterhin steht den Klägern eine innerstaatliche Fluchtalternative gem. § 3e AsylG zur Verfügung. Einem Ausländer wird gem. § 3e Abs. 1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft aufgrund internen Schutzes nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Irak im Bedarfsfall Schutz außerhalb Kerbalas suchen können. Es besteht insbesondere in den südlichen, überwiegend schiitisch geprägten Landesteilen des Irak, eine inländische Fluchtalternative, die für den Kläger auch zumutbar ist. Die Schiiten gehören zu den wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen im Irak, machen 60 bis 65% der Bevölkerung aus und bewohnen überwiegend den Südosten bzw. Süden des Landes (vgl. hierzu VG Augsburg, U.v. 1.2.2016 – Au 5 K 15.30408 – juris). Die (pauschale) Einlassung des Klägers zu 1, er befürchte auch anderswo gefunden zu werden sowie die Situation im Irak sei überall gleich, schließt die innerstaatliche Fluchtalternative nicht aus. Die Kläger könnten ohne weiteres in der Anonymität einer größeren Stadt untertauchen. Die Kläger zu 1. und 2. sind jung, gesund und erwerbsfähig. Sie verfügen – nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung – noch über familiäre Bindungen im Irak. Es ist den Klägern zumutbar alle Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen, insbesondere auch schlichten Hilfstätigkeiten nachzugehen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es für den Kläger in einer fremden Stadt schwieriger ist, Arbeit zu finden (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 2.2.2017 – AN 2 K 16.31008 – juris).
2. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zur Seite. Sie können sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen
a) Es gibt – insbesondere im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz – keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht. Auch die Feststellung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass die Kläger der Gefahr einer konkreten und damit individuellen Rechtsgutverletzung ausgesetzt ist.
b) Den Klägern steht der subsidiäre Schutz auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – Az. 10 C-43/07 – juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen, hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann aber umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EUGH, U.v. 17.2.2009, C-465.7, juris).
In Kerbala besteht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Weitere individuell gefahrerhöhende Umstände sind für das Gericht nicht ersichtlich.
c) Im Übrigen gilt über § 4 Abs. 3 AsylG die Vorschrift des § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative) entsprechend, so dass vollumfänglich auf die obigen Ausführungen unter 1c) verwiesen wird.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle zu einer Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK nicht erreicht. Die schlechten humanitären und wirtschaftlichen Verhältnisse im Umfeld der Kläger gehen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner in der vergleichbaren Situation hinnehmen müssen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass es den jungen, gesunden und erwerbsfähigen Klägern zu 1 und 2 nicht gelingen könnte, im Irak eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Ferner ist von einer existenzsichernden Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes auszugehen.
b) Den Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Soweit die Klägerin zu 2. beim Bundesamt angegeben hat, ihr sei im Irak ein Lymphknoten operativ entfernt worden, führt dies nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Klägerin führt selbst aus, sie sei in Deutschland bei keiner weiteren ärztlichen Untersuchung gewesen und wisse auch nicht, was die Untersuchung des Lymphknotens ergeben hat. Auch entsprechende Atteste oder Befunde konnten dem Gericht nicht vorgelegt werden.
Daher war auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
c) Nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind im Übrigen Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C-2/01 – juris; VG München, U.v. 22.12.2016 – M 4 K 16.33226 – juris).
Entscheidungen nach den vorstehenden Maßgaben ergehen aber nicht durch das Bundesamt im Asylverfahren, sondern allenfalls durch die zuständige Ausländerbehörde.
4. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn sie sind, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtlinge anzuerkennen, noch stehen ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu. Sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
5. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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