Verwaltungsrecht

Aufenthaltserlaubnis wegen guter Integration

Aktenzeichen  Au 1 K 20.1213

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36260
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25a Abs. 1, § 60a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2020 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG zu erteilen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Daher war der rechtswidrige Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2020 aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG zu erteilen.
1. Gegenstand der Klage ist die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG.
2. Die Klage ist zulässig und unbegründet.
a) Grundlage der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist die Vorschrift des § 25a Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Regelung soll einem jugendlichen geduldeten Ausländer u.a. dann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält (Ziffer 1), er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht (Ziffer 2), der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird (Ziffer 3), es gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (Ziffer 4) und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (Ziffer 5).
b) Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt.
aa) Der Kläger hält sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet auf (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Zwar war der Kläger vom 22. Juni 2020 bis zum 25. Oktober 2020 weder im Besitz einer Aufenthaltsgestattung, noch wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder eine Duldung ausgestellt. Der Beklagte händigte ihm lediglich eine Grenzübertrittsbescheinigung aus. Im Hinblick auf die Zusicherung des Beklagten vom 18. Februar 2020, bis zur bestands-/rechtskräftigen Verbescheidung des Antrags des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen, sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris) ist jedoch davon auszugehen, dass der Zeitraum vom 22. Juni 2020 bis zum 25. Oktober 2020 nicht zu einer Unterbrechung des gestatteten oder geduldeten Aufenthalts geführt hat. Denn dem Kläger hätte aufgrund der Zusicherung auch für diesen Zeitraum eine Duldung erteilt werden müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich klargestellt, dass ein Ausländer, der sich (lediglich) im Besitz einer sogenannten Verfahrensduldung befindet, als „geduldet“ im Sinne des Aufenthaltsgesetzes gilt (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 28). Sofern der Beklagte mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2020 gegenüber dem Gericht mitgeteilt hat, dass die Zusicherung vom 18. Februar 2020 zurückgenommen werde, kann dies allenfalls Wirkung für die Zukunft auslösen, zumal der Beklagte nicht einmal selbst erklärt hat, dass er den in der Vergangenheit liegenden Duldungsstatus nachträglich mit Rückwirkung beseitigen wollte. Auch aktuell ist der Kläger nach wie vor im Besitz einer Duldung, die bis zum 31. Dezember 2020 befristet ist. Diese Duldung ist gegenüber dem Kläger auch nicht aufgehoben worden. Der Beklagte hatte allein mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2020 erklärt, die Zusicherung vom 18. Februar 2020 zurückzunehmen. Eine Aufhebung der Duldung in Form eines Widerrufs oder einer Rücknahme gegenüber dem Kläger erfolgte aber erkennbar nicht.
bb) Der Kläger besucht im Bundesgebiet seit vier Jahren erfolgreich eine Schule (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Er ist fortlaufend in die nächste Jahrgangsstufe versetzt worden. Ausweislich des vorgelegten Jahreszeugnisses der Mittelschule … vom 24. Juli 2020 hat der Kläger auch die 8. Jahrgangsstufe erfolgreich absolviert. Nicht einmal in einem Fach wurde er mit der Note mangelhaft oder ungenügend bewertet.
cc) Der Kläger hat den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unstreitig vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG).
dd) Darüber hinaus erscheint es gewährleistet, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass das Verhalten des Klägers sowohl schulisch, aber auch außerschulisch, zum Teil Anlass für Beanstandungen gab. Zuletzt wurde ihm aber im aktuellen Schulzeugnis ein einwandfreies Verhalten bescheinigt. Auch wurde er bislang nicht strafrechtlich verurteilt, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass dies zumindest in einem Fall nur an der Strafunmündigkeit des Klägers gelegen haben könnte. Darüber hinaus engagiert sich der Kläger als Schulweghelfer und Ministrant und ist auch in Sportvereinen aktiv. In der Gesamtschau ist das Gericht daher der Überzeugung, dass es gewährleistet erscheint, dass der Kläger sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse, insbesondere des gewandelten und zuletzt gezeigten Verhaltens, das den Fortschritt der Integration zum Ausdruck bringt, in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.
ee) Weiter bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG).
ff) Nachdem sich der Kläger in einer schulischen Ausbildung befindet, schließt die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ebenfalls nicht aus (§ 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Zudem kommt eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht in Betracht. Nach § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu versagen, wenn die Abschiebung allein aufgrund eigener falscher Angaben des Ausländers ausgesetzt ist. Unabhängig von der Frage, wie das verschwiegene Aufenthaltsrecht in Spanien zu werten ist, hat – soweit ersichtlich – jedenfalls nicht der Kläger, sondern dessen Mutter für diesen gehandelt und entsprechende Angaben gemacht. Aus dem Wortlaut des § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG geht hingegen eindeutig hervor, dass nur ein Fehlverhalten des Jugendlichen zu berücksichtigen ist („eigener“) und ihm ein Fehlverhalten seiner Eltern nicht zugerechnet werden kann (Wunderle/Röcker in: Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 25a AufenthG Rn. 18).
c) Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG – wie im Fall des Klägers – erfüllt, soll dem Jugendlichen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dem gesetzlichen Regelfall nach besteht daher bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis („soll … erteilt werden“). Allein im Falle einer atypischen Fallgestaltung oder wegen besonderer Umstände ist ein Ausnahmefall anzunehmen, der der Ausländerbehörde ein Ermessen einräumt (Wunderle/Röcker in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 25a AufenthG Rn. 10). Im Fall des Klägers ist aber keine atypische Fallgestaltung anzunehmen und es sind auch keine besonderen Umstände gegeben. So ist zunächst festzustellen, dass der Beklagte diesbezüglich keinerlei Feststellungen getroffen hat. Im Bescheid des Beklagten findet sich zu dieser Fragestellung nichts. Auch nach Erlass des Beschlusses des Gerichts vom 9. November 2020, mit dem dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, hat der Beklagte sich weder schriftsätzlich geäußert, noch ist er zur mündlichen Verhandlung erschienen, obwohl in diesem Beschluss die Frage nach einer Atypik oder besonderer Umstände ausdrücklich aufgeworfen wurde. Unabhängig davon ist zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall keine atypische Fallgestaltung anzunehmen und es bestehen keine besonderen Umstände, die einen Ausnahmefall begründen. Zwar hat der Kläger zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis ein Aufenthaltsrecht in Spanien besessen, das gegenüber dem Beklagten nicht offengelegt worden ist. Diesen Umstand hat allerdings allenfalls die Mutter des Klägers, nicht aber der Kläger selbst zu vertreten. Wie bereits ausgeführt, ist im Rahmen des § 25a AufenthG aber nur das eigene Fehlverhalten des Jugendlichen zu berücksichtigen. Würde ein Fehlverhalten der Angehörigen, insbesondere des gesetzlichen Vertreters, aber im Rahmen der Prüfung der Atypik bzw. der besonderen Umstände zu Lasten des Jugendlichen gehen, bliebe die Wertung des § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG zumindest teilweise unberücksichtigt, weil der Jugendliche seinen gebundenen Anspruch verlöre und ihm lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verbliebe. Auch losgelöst von Verschuldenserwägungen im Hinblick auf das Verschweigen des Aufenthaltsrechts, begründet allein das in der Vergangenheit bestandene Aufenthaltsrecht in Spanien weder eine Atypik noch besondere Umstände. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die Aufenthaltserlaubnis in Spanien – soweit bekannt und vom Beklagten selbst vorgetragen – bereits abgelaufen. Darüber hinaus ist der Kläger mit seiner Mutter bereits im Alter von acht Jahren nach Deutschland umgezogen. Es ist nicht ersichtlich, dass er seitdem das Bundesgebiet verlassen hat. Allein der Umstand, dass der Kläger im Besitz einer spanischen Aufenthaltserlaubnis war, schmälert daher in keiner Weise die Integrationsleistung der letzten sechs Jahre, die er durch Erfüllen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 25a AufenthG erbracht hat.
3. Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat als unterlegener Teil die Verfahrenskosten zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.


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