Verwaltungsrecht

Aufhebung einer dienstlichen Beurteilung – dienstliche Beurteilung für einen bestimmten Beurteilungszeitraum

Aktenzeichen  B 5 K 18.1113

Datum:
9.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27614
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LlbG Art. 59
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 84 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 5 S. 2
GKG § 52 Abs. 1 u. 2
ZPO § 708 f.

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung der dienstlichen Beurteilung der Klägerin vom 05.09.2018 für den Beurteilungszeitraum vom 01.05.2014 bis 31.08.2018 verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts für den Zeitraum vom 01.05.2014 bis 31.08.2018 erneut zu beurteilen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
I.
Die zulässige Klage ist in der Sache begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass sie für den Zeitraum vom 01.05.2014 bis 31.08.2018 erneut dienstlich beurteilt wird. Die streitgegenständliche dienstliche Beurteilung vom 05.09.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie ist daher aufzuheben. Der Beklagte muss die Klägerin für den streitigen Beurteilungszeitraum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich beurteilen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 VwGO analog).
Dienstliche Beurteilungen sind ihrem Wesen nach persönlichkeitsbedingte Werturteile und deshalb verwaltungsgerichtlich nur beschränkt nachprüfbar (st. Rspr. BVerwG, U.v. 13.5.1965 – II C 146/62 – BVerwGE 21,127/129 – juris; U.v. 17.5.1979 – 2 C 4/78 – ZBR 1979, 304/306 – juris; U.v. 26.6.1980 – 2 C 13/79 – BVerwGE 60, 245 – juris). Nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung soll nur der Dienstherr und der für ihn handelnde Beurteiler ein persönliches Werturteil darüber abgeben, ob und inwiefern der Beamte den vom Dienstherrn zu bestimmenden zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amtes entspricht. Bei einem derartigen, dem Dienstherrn vorbehaltenen Akt wertender Erkenntnis steht diesem eine der gesetzlichen Regelung immanente Beurteilungsermächtigung zu. Ihr gegenüber hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf zu beschränken, ob der Beurteiler den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Wenn der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, hat das Gericht auch zu überprüfen, ob diese Richtlinien eingehalten sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen im Einklang stehen (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1998 – 2 A 3/97 – BVerwGE 107, 360 ff. – juris). Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle kann dagegen nicht dazu führen, dass das Gericht die fachliche oder persönliche Beurteilung des Beamten durch den Dienstherrn in vollem Umfang nachvollzieht oder diese gar durch eine eigene Beurteilung ersetzt (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1980 – 2 C 13/79 – BVerwGE 60, 245/246 – juris, st. Rspr.).
Die Beurteilung 2018 der Klägerin erweist sich als rechtswidrig, weil sie den Anforderungen an die erforderliche Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung nicht genügt.
Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Leistungslaufbahngesetzes (LlbG) sind bei der Bildung des Gesamturteils die bei den Einzelmerkmalen vergebenen Wertungen unter Berücksichtigung ihrer an den Erfordernissen des Amtes und der Funktion zu messenden Bedeutung in einer Gesamtschau zu bewerten und zu gewichten. Die für die Bildung des Gesamturteils wesentlichen Gründe sind gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 2 LlbG in den ergänzenden Bemerkungen darzulegen.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung müssen Gesamturteil und Einzelbewertungen einer dienstlichen Beurteilung in dem Sinne miteinander übereinstimmen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen herleiten lässt. Dabei steht es im Ermessen des Dienstherrn, festzulegen, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen beimessen will (vgl. BVerfG, B.v. 5.9.2007 – 2 BvR 1855/07 – NVwZ-RR 2008, 433 und v. 17.1.2014 – 1 BvR 3544/13 – BeckRS 2014, 47869, Rn. 15). Das abschließende Gesamturteil ist durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte zu bilden (BVerwG, B.v. 25.10.2011 – 2 VR 4/11 – NVwZ-RR 2012, 241, Rn. 15 m.w.N.). Diese Gewichtung bedarf schon deshalb einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet und das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – BVerwGE 153, 48 – NVwZ 2016, 1262, Rn. 32).
Ein individuelles Begründungserfordernis für das Gesamturteil rechtfertigt sich auch aus dessen besonderer Bedeutung als primär maßgebliche Grundlage bei einem späteren Leistungsvergleich in einem an Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) zu messenden Auswahlverfahren (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 2 VR 1.13 – NVwZ 2014, 75, Rn. 21). Dies gilt insbesondere bei Bewerbern mit im Wesentlichen gleichen Gesamturteil. Denn hier muss der Dienstherr im Auswahlverfahren die für das Beförderungsamt wesentlichen Einzelaussagen der dienstlichen Beurteilungen weiter vergleichen (vgl. BVerfG, B.v. 5.9.2007 – 2 BvR 1855/07 – NVwZ-RR 2008, 433 und v. 4.10.2012 – 2 BvR 1120/12 – NVwZ 2013, 573) und die Auswahl der Gesichtspunkte, auf die bei gleicher Eignung abgestellt werden soll, begründen (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – NJW 2011, 695, Rn. 46).
Die Begründung des Gesamturteils hat schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen. Anders als etwa bei nachträglich erhobenen Einwänden gegen Einzelbewertungen in der dienstlichen Beurteilung genügt es nicht, das Gesamturteil nachträglich zu plausibilisieren. Ansonsten käme die besondere Bedeutung, die dem Gesamturteil im Vergleich zu den Einzelbewertungen zukommt, nicht zum Tragen. Die Einheitlichkeit der Maßstäbe, die der Bildung des Gesamturteils zugrundezuliegen hat, kann nur dann hinreichend gewährleistet und gegebenenfalls gerichtlich überprüft werden, wenn diese von vornherein in der Beurteilung niedergelegt ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – NVwZ 2017, 475, Rn. 41). Zulässig ist allenfalls eine Intensivierung (im Sinne einer ergänzenden Anreicherung) einer schon in der dienstlichen Beurteilung enthaltenen Begründung. Die Begründung auszutauschen oder ihr einen weiteren, eigenständigen Argumentationsstrang hinzuzufügen, ist ausgeschlossen.
Eine entsprechende Begründung des Gesamturteils fehlt in der streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilung der Klägerin gänzlich. Das im Beurteilungsformblatt vorgesehene Textfeld „3. Ergänzende Bemerkungen“ ist leer. Eine Begründung des Gesamturteils war auch nicht entbehrlich. Das kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdrängt (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – NVwZ 2016, 1262, Rn. 37). Dies ist hier jedoch in doppelter Hinsicht gerade nicht der Fall.
Zum einen bewegen sich die vergebenen Einzelbewertungen in einem Punktespektrum zwischen 5 und 9 Punkten. Im Hinblick auf dieses vom Beklagten angenommene stark uneinheitliche Leistungsbild der Klägerin liegt das Gesamturteil von 7 Punkten als arithmetisches Mittel der Einzelbewertungen auch nicht in eindeutiger Weise nahe. Denn das angenommene Gesamtprädikat gibt Anlass zu der Vermutung, dass der Beklagte eine Gewichtung der Einzelmerkmale nicht vorgenommen hat. Dieses Vorgehen des Beklagten lässt außer Acht, dass der dem Dienstherrn eröffnete Wertungsspielraum bei der Gewichtung der Einzelmerkmale einer dienstlichen Beurteilung dort eine Grenze findet, wo eine von ihm abstrakt vorgegebene Gewichtung dem Bedeutungsgehalt der Begriffe von „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr gerecht wird. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Dienstherr – wie hier offenbar – vorgäbe, dass bei einer Vielzahl von zu bewertenden Einzelmerkmalen diesen sämtlich das gleiche Gewicht zukommen soll mit der Folge, dass selbst solche Einzelmerkmale, die für eine Bewertung von „Eignung“ und „Fachliche Leistung“ eines Beamten regelmäßig im Vordergrund stehen, lediglich mit dem gleichen Gewicht in das Gesamturteil einfließen sollen wie andere zwar ebenfalls bedeutsame aber im Vergleich dazu nachrangige Einzelmerkmale (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2018 – 2 A 10.17 – BVerwGE 161, 240, Rn. 46).
Zum anderen ist die Ausgestaltung der in Rede stehenden Beurteilung schon mitArt. 59 Abs. 1 Satz 5 LlbG nicht in Einklang zu bringen. Demnach sind verbale Hinweise oder Erläuterungen bei denjenigen Einzelmerkmalen vorzunehmen, deren Bewertung sich gegenüber der letzten periodischen Beurteilung wesentlich verschlechtert hat. Entsprechendes gilt für das Gesamturteil. Unter einer wesentlichen Verschlechterung ist bei Anwendung der 16-Punkteskala regelmäßig eine Verschlechterung um mindestens drei Punkte zu verstehen (vgl. VV-BeamtR, Abschnitt 3, Nr. 6.2.3 Satz 5). Vorliegend soll sich die bereits seit 01.04.2005 im Statusamt einer Verwaltungsrätin tätige Klägerin gegenüber dem Vorbeurteilungszeitraum im Gesamturteil sogar um vier Punkte verschlechtert haben. Noch deutlichere Unterschiede ergeben sich bei Betrachtung der Einzelmerkmale. So stehen beispielsweise bei den Beurteilungsmerkmalen „Führungserfolg“ sowie „Führungspotential“ Verschlechterungen um sechs Punkte im Raum. Gleichwohl fehlt es sowohl bei den Einzelmerkmalen als auch beim Gesamturteil an jeglichen verbalen Hinweisen oder Erläuterungen. Schon die erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils um vier Punkte ist nur denkbar, wenn entweder die vorangegangene dienstliche Beurteilung fehlerhaft war, die im aktuellen Beurteilungszeitraum gezeigten Leistungen nicht mehr den vorherigen entsprechen oder generell ein geänderter Bewertungsmaßstab angewandt wurde. Eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung mit einem möglichen Leistungsabfall der Klägerin findet in der streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilung jedoch nicht statt. Stattdessen wird die erhebliche Notendifferenz schlichtweg ignoriert.
Da die Begründung des Gesamturteils bereits in der dienstlichen Beurteilung enthalten sein muss, kommt es nicht darauf an, ob die von Beklagtenseite im laufenden gerichtlichen Verfahren nachgereichte Begründung insoweit tragfähig ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – NVwZ 2017, 475, Rn. 42).
Mithin ist die dienstliche Beurteilung schon wegen fehlender Begründung des Gesamturteils sowie der wesentlich verschlechterten Einzelmerkmale rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die in Rede stehende wesentliche Verschlechterung der Klägerin gegenüber ihrer Vorbeurteilung nicht mit einem Wechsel in der Person des Ersten Bürgermeisters des Beklagten gerechtfertigt werden kann. Denn unabhängig von der konkret mit der Aufgabe der Erst- oder Zweitbeurteilung betrauten Person bleibt der Beurteilungsmaßstab für alle Beamten der Behörde mit demselben Statusamt einheitlich und identisch. Diese Maßstabsverbindlichkeit gilt auch in den Fällen, in denen sich die Person von Erst- oder Zweitbeurteiler aus organisatorischen oder personellen Gründen geändert hat (vgl. BVerwG, B.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – NVwZ 2017, 475, Rn. 32).
II.
Als unterlegener Beteiligter hat der Beklagte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. Zivilprozessordnung (ZPO).


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