Verwaltungsrecht

Ausreisehindernis, Verwaltungsgerichte, Räumliche Beschränkung, Zuständige Ausländerbehörde, Staatsangehörigkeitsurkunden, Aufenthaltsbeschränkung, Gemeinschaftsunterkunft, Vollziehbar Ausreisepflichtige, Gerichtsbescheid, Asylverfahren, Ausreisepflichtiger Ausländer, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Reisepass, Zumutbarkeitsgrenze, Rechtsmittelbelehrung, Prozesskostenhilfe, Prozeßbevollmächtigter, Streitwertfestsetzung, Prozeßkostenhilfeantrag, Postfachanschrift

Aktenzeichen  B 6 K 20.70

Datum:
7.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4299
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60b Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60b Abs. 5 S. 3
AufenthG § 61 Abs. 1c S. 2 Alt. 3
VwGO § 114

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Aufhebung der räumlichen Beschränkung seines Aufenthalts auf den Landkreis … Der ledige Kläger gehört zum Volk der Kurden und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er wurde …1977 in … (Autonome Region Kurdistan, Republik Irak) geboren und hat die Staatsangehörigkeit seines Herkunftslandes. Vor seiner Ausreise lebte er in …, wo heute noch seine Mutter und mehrere Geschwister wohnhaft sind. Beruflich war er über Jahre nach einer entsprechenden Ausbildung in seiner Heimatregion als Krankenpfleger tätig. In der Zeit unmittelbar vor Verlassen seines Heimatlandes war er arbeitslos.
Am 26.12.2015 reiste er mit einem bis 10.10.2016 gültigen Reisepass, aber ohne Visum erstmals ins Bundesgebiet ein. Die Regierung von … – Regierungsaufnahmestelle wies ihm als Wohnsitz die Gemeinschaftsunterkunft I in … (Landkreis …) zu. Seit 16.02.2017 und bis heute wohnt er in der Gemeinschaftsunterkunft II in … und bezieht laufend Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. In den Jahren 2016 und 2017 absolvierte er jeweils ein Praktikum in einer Diakoniestation und in einer Seniorenresidenz.
Am 18.04.2016 stellte er einen Asylantrag und erhielt in der Folgezeit Aufenthaltsgestattungen zur Durchführung des Asylverfahrens.
Mit Bescheid vom 14.11.2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nach vorheriger Anhörung am 14.06.2016 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote hinsichtlich der Republik Irak vorlägen (Ziffern 1 bis 3). Weiter setzte ihm die Behörde eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens und drohte ihm, falls er nicht binnen dieser Frist die Bundesrepublik verlasse, die Abschiebung in die Republik Irak an (Ziff. 4). Schließlich befristete das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 5).
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 29.11.2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erheben (Az. …). Mit Urteil vom 27.04.2017 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die Klage in vollem Umfang ab. Den dagegen gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 01.02.2018 ab (Az. …).
Seither ist der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig, wird aber geduldet. Derzeit verfügt er über eine vom 23.10.2020 bis 31.01.2021 gültige Duldung gem. § 60b AufenthG.
Die Regierung von … – Zentrale Ausländerbehörde, Dienststelle … (ZAB), forderte den Kläger am 25.11.2016 auf, seinen von ihr als echt angesehenen, am 10.10.2016 abgelaufenen Reisepass verlängern zu lassen. Am 13.12.2016 ließ die Behörde ihm Belehrungen über seine Mitwirkungspflicht, unter anderem in seiner Muttersprache Sorani, zukommen. Am 27.07.2017 überreichte die Behörde ihm erneut entsprechende Belehrungen und forderte ihn am 12.02.2018 wiederum auf, sich einen Pass zu beschaffen.
Bei einer Vorsprache nach Rechtskraft der Ablehnung seines Asylantrages am 05.03.2018 erklärte der Kläger gegen Unterschrift, er sei nicht bereit, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren. Mit Bescheid vom 10.04.2018 forderte ihn die Behörde auf, bis 14.05.2018 entweder seinen Reisepass verlängern zu lassen oder einen neuen Reisepass zu beantragen oder ein Dokument zu beantragen, das ihm eine einmalige Einreise in sein Herkunftsland erlaubt (One-Way-Laisser-Passer). Daraufhin begab sich der Kläger, wie die Auslandsvertretung am 26.04.2018 bestätigte, zum Generalkonsulat der Republik Irak in Frankfurt am Main und beantragte dort die Ausstellung eines neuen irakischen Reisepasses. Das Generalkonsulat lehnte den Antrag jedoch ab, weil der Kläger nicht über eine irakische Staatsangehörigkeitsurkunde und einen Personalausweis im Original verfügte, die bei den zuständigen Behörden im Irak zu beantragen seien. Mit Schreiben vom 15.11.2018 forderte der Beklagte den Kläger erneut auf, bei der Irakischen Botschaft die Verlängerung des Reisepasses zu beantragen und darüber bis 30.11.2018 einen Nachweis vorzulegen. Am 28.11.2018 bestätigte das Generalkonsulat des Irak, der Reisepass könne nur in Verbindung mit der ID-Nationalcard und der Staatsangehörigkeitsurkunde verlängert werden.
In der Folgezeit bemühte sich der Kläger nicht, diese für die Beantragung des Reisepasses erforderlichen Dokumente in seinem Heimatland zu beschaffen. Ein One-Way-Laisser-Passer beantragte er bei der Auslandsvertretung ebenfalls nicht.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 12.12.2019 beschränkte die ZAB nach vorheriger Anhörung den derzeit geduldeten Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland räumlich auf den Landkreis … Zur Begründung führte die Behörde aus, nach § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG könne der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf den Bezirk der örtlichen Ausländerbehörde beschränkt werden, wenn er zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfülle. Der Nichtbesitz von gültigen Reisedokumenten sei zweifellos ein Ausreisehindernis. Die möglichen und zumutbaren Mitwirkungshandlungen bei der Beseitigung dieses Ausreisehindernisses habe der Kläger bei weitem nicht ausgeschöpft. Zum einen könne er trotz des abgelaufenen Reisepasses ein One-Way-Laisser-Passer von der Botschaft erhalten und freiwillig in sein Heimatland zurückkehren, zum anderen sei es ihm zumutbar, einen Vertrauensanwalt oder Familienangehörige im Irak zu kontaktieren, damit sie ihm dort eine Staatsangehörigkeitsurkunde und eine ID-Nationalcard beschafften.
Lägen damit die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vor, sei nach Ermessen über die Anordnung der räumlichen Beschränkung zu entscheiden. Die räumliche Beschränkung verfolge das Ziel, dass ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer für konkrete Maßnahmen zur Passbeschaffung zur Verfügung stehe, zum Beispiel für Vorladungen der ZAB … zum Ausfüllen von Anträgen. Durch die Beschränkung des Aufenthaltes auf das Gebiet des Landkreises … solle der Aufenthalt so gestaltet werden, dass die für die Aufenthaltsbeendigung erforderlichen Maßnahmen möglich seien, und die Ausreisepflicht durchgesetzt werden könne. Damit werde ein aufenthaltsrechtlich erheblicher Zweck verfolgt. Mildere, gleich geeignete Mittel für die Beendigung des Aufenthaltes, seien nicht ersichtlich. Insbesondere böten eine freie Aufenthaltswahl und eine uneingeschränkte Freizügigkeit im Bundesgebiet ausreisepflichtigen Ausländern einen Anreiz, den rechtswidrigen Aufenthalt zu verlängern. Schutzwürdige Interessen des Klägers, von einer derartigen Anordnung abzusehen, seien nicht erkennbar. Für Arztbesuche oder Besuche von Familienangehörigen bzw. für religiöse Veranstaltungen, die nur außerhalb des Bereichs der räumlichen Beschränkung realisiert werden können, könnten im Einzelfall Verlassenserlaubnisse erteilt werden. Damit überwiege das öffentliche Interesse an einer konsequenten Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung das private Interesse, sich uneingeschränkt im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen.
Laut einem Aktenvermerk vom 17.12.2019 weigerte sich die Ausländerbehörde, dem Kläger seinen abgelaufenen Reisepass herauszugeben. Sie vertrat die Rechtsauffassung, er solle erst einmal seine im Irak aufbewahrte ID-Card und einen Staatsangehörigkeitsnachweis über seien dort lebenden Verwandten beschaffen. Ohne diese Dokumente mache es keinen Sinn, wenn er mit seinem abgelaufenen Reisepass versuche, bei der irakischen Auslandsvertretung einen neuen Reisepass zu erhalten. Am 18.01.2020 fordert die Behörde den Kläger nochmals und erneut fruchtlos bislang letztmalig auf, einen Reisepass vorzulegen.
Mit Schriftsatz vom 20.01.2020, der auf elektronischem Wege am 21.01.2020 dem Gericht zuging, haben seine früheren Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und beantragt,
den Bescheid vom 12.12.2019 aufzuheben.
Zugleich haben sie beantragt, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin …, …, zu bewilligen. Am 01.07.2020 setzte die sachbearbeitende Rechtsanwältin das Gericht darüber in Kenntnis, dass sie das Mandat mit dem Kläger gekündigt habe.
Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, die Voraussetzungen von § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG, auf den sich der Beklagte berufe, lägen nicht vor. Der Kläger habe schon vor langem einen Reisepass beantragt, ihn aber ohne sein Verschulden nicht erhalten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es treffe nicht zu, dass der Kläger seinen Reisepass ohne sein Verschulden nicht erhalten habe. Der abgelaufene Reisepass habe laut Irakischem Generalkonsulat nur nach Vorlage der ID-Nationalcard und der Staatsangehörigkeitsurkunde verlängert werden können, die der Kläger nicht habe vorlegen können. Es sei ihm aber zumutbar, einen Vertrauensanwalt oder Familienangehörige im Irak zu kontaktieren, um sich die benötigten Dokumente beschaffen zu lassen. Zudem hätte der Kläger das Ausreisehindernis auch dadurch beseitigen können, dass er ein One-Way-Laisser-Passer beantragt hätte, um freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren.
Mit Beschluss vom 14.07.2020 lehnte das Gericht den Prozesskostenhilfeantrag ab. Der Beschluss wurde rechtskräftig.
Auf telefonische Nachfrage teilte der Beklagte dem Gericht am 15.12.2020 mit, der Kläger habe weiterhin keinen Reisepass vorgelegt.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Hs.1 VwGO). Die Beteiligten wurden vor Erlass des Gerichtsbescheides gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
1. Die Klage gegen die Anordnung der räumlichen Beschränkung des Aufenthaltes des Klägers auf den Landkreis … (Ziff. 1 des Bescheides vom 12.12.2019) ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat zwar die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten, der Verwaltungsakt ist aber im Ergebnis nicht rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
a) Rechtsgrundlage für die Anordnung ist auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG.
Als Inhaber einer Duldung gemäß § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt der Kläger zwar kraft Gesetzes gem. § 60b Abs. 5 Satz 3 AufenthG einer Wohnsitzauflage gem. § 61d AufenthG. Damit ist er verpflichtet, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft in … zu nehmen, nicht jedoch sich ausschließlich dort aufzuhalten (Hoppe in: Dörig, Handbuch des Migrations- und Integrationsrechts, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 122). Die weitergehende ständige räumliche Beschränkung seines Aufenthalts bedarf weiterhin einer zusätzlichen Anordnung im Einzelfall.
b) Gem. § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG soll eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde angeordnet werden, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
In der Vorschrift, die durch das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20.07.2017 eingefügt wurde, wurde die Befugnis der Ausländerbehörden zum Erlass von räumlichen Beschränkungen des Aufenthaltes erweitert und verschärft (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juli 2020, § 61 AufenthG, Rn. 34). Die Norm verfolgt den Zweck, gerade Ausländer, die bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht ausreichend mitwirken, enger an den Bezirk der Ausländerbehörde zu binden, um gegebenenfalls sicherzustellen, dass sie für etwaige erforderliche Mitwirkungshandlungen leichter erreichbar sind und um ihnen ein mögliches Untertauchen zu erschweren (BT-Drs.18/11546 S. 22). Zu den Mitwirkungspflichten gehört insbesondere die Pflicht, die erforderlichen Formalitäten bei der Beschaffung von Reisedokumenten zu erfüllen. Ob die Mitwirkungshandlung dem Ausländer zumutbar ist, ist aufgrund der individuellen Umstände zu beurteilen.
Die Ausgestaltung der Regelung als Soll-Vorschrift macht deutlich, dass die Ausländerbehörden, die gesetzlich verpflichtet sind, die Ausreisepflicht durchzusetzen, zum Erlass von räumlichen Beschränkungen verpflichtet sind (Hailbronner, Ausländerrecht,a.a.O.).
Bei einer Sollvorschrift darf die Behörde von der für den Normalfall vorgesehenen Rechtsfolge (nur) aus wichtigem Grund oder in atypischen Fällen abweichen. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die Besonderheiten des Einzelfalls ein Abweichen nahelegen. Ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung (BVerwG, U. v. 02.07.1992 – 5 C 39/90 – DVBl 1992, 1487/1487; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2019, § 40 VwVfG Rn. 26 f. m.w.N.).
aa) Der Beklagte hat bei der Anwendung der Vorschrift die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht eingehalten und damit das Ermessen fehlerhaft ausgeübt (Art. 40 BayVwVfG).
Die Behörde überschreitet die ihr vorgegebenen Grenzen, wenn sie eine Soll-Bestimmung als „freies“ Ermessen versteht (Decker in: Posser/Wolff BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2020, § 114 VwGO Rn. 19 f.).
Diesen Ermessensfehler – der sich allerdings nicht zulasten des Klägers auswirkt – hat der Beklagte hier begangen. Er ist, wie bereits die Zitierung der Vorschrift in den Gründen des Bescheides erkennen lässt, davon ausgegangen, dass die Ausländerbehörde die räumliche Beschränkung anordnen kann und hat, aus seiner Sicht folgerichtig, unter Abwägung aller einschlägigen Umstände eine Ermessensentscheidung getroffen, ohne zu beachten, dass er verpflichtet war, die Aufenthaltsbeschränkung anzuordnen, es sei denn, dass besondere Umstände vorliegen, die ein Abweichen nahelegen.
bb) Dieser (bloße) Ermessensfehler führt jedoch nicht zur Aufhebung des Bescheides, weil der Beklagte eine im Ergebnis zutreffende Entscheidung getroffen hat (Riese in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2020, § 114 VwGO Rn. 63 Anm. 314).
aaa) Da die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vorliegen (nachfolgend aaa)) und ein Abweichen von der für den Normalfall vorgesehenen Rechtsfolge der Anordnung der Beschränkung nicht gerechtfertigt ist (nachfolgend bbb)), hat der Beklagte im Ergebnis zu Recht die Beschränkung des Aufenthalts des Klägers auf den Landkreis … angeordnet.
aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beschränkung des Aufenthalts des Klägers sind erfüllt, weil der Kläger, obwohl es ihm zumutbar ist, nicht in ausreichendem Umfang dabei mitwirkt, die seiner Ausreise entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen.
Der Ausreise des Klägers steht aktuell (auch) entgegen, dass er weder über einen gültigen Reisepass, noch über ein One-Way-Laisser Passer, verfügt. Nur unter Vorlage eines der beiden Dokumente kann der Kläger in sein Herkunftsland, die Republik Irak einreisen, die verpflichtet ist, den ausreisepflichtigen Kläger als ihren Staatsangehörigen wiederaufzunehmen, (Lagebericht des Auswärtigen Amtes Stand März 2020 i. d. F. v.14.10.2020, S. 26).
Dem Kläger, den die Ausländerbehörde wiederholt, auch in seiner Muttersprache, konkret dazu aufgefordert hat, ist es zuzumuten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ihm das Generalkonsulat oder die Botschaft der Republik Irak einen neuen Reisepass ausstellen. Wie dem Kläger aus mehreren Vorsprachen und Bestätigungen des Generalkonsulates etwa vom 28.04.2018, bekannt ist, ist es dazu erforderlich, dass er eine Staatsangehörigkeitsurkunde und eine ID-Nationalcard bzw. ggf. eine irakische Geburtsurkunde jeweils im Original vorlegt. Da das Asylverfahren des Klägers seit 01.02.2018 abgeschlossen ist, kann von ihm verlangt werden, dass er eines seiner Geschwister im Irak oder seine Mutter bzw. einen Anwalt im Irak bevollmächtigt, dort eine ID-Nummer zu beantragen (zur Zumutbarkeit der Kontaktaufnahme zu Verwandten und über diese zu Behörden im Heimatland nach Abschluss des eigenen Asylverfahrens vgl. VG Stuttgart, U. v. 20.8.2019 – 2 K 8316/18 – juris Rn. 33). Auch die Beschaffung einer irakischen Staatsangehörigkeitsurkunde und einer Geburtsurkunde ist dem Kläger zuzumuten. Insbesondere kann der Beklagte von ihm verlangen, das dafür erforderliche Verfahren, das unter anderem die Vorlage von Kopien der Staatsangehörigkeitsurkunde seiner Mutter vorsieht, bei der irakischen Auslandsvertretung in Gang zu setzen. Das für ihn (auch) zuständige Generalkonsulat in Frankfurt am Main ist derzeit nach Kenntnis des Gerichts, trotz der COVID 19 -Pandemie für konsularische Dienste geöffnet (facebook.com – Das Generalkonsulat der Republik Irak in Frankfurt, aufgerufen am 07.01.2021).
Falls wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten im Irak eine Ausstellung eines Reisepasses im konkreten Fall des Klägers dennoch nicht möglich sein sollte, ist der seit fast drei Jahren vollziehbar ausreisepflichtige Kläger gehalten, sich bei der irakischen Auslandsvertretung darum zu bemühen, ein One-Way-Laisser Passer für eine einmalige Einreise in sein Heimatland zu erhalten.
Gegen die verlangten Mitwirkungshandlungen kann der Kläger im Übrigen nicht einwenden, sie seien ihm nicht zuzumuten, weil sie von vornherein aussichtslos seien (allgemein zu dieser Zumutbarkeitsgrenze Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juli 2020, § 82 AufenthG Rn. 33). Denn die irakische Auslandsvertretung hat in ihren Bestätigungen keineswegs ausgeschlossen, dass dem Kläger ein Reisepass ausgestellt werden kann, sofern er nur die erforderlichen Voraussetzungen dafür (Vorlage einer Staatsangehörigkeitsurkunde und einer ID-Card) erbringt.
Weiter kann er dem Beklagten nicht zu Recht vorhalten, die Ausländerbehörde sei dafür verantwortlich, wenn er die benötigten Dokumente nicht beschaffen könne, weil sie ihm seinen abgelaufenen Reisepass nicht aushändige. Dem steht entgegen, dass die irakische Auslandsvertretung deutlich gemacht hat, ohne die Staatsangehörigkeitsurkunde und die ID-Card sei es zwecklos, wenn er dort mit seinem ungültigen Reisepass erneut erscheine.
Schließlich kann der Kläger auch nicht mit Erfolg einwenden, er könne derzeit nicht nur wegen fehlender Dokumente, sondern auch deshalb nicht abgeschoben werden, weil nach der geltenden Weisungslage nur Straftäter abgeschoben würden und er sich im Bundesgebiet nicht strafbar gemacht habe.
Zwar werden nach auch der neuesten Weisungslage nur Gefährder oder Straftäter, die rechtskräftig zu mindestens 50 Tagessätzen bzw. zu 90 Tagessätzen bei einem Verstoß gegen das asyl-oder Aufenthaltsrecht verurteilt wurden, nunmehr einheitlich nach Bagdad abgeschoben (IMS v. 21.12.2020 – F4-2084-1-24-37).
Die Verwendung des Plurals „Ausreisehindernisse“ verdeutlicht aber, dass im Rahmen des § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG die mangelnde Mitwirkung – anders als etwa bei § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG – nicht für alle bestehenden Ausreisehindernisse kausal sein muss. Vielmehr obliegt es dem Ausländer, bei mehreren Ausreisehindernissen jedenfalls diejenigen aus der Welt zu schaffen, die er durch sein Mittun beseitigen kann (VG Stuttgart, U. v. 20.8.2019 – 2 K 8316/18 – juris Rn. 34).
bb) Ist der Tatbestand der Soll-Vorschrift damit erfüllt, ist die Ausländerbehörde im Regelfall verpflichtet, die Aufenthaltsbeschränkung anzuordnen, es sei denn, es liegt ein wichtiger Grund vor oder es handelt sich um einen atypischen Fall.
Einen wichtigen Grund dafür, den Aufenthalt nicht auf den Landkreis … zu beschränken, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er ist auch nicht ersichtlich.
Auch ein atypischer Fall liegt nicht vor, weil weder die Besonderheiten des Einzelfalls oder höherrangiges Recht ein Abweichen von der für den Normalfall vorgesehenen Rechtsfolge nahelegen. Bei dem Kläger handelt es sich vielmehr um den typischen Fall eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers, der an der Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht mitwirkt und so mit allen Mitteln versucht, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verlängern.
Darüber hinaus ist die Anordnung der Aufenthaltsbeschränkung verhältnismäßig. Die Maßnahme ist nicht von vornherein ungeeignet, die seit zwei Jahren bestehende Ausreisepflicht durchzusetzen, weil sie dafür sorgt, dass der Kläger, will er nicht gegen geltende Rechtsvorschriften verstoßen, sich laufend im Kreisgebiet aufhält und damit auch für die zuständige Ausländerbehörde in … leichter greifbar ist. Die Anordnung ist auch erforderlich. Alle bisher ergriffenen milderen Mittel, zum Beispiel mehrere eindringliche Belehrungen und die Aufforderung per Bescheid, sich Heimreisedokumente zu beschaffen, fruchteten nicht. Die weniger weiterreichende Anordnung, nur den Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft in … zu nehmen, reicht nicht aus. Diese Auflage verpflichtet nur, sich gewöhnlich dort aufzuhalten (§ 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG), während die Aufenthaltsbeschränkung verlangt, dauernd im Landkreis … zu verbleiben. Zudem sind wiederholte Verstöße dagegen strafbewehrt (§ 95 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG).
Die Maßnahme ist schließlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar greift das Verbot, das Gebiet des Landkreises … ohne vorherige Erlaubnis des Beklagten zu verlassen, in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG grundrechtlich geschützte körperliche Bewegungsfreiheit des Klägers ein. Der auf § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG geschützte Eingriff in die Bewegungsfreiheit des seit fast drei Jahren ausreisepflichtigen Ausländers ist jedoch insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger den Landkreis … auf Antrag in begründeten Fällen mit Erlaubnis der Ausländerbehörde des Kreisgebiets kurzfristig für einen begrenzten Zeitraum z.B. für zeitlich begrenzte Besuche bei seinen in … und … lebenden Geschwistern, für Arzttermine und für ihm erlaubte Berufspraktika verlassen darf.
2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr.11, § 711 Satz 1 ZPO.


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