Verwaltungsrecht

Ausschluss von der Zuerkennung subsidiären Schutzes wegen der Annahme einer schweren Straftat

Aktenzeichen  W 9 K 17.30895

Datum:
25.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7015
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
StGB § 12, § 21, § 49, § 176a Abs. 2

 

Leitsatz

1 Schwer im Sinne des Ausschlussgrundes gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG ist nur ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert und dementsprechend strafrechtlich verfolgt wird. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine zu Gunsten des Klägers angenommene erheblich herabgesetzte Steuerungsfähigkeit bei der Tatausführung des sexuellen Kindesmissbrauchs kann aufgrund der Gesamtumstände der Tatausführung nicht geeignet sein, die Annahme einer schweren Straftat im Sinne von § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG zu verneinen.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im afghanischen Strafrecht ist im Fall einer in Deutschland begangenen Vergewaltigung eine doppelte Bestrafung ausgeschlossen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4 Es liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zulassen, dass jeder alleinstehende, erwerbsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte. (Rn. 38 – 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Klage im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Ablehnung des Antrags auf Asylanerkennung (Ziffer 2 des Bescheides) ist bereits unanfechtbar geworden und nicht Gegenstand der Klage.
Soweit die zulässige Klage aufrechterhalten wurde, ist sie unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 13. Februar 2017 ist – soweit er weiterhin angefochten wird – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des begehrten subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG, da zu seinen Lasten der Ausschlusstatbestand nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG eingreift. Nach dieser Regelung ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat.
Bei der Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist zu berücksichtigen, dass dieser Art. 17 Abs. 1 lit. b) der Qualifikationsrichtlinie umsetzt. Vor diesem Hintergrund reicht zwar allein die – nationalrechtliche – Einstufung einer Straftat als Verbrechen nicht aus, um die Annahme einer schweren Straftat im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG zu rechtfertigen; schwer im Sinne des Ausschlussgrundes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr nur ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert und dementsprechend strafrechtlich verfolgt wird (vgl. – zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfGBVerwG, U.v. 24.11.1999 – 10 C 24/08 – juris Rn. 41; U.v. 4.9.2012 – 10 C 13.11- juris Rn. 20). Das Gericht ist insoweit indes nicht gehindert, nationale Wertungen wie die Einstufung einer Tat als Verbrechen und die angedrohte Höchst- und Mindeststrafe für die Schwere der in Rede stehenden Straftat als Indizien heranzuziehen (vgl. der Sache nach auch BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 28, wonach bei einem vorgesehenen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wohl ohne weiteres von einer „besonders schwerwiegenden Straftat“ ausgegangen werden soll), soweit internationale Wertungen dem nicht entgegenstehen und auch die konkrete Tatausführung nach Art und Schwere eine solche Einstufung rechtfertigt. Als schwere Straftaten in diesem Sinne sind danach neben vorsätzlichen Tötungsdelikten auch Raub, gefährliche bzw. schwere Körperverletzung, Kindesmissbrauch, Entführung (OVG Hamburg, U.v. 10.5.2011 – 1 A 306/10, 1 A 307/10 – juris Rn. 112; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris) sowie gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 28) angesehen worden; demgegenüber wird beispielsweise ein einfacher Diebstahl keine schwere Straftat darstellen (vgl. auch Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3 Rn. 26 unter Verweis auf UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Anwendung der Ausschlussklauseln, 3. September 2003, S. 5).
Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei den der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das LG Aschaffenburg vom 17. Dezember 2018, Az. … … … …, zu Grunde liegenden Taten um eine schwere Straftat im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Hierfür ist bereits anzuführen, dass der Kläger in dem benannten Urteil, dessen Inhalt das Gericht bei den weiteren Ausführungen zu Grunde legt, u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 StGB a.F. verurteilt wurde, der einen Strafrahmen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren vorsieht, womit die Tat als Verbrechen nach § 12 StGB eingeordnet wurde. Nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BVerwG (zum § 25 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AufenthG a.F.) ist damit von einer schwerwiegenden Straftat auszugehen. Dies gilt neben der Strafandrohung auch mit Blick auf den verwirklichten Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Dass europarechtliche Wertungen dieser Einstufung entgegenstehen könnten, ist nicht ersichtlich.
Das Gericht sieht zudem keine Veranlassung, aufgrund der durch das LG Aschaffenburg gewährten Milderung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 StGB wegen der zu Gunsten des Klägers angenommenen erheblich herabgesetzten Steuerungsfähigkeit bei der Tatausführung des sexuellen Kindesmissbrauchs nicht zu der Annahme einer schweren Straftat im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG zu gelangen. Auch wenn derartige Gesichtspunkte bei der Prüfung des Vorliegens einer schweren Straftat grundsätzlich zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2010 – 10 C 7/09 – juris), sprechen vorliegend für das Gericht die gesamten Umstände der Tatausführung für die Annahme einer schweren Straftat. Aus den Umständen kann insbesondere nicht ersehen werden, dass der Kläger nur aufgrund seiner vorgetragenen nicht unerheblichen Alkoholisierung die Tat begangen oder diese die Tatausführung wesentlich begünstigt hat. Der Kläger ist bei dem sexuellen Missbrauch der Tochter des Bruders seiner Freundin planvoll vorgegangen und wollte sich für seine Inhaftierung an ihm rächen. Von diesem Rachegedanken war der Kläger schon während seiner Haft getrieben und dieser verfestigte sich nach den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils nach der Haftentlassung weiter. Es ging ihm darum, dem Bruder seiner Freundin einen größtmöglichen Schaden zuzufügen. Der noch in Afghanistan begangene schwere sexuelle Missbrauch eines zum Tatzeitpunkt 12-jährigen Mädchens war in dieser Form gewollt und bietet damit keinerlei Anhaltspunkte, um im Rahmen der Wertung des Asylgesetzes (s.u.) zu Gunsten des Klägers keine schwere Straftat im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG anzunehmen.
Die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist demnach gegeben. Weitere Voraussetzungen sind nicht zu prüfen. Sinn und Zweck der Ausschlussgründe des § 4 Abs. 2 AsylG ist es nicht, Gefahren für den aufnehmenden Mitgliedstaat zu begegnen, sondern Personen von der Zuerkennung subsidiären Schutzes auszunehmen, die sich dieses Schutzes als „unwürdig“ erwiesen haben. Dieser Zielsetzung widerspräche es, den Ausschluss von der Zuerkennung subsidiären Schutzes insbesondere von dem Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat abhängig zu machen (vgl. – zu der Parallelregelung für den Ausschluss des Flüchtlingseigenschaft in Art. 12 Abs. 2 lit. b) Qualifikationsrichtlinie – EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 u.a. – juris Rn. 104). § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG ist daher in der Form auszulegen, dass die – im Fall des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG aus der Begehung einer schweren Straftat folgende – Unwürdigkeit selbst dann fortbesteht, wenn keine Wiederholungsgefahr (mehr) gegeben ist und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 29).
Da zudem bereits die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausschlussgründe Ausfluss einer abstrakten Verhältnismäßigkeitsprüfung sind und den nationalen Behörden im Rahmen der Anwendung der Ausschlussgründe auf Rechtsfolgenseite ein Ermessensspielraum nicht zusteht, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch für eine darüber hinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall kein Raum (vgl. EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 u.a. – juris Rn. 109 sowie – zu § 25 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG -BayVGH, U.v. 15.6.2011 – 19 B 10.2539 – juris Rn. 40). Da durch die Anwendung des Art. 3 EMRK sichergestellt ist, dass auch ein Asylantragsteller, der Ausschlussgründe verwirklicht, nicht in einen Staat abgeschoben wird, in dem ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung droht, ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 14.10.2008 – 10 C 48/07 – juris Rn. 33 ff.).
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG.
2. Der Kläger hat darüber hinaus keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
2.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung in seinem Herkunftsland droht.
2.1.1.
Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Für die Beurteilung der Frage, ob dem Ausländer in dem Land, in das er zurückkehrt, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK droht, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darauf abzustellen, ob für den Betroffenen die „reale“ bzw. ernsthafte“ Gefahr („real risk“) einer solchen Behandlung besteht (vgl. EGMR, U.v. 7.7.1989 – 1/1989/161/217 – NJW 1990, 2183, 2185; U.v. 20.3.1991 – 46/1990/237/307 – NJW 1991, 3079, 3080). Im nationalen Recht entspricht dies dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 u.a. – juris Rn. 7; B.v. 22.7.2010 – 10 B 20/10 – juris Rn. 6). Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt danach vor, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnen Menschen in der Lage des Betroffenen eine Rückkehr in das Heimatland als unzumutbar einzuschätzen ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Ein Abschiebungshindernis besteht nicht, wenn die im Einzelfall geltend gemachte Gefahr lediglich spekulativer Art ist (OVG NW, U.v. 26.5.2004 – 8 A 3852/03.A – juris Rn. 64 m.w.N.).
2.1.1.1.
Eine derartige beachtliche Wahrscheinlichkeit lässt sich vorliegend nach Überzeugung des Gerichts nicht mit Blick auf den in Afghanistan durch den Kläger begangenen schweren sexuellen Missbrauch eines 12-jährigen Mädchens in Tateinheit mit einer Vergewaltigung feststellen. Die begangene Tat ist zwar entsprechend den Ausführungen in dem Urteil des LG Aschaffenburg vom 17. Dezember 2018, Az. … … … …, S. 19f. auch nach afghanischem Strafrecht strafbar und hierfür eine zeitige Freiheitsstrafe vorgesehen (Art. 427 Abs. 1 u. 2 des afghanischen Strafgesetzbuchs in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung). Eine weitere Strafverfolgung und Bestrafung ist aber mit Blick auf die in der Bundesrepublik erfolgte rechtskräftige Verurteilung nicht beachtlich wahrscheinlich. Im afghanischen Strafrecht ist nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2018, Az. 508-516.80/51115, im Fall einer in Deutschland begangenen Vergewaltigung eine doppelte Bestrafung ausgeschlossen. Damit gilt dies auch für die weiteren hier in der Bundesrepublik begangenen Straftaten, die zusammen mit dem schweren sexuellen Missbrauch abgeurteilt wurden. Zudem ist auch nicht ersichtlich, wie diese weiteren Straftaten in Afghanistan bekannt werden könnten. Dessen unbeschadet begründet eine drohende Doppelbestrafung für sich genommen mit Blick auf Art. 3 EMRK keinen Abschiebungsschutz, da es insbesondere keine allgemeine Regel des Völkerrechts gibt, dass eine Person wegen desselben Lebenssachverhalts, dessentwegen sie bereits in einem dritten Staat zu einer Freiheitsentziehung verurteilt wurde, und die sie auch verbüßt hat, in einem anderen Staat nicht neuerlich angeklagt oder verurteilt werden darf, oder dass jedenfalls die Zeit der im dritten Staat erlittenen Freiheitsentziehung im Falle einer neuerlichen Verurteilung angerechnet oder berücksichtigt werden muss (OVG NW, B.v. 10.4.2008 – 18 B 350/08 – juris m.w.N.).
Damit besteht bereits nicht eine ernsthafte Gefahr für eine weitere Strafverfolgung und Bestrafung des Klägers. Zudem sind die Haftbedingungen in Afghanistan nicht generell so, dass selbst bei einer (nicht beachtlich wahrscheinlichen Inhaftierung) des Klägers die ernsthafte Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung bestünde. Nach der Auskunftslage (Lagebericht des AA vom 31. Mai 2018, S. 24; Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.6.2018, S. 262 ff.) entsprächen die Haftbedingungen in Afghanistan nicht den internationalen Standards. Auch gebe es Berichte über Misshandlungen in Gefängnissen. Einige Gefängnisse seien überbelegt. Der Zugang zu Nahrung, Trinkwasser, sanitären Anlagen, Heizung, Lüftung, Beleuchtung und medizinischer Versorgung sei landesweit unterschiedlich und im Allgemeinen unzureichend. Einigen Quellen zufolge sei die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser in Gefängnissen des General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC) angemessen. Nach einem Bericht über die Haftbedingungen in Afghanistan zwischen Januar 2015 und Dezember 2016 seien 39% der Befragten während der Haft oder des Gewahrsams in verschiedenen Strafvollzugsanstalten gefoltert oder misshandelt worden. Nach diesen Erkenntnismitteln sind die Verhältnisse im Justizvollzug in Afghanistan ohne Zweifel als schwierig zu bezeichnen. Gleichzeitig lassen die wiedergegebenen Erkenntnismittel nicht den Schluss zu, dass es systematisch in afghanischen Gefängnissen zu einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung von Gefangenen kommt. Auch soweit der erwähnte Bericht Angaben zu Folter beinhaltet, bleibt festzuhalten, dass die Gefangenen, die in diesem Zusammenhang befragt wurden, konfliktbedingt inhaftiert waren (vgl. UN Human Rights Council (21.2.2018); Situation of human rights in Afghanistan and technical assistance achievements in the field of human rights; Report of the United Nations High Commission on Human Rights, S. 8: „detainees on conflict-related charges“). Bei Personen aber, die ausschließlich wegen eines kriminellen Unrechts inhaftiert werden, dürfte eine Wahrscheinlichkeit für eine derartige Behandlung nicht in gleicher Weise gegeben sein, weil derartige Inhaftierte nicht vergleichbar im Focus des afghanischen Staates und der Strafverfolgungsorgane stehen dürften.
2.1.1.2.
Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht dem Kläger auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von der Familie des Mädchens, das er in Afghanistan vergewaltigt hat. Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass seine Familie wegen seiner Tat Schwierigkeiten bekommen habe. Gleichzeitig gibt es für das Gericht aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger landesweit eine Verfolgung durch die Familie drohen könnte, was – wenn man zu Gunsten des Klägers grundsätzlich ein entsprechendes Interesse der anderen Familie unterstellt – für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erforderlich wäre (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris). Der Kläger, der zuletzt in Kabul gelebt haben will, kann sich in einer anderen Großstadt in Afghanistan, bspw. Herat oder Mazar-e Sharif, niederlassen. Diese Städte sind von Kabul erreichbar und ein Ausweichen dorthin ist dem Kläger zumutbar (zu den allgemeinen Lebensbedingungen s.u.). Es ist vorliegend nicht wahrscheinlich, dass der Kläger in einer derartigen Großstadt seines Heimatlandes als einzelne Person von nichtstaatlichen Verfolgern realistischerweise ausfindig gemacht werden könnte. Dies gilt umso mehr als es in Afghanistan kein funktionierendes Meldesystem gibt (vgl. VG München, U.v. 8.10.2018 – M 26 K 17.35228 – juris). Seinen Vortrag zu angeblichen politischen Verbindungen der Familie, die diese für ein Auffinden des Klägers nutzen könnten, hat der Kläger nicht weiter substantiiert.
2.1.1.3.
Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan führt im Fall des Klägers ebenfalls nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Zwar können bei entsprechenden Rahmenbedingungen auch schlechte humanitäre Verhältnisse eine entsprechende Gefahrenlage begründen. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; ausführlich: VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris m.w.N.).
Gegenwärtig stellt sich die allgemeine Lage in Afghanistan im Wesentlichen wie folgt dar:
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018 ist zu entnehmen, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei (Human Development Index 2016: Platz 169 von 188 Staaten). Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum sei kurzfristig nicht in Sicht (2017: 2,6%). Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25% auf 39% gestiegen. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. Laut UNOCHA benötigen 9,3 Mio. Menschen – ein Drittel der afghanischen Bevölkerung – humanitäre Hilfe (z.B. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung). Die hohe Arbeitslosigkeit werde verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen, für 2018 sei eine Dürre vorausgesagt worden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten hätten dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 seien laut UNHCR 5,8 Mio. afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, Afghanistan erlebe die größte Rückkehrbewegung der Welt. Das Fehlen lokaler Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 31.5.2018, S. 25/28).
Laut einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom 1. Juni 2018 stünden in den Großstädten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, sofern der Lebensunterhalt gewährleistet sei. Zugang zu angemessener Unterkunft sei jedoch eine Herausforderung. Die Mehrheit der städtischen Unterkünfte sei als Slums einzustufen. Flüchtlinge lebten in der Regel in Flüchtlingssiedlungen. Die Städte böten jedoch auch die Option billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Zugang zu Trinkwasser sei in den Städten oft eine Herausforderung, insbesondere in den Slums und Flüchtlingssiedlungen in Kabul; in Mazar-e-Sharif und Herat hätten hingegen die meisten Menschen besseren Zugang zu Wasserquellen sowie sanitären Anlagen. In Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif seien auch Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden; diese seien aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet. Das Fehlen finanzieller Mittel sei eine große Hürde beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Aufgrund der Wirtschafts- und Sicherheitslage bestehe eine hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei städtischen Jugendlichen. Zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sei das Ergebnis der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Städtische Armut sei weit verbreitet und steige an. In diesem Umfeld hänge die Fähigkeit zur Gewährleistung des Lebensunterhalts überwiegend vom Zugang zu Unterstützungsnetzwerken – etwa Verwandten, Freunden oder Kollegen – oder zu finanziellen Mitteln ab (siehe zum Ganzen: EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2018, S. 104 f.).
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Juni 2018 seien von den 2,1 Mio. Personen, die in informellen Siedlungen lebten, 44% Rückkehrer. Die Zustände in diesen Siedlungen seien unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen seien Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% hätten keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% lebten in überfüllten Haushalten. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. IPSO und AMASO), die die Reintegration in Afghanistan finanziell, durch Bereitstellung von Unterkunft, Nahrungsmitteln oder sonstigen Sachleistungen sowie durch Beratung unterstützten. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie oder einer sonstigen Gemeinschaft mangels konkreter staatlicher Unterbringungen für Rückkehrer der zentrale Faktor. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die afghanische Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (zwei Wochen). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stelle eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar; Unterstützungsnetzwerke könnten sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion sowie aus „professionellen“ (Kollegen, Kommilitonen etc.) oder politischen Verbindungen ergeben (siehe zum Ganzen: BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 29.6.2018, S. 314-316, 327-331).
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 seien die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55% (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7% (2007/08) bzw. 38,3% (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54% der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4% der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55% der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien (siehe zum Ganzen: UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.).
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 böten die informellen Siedlungen in den afghanischen Städten meist einen schlechten oder keinen Zugang zu Basisdienstleistungen und Infrastruktur (Elektrizität, sauberes Wasser, Nahrungsmittel, sanitäre Einrichtungen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen). Die Unterkünfte seien meist behelfsmäßig gebaut und könnten nur bedingt vor Kälte, Hitze und Feuchtigkeit schützen. Die Lebensbedingungen von Rückkehrern lägen unter den normalen Standards. Laut einer Studie seien 87% der IDPs und 84% der Rückkehrer von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrer schafften, sich in Afghanistan wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt vom Vorhandensein von Unterstützungsnetzwerken ab. In Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 – 7 Mio.) habe der schnelle Bevölkerungsanstieg rasch zu einer Überforderung der vorhandenen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Die humanitäre Lage spitze sich insbesondere in großen Städten zu, weil sich dort IDPs und Rückkehrer konzentrierten, die eine Existenzgrundlage und Zugang zu bereits stark überlasteten Grunddienstleistungen suchten. Laut Amnesty International sei die Aufnahmekapazität – insbesondere in den größeren Städten – aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der sehr bescheidenen Möglichkeiten, eine Existenzsicherung sowie angemessene Unterkunft zu finden, sowie des mangelnden Zugangs zu überstrapazierten Grunddienstleistungen „äußerst eingeschränkt“ (siehe zum Ganzen: SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2018, S. 20-22).
Ausgehend von den Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Hauptstadt Kabul als voraussichtlichen End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung (ausführlich: VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris) gelangte das Gericht nicht zu der Überzeugung, dass im Falle des Klägers nach den dargelegten Maßstäben ein ganz außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK zwingend entgegenstehen.
Die obergerichtliche Rechtsprechung schätzt weiterhin die Lage in Afghanistan nicht derart ein, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a ZB 17.31960; B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167).
Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch diejenige des Bundesverwaltungsgerichts (EGMR, U.v. 28.6.2011 – 8319/07 und 11449/07 – NVwZ 2012, 681 und BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167) machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, wenn die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3; vgl. auch BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Eine solche besondere Ausnahmekonstellation ist vorliegend nicht gegeben. Aus den aktuellen Erkenntnismitteln zur humanitären Lage in Afghanistan (vgl. vorstehende Ausführungen) lässt sich zwar entnehmen, dass die Situation in Afghanistan weiterhin sehr besorgniserregend ist. Jedoch liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zulassen, dass jeder alleinstehende, erwerbsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte. Dies gilt grundsätzlich auch für Rückkehrer, die keine Berufsausbildung haben und über keinen aufnahmefähigen Familienverband verfügen (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 391 ff.). Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris m.w.N.; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Hiervon ist auch im Hinblick auf die individuellen Lebensumstände des Klägers auszugehen. Bei ihm handelt es sich um einen 29-jährigen gesunden, arbeitsfähigen Mann. Ein Suizidversuch im Jahr 2017 stand im Zusammenhang mit Problemen in der Partnerschaft. Weitere Beeinträchtigungen wurden nicht geltend gemacht. Vor diesem Hintergrund dürfte dem Kläger insbesondere eine Vielzahl von Tagelöhnertätigkeiten möglich sein. So hat der Kläger, der nach seiner eigenen Auskunft in Pakistan die Schule bis zur 10. Klasse besucht und anschließend einen Handy-Laden eröffnet hat, während seines Aufenthalts in Kabul als Taxifahrer gearbeitet. Mit seinen weiteren Erfahrungen und Kenntnissen, die er in Europa erworben hat, ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen.
Nach allem ist davon auszugehen, dass sich hinsichtlich des Klägers kein ganz außergewöhnlicher Fall ergibt, in dem (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen würden und somit humanitäre Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ wären.
2.1.2.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG folgt auch nicht aus Art. 6 EMRK und der hierdurch gewährten Garantie eines fairen Verfahrens. Soweit mit der Rechtsprechung davon ausgegangen wird, dass im Einzelfall ein Verstoß gegen den Wesenskern dieser Garantie zu einem Abschiebungsverbot führen kann (vgl. OVG NW, U.v. 26.5.2004 – 8 A 3852/03.A – juris Rn. 192), scheidet ein Anspruch vorliegend bereits vor dem Hintergrund aus, dass eine weitere Strafverfolgung des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich ist.
2.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; vgl. zudem BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13).
Eine solche, extreme Gefahrenlage kann vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen besteht – wie sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen bereits ergibt – keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen in seiner Person keine hier zu berücksichtigenden Besonderheiten gesundheitlicher Art. Zum anderen droht dem Kläger auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Vorliegend vermögen die – fraglos schlechten – Lebensverhältnisse nach den vorstehenden Ausführungen keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann mit den von ihm erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, vermag das Gericht danach nicht festzustellen.
3. Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung (Nr. 5 des Bescheides) bestehen im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
4. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6 des Bescheides) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich.
Die Klage konnte keinen Erfolg haben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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