Verwaltungsrecht

Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Gnandi“

Aktenzeichen  AN 16 S 20.30165

Datum:
11.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4514
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 3, § 4, § 14a, § 30 Abs. 3 Nr. 7, § 36 Abs. 4 S. 1
RL2008/115/EG Art. 7
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen dann, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält; nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift bezieht sich das Merkmal der Rechtmäßigkeit nicht nur auf die (einfache) Unbegründetheit des Asylantrags, sondern auch auf die “Offensichtlichkeit”. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG beruht auf der Annahme, dass für die Kinder regelmäßig keine eigenen Asylgründe vorgebracht werden können und bezüglich der Asylgründe der Eltern bereits eine inhaltliche Überprüfung stattgefunden hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verbindung einer Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet mit einer Abschiebungsandrohung steht in Einklang mit der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG, wenn das Bundesamt die Vollziehung der Abschiebungsandrohung bis zur Entscheidung in dem asylrechtlichen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes aussetzt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan.
Der … 2019 in … geborene Antragsteller ist aserbaidschanischer Staatsangehöriger, aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit und islamischer Religionszugehörigkeit. Das Asylerstverfahren seiner Eltern wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. Februar 2019 (AN 16 K 16.32175) am 2. April 2019 rechtskräftig negativ abgeschlossen, nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat. Die Regierung …, Zentrale Ausländerbehörde …, zeigte die Geburt des Antragstellers dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Schreiben vom 16. Januar 2020 an.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2020 wies das Bundesamt die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers darauf hin, dass ein Asylverfahren für den Antragsteller nach § 14a AsylG eingeleitet worden sei. Mit einem weiteren Schreiben vom 21. Januar 2020 forderte das Bundesamt die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers auf – für den Fall, dass nicht auf die Durchführung des Asylverfahrens verzichtet werde – innerhalb von zwei Wochen schriftlich die Gründe darzulegen, die sie zu der Annahme berechtigen, dass bei dem Kind die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt oder diesem ein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 AsylG droht. Gleichzeitig wurde ihnen binnen gleicher Frist Gelegenheit gegeben, diejenigen Tatsachen vorzutragen, die bei einer Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären.
Eine Reaktion auf dieses Schreiben ist nicht erfolgt.
Mit Bescheid vom 13. Februar 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Aserbaidschan oder in einen anderen zur Rücknahme bereiten oder verpflichteten Staat an (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Die Begründung der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags stützte die Antragsgegnerin auf § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG und führte vor diesem Hintergrund weiter aus, dass die Asylanträge der Eltern und Geschwister zum Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags des Antragstellers bereits unanfechtbar abgelehnt worden seien. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Bescheid vom 13. Februar 2020 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 26. Februar 2020 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 13. Februar 2020 und beantragte zudem im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten und Antragsgegnerin vom 13. Februar 2020, mit dem der Antragsteller aufgefordert wird, die BRD innerhalb einer Woche zu verlassen und die Abschiebung angedroht wird, wird angeordnet.
Zur Begründung des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO trug der Klägerbevollmächtigte Folgendes vor: Eine Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet sei nach der Rechtsprechung nur dann rechtmäßig, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel besteht und bei einem solchen Sachverhalt nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre die Abweisung des Asylantrags sich geradezu aufdrängt.
Ausgehend hiervon legte der Klägerbevollmächtigte dar, unter welchen Voraussetzungen von einer eindeutigen Aussichtlosigkeit ausgegangen werden könne und wann eine Offensichtlichkeitsentscheidung demgegenüber nicht gerechtfertigt sei. Sodann führte er weiter aus, dass ausgehend von den aufgeführten Erfordernissen, die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht vorliegen würden.
Insbesondere sei die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund des Urteils des EuGH vom 19. Juni 2018 in der Sache Gnandi (C-181/16) anzuordnen. Die besagte Entscheidung könne man so zusammenfassen, dass jeder abgelehnte Asylbewerber einen Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung haben muss. Nach dieser Rechtsprechung könne es nicht angehen, dass Rechtsbehelfe nur im schriftlichen Verfahren ergehen. Dem abgelehnten Asylbewerber müsse es zumindest einmal möglich sein, persönlich in einer mündlichen Verhandlung seine Sichtweise darzustellen. Insoweit werde auf zwei Entscheidungen des OVG Nordrhein-Westfalen verwiesen (Az.: 11 A 610/19.A und 11 B 255/19).
Mit gerichtlichem Schreiben vom 27. Februar 2020 wies das Gericht den Antragstellerbevollmächtigten darauf hin, dass bislang keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliege; diese daher unverzüglich nachgereicht werden solle.
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020, den Antrag abzulehnen und änderte die Abschiebungsandrohung mit Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 19. Juni 2018 (C-181/16) dahingehend ab, dass der Antragteller die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Behördenakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Abschiebungsandrohung in der Gestalt, die sie durch den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 27. Februar 2020 erhalten hat, ist zulässig, jedoch unbegründet.
a) Der innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung ist statthaft und notwendig, weil die gleichzeitig erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG). Im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 AsylG, kommt nämlich gerade nicht § 38 Abs. 1 AsylG, sondern der insoweit speziellere § 36 Abs. 1 AsylG zur Anwendung, mit der Folge, dass die erlassene Abschiebungsandrohung nach Ablauf der Ausreisefrist sofort vollziehbar ist.
b) Der Antrag ist unbegründet, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung nicht bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf das Gericht die Aussetzung der Abschiebung nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestehen dann, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift bezieht sich das Merkmal der Rechtmäßigkeit nicht nur auf die (einfache) Unbegründetheit des Asylantrags, sondern auch auf die „Offensichtlichkeit“ (vgl. BVerfG U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – NVwZ 1996, 678).
Rechtsgrundlage für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 59, 60 Abs. 10 AufenthG durch das Bundesamt ist § 34 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 30, 36 Abs. 1 AsylG. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlässt das Bundesamt eine schriftlichen Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. In den Fällen offensichtlich unbegründeter Asylanträge gemäß § 30 AsylG, bestimmt § 36 Abs. 1 AsylG, dass die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche beträgt.
Ausgehend hiervon bestehen ernstliche Zweifel im eingangs aufgezeigten Sinne weder im Hinblick auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet noch hinsichtlich der Feststellung der Antragsgegnerin, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Ebenfalls keinen ernstlichen Zweifeln unterliegt die Abschiebungsandrohung hinsichtlich der verfügten Ausreisefrist.
aa) Die Antragsgegnerin hat den Asylantrag des Antragstellers vorliegend in rechtlich nicht zu beanstandender Weise als unbegründet abgelehnt; ernstliche Zweifel bestehen insoweit nicht. Auch hinsichtlich der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG bestehen keine ernstlichen Zweifel.
Der Antragsteller hat voraussichtlich weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG). Ebenso bestehen keine ernstlichen Zweifel dahingehend, dass dem Antragssteller kein ernsthafter Schaden bei einer Rückkehr in sein Heimatland i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG droht. Der Antragsteller hat keine Gründe dargelegt, aus denen entsprechende Schutzansprüche folgen könnte. Das Gericht nimmt daher auf die zutreffende Begründung in dem Bescheid der Antragsgegnerin, der es folgt, Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a AsylG als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Die Norm beruht auf der Annahme, dass für die Kinder regelmäßig keine eigenen Asylgründe vorgebracht werden können und bezüglich der Asylgründe der Eltern bereits eine inhaltliche Überprüfung stattgefunden hat (Heusch in BeckOK Ausländerrecht, 22. Edition, Stand: 1.5.2019, § 30 AsylG, Rn. 52). Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG sind vorliegend erfüllt. Mit der Anzeige der Geburt des Antragstellers durch das Schreiben der Regierung … … vom 16. Januar 2020 gegenüber dem Bundesamt, gilt der Asylantrag für den Antragsteller gemäß § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylG als gestellt. Die Asylanträge der Eltern wurden dem zeitlich vorgelagert bereits mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. Februar 2019 am 2. April 2019 rechtskräftig abgelehnt. Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, die gegen eine Anwendung des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG sprechen würden. Denn es wurden für den Antragsteller weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren eigene Gründe vorgetragen noch haben sich die Umstände in Aserbaidschan derart geändert, dass eine Neubewertung der Situation mit Blick auf den Antragsteller geboten wäre.
bb) Ebenso bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung der Antragsgegnerin, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Auch insoweit folgt das Gericht der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 13. Februar 2020 und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
cc) Auch vor dem Hintergrund der von der Antragsgegnerin verfügten Ausreisefrist, wonach der Antragsteller aufgefordert wurde, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Insbesondere dringt der Antragsteller mit seinem Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH in der Sache „Gnandi“ (EuGH U.v. 19.6.2018 – Sadikou Gnandi / État Belge, C-181/16 – NVwZ 2018, 1625) nicht durch. Denn jedenfalls ausgehend von der Formulierung und Ausgestaltung der Fristsetzung, wie sie in dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 27. Februar 2020 erfolgt ist, ist ein Verstoß gegen unionsrechtliche Rechtsvorschriften – insbesondere gegen die Richtlinien 2008/115/EG und 2013/32/EG sowie die Art. 18, 19 Abs. 2 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCh) – nicht zu besorgen.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung der dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung innewohnende Schutz dadurch zu gewährleisten, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht zuzuerkennen ist, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetz aufschiebende Wirkung hat. Zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Rechtsbehelfs ist es weiter erforderlich, dass alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn auszusetzen sind. Dem folgend darf die in Art. 7 der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (EuGH U.v. 19.6.2018 – Sadikou Gnandi / État Belge, C-181/16 – NVwZ 2018, 1625 Rn. 58, 61, 62).
Ausgehend von diesen Anforderungen ist vorliegend festzustellen, dass dem Antragsteller mit der Möglichkeit der Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung steht, dem kraft Gesetz aufschiebende Wirkung zukommt. Nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG ist eine Abschiebung auch bei Abweisung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht vor einer Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren möglich, sofern der Antrag rechtzeitig, d.h. innerhalb der Frist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG, gestellt ist. Die rechtzeitige Antragstellung bewirkt somit die Aussetzung des Vollzugs der Abschiebung kraft Gesetz (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 24. Edition, Stand: 1.5.2019, § 36 Rn. 18). Nicht zu fordern ist für die volle Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs hingegen, dass die Entscheidung eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten ist. Vorgaben über die Verfahrensart sind der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Hierfür sprechen weiterhin auch Art. 46 Abs. 6 bis 8 der Richtlinie 2013/32/EU und die im Anschluss an die Rechtssache „Gnandi“ ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 5. Juli 2018 (EuGH B.v. 5.7.2018 – PPU, C-269/18 – juris, dort insbesondere Rn. 53), wonach Antragstellern im Falle einer Offensichtlichkeitsentscheidung kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zukommt. Erforderlich aber auch ausreichend ist es demnach, dass der Antragsteller ein (vorläufiges) Bleiberecht bis zur gerichtlichen Entscheidung, ob ihm auch bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung internationalen Schutzes ein weiterer Verbleib im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates gestattet wird, erhält (vgl. OVG NW U.v. 13.5.2019 – 11 A 610/19.A – juris Rn. 64). Dies ist ausgehend vorstehender Überlegungen der Fall.
Soweit der Europäischen Gerichtshof für die Annahme eines wirksamen Rechtsbehelfs weiter fordert, dass die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen darf, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat, ist die Antragsgegnerin dieser Anforderung mit der Festlegung des Fristbeginns der Ausreisefrist auf die Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hinreichend nachgekommen. Insoweit hat auch jüngst das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Verbindung einer Ablehnung eines Asylantrag als offensichtlich unbegründet mit einer Abschiebungsandrohung in Einklang mit der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG steht, wenn das Bundesamt die Vollziehung der Abschiebungsandrohung bis zur Entscheidung in dem asylgerichtlichen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes aussetzt (vgl. Pressemitteilung des BVerwG vom 20.2.2020, Nr. 11/2020).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt ebenfalls ohne Erfolg, nachdem der Antragsteller trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderung keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat. Ungeachtet dessen ist der Antrag auch mangels hinreichender Erfolgsaussichten (vgl. zuvor) abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben