Verwaltungsrecht

Ausweisung eines afghanischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  M 25 K 16.754

Datum:
12.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40801
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AufenthG § 11, § 52, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1, Abs. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Die Gefahr der Wiederholung von Straftaten entfällt nicht, solange eine erfolgreiche Aufarbeitung der Tat und deren Hintergründe sowie eine anschließende Bewährung nicht stattgefunden haben. Dies gilt auch dann, wenn Bewährungsauflagen und Weisungen eingehalten wurden. (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine asylrechtliche Aufenthaltsgestattung steht einem Aufenthaltstitel, der nach § 55 AufenthG ein Bleibeinteresse begründen kann, nicht gleich. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 AufenthG vor, ist dem Ausländer zwingend keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Für das Eingreifen des Ausschlussgrundes ist keine strafrechtliche Verurteilung erforderlich. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Ein (noch) bestehendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG beinhaltet kein Bleibeinteresse iSv § 55 AufenthG. Denn zum einen handelt es sich hierbei um eine Regelung, die mit den typisierten Bleibeinteressen, die an unterschiedliche Grade der Aufenthaltsverfestigung anknüpfen, in keiner Beziehung steht, zum anderen ist das Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 AufenthG einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht zugänglich. (Rn. 30) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Der Umstand, dass sich ein Ausländer mehrmals wegen einer Anpassungsstörung in psychiatrischer Behandlung bzw. wegen einer depressiven Episode in teilstationärer Behandlung befunden hat, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung. (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers verbunden mit einem für den Fall des Nachweises der Straf- und Drogenfreiheit sieben- bzw. neunjährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Abschiebungsandrohung nach Afghanistan sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die durch die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) ZuStVAuslR zuständige Beklagte verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
1.1 Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 316 – juris Rn 18; U.v. 27.7.2017 – 1 C 2816 – juris Rn. 40).
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Der Kläger ist schon kurze Zeit nach seiner Einreise in das Bundesgebiet zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten, zuletzt mit Verurteilung durch das Landgericht München I vom … August 2014 wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Hierbei handelt es sich um eine schwerwiegende Straftat, die einen massiven Eingriff in das hohe Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung darstellt.
Zwar hat der Kläger die mit Führungsaufsichtsbeschluss des Amtsgerichts München vom … Mai 2016 angeordneten Weisungen und Auflagen nach den vorliegenden Erkenntnissen bisher erfüllt (vgl. Bericht der Bewährungshelferin vom 6.11.2018) und hat insbesondere die Termine bei … und zu den Urinkontrollen wahrgenommen. Unbenommen des Umstands, dass der Kläger insbesondere die dortige Auflage in Ziff. 4 Buchst. g), Ziff. 5 Buchst. e) durch insgesamt sieben Gespräche bei der Fachambulanz für Gewalt- und Sexualstraftäter durchgeführt hat, hält das erkennende Gericht eine Wiederholungsgefahr angesichts der vehementen Leugnung und damit fehlenden Aufarbeitung des Tatgeschehens durch den Kläger weiterhin als gegeben an. Bereits während des Strafverfahrens hat der Kläger sich als Opfer dargestellt und den Tatvorwurf in keinster Weise reflektiert. Im Urteil des Landgerichts München I vom … August 2014 wird unter Verweis auf die psychiatrische Sachverständige Dr. W. ausgeführt, dass der Kläger deutlich narzisstische Persönlichkeitszüge besitzt und dazu neigt, seine Interessen und Ziele in den Mittelpunkt zu stellen; bei Misserfolgen fühlt er sich schnell schlecht behandelt. Das Landgericht München I sah die Tat entgegen der erstinstanzlichen Verurteilung durch das Amtsgericht München vom … Februar 2014 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren als Ausdruck der charakterlichen Mängel des Klägers und ein vehementes Bestreiten des strafrechtlichen eigenen Verhaltens. Folglich verhängte das Landgericht eine deutlich höhere Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Die Leugnungshaltung setzte sich auch während der Haftzeit fort (s. psychologisches Gutachten vom 14.7.2015, Bl. 101 BA: […] „vor allem auf eine über Jahre und noch derzeit bestehende Leugnungshaltung in Bezug auf die Inhaftierungstat“ […]), weshalb eine Aussetzung der Restjugendstrafe zur Bewährung mit Beschluss des Amtsgerichts … vom … September 2015 aufgrund ungünstiger Prognose abgelehnt wurde. Obwohl der Kläger ausweislich des Berichts der Fachambulanz für Gewalt- und Sexualstraftäter vom … Dezember 2016 bereits im November 2016 die dortige Therapie abgeschlossen hatte, leugnete der Kläger die Tat weiterhin in der mündlichen Verhandlung am … Dezember 2018 und erklärte, die Tat sei, so wie behauptet, nicht geschehen. Der Kläger zeigte keinerlei Reue, was eine Aufarbeitung der Tat und deren Gründe unmöglich macht. Während der Haft hat der Kläger keine sozialtherapeutischen Maßnahmen für Sexualstraftäter angestrebt bzw. daran teilgenommen (vgl. Führungsbericht der JVA … vom …1.2016). Die vom Klägerbevollmächtigten vorgelegte Einschätzung von … vom … August 2016 und vom … November 2018 treffen zur Aufarbeitung der Tat gerade keine Aussage, mithin trifft Letztere nur allgemeine Aussagen zum Lebensalltag des Klägers. Solange eine erfolgreiche Aufarbeitung der Tat und der Gründe und eine anschließende Bewährung nicht stattgefunden haben, entfällt die Wiederholungsgefahr nicht. Auch das ausweislich des Berichts von … vom … August 2016 und … November 2018 auch unter dem Druck einer möglichen Ausweisung bisher beanstandungsfreie Verhalten des Klägers nach Haftentlassung mindert die Wiederholungsgefahr nicht.
Diese Einschätzung wird auch durch das Ergebnis der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der Kläger sieht die Schuld für sein delinquentes Verhalten nur bei anderen und nicht bei sich selbst. Bereits bei der Exploration zur Erstellung des forensisch-psychiatrischen Gutachtens vom … Mai 2018 zur Beurteilung, ob beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, hat der Kläger weiterhin keine Einsicht gezeigt und die versuchte Vergewaltigung weiterhin bestritten. Dieses Verhalten zeigte der Kläger auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Er stellt sich selbst als Opfer dar. Deutlich zeigt sich dies etwa in der Aussage des Klägers im Rahmen der Exploration, als die Zeuginnen ihn festgehalten hätten, sei er bewusstlos geworden und er habe nicht verstanden, warum er angegriffen werde. Einsicht, dass er Unrecht begangen hat, hat der Kläger zu keiner Zeit – weder im Strafverfahren noch im Ausweisungsverfahren – gezeigt. Das Gericht verkennt dabei wie bereits ausgeführt nicht, dass der Kläger den ihm auferlegten gerichtlichen Anordnungen bisher nachgekommen ist. Allerdings zeigen das weiterhin vehemente Leugnen der Tat und die fehlende Aufarbeitung der Gründe für die Tatbegehung, die wesentlich für die Verhinderung weiterer Taten ist, dass die bisher absolvierte Therapie (sieben Termine bei der Fachambulanz) nicht ausreicht, um eine Wiederholungsgefahr zu verneinen. Ohne die vollumfängliche Aufarbeitung seiner Tat ist somit von einer weiterhin bestehenden hohen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten auszugehen.
1.2 Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Allein aufgrund der Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung erfüllt der Kläger die Voraussetzungen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nrn. 1 und 1a AufenthG. Zum einen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe von über zwei Jahren verurteilt wurde. Zum anderen gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG: Der Kläger hat eine vorsätzliche Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach § 177 StGB begangen, die nach dem gesetzgeberischen Willen besonders schwer wiegt und schon bei einer Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründet.
Dem steht auf Seiten des Klägers kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse oder schwerwiegendes Bleibeinteresses gegenüber. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltserlaubnis, so dass weder die Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG noch des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG einschlägig ist. Der Kläger befindet sich erst seit Anfang 2010 zur Durchführung des Asylverfahrens im Bundesgebiet; zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung im Februar 2016 war dem Kläger der Aufenthalt nach § 55 AsylG nicht mehr gestattet, da die Aufenthaltsgestattung (bis September 2013 befristete Bescheinigung) jedenfalls aufgrund des im April 2014 bestandskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens erloschen ist (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG). Im Übrigen steht eine Aufenthaltsgestattung einem Aufenthaltstitel nicht gleich. Der Kläger war und ist auch nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten ist der Kläger auch nicht so zu stellen, als wenn dem Kläger mit Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit Bescheid des Bundesamtes vom 8. April 2014 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erteilt worden wäre. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht keine Aufenthaltserlaubnis erteilt, da der Kläger im August 2013 eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung und damit eine Tat von erheblicher Bedeutung begangen hat. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stand somit von Anfang an, also ab dem Zeitpunkt der bestandskräftigen Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG entgegen, da der Kläger die erhebliche Straftat der versuchten Vergewaltigung am … August 2013 begangen hatte und für den Ausschluss eine strafrechtliche Verurteilung nicht erforderlich ist (vgl. Bergmann/Röcker, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 25 Rn. 25.3.7.4). Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist der Ausschluss der Aufenthaltserlaubnis zwingend und nicht ins Ermessen der Ausländerbehörde gestellt (vgl. Bergmann/Röcker, a.a.O. Rn. 25.3.7.2).
Auch ist für den vorliegenden Fall, insbesondere unter Berücksichtigung des Widerrufsverfahrens, keine gesetzliche Regelungslücke gegeben, denn – unabhängig vom Widerrufsverfahren und der bis zum bestandskräftigen Abschluss geltenden Bindung der Ausländerbehörde an die Feststellung des Abschiebungsverbots (§ 42 AsylG) – hätte eine nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Buchst. b) AufenthG widerrufen werden können. Bei Begehung einer schweren Straftat wie hier liefe es dem gesetzgeberischen Willen (vgl. § 25 Abs. 3 Satz 3, § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Buchst. b) AufenthG) zuwider, den Kläger so zu stellen, wie wenn er eine Aufenthaltserlaubnis hätte, da dann zugunsten des Klägers ein schwerwiegendes Bleibeinteresse zu berücksichtigen wäre.
Der Kläger hat im Übrigen – auch wenn bisher der Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 21. Juli 2016 nicht bestandskräftig ist – gerade keinen gesicherten Aufenthaltsstatus, denn auch das bisher (noch) bestehende zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG stellt kein Bleibeinteresse im Sinn des § 55 AufenthG dar. Denn zum einen handelt es sich hierbei um Regelungen, welche mit den typisierten Bleibeinteressen, welche an unterschiedliche Grade der Aufenthaltsverfestigung anknüpfen, in keiner Beziehung stehen. Des Weiteren ist das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Abwägung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG nicht zugänglich.
Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 6 Abs. 1 GG überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Unabhängig davon, ob hinsichtlich der im Bundesgebiet lebenden Familie des Klägers (Mutter, Schwester und Bruder), wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen, ein Abschiebungsverbot festgestellt wurde (Schriftsatz vom …11.18 im Beschwerdeverfahren: […] „wohl gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.“), berührt die Ausweisung des Klägers zwar ggf. die familiären Beziehungen zu seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Bruder, Art. 6 Abs. 1 GG. Allerdings leben diese nach eigenen Vortrag des Klägers erst seit April 2016 im Bundesgebiet mit ungesichertem Aufenthaltsstatus. Die Beziehung beschränkte sich seit der Einreise der Mutter, der Schwester und des Bruders ins Bundesgebiet jedoch auf Besuche, da nach eigenem Vortrag der Kläger in München und die Mutter, die Schwester und der Bruder in der Nähe von Eichstätt leben. Der Umstand, dass der Kläger nach eigenem Bekunden zur Mutter, zur Schwester und zum Bruder ziehen möchte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Im Übrigen lebte der Kläger seit seiner Einreise 2010 ohne familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Der Kontakt zu seiner Familie kann auch über neue elektronische Medien aus Afghanistan aufrechterhalten werden. Seine Mutter und Schwester sowie sein Bruder sind auf Unterstützung durch ihn nicht angewiesen.
Der Umstand, dass sich der Kläger mehrmals wegen einer Anpassungsstörung in psychiatrischer Behandlung bzw. wegen depressiver Episode in teilstationärer Behandlung befand, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung.
Die Ausweisungsentscheidung greift im Übrigen nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK, der ein Recht auf Achtung des Privatlebens garantiert, ein, da sich der Kläger erst seit 2010 im Bundesgebiet aufhält und – abgesehen von der/dem seit April 2016 im Bundesgebiet lebenden Mutter, Schwester und Bruder – keine weiteren familiären und persönlichen Bindungen im Bundesgebiet hat. Im Übrigen wäre die Ausweisung danach unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR (U.v. …8.2001 – … – …; U.v. …10.2006 – … – …) jedenfalls nicht unverhältnismäßig. Der Kläger reiste Anfang 2010 im Alter von etwa 16 bis 18 Jahren ins Bundesgebiet ein; zuvor hatte er in Afghanistan gelebt. Er spricht unter Berücksichtigung seiner Aufenthaltsdauer zwar gut Deutsch, eine soziale und berufliche Integration des Klägers liegt jedoch nicht vor. Der Kläger hat nach seiner Haftentlassung immer wieder Aushilfstätigkeiten (Servicekraft bei Starbucks bzw. in einer Spielothek bzw. Pizzalieferant) ausgeübt, in der Regel für etwa sechs Monate mit Unterbrechungen, in denen er keiner Tätigkeit nachging. Seit Juni/Juli 2018 ist der Kläger keiner Beschäftigung mehr nachgegangen. Der Kläger hat zudem den erst von ihm angestrebten qualifizierenden Mittelschulabschluss weder während der Haft noch nach Haftentlassung gemacht.
Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger die Straftaten, die zur Ausweisung führten, als Jugendlicher beging, ist die Ausweisung aufgrund der vehementen Leugnungshaltung des Klägers nicht unverhältnismäßig (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. … 6 2008 – … … II).
Der Kläger verfügt auch noch über Beziehungen zu seinem Herkunftsstaat. Er ist erst 2010 ins Bundesgebiet eingereist und hat zuvor mit seiner Familie in seinem Herkunftsstaat gelebt. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er noch weitläufige Verwandte in Afghanistan habe, zu denen aber kein Kontakt bestünde. Es wurden keine Gründe vorgetragen, warum es nicht möglich sein sollte, den Kontakt zu den Verwandten bei einer Abschiebung nach Afghanistan wiederherzustellen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher beim Kläger zu beachtenden Belange, ist die verfügte Ausweisung im Hinblick auf die vom Kläger weiterhin ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nicht unverhältnismäßig.
2. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre ab Ausreise im Falle des Nachweises der Straf- und Drogenfreiheit, anderenfalls auf neun Jahre ab Ausreise ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Über die festzusetzende Frist hat die Beklagte § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Sie hat dies unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu tun und darf hierbei fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht; sie soll aber auch in diesen Fällen zehn Jahre nicht überschreiten. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes sowie der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Hierbei bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungzwecks orientierende Sperrfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U. v. …7.2012 – 1 C 19. … – juris Rn. 42).
Gemessen an diesen Vorgaben erweist sich die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben bzw. neun Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise als ermessensfehlerfrei. Die Beklagte war bei der Festsetzung der Frist nicht an die Fünfjahresgrenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gebunden, weil der Kläger strafrechtlich verurteilt worden ist und seine Ausweisung darauf beruhte. Die mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten abgeurteilte Tat war gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtet, also gegen ein besonders hochrangiges Rechtsgut. Es besteht gegenwärtig weiterhin eine konkrete Wiederholungsgefahr. Auch unter Berücksichtigung der geringen persönlichen und familiären Bindungen des volljährigen und unverheirateten Klägers im Bundesgebiet war die von der Beklagten festgesetzte Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre erforderlich, angemessen und verhältnismäßig.
Die von der Beklagten verfügte Bedingung, bei deren Nichteintritt eine längere Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre gelten soll, dient der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Sie hält sich im Rahmen der Ermächtigung des § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG, da der Kläger ungeachtet dessen, dass er Erstverbüßer war, unter Drogeneinfluss eine so erhebliche Straftat begangen hat, dass eine solche Bedingung gerechtfertigt ist.
Im Übrigen kann der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG stellen, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Kriterien nachträglich ändern sollten.
3. Keinen Bedenken begegnet die auf §§ 59, 58 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung für den Fall des bestandskräftigen Widerrufs des Bescheids des Bundesamts vom 8. April 2014, mit dem ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde.
Die Klage ist nach alldem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben