Verwaltungsrecht

Ausweisung eines Flüchtlings wegen Unterstützung der PKK

Aktenzeichen  1 C 12/16

Datum:
25.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:250717U1C12.16.0
Normen:
§ 11 AufenthG
§ 12 Abs 2 AufenthG
§ 53 AufenthG
§ 54 Abs 1 Nr 2 AufenthG
§ 55 AufenthG
§ 56 AufenthG
Art 21 Abs 2 EURL 95/2011
Art 24 Abs 1 EURL 95/2011
Art 25 EURL 95/2011
Art 33 EURL 95/2011
Art 6 GG
Art 8 MRK
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 2. März 2016, Az: 11 S 1389/15, Urteilvorgehend VG Karlsruhe, 7. August 2012, Az: 1 K 929/12, Urteil

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich vorrangig gegen seine Ausweisung aus Deutschland.
2
Der 1956 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er lebt seit 1989 mit seiner Ehefrau und mit inzwischen acht gemeinsamen Kindern, von denen sieben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und zwei – beide deutsche Staatsangehörige – noch minderjährig sind, in der Bundesrepublik Deutschland. Auf seinen Asylantrag wurde er durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt) in Umsetzung eines Urteils des Verwaltungsgerichts Minden mit Bescheid vom 24. Juni 1993 als Asylberechtigter anerkannt; ferner wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem seinerzeitigen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt. Ein im Wesentlichen mit geänderten Verhältnissen in der Türkei begründeter Widerruf der Asylanerkennung und der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vom 21. August 2006 wurde am 30. November 2007 durch das Verwaltungsgericht aufgehoben. Seit dem 7. Oktober 1993 ist der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, seit dem 17. August 2007 einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG. Weder der Kläger noch dessen Ehefrau waren zu irgendeinem Zeitpunkt abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig.
3
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium K. mit Bescheid vom 27. März 2012 den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf §§ 55, 56 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (a.F.). Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, sowie sein Aufenthalt auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2). Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. Bei der PKK und deren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL handle es sich um Vereinigungen im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG. Die Aktivitäten des Klägers wie insbesondere das Eintreiben von Spenden, der Verkauf der PKK-Zeitung “Serxwebûn” und die ständige Teilnahme an Veranstaltungen der PKK bzw. PKK-naher Vereine seien als Unterstützung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Dabei sei auch von einer gegenwärtigen Gefährlichkeit auszugehen. Schließlich seien bis weit ins Jahr 2011 Unterstützungshandlungen nachgewiesen. Dem Interesse des Klägers an seinem Verbleib im Bundesgebiet, das sich aus den bestehenden persönlichen und familiären Bindungen ergebe, werde durch Duldungen Rechnung getragen werden. Während des Berufungsverfahrens wurde die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung mit Bescheid des Regierungspräsidiums K. vom 28. März 2013 auf fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise befristet.
4
Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 7. August 2012 abgewiesen. In dem Berufungsverfahren hatte der Kläger zusätzlich zu seinem Anfechtungsantrag hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten begehrt, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums K. vom 28. März 2013 auf sofort zu befristen bzw. später geändert in “aufzuheben”. Mit Beschluss vom 27. Mai 2013 hatte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung der Art. 21 und 24 der Richtlinie 2004/83/EG eingeholt, der die Vorlagefragen in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -) beantwortet hat.
5
Mit Urteil vom 2. März 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. Er hat die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil er in qualifizierter Weise die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Eine dem Kläger vorwerfbare, herausgehobene Unterstützung der PKK ergebe sich insbesondere aus den tatrichterlichen Feststellungen des Landgerichts M., nach denen der Kläger in den Jahren 2005 und 2006 in Kenntnis des Verbots der PKK Spenden für diese gesammelt habe, um die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Dabei sei der Kläger für die Eintreibung der Spenden im Bezirk M. zuständig und unmittelbar dem Gebietsverantwortlichen der PKK unterstellt gewesen. Soweit sich der Kläger im hiesigen Verfahren darauf beschränkt habe, diese Aktivitäten sowie jegliche konkrete Verbindung zur PKK pauschal zu bestreiten, sei diese Einlassung unglaubhaft. Soweit der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung erklärt habe, dass er Gewaltanwendung nicht gutheiße, habe sich dies in seinem konkreten Tun nicht niedergeschlagen. Im Gegenteil sprächen bei ihm aufgefundene Fotos, auf denen er mutmaßlich im türkisch-irakischen Grenzgebiet mit einem Schnellfeuergewehr posiere, eine andere Sprache. Auch liege es fern anzunehmen, dass dem Kläger bis in das Jahr 2011 hinein nicht bewusst gewesen sein soll, durch das Sammeln von Geldern für die PKK und durch die Teilnahme an PKK-nahen Veranstaltungen auch deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen. Der Senat sei zu der positiven Überzeugung gelangt, dass der Kläger nach wie vor ideologisch vorbehaltlos hinter der PKK stehe und seine gegenwärtige Zurückhaltung hinsichtlich seiner Aktivitäten einzig dem Ausweisungsverfahren geschuldet sei. Der hilfsweise erst im Berufungsverfahren gestellte Antrag, den Bescheid des Beklagten vom 28. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung aufzuheben, sei als Klageerweiterung wegen des Sachzusammenhangs zulässig, habe aber ebenfalls keinen Erfolg.
6
Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne. Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.
7
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Ausweisung des Klägers nicht allein am Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG, sondern auch am Maßstab von §§ 54, 55 AufenthG gemessen. Diese Regelungen seien jedoch – der Prüfungsstruktur des neuen Rechts nach – im Anwendungsbereich von § 53 Abs. 3 AufenthG nicht einschlägig. Der Verwaltungsgerichtshof habe zudem die sich aus der Entscheidung des im Vorabentscheidungsverfahren angerufenen Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Voraussetzungen für die Annahme eines zwingenden Grundes im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Anerkennungsrichtlinie verkannt. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG werde verletzt, weil der Verwaltungsgerichtshof den Unterstützungsbegriff im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union zu weit gefasst habe. Der Kläger verweist weiterhin darauf, dass Vereinigungen wie die YPG (Kurdische Volksverteidigungseinheiten), denen eine Zusammenarbeit, also eine Unterstützung, mit der als “terroristisch” “gelisteten” PKK zugeschrieben werde, logistisch, finanziell und mit Waffenlieferungen von zahlreichen westlichen Staaten, auch der Bundesrepublik Deutschland, im Kampf gegen islamistische Organisationen, deren Bekämpfung Anlass für die Resolution der Vereinten Nationen war, u.a. in Syrien unterstützt und gefördert und damit in einem Maß unterstützt würden, das weit über das ihm vorgeworfene Maß hinausgehe. Entgegen der Auffassung des Beteiligten sei er – der Kläger – auch nie in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM tätig gewesen.
8
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil.
9
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.


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