Verwaltungsrecht

Ausweisung, Länge der Sperrfrist, afghanischer Staatsangehöriger, Straftäter, Ausländer zweiter Generation, faktischer Inländer, bestandskräftiger Widerruf des im Asylverfahren festgestellten Abschiebeverbots

Aktenzeichen  M 24 K 18.2905

Datum:
29.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56075
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, 2
AufenthG § 11
Art. 8 EMRK, 6 GG
GG Art. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 wird in Nr. 2 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 AufenthG) nach der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise, nämlich hinsichtlich der Sperrfristlänge, begründet.
1. Gegenstand der Klage ist nach Maßgabe des in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags der Klagepartei (§ 103 Abs. 3 VwGO) der Bescheid der Beklagten vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018. Hiergegen wendet sich der Kläger im Wege der Anfechtungsklage gegen seine Ausweisung und begehrt hilfsweise im Wege der Verpflichtungsklage die Herabsetzung der Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung als Neuverbescheidung.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. hinsichtlich Ausweisung: BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45/06 – juris Rn. 12; hinsichtlich Abschiebungsandrohung: BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3/11 – juris Rn. 13).
2. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 ist im Hauptantrag als Anfechtungsklage und als hilfsweise erhobene Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Herabsetzung der Sperrfrist zulässig (ständige Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 14.02.2012 – 1 C 7/11 – juris Rn. 30). Die Klage wurde fristgerecht erhoben (§ 74 Abs. 1 bzw. Abs. 2 VwGO).
3. Die Klage ist in ihrem auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides gerichteten Hauptantrag unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 insoweit rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3.1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen.
Die Beklagte war und ist für den Erlass des Bescheides nach § 6 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 der Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht 2018, in Kraft seit 1. August 2018, (ZustAuslR; gleichlautend die Vorgängerregelung in § 5 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR 2005) örtlich zuständig, auch während der Haftzeit des Klägers. Der Kläger hatte vor seiner Inhaftierung wie auch wieder nach seiner Haftentlassung aus der JVA … am 2. August 2018, im Gebiet der Beklagten seinen gewöhnlichen Aufenthalt; dieser ist für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten maßgeblich. Die Zuständigkeit der Beklagten nach § 6 Abs. 1 Satz 1 ZustVAuslR als Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich der Ausländer gewöhnlich aufhält, besteht nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR fort, solange sich der Ausländer auf richterliche Anordnung in Haft – wie vorliegend – oder sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, soweit sich die Zuständigkeit nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZustVAuslR (Auslieferungshaft) bestimmt.
Dem Kläger wurde vor Erlass des Bescheides Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
3.2. Der Bescheid ist im Hinblick auf die verfügte Ausweisung in Nr. 1 des Bescheides vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 materiell rechtmäßig. Bei der Ausweisung handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 9; BT-Drs. 18/4097, S. 49).
3.2.1. Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 und Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a, § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
Nicht einschlägig ist und war § 53 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG, denn diese Spezialregelungen erfassen nicht Ausländer, denen im Asylverfahren nur nationaler Abschiebungsschutz zuerkannt wird bzw. wurde; das Asylverfahren des Klägers war mit bestandskräftigem Bescheid des BAMF vom 26. März 1999 mit der Feststellung des Vorliegens eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistan abgeschlossen gewesen. Nach Aktenlage wurde darüber hinaus der nationale Abschiebungsschutz des Klägers mit Bescheid des BAMF vom 5. September 2018, zwischenzeitlich bestandskräftig, widerrufen und dem Kläger weder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, noch nationale Abschiebungsverbote hinsichtlich Afghanistan festgestellt.
Nach der Grundsatznorm des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weitere Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt.
3.2.2. Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Durch seine Verurteilung durch das Amtsgericht München vom 7. Dezember 2017, rechtskräftig am 15. Dezember 2017, unter Einbeziehung des rechtskräftigen Urteils vom 3. Mai 2016, zu einer Einheits-Jugendstrafe von 3 Jahren wegen Erschleichens von Leistungen in Tatmehrheit mit gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit – jeweils gemeinschaftlich handelnd – Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit versuchtem schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit Diebstahl in Tatmehrheit mit Hausfriedensbruch hat der Kläger das typisierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und auch nach Nr. 1a AufenthG verwirklicht, wodurch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung indiziert ist.
3.2.3. Diese Gefahr ist auch noch gegenwärtig. Die Beklagte hat die Ausweisung sowohl auf spezial- als auch auf generalpräventive Gründe gestützt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Grad und Ausmaß der zu verlangenden Wiederholungswahrscheinlichkeit stehen dabei nicht statischabsolut fest, sondern sind wertend (normativ) innerhalb eines durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und durch Rechtsvorschriften gezogenen Rahmens zu ermitteln (VGH Baden-Württemberg, U.v. 9.7.2003 – 11 S 420/03 – juris Rn. 25). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; BayVGH, B.v. 03.03.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn 11; B.v. 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
Gemessen an diesem Maßstab geht vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr aus. Hierbei ist zu sehen, dass der Kläger in einem relativ kurzen Zeitraum intensiv straffällig wurde, die erste Verurteilung mit Bewährungsaussetzung ihn nicht daran hinderte, weiterhin in enger zeitlicher Taktung Eigentumsdelikte mit Gewaltanwendung zu begehen. Er hatte wegen seines anhaltenden Drogenkonsums ein starkes Motiv, durch Straffälligkeit im Eigentumsdeliktsbereich schnell an Geld zu kommen. Der Kläger agierte in der Gruppe und trat bei den Straftaten aggressiv und gewalttätig auf.
Zwar kann die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr, erneut straffällig zu werden, mindern (vgl. BayVGH, B.v. 13.07.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 10). Wenngleich der Kläger in der Haft eine gute Entwicklung zeigte, sich allseits sehr ruhig, freundlich und zuvorkommend zeigte, sich erfolgreich schulisch bis zum Qualifizierenden Mittelschulabschluss (erworben am 23.7.2018, mit Notendurchschnitt 2,78) fortbildete, nach Haftentlassung seit 12. September 2018 in Ausbildung zum Verkäufer ist, also rundum eine positive Entwicklung aufweist, kann hieraus zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt prognostisch (noch) nicht geschlossen werden, dass keine Wiederholungsgefahr für die Begehung von Straftaten vom Kläger mehr ausgeht. Die gute Entwicklung in der Haft fand in einem im Vergleich zur Situation in Freiheit in einem „schützenden Raum“ statt.
Eine Wiederholungsgefahr entfällt auch nicht deswegen, weil mit Beschluss des Amtsgerichts Bamberg, Vollstreckungsleiter für die JVA … vom 1. August 2018 die Vollstreckung des Restes der Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren aus dem Urteil des AG München vom 7. Dezember 2017 ab 2. August 2018 zur Bewährung unter Auflagen – mit einer Bewährungszeit von 3 Jahren – ausgesetzt wurde.
Strafgerichtliche Entscheidungen über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung sind für die Prognose der Wiederholungsgefahr zwar grundsätzlich von Bedeutung. Allerdings besteht keine Bindung von Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten an die tatsächlichen Feststellungen und die Beurteilung des Strafgerichts, also auch nicht an die strafgerichtliche Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (st. Rspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18 m.w.N.; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 ZB 16.1778 – juris Rn. 7). Vielmehr haben Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte über das Vorliegen einer hinreichenden Gefahr neuer Verfehlungen eigenständig zu entscheiden. Die strafgerichtliche Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung ist aber von tatsächlicher Bedeutung für die behördliche und verwaltungsgerichtliche Sachverhaltswürdigung dahingehend, ob eine die Ausweisung rechtfertigende Gefahr gegeben ist. Auch vor dem Hintergrund, dass dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde liegen, kann von der sachkundigen strafrichterlichen Prognose bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur bei Vorliegen überzeugender Gründe abgewichen werden (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21). Insoweit ist vorliegend zu berücksichtigen, dass nicht die Vollstreckung der Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde, sondern nur die Vollstreckung des Restes der verhängten Einheitsjugendstrafe nach § 88 JGG.
Zwar kommt auch einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer – und gegebenenfalls den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung – eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB oder § 88 JGG geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris, Rn. 9 m.w.N.).
Der Kläger hat sich bislang noch nicht über einen ausreichend langen Zeitraum in Freiheit bewährt. In Freiheit ist als gefährdendes Moment zu sehen, dass er durchaus wieder in dasselbe Milieu mit den dort auch lebenden „Spezln“ zurückkehrt, aus dem heraus er zuvor straffällig wurde. Über den vorliegend kurzen Zeitraum in Freiheit ist noch nicht absehbar, dass der Kläger auch in Freiheit stabil drogenfrei bleibt und damit der Zweck der Finanzierung des Drogenkonsums als Motiv der Straffälligkeit nicht wieder aufkommt. Gleichermaßen ist derzeit nicht absehbar, ob der Kläger so persönlich gefestigt ist, dass er keine Kontakte mehr aufnimmt zu seinem früheren Milieu und auch nicht mehr die in ihm steckende Neigung zur Aggressivität und Gewalttätigkeit, die er bei der gemeinschaftlichen Straftatenbegehung als Verhalten an den Tag legte, lebt. Auch bei den derzeit optimistischen Ansätzen ist die Entwicklung des Klägers insoweit offen, als derzeit (noch) nicht davon ausgegangen werden kann, dass in ausländerrechtlicher Hinsicht keine Wiederholungsgefahr (mehr) besteht, weil ein dauerhafter Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung während der Inhaftierung erfolgte und fortgesetzt wird (vgl. die Führungsberichte der JVA … vom 16.10.2017 und 7.5.2018; Schreiben des Vollstreckungsleiters vom 27.11.2018 an die Beklagte; Bestätigung über den bisherigen Ausbildungsverlauf vom 27.11.2018 des … e.V.).
3.2.4. Die Ausweisung verfolgt im Übrigen – neben dem spezialpräventiven Zweck zu verhindern, dass der Kläger weitere Straftaten begeht – gleichzeitig auch den generalpräventiven Zweck zu verhindern, dass andere Personen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden wie der Kläger, mithin ausländische Personen mit langer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, es ihm nachtun, indem sie zeigt, dass ein derartiges Verhalten aufenthaltsrechtliche Folgen zeitigt (vgl. zu der Zulässigkeit generalpräventiver Zwecke auch nach neuem Recht: BayVGH, B.19.9.2016 – 19 CS 15.1600 – juris Rn. 34; U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 38 und B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 10; vgl. zur generalpräventiven Ausweisung bei Kindesentziehung OVG NRW, U.v. 10.12.1997, 17 A 5677/95). Begangene Straftaten im Bereich der Eigentumsdelikte (mit Gewaltanwendung) eigenen sich mithin, Gegenstand einer generalpräventiven Ausweisung zu sein.
Auch nach dem neuen Ausweisungsrecht können Ausweisungen auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Der Gesetzeswortlaut schließt generalpräventive Ausweisungen nicht aus. Nach dem bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Ausweisungsrecht sind generalpräventive Ausweisungen ohne weiteres zulässig (vgl. Dienelt in Renner Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 55 Rn. 30 m.w.N.) und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt gewesen (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.1979 – 1 BvR 241/77). Die Ausweisungsvorschriften bedeuten demnach einen Appell an alle Ausländer, im Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes keine Straftaten zu begehen. Ein Ausländer, der sich trotz der verschiedenen Ausweisungstatbestände nicht von der Begehung einer Straftat abhalten lässt, setzt selbst die Voraussetzung für eine Ausweisungsverfügung. Er gibt durch sein Verhalten anderen Ausländern in der Bundesrepublik ein schlechtes Beispiel und dadurch die Veranlassung für eine generalpräventive Maßnahme. Für eine Abschaffung der generalpräventiven Ausweisung finden sich in der amtlichen Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (BT-Drs. 18/4097) keinerlei Hinweise. Laut der amtlichen Begründung kann die Ausweisungsentscheidung vielmehr „grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, wenn nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt“. Lediglich in den Fällen des – vorliegend nicht einschlägigen – § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. ist ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2016 – 19 CS 15.1600 – juris Rn. 34, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 38).
3.2.5. Bei der gebotenen Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse überwiegt im vorliegenden Fall das Ausweisungsinteresse.
3.2.5.1. Wegen der strafrechtlichen Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren durch das Amtsgericht München vom 7. Dezember 2017, rechtskräftig am 15. Dezember 2017, unter Einbeziehung des rechtskräftigen Urteils vom 3. Mai 2016, wegen Erschleichens von Leistungen in Tatmehrheit mit gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit – jeweils gemeinschaftlich handelnd – Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit versuchtem schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit Diebstahl in Tatmehrheit mit Hausfriedensbruch liegt ein besonders schwerwiegend bewertetes Ausweisungsinteresse vor (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 und auch nach Nr. 1a AufenthG).
Das Bleibeinteresse des Klägers ist nach dem normierten Regeltatbestand des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als besonders schwerwiegend zu bewerten. Es knüpft – kumulativ – an den Besitz der Niederlassungserlaubnis (siehe zu deren Erteilungsvoraussetzungen § 9 AufenthG) und einem mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung an. Mithin spiegelt sich darin der lebenslange Aufenthalt des Klägers, der bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis am 11. November 2014 ausweisungsrechtlich und strafrechtlich beanstandungsfrei verlief, wider. Der Kläger trat erst ab 2015 laufend und erheblich strafrechtlich in Erscheinung. Unabhängig vom und neben dem einfachgesetzlich normierten Regeltatbestand des Bleibeinteresses des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, der Art. 2 GG und Art. 8 EMRK umsetzt, stützt sich das Bleibeinteresse unmittelbar auch auf Art. 6 GG, Art. 2 GG und Art. 8 EMRK (sieh 3.2.5.2.).
3.2.5.2. § 53 AufenthG gestaltet die Ausweisung als Ergebnis einer umfassenden, ergebnisoffenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. Sofern das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet nach dieser Gesamtabwägung überwiegt, ist die Ausweisung rechtmäßig. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungsund Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Erforderlich ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.; HessVGH, B.v. 5.2.2016 – 9 B 16/16 – juris Rn. 5), insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
Prinzipiell erfassen die Bleibeinteressenstatbestände die Grundrechtspositionen und tragen den Wertentscheidungen der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in grundsätzlich ausreichender Weise Rechnung (vgl. BVerfG, B.v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03 – juris Rn. 21). Ungeachtet dessen sind die Bleibeinteressen des Klägers, die sich auf Grundrechtspositionen und auf Wertentscheidungen der EMRK stützen lassen, bei der vorzunehmenden Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse ihrer Wertigkeit entsprechend in die Abwägung einzustellen und zu gewichten.
Insbesondere sollen in die Abwägung die Kriterien mit einbezogen werden, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) insoweit zu Art. 8 EMRK entwickelt worden sind: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebungszielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebungszielland (BT-Drs 18/4097, S. 49; EGMR, U.v. 12.1.2010 – 47486/06, , in Fortschreibung der Boultif/Üner Kriterien; OVG NRW, U.v. 22.3.2012, – 18 A 951/09 – juris).
Die unter Einstellung sämtlicher berührter Belange vorzunehmende Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt. Dabei waren die von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens und der freien Entfaltung der Persönlichkeit entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
Hinsichtlich des Ausweisungsinteresses ist zunächst auf die Tatausführungen, wie sie auch im Einzelnen in der Bescheidsbegründung wiedergegeben werden, hinzuweisen. Die Delinquenz erfolgte auch als Beschaffungskriminalität zur Finanzierung des Drogenkunsums. Der Kläger war bei seiner letzten Verurteilung Wiederholungstäter, der bei offener Strafbewährung weiter massiv straffällig wurde. Die Einheitsjugendstrafe mit 3 Jahren als Ersthaftstrafenverbüßung ist hoch. Zu sehen ist, dass der Kläger als 16-jähriger, also als Jugendlicher früh und „abrupt“ eine intensive Strafdelinquenz begann mit Straftatenbegehung in sehr kurzer Zeitabfolge, die mit seiner Inhaftierung am 16. März 2017 endete. Hervorstechend bei seinem strafrechtlichen Inerscheinungtreten im Eigentumsdeliktsbereich ist, dass der Kläger gemeinschaftlich agierte und dabei als „Führungspersönlichkeit“ auftrat, sowie sein aggressives und gegenüber seinen Opfern gewalttätiges Verhalten. Zu seinen Opfern zählten auch Jugendliche und dies wiederholt, in einem beschützenden Raum (Jugendräume des Pfarrheims).
Hinsichtlich der Bewertung des Bleibeinteresses des Klägers war zu bedenken, dass er sich Zeit seines Lebens, also 20 Jahre, in Deutschland aufhält und in der Bundesrepublik den Status eines „faktischen Inländers“ genießt. Die Stellung als „faktischer Inländer“ verhindert die Ausweisung jedoch nicht von vornherein, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 – Nr. 41548/06, Trabelsi – juris Rn. 53; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16; B.v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03; BayVGH, B.v. 26.1.2015 – 10 ZB 13.808 – juris Rn. 37). Der volljährige Kläger ist ledig und kinderlos. Er hat zu seinen weiteren, im Bundesgebiet lebenden Verwandten – Mutter, Vater und Geschwister – persönlichen Kontakt. Der Kläger wurde an die Familienadresse aus der Haft entlassen. Die Eltern signalisierten große Bereitschaft, den Kläger in allen Belangen unterstützen zu wollen und bezeichneten ihre Beziehung zum Kläger als gut und stabil (vgl. auch den Bericht des Bewährungshelfers vom 28.6.2018, Bl. 693f über dessen Hausbesuch bei den Eltern des Klägers zum sozialen Empfangsraum für die mögliche vorzeitige Entlassung des Klägers). Während der Haftzeit (in der JVA …*) war der Kontakt im Besuchsumfang aus vorgetragenen finanziellen und familiären Gründen eingeschränkt; es erfolgten familiäre Besuche ausschließlich durch die Mutter des Klägers, ansonsten Brief- und Telefonkontakt. Nach den Angaben des Klägers hat sich zum Vater, der über Monate hinweg sich auch bei seiner zweiten Familie in Afghanistan aufhält, (wieder) ein funktionierendes Verhältnis entwickelt, wenn auch keine „Vater-SohnBeziehung“. Die Kindheit und frühe Jugend des Klägers, wie auch in dieser Zeit das Leben der Mutter des Klägers und der (älteren) Brüdern, war von der Gewalttätigkeit des Vaters ihnen gegenüber geprägt; der Kläger und seine beiden älteren Brüder haben deshalb selbst um staatliche Inobhutnahme ersucht. Allen Angaben zusammengenommen zufolge besteht ein enges / engeres Verhältnis des Klägers zu seiner Mutter wie auch zum jüngsten Bruder im Kindergartenalter.
Zu sehen ist auch, dass der Kläger deutlich erkennbar während seiner Inhaftierung einen Spurwechsel vollzog und seinen Drogenkonsum einstellte. Er hat den Qualifizierenden Mittelschulabschluss nachgeholt, nachdem er vor seiner Inhaftierung noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss hatte und seine schulischen Leistungen zuvor sehr schlecht waren (vgl. Schulzeugnisse Bl. 126ff. BA). Er hat auch erfolgreich, entsprechend der Auflage in der Bewährungsaussetzung der Reststrafe, einen Ausbildung begonnen. Die bisherige Ausbildungszeit des Klägers wird von seinem Ausbildungsverantwortlichem positiv bewertet.
In den Blick zu nehmen ist bei der Abwägungsentscheidung die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebungszielland und insbesondere, ob der Ausländer über Kenntnisse der Sprache seines Herkunftsstaats verfügt. Das erkennende Gericht geht bei der Abwägungsentscheidung davon aus, dass der Kläger die Sprache Pashtu, eine der Landessprachen Afghanistans, beherrscht, zumindest spricht. Das Bekunden des Klägers in der Stellungnahme, er sei der Sprache seiner Eltern, Pashtu, nicht mächtig und verstehe nur einzelne Worte, wird als Schutzbehauptung angesehen. Hierfür ist ausschlaggebend, dass aus den Urteilsgründen einer Verurteilung des Bruders des Klägers bei den familiären Hintergründen ausgeführt wird, dass dieser angab, seine beiden Eltern sprächen schlecht Deutsch (Bl. 682 BA). Die Kommunikation mit den Eltern erfolgt mithin in der Herkunftssprache Pashtu. Zur kulturellen Bindung des Klägers zu Afghanistan, trotzdem er in der Bundesrepublik geboren wurde und aufwuchs, ist auf das für die Volksgruppe der Pashtunen identitätsstiftende und das Leben jedes Pashtunen, auch derjenigen, die außerhalb des Siedlungsgebiets der Pashtunen leben, prägende Pashtunwali hinzuweisen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, Rzhak,Ethnische Gruppen und Strukturen, S. 9ff. und FATA Research Centre, Das Pashtunwali: Eine Analyse der Lebensweise der Pashtunen, S. 30ff.). Hinzutritt, dass der Vater des Klägers sich auch über Monate hinweg bei seiner in Afghanistan lebenden Zweitfamilie aufhält. Ausgehend von den pashtunischen Familien- und Clanstrukturen mit dem Familienzusammenhalt als hohem Wert, der auch von der Familie des Klägers gelebt wird (vgl. Bl. 693 BA), hat der Kläger trotz seines 20-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet, eine kulturelle wie auch soziale und familiäre Bindung in Afghanistan. Er kann auch auf Anlaufhilfe und Unterstützung in Afghanistan durch seinen Vater, die dortige Zweitfamilie des Vaters wie auch durch den Clan im Rahmen der in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen rechnen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist der Kläger nicht isoliert auf sich allein gestellt. Selbst wenn der Kläger keine der Landessprachen Afghanistans sprechen würde, wäre es ihm als volljährigen jungen Mann zuzumuten, diese zu lernen.
Angesichts der weiterhin bestehenden Wiederholungsgefahr eines Schadenseintritts für die gewichtigsten Schutzgüter (körperliche Integrität und Gesundheit in Deutschland lebender Personen, Eigentum) überwiegt nach Auffassung des Gerichts vorliegend das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers. Die Ausweisungsverfügung ist zu Recht ergangen und stellt sich auch in Anbetracht der Bleibeinteressen des Klägers nicht als unverhältnismäßig dar. Für den Kläger ist es zumutbar, nach Afghanistan auszureisen. Die Ausweisung ist somit auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG, Art. 2 GG und Art. 8 EMRK rechtmäßig.
4. Auch wenn das „Ob“ der Ausweisung somit nicht zu beanstanden ist, so erweist sich doch die Länge der im streitgegenständlichen Bescheid vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 vorgesehenen Sperrfrist – von fünf Jahren unter der Bedingung des Nachweises der Straf- und Drogenfreiheit und ohne Bedingung von sechs Jahren – als rechtswidrig und die insoweit im Hilfsantrag einschlägige Verpflichtungsklage (auf Neuverbescheidung) als begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 113 Abs. 5 Satz 2, § 144 VwGO).
4.1. Gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG ist das aus § 11 Abs. 1 AufenthG folgende Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Die Ermessensentscheidung ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar, wobei vorliegend nicht ersichtlich ist, dass Umstände vorliegen, die dieses Ermessen auf Null reduzieren könnten. Auch ist mehr als eine Verbescheidung insoweit vorliegend nicht beantragt.
Die behördliche Entscheidung hält sich nicht in dem von § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Rahmen.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich dann in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42; BayVGH, U.v. 22.1.2013 – 10 B 12.2008 – juris Rn. 64; BayVGH U.v. 25.8. 2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
4.2. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, dem die Beklagte mit der Befristungsentscheidung im Bescheid vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 nicht genügt hat.
Sowohl die im Ausgangspunkt (ohne besondere Bedingungen) vorgesehene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Jahre als auch die unter der Bedingung von Straf- und Drogenfreiheit vorgesehene Verkürzung der Sperrfrist auf fünf Jahre erweisen sich als unverhältnismäßig. Das Gewicht der persönlichen Interessen des Klägers gebietet im Hinblick auf das Gebot eines verhältnismäßigen Ausgleichs mit dem öffentlichen Ausweisungsinteresse eine kürzere Sperrfrist.
4.2.1. Der streitgegenständliche Bescheid vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 greift in die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers (Art. 2 Abs. 1 GG) und sein Interesse, mit seiner Familie in der Bundesrepublik zusammenzuleben, (Art. 6 GG) ein. Der Kläger wird vom streitgegenständlichen Bescheid maßgeblich in dem von der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) vorgesehenen subjektiven Rechts auf Privatleben (Art. 8 EMRK) betroffen.
4.2.2. Keines der genannten Grund- und Konventionsrechte besteht allerdings schrankenlos. Insbesondere finden diese Rechte ihre Grenze beim gebotenen Schutz von Grund- und Konventionsrechten anderer Menschen vor Gefahren, wie sie vom Kläger – wie oben dargelegt – ausgehen.
Geboten ist ein verhältnismäßiger Ausgleich der beschriebenen rechtlichen Interessen. Hinsichtlich des von Art. 6 GG geschützten Interesses ist allerdings darauf hinzuweisen, dass diesem beim kinderlosen und ledigen Kläger ein geringeres Gewicht im Rahmen der Abwägung beizumessen ist, da der Kläger volljährig ist und insoweit mit den Eltern nur mehr eine Beistandsgemeinschaft besteht. Im Vordergrund steht die Führung des Privatlebens des Klägers im Bundesgebiet, das er ausweisungsrechtlich beanstandungsfrei bis zu seinem 16. Lebensjahr führte. Dabei sind im Fall des Klägers seine – abgesehen von den begangenen Straftaten – nunmehr in der Haft begonnenen und nach der Haft fortgeführten, erfolgreichen Integrationsbemühungen (Drogenfreiheit seit 16. März 2017; erfolgreicher Schulabschluss und Ausbildungsverlauf) zu berücksichtigen.
Soweit die kürzere Sperrfrist von 5 Jahren unter der Bedingung auch nachzuweisender Straffreiheit festgesetzt wurde, ist zudem fraglich, ob es dem Kläger unter den derzeit herrschenden allgemeinen Zuständen im Afghanistan überhaupt möglich ist, einen solchen Nachweis zu führen. Ähnlich dürfte es sich beim Nachweis der Drogenfreiheit darstellen, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger die finanziellen Mittel in Afghanistan (u.a. für einen zusätzlichen Hin- und Rückflug) erwirtschaften kann, um (vor Ablauf der Sperrfrist) den Nachweis der Drogenfreiheit durch ein Institut in Deutschland führen zu können.
Dem vor diesem Hintergrund zu sehenden persönlichen Interessen des Klägers steht aber auch im Kontext des § 11 AufenthG das öffentliche Interesse an der Ausweisung des mehrfach und wiederholt zu Lasten anderer Menschen und der Gesellschaft straffällig gewordenen Klägers gegenüber. In Abwägung der so beschriebenen gegenläufigen Interessen erweist sich die vom streitgegenständlichen Bescheid vom … Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 vorgesehene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf fünf bzw. sechs Jahre als unverhältnismäßig, da das Ergebnis des Abwägungsvorgangs das Interesse, den Kläger angesichts der (noch) bestehenden Wiederholungsgefahr vom Bundesgebiet fernzuhalten, zu hoch, und sein Interesse, im Bundesgebiet zu leben, zu niedrig bewertet hat.
Allerdings kann das Gericht angesichts des bestehenden Verwaltungsermessens schon mangels entsprechenden Antrags (vgl. § 88 VwGO), aber auch aus Gründen der Gewaltenteilung, die Beklagte nicht verpflichten, eine bestimmte Sperrfrist vorzusehen; vielmehr kommt insoweit nur ein Verbescheidungsausspruch i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO in Betracht, wobei das Gericht nicht gehindert (wenn auch nicht verpflichtet) ist, Grenzwerte festzuhalten, die von der Beklagten bei der Neufestsetzung der Sperrfrist nicht überschritten werden dürfen, um eine (neuerliche) Unverhältnismäßigkeit zu vermeiden (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16 – juris, Rn. 25).
Vorliegend würde die Beklagte – auf der Grundlage des Erkenntnisstandes in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2018, der jedoch der weiteren Entwicklung in der Folgezeit unterliegt – den persönlichen Interessen des Klägers im Hinblick auf einen verhältnismäßigen Ausgleich mit dem öffentlichen Ausweisungsinteresse nicht hinreichend Rechnung tragen, wenn sie das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf mehr als 3 Jahre – unabhängig von der Bedingung des Nachweises von Straf- und Drogenfreiheit – befristen würde. Beachtenswert ist auch die mit Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 1. August 2018 verfügte Länge der Bewährungszeit mit drei Jahren, also bis 1. August 2021. Das Gericht sieht (mangels entsprechender Pflicht) davon ab, eine Untergrenze festzuhalten.
5. Gegen die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Regelungen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Diese wurden unter den Vorbehalt des Widerrufs des mit Bescheid des BAMF vom 26. März 1999 festgestellten Abschiebungsverbots gestellt. Der Widerruf ist bestandskräftig. Die Abschiebung aus der Haft heraus nach erfülltem Strafanspruch des Staates und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht beruht auf § 58 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig nach § 58 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG, da die Niederlassungserlaubnis des Klägers mit der Ausweisung erlischt. Insbesondere ist eine Frist zur freiwilligen Ausreise von vier Wochen ab Haftentlassung angemessen, vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt und teils unterliegt. Das konkrete Verhältnis der Kostenteilung hängt dabei davon ab, was jeweils eingeklagt ist – das Obsiegen und Unterliegen ist zu dem jeweiligen Streitgegenstand ins Verhältnis zu setzen.
Vorliegend hat der Kläger nur im Hinblick auf die Verbescheidungsklage hinsichtlich der Sperrfristverkürzung obsiegt, während die Beklagte im Hinblick auf die Ausweisung obsiegt hat. Das Verhältnis dieser Bereiche verhält sich wie 1/5 zu 4/5.
7. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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