Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe

Aktenzeichen  10 ZB 18.1121

Datum:
5.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21835
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines angefochtenen Urteils iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt werden (BVerfG BeckRS 2009, 39130). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 K 17.4105 2018-02-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage weiter, die auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 2. August 2017 und hilfsweise auf Verpflichtung der Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Länge der Sperrfrist herabzusetzten, gerichtet ist. Zudem beantragt er, ihm für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger auch gegenwärtig die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde. Er habe mehrere Straftaten begangen, die gegen verschiedene hochrangige Rechtsgüter gerichtet gewesen seien. Die Tatsache, dass er in enger zeitlicher Abfolge mehrere Straftaten begangen habe, indiziere bereits für sich genommen eine Wiederholungsgefahr. Eine innere Wandlung habe der Kläger nicht vollzogen. Die Folgen der Tat seien für das Kind erheblich und prägend für die gesamte Entwicklung. Einsicht sei vom Kläger auch in der Strafverhandlung nicht gezeigt worden. Die Abwägung ergebe, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiege. Die Ausweisung sei auch nicht unverhältnismäßig.
Hiergegen bringt der Kläger im Zulassungsverfahren im Wesentlichen vor, dass die Verurteilungen wegen angeblicher Körperverletzungen und wegen Kindesentziehung einzig und allein auf der Zeugenaussage der Ehefrau beruhten, die ihn abgrundtief hasse und eine notorische Lügnerin sei. Insoweit werde auf das psychiatrische Gutachten vom 30. September 2017 verwiesen. Dies habe das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Bezüglich der behaupteten Kindesentführung sei dem Verwaltungsgericht eine Vereinbarung der Eheleute vom 19. Januar 2013 vorgelegt worden, aus der sich ergebe, dass die Ehefrau damit einverstanden gewesen sei, dass die gemeinsame Tochter in Jordanien bei der Mutter des Klägers bleibe und erst wieder nach München komme, „wenn sie (die Ehefrau) sich geändert habe“. Weder diese Vereinbarung noch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, mit der der Ehefrau das Sorgerecht für die Tochter abgesprochen worden sei, habe das Verwaltungsgericht berücksichtigt. Der Kläger habe seine Tochter vor einer Rabenmutter retten müssen, dies sei alles andere als Gleichgültigkeit. Sein Bleibeinteresse wiege besonders schwer, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitze. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts missachte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Auf eine nicht näher bekannte Entscheidung des EuGH aus dem April 2018 werde verwiesen.
Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch nicht ernsthaft in Zweifel. Er ist strafgerichtlich mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Oktober 2016 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten wegen der Entziehung Minderjähriger in Tatmehrheit mit Betrug in Tatmehrheit mit fünf tatmehrheitlichen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Diese strafrechtliche Verurteilung durfte das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr ohne weitere Nachprüfung zugrunde legen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris zu § 47 Abs. 1 AuslG 1990; B. v. 8.5.1989 – 1 B 77.89 – InfAuslR 1989, 269 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965, jeweils m.w.N.) erfordert die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Soweit es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung etwa auf die Umstände der Tatbegehung ankommt – z.B. im Rahmen der Feststellung einer Wiederholungsgefahr oder bei der Ermessensausübung – besteht zwar keine derartige strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung. Es ist aber geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen (OVG NRW, B.v. 8.12.2015 – 18 A 2462/13 – juris Rn. 11). Etwas anderes gilt nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan werden, dass sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Solche konkreten Anhaltspunkte ergeben sich weder aus dem Vorbringen in der ersten Instanz noch aus dem Zulassungsvorbringen. Der Kläger behauptet zwar, dass er die ihm zur Last gelegten Straftaten nicht begangen bzw. es sich um Nothilfe gehandelt habe, und beruft sich darauf, dass seine Ehefrau eine notorische Lügnerin sei. Dabei übersieht er aber, dass das Strafgericht seine Verurteilung nicht nur auf die Aussagen der Ehefrau im Strafverfahren, sondern auch auf die der weiteren Zeugen gestützt hat. Es hat die Eltern der Ehefrau und deren Betreuerin als Zeugen vernommen und ihre Glaubwürdigkeit bejaht. Bei dem vom Kläger im erstinstanzlichen und im Zulassungsverfahren vorgelegten psychiatrischen Gutachten vom 29. September 2017 handelt es sich dagegen um ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Ehefrau, das keine Aussagen zur Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen der im Strafverfahren trifft. Auch der Kläger wurde im Strafverfahren vernommen. Seine Aussage hat das Strafgericht als unglaubwürdig eingestuft, weil er die ihm aufgezeigten Widersprüche in seiner Aussage nicht erklären konnte. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeugin, die der Kläger im Strafverfahren benannt hat, nachweislich vom Anwalt des Klägers in ihrem Aussageverhalten beeinflusst worden ist. Auch im Zulassungsverfahren ist das Vorbringen des Klägers nicht widerspruchsfrei. Im Strafverfahren hat er behauptet, dass seine Tochter auf Initiative seiner Ehefrau nach Jordanien verbracht worden und sie mit der Sorgerechtsübertragung einverstanden gewesen sei, während er nunmehr die Kindesentziehung als einen Akt der „Nothilfe“ für seine Tochter bezeichnet. Angesichts der ausführlichen Begründung des Strafurteils, das sich dezidiert mit der Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen auseinandersetzt, konnte das Verwaltungsgericht daher die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zum Verhalten des Klägers seiner Prognose der Wiederholungsgefahr zugrunde legen.
Mit dem Verweis auf sein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die angeblich fehlerhafte Abwägungsentscheidung und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zeigt der Kläger ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf. Sein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt. Der Kläger legt nicht substantiiert da, aus welchen Gründen die zur Ausweisung führende Abwägungsentscheidung fehlerhaft sein sollte. Alle maßgeblichen Gesichtspunkte wurden von der Beklagten und dem Verwaltungsgericht in die Abwägungsentscheidung eingestellt; die für einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte überwiegen allerdings nicht das öffentliche Ausweisungsinteresse, weil vom Kläger auch gegenwärtig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, er enge Beziehungen in sein Heimatland unterhält und auch seine Tochter dort lebt. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (17.4.2018, C-316/16), die Vorlagefragen zur Verlustfeststellung gegenüber Unionsbürgern beantwortet, ist für eine Ausweisungsentscheidung nach nationalem Recht nicht maßgeblich.
Ausführungen die Verkürzung der Sperrfrist betreffend und damit zur Begründetheit des Hilfsantrags enthält das Zulassungsvorbringen nicht.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG. Eine Streitwertfestsetzung für das Prozesskostenhilfeverfahren ist nicht erforderlich, weil Kosten nicht erstattet werden.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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