Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen erheblicher mehrfacher Gewaltdelikte

Aktenzeichen  M 9 K 19.714

Datum:
22.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 932
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 3, § 53 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Durch sein persönliches Verhalten gefährdet die öffentliche Sicherheit, wer bereits mehrfach strafrechtlich, zuletzt wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und 9 Monaten verurteilt wurde und bei dem die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung wegen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit sowie disziplinarischer Verstöße in der Haft abgelehnt wurde.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Antrag auf Aufhebung des Bescheides vom 29. Januar 2019 und der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 3 Jahre und 9 Monate haben keinen Erfolg, da der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2019 insgesamt rechtmäßig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt; er hat keinen Anspruch auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 3 Jahre und 9 Monate (§ 113 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5, § 114 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffende Begründung des Bescheides der Beklagten vom 29. Januar 2019 Bezug genommen.
Ergänzend dazu gilt Folgendes:
Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Kläger um einen so genannten “faktischen Inländer” handelt, da dieser im Bundesgebiet geboren wurde und hier aufgewachsen ist. Sie hat diesem Umstand im Rahmen der Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausreise mit den privaten Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet berücksichtigt. Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger, dessen Eltern aus Afghanistan in das Bundesgebiet gekommen sind, ausreichende Sprachkenntnisse in der Familie erworben hat und allenfalls Defizite im Schriftlichen bestehen. Die Beklagte hat umfangreich gewürdigt, dass Eltern und Geschwister des Klägers im Bundesgebiet leben und er hier seine gesamte Kindheit und Jugend verbracht hat. Ebenfalls zutreffend ist die Feststellung im Bescheid, dass der Kläger im Bundesgebiet weder berufliche noch sonstige soziale Bindungen hat. Er hat weder die Schule abgeschlossen noch – mit Ausnahme von 4 Wochen – jemals gearbeitet. Er ist erwachsen und auf die Unterstützung seiner Familie nicht angewiesen. Der Umstand, dass er seinen gesamten Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet hat, stellt vor dem Hintergrund der erheblichen Straffälligkeit des Klägers keinen Umstand dar, aufgrund dessen von einem hilfreichen sozialen Umfeld auszugehen wäre.
Insgesamt ist das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger zwar nominell faktischer Inländer ist, eine entsprechende verfestigte Integration aber nicht stattgefunden hat.
Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geht von dem Kläger aufgrund seines persönlichen Verhaltens weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Ausweislich der Führungsberichte der JVA hat der Kläger auch dort Disziplinarprobleme. Dies zeigt, dass der Kläger auch unter den streng geordneten Verhältnissen einer JVA nicht in der Lage ist, sich einzufügen. Unter Berücksichtigung dessen, dass er seit seinem 15. Lebensjahr bereits zweimal zu einer Haftstrafe verurteilt wurde zeigt dies, dass der Kläger nicht willens und nicht in der Lage ist, sein persönliches Verhalten zu kontrollieren und bestehende Regeln einzuhalten. Der Umstand, dass der Kläger bei seinen strafrechtlichen Verurteilungen regelmäßig Reue gezeigt hat und Besserung sowie ein geordnetes Leben gelobte, ist vor dem Hintergrund wiederholter Straftaten und wiederholter Haftstrafen nicht überzeugend.
Die Einschätzung der Beklagten, dass die öffentliche Sicherheit durch das persönliche Verhalten des Klägers gefährdet wird, findet ihre Bestätigung in dem Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 3. Mai 2019, mit dem die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung wegen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit sowie der disziplinarischen Verstöße in der Haft abgelehnt wurde. Die Beklagte hat zutreffend ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, dass sich die Gewalttaten des Klägers von der Intensität her gesteigert haben; zuletzt hat er mit einer Machete bewaffnet Tankstellen überfallen. Der Umstand, dass der Kläger nach seiner Entlassung wieder bei seinen Eltern wohnen könnte und als Putzmann in Vollzeit eine Arbeitsstelle hätte, ändert an dieser äußerst ungünstigen Sozialprognose ebenso wenig, wie der Umstand, dass der Kläger die Straftaten in jungen Jahren beging und mittlerweile den Qualifizierten Mittelschulabschluss sowie einige Ausbildungskurse mit Erfolg abgeschlossen hat. Der Kläger hatte bereits früher die Gelegenheit zu arbeiten und dies nicht getan. Er hat auch vor seiner Inhaftierung bei seinen Eltern gewohnt und der Familienverbund hielt ihn nicht von der Begehung erheblicher Straftaten ab.
Der Verpflichtungsantrag auf Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisungsverfügung, der erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellt wurde, hat ebenfalls keinen Erfolg.
Die Beklagte hat gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen über die Länge der Frist entschieden und umfangreiche Ermessenserwägungen – auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 8 EMRK – angestellt. Es ist im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Kläger um einen Wiederholungstäter handelt, er bereits die zweite Strafhaft verbüßt und sich die Gefährlichkeit seiner Delikte, zuletzt Tankstellenüberfall mit einer Machete, in kurzen Abständen erheblich gesteigert hat, rechtlich nicht zu beanstanden, dass eine Festsetzung der Frist auf 7 Jahre bzw. 9 Jahre bei weiterer Straffälligkeit vorgenommen wurde. Unter Berücksichtigung des dem Gericht im Rahmen des § 114 VwGO eingeräumten Prüfungsumfangs sind Ermessensfehler nicht erkennbar.
Die Annahme der Klägerseite, es bestehe aufgrund eines Anspruchs oder einer Ermessensreduzierung auf Null, ein Recht des Klägers darauf, dass eine Befristung auf 3 Jahre und 9 Monate – entsprechend der Länge der verhängten Strafhaft gäbe -, findet keine Grundlage in § 11 AufenthG. Das Wiedereinreise – und Betretensverbot des § 11 AufenthG orientiert sich weder vom Zweck noch von den Voraussetzungen her an der Länge der Strafhaft. Vielmehr ist die Länge der Frist anhand einer Prognose über die Dauer und Länge der Gefahr weiterer Straftaten unter Überprüfung anhand der Wertentscheidungen und Vorgaben des Grundgesetzes und Art. 8 EMRK zu bestimmen (BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715). Dies hat die Beklagte getan.
Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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